Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Ausbildungsförderung für ein Studium über die Förderungshöchstdauer hinaus.
Die Klägerin hat vom Wintersemester 2012/2013 bis zum Wintersemester 2020/2021 über 17 Hochschul- und Fachsemester ein Masterstudium in der Fachrichtung Germanistik und Romanische Philologie Spanisch absolviert. Im April 2021 hat sie ihr Studium abgeschlossen. Die Regelstudienzeit für dieses Studium beträgt vier Semester.
Am 29. September 2020 beantragte sie für den Bewilligungszeitraum vom 1. September 2020 bis Ende des Wintersemesters 2020/2021 Ausbildungsförderung. Das Wintersemester 2020/2021 war ihr 17. Fachsemester. Sie berief sich für die Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus auf ein bei ihr erst spät, nämlich im November 2020, erkanntes Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom – F 90.0G – (ADS).
Mit Bescheid vom 00.00.0000 lehnte der Beklagte den Antrag auf Förderung ab. Einer Bewilligung von Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus stehe § 15
Abs. 3
BAföG entgegen. Wenn man davon ausgehe, dass bei der Klägerin seit Geburt eine anerkannte Behinderung vorliege, die ursächlich für eine erhebliche Studienverzögerung sei, könnte dies eine Verdopplung der Regelstudienzeit auf acht Semester rechtfertigen. Dann wäre ein Studienabschluss bis spätestens September 2016 angemessen gewesen. Die bei ihr eingetretene Verzögerung von weiteren acht Semestern – eine Vervierfachung der regulären Studienzeit – könne nicht allein auf ihre Behinderung zurückgeführt werden. Eine denkbare Hilfe zum Studienabschluss nach § 15
Abs. 3a
BAföG hätte sie im Zeitfenster von Oktober 2016 bis September 2018 beantragen und in Anspruch nehmen müssen.
Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 00.00.0000 wies das beklagte Studierendenwerk mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2021 zurück. Wie die Klägerin im Widerspruch vorgetragen habe, sei die Anzahl der Verlängerungssemester nach § 15
Abs. 3
BAföG grundsätzlich nicht begrenzt und ein Schwerbehindertenausweis sei ebenso nicht zwingend vorzulegen. Jedoch seien die Gründe für die Überschreitung der Förderungshöchstdauer gemäß § 15
Abs. 3
BAföG nachzuweisen und auf ihre Ursächlichkeit für die Studienzeitüberschreitung zu prüfen. Im Wintersemester 2020/2021, dem 17. Fachsemester der Klägerin, habe sie die Förderungshöchstdauer um 13 Semester überschritten. Sie sei am 29. September 2017 zur Master-Abschlussprüfung zugelassen worden, die pro Studiengang einen Umfang von 20 Creditpoints aufweise. Bis zur Entscheidung über den Widerspruch habe sie die Masterthesis nicht vorlegt. Sie habe demnach innerhalb von vier Fachsemestern (Wintersemester 2017/2018, Sommersemester 2018, Wintersemester 2018/2019 und Sommersemester 2019) keine Prüfungsleistung im Umfang von 40 Creditpoints erreichen können. Die vorgetragenen Gründe ihrer Krankheit
bzw. Behinderung seien im Rahmen von § 15
Abs. 3
BAföG zu berücksichtigen. Dies rechtfertige jedoch keine Verlängerung der Ausbildungsförderung in dem Umfang, dass für den Zeitraum ab September 2020 Ausbildungsförderung zu bewilligen wäre. Zudem habe sie die Ursächlichkeit der Studienzeitverzögerung aufgrund ihrer Erkrankung nicht nachgewiesen.
Am 3. Januar 2022 hat die Klägerin dagegen die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (F 90.0G) in starker Ausprägung zu leiden. Hierzu legte sie eine psychologische Stellungnahme zur Autismusdiagnostik von Diplom-Psychologin N. vom 00.00.0000 vor. Für die Einzelheiten der Stellungnahme wird auf Blatt 27 bis 32 der Gerichtsakte Bezug genommen. Zudem sei ihre Schwerbehinderteneigenschaft mit Bescheid vom 27. Januar 2022 festgestellt. Für die Einzelheiten des Bescheides wird auf Blatt 33 bis 36 der Gerichtsakte Bezug genommen. Bei ihr hätten schwerwiegende Gründe vorgelegen, die kausal für die Überschreitung der Förderungshöchstdauer gewesen seien. Ihre Erkrankung habe dazu geführt, dass sie unter einem mangelnden Zeitgefühl, Fehleinschätzung von benötigter Arbeitszeit und Schwierigkeiten bei der Planung leide. Sie neige zu spontanen Entscheidungen und sei unfähig, Prioritäten festzulegen. Für sie sei es problematisch, zu entscheiden, welcher Arbeitsschritt der nächste sei. Daher sei eine strukturierte Arbeitsweise für sie nicht umsetzbar. Sie schiebe wichtige Entscheidungen und Aufgaben vor sich her und lenke sich mit unwichtigeren Unteraufgaben ab. Sie leide unter erheblichen Konzentrationsproblemen und sei schnell abgelenkt. Außerdem sei sie sehr vergesslich und verliere schnell den Überblick bei umfangreicheren Projekten, wie etwa der Masterarbeit.
Wie aus der vorgelegten Stellungnahme von Frau Diplom-Psychologin N. hervorgehe, leide die Klägerin unter einer starken Aufmerksamkeits- und Fokussierungsschwäche. Aufgrund der starken Aufmerksamkeitsdefizitstörung komme es auch im Alltag zu autistisch anmutendem Verhalten. Die Teilhabe in unterschiedlichen Lebensbereichen sei stark eingeschränkt. Die ADS-Erkrankung stelle schwerwiegende Gründe dar, die kausal für das Überschreiten der Förderungshöchstdauer seien. Die Masterarbeit habe sie außerdem nur anfertigen können, weil die Bearbeitungszeit von vier auf acht Monate verlängert worden sei. Andernfalls wäre es ihr nicht möglich gewesen, den Arbeitsaufwand zu bewerkstelligen. Sie sei über Jahre hinweg in Behandlung gewesen und habe verschiedene Therapieversuche unternommen. Allerdings sei die vorliegende Erkrankung erst viel zu spät erkannt worden. Dies habe dazu geführt, dass keine adäquate Therapie oder Behandlung habe stattfinden können. Dadurch sei eine Reihe von Entscheidungsdefekten entstanden, die zu der erheblichen Verzögerung geführt hätten. Sie habe im Rahmen ihrer Behinderung alles dafür getan, ihr Studium gut zu planen und zielstrebig zu verfolgen. Für den Inhalt der vorgelegten Leistungsübersicht wird auf Blatt 54-56 der Gerichtsakte Bezug genommen. Die Klägerin reichte zwei Stellungnahmen zur Gerichtsakte, für deren Inhalt auf Blatt 60 bis 65 sowie 78 bis 79 Bezug genommen wird.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verpflichten, der Klägerin für ihr Studium an der Universität C. in der Fachrichtung Germanistik und Romanische Philologie Spanisch für den Bewilligungszeitraum vom 1. September 2020 bis zum 30. April 2021 Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Das beklagte Studierendenwerk beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung vertieft es im Wesentlichen die Gründe des Widerspruchsbescheids. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der im September 2021 erfolgten Diagnose Autismus und der Studienverzögerung sei nicht erkennbar. Die etwa fünf Monate nach dem Abschluss des Studiums der Klägerin vorgelegte psychologische Stellungnahme basiere auf Untersuchungen in August und September 2021. Diese medizinischen Feststellungen nach Abschluss ihres Studiums könnten keine schwerwiegenden Gründe zur Überschreitung der Förderungshöchstdauer belegen. Die aufgezählten Probleme seien bei Schülern und Studenten allgemein bekannte Schwierigkeiten.
Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 29. Dezember 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 6
Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) durch den Einzelrichter.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 00.00.0000 und der Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113
Abs. 5 Satz 1
VwGO). Sie hat für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum vom 1. September 2020 bis zum 30. April 2021 keinen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für ihr Masterstudium an der Universität C. in der Fachrichtung Germanistik und Romanische Philologie Spanisch.
Die Anspruchsgrundlage für die Bewilligung von Ausbildungsförderung ist in § 1, § 7
Abs. 1 Satz 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) normiert. Danach besteht auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Ausbildungsförderung wird für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung im Sinne von § 2 und § 3
BAföG bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet, längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses.
Dem von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung steht die Regelung in § 15
Abs. 3 und § 15a
Abs. 1
BAföG entgegen. Danach wird Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit geleistet, wenn die Förderungshöchstdauer aus einem der in § 15
Abs. 3 Nrn. 1 bis 5
BAföG genannten schwerwiegenden Gründe überschritten worden ist.
Die Förderungshöchstdauer entspricht vorbehaltlich der – vorliegend nicht einschlägigen – Regelung des § 15a
Abs. 1a und 1b
BAföG der Regelstudienzeit nach § 10
Abs. 2 des Hochschulrahmengesetzes oder einer vergleichbaren Festsetzung. Für das von der Klägerin absolvierte Studium betrug die der Regelstudienzeit entsprechende Förderungshöchstdauer vier Semester. Der streitgegenständliche Bewilligungszeitraum war das 17. Fachsemester. Die Klägerin hatte die Regelstudienzeit damit um mehr als das Dreifache der Regelstudienzeit überschritten. Eine Förderung der Klägerin im 17. Fachsemester stellt keine Verlängerung für eine angemessene Zeit im Sinne von § 15
Abs. 3 Halbs. 1
BAföG dar (1.). Überdies kann weder eine Ursächlichkeit der vorgetragenen Erkrankung
bzw. Behinderung für diese Verzögerung festgestellt werden (2.) noch ist auszuschließen, dass die Klägerin den Verzögerungen nicht hätte entgegenwirken können (3.). Aus
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG folgt kein unbegrenzter Anspruch auf Ausbildungsförderung eines Menschen mit Behinderung (4.).
1. Jedenfalls im begehrten Umfang für das 17. Fachsemester kann eine Verlängerung der Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer von vier Fachsemestern hinaus nicht mehr als angemessen im Sinne von § 15
Abs. 3 Halbs. 1
BAföG angesehen werden.
Die Angemessenheit der Verlängerung unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.
Vgl.
BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1986 – 5 B 21.85 – Buchholz 436.36 § 15
Nr. 23 BAföG.
Dieser Rechtsbegriff ist auszulegen. Der Wortlaut der Norm „für eine angemessene Zeit“ erwähnt zwar keine zahlenmäßige Begrenzung der Semester für eine mögliche Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus. Die Bestimmung ist für die Rechtsfolge jedoch nicht bedeutungslos, denn das verwendete Adjektiv „angemessen“ hat die Bedeutung „richtig bemessen; adäquat“. https://www.duden.de/suchen/dudenonline/angemessen.
Im gegebenen Zusammenhang einer Förderungsverlängerung erfasst die Rechtsfolgenbestimmung in § 15
Abs. 3 Halbs. 1
BAföG damit die zu bemessende Dauer der Verlängerung in quantitativer Hinsicht.
Die innere Normsystematik des § 15
Abs. 3
BAföG ist durch die Regelung der Rechtsfolge im ersten Halbsatz und den Tatbestandsvoraussetzungen im zweiten Halbsatz gekennzeichnet. Dies im Blick stellt das Adjektiv „angemessen“ mit seiner hier quantitativ wirkenden Bedeutung „richtig bemessen; adäquat“ den kausalen Konnex zwischen dem Umfang der auf Tatbestandsebene festzustellenden Gründen für die Verzögerung (§ 15
Abs. 3 Halbs. 2
Nr. 1 bis 5 BAföG) und der auf Rechtsfolgenseite festzulegenden Dauer einer Förderungsverlängerung her. Eine „angemessene Zeit“ im Sinne von § 15
Abs. 3 Halbs. 1
BAföG kann daher höchstens für die Dauer anzunehmen sein, für die eine Verzögerung aus schwerwiegenden Gründen gemäß § 15
Abs. 3 Halbs. 2
Nr. 1 bis 5
BAföG festgestellt werden kann.
Diese „angemessene Zeit“ kann zwar nicht durch eine pauschale Anzahl von Semestern als erfüllt oder begrenzt angesehen werden. Allerdings ist § 15
Abs. 3
BAföG auch entsprechend seiner äußeren Systematik im Normgefüge des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auszulegen.
Die Ausbildungsförderung ist, wie das Nachrangigkeitsprinzip in § 1
BAföG belegt, von einem öffentlichen Interesse an einer rechtmäßigen und effizienten Vergabe der nur beschränkt vorhandenen Förderungsmittel getragen.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 14. März 2013 – 5 C 10.12 –, juris Rn. 40.
Von daher muss die durch öffentliche Mittel finanzierte Sozialleistung die Vorgabe der effizienten Mittelverwendung erst recht bei den Ausnahmeregelungen wie § 15
Abs. 3
BAföG im Blick behalten, die eine weitergehende Ausgabe der öffentlichen Mittel zum Gegenstand haben.
Die vorliegende Verzögerung im Umfang des Dreifachen der Regelstudienzeit überschreitet damit die Grenze der angemessenen Zeit. Eine Verlängerung der Ausbildungsförderung „für eine angemessene Zeit“ über die Förderungshöchstdauer hinaus gemäß § 15
Abs. 3
BAföG kann daher bei einer Dauererkrankung oder Behinderung, die ursächlich für die Studienverzögerungen waren, auch grundsätzlich länger als ein oder zwei Semester sein. Allerdings überwiegt das öffentliche Interesse an einem effizienten Einsatz der nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für die Sozialleistung der Ausbildungsförderung nach Auffassung des Gerichts in der Regel dann, wenn die aus schwerwiegenden Gründen verursachte Verzögerung eines Studiums den zeitlichen Umfang der eigentlichen Regelstudienzeit überschreitet. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Studierende in zeitlicher Hinsicht bereits die doppelte Ausbildungsförderung erhalten wie sie einem von Verzögerungen aus schwerwiegenden Gründen des § 15
Abs. 3
BAföG verschont gebliebenen Studierenden zustünde.
Es ist nicht Aufgabe der Ausbildungsförderung sämtliche behinderungsbedingten Nachteile und jeden noch so großen Zeitverlust, den Studierende mit Behinderung durch ihre Behinderung erleiden, auszugleichen.
VG Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2005 – 1 V 1174/05 –, juris Rn. 13;
VG Ansbach, Urteil vom 2. Juli 2010 – AN 2 K 09.01430 –, juris Rn. 30.
Soweit andere erstinstanzliche Rechtsprechung sich gegen jede grundsätzliche Begrenzung der „angemessenen Zeit“ ausspricht,
vgl. VG Hamburg, Urteil vom 4. Februar 2014 – 2 K 3204/12 –, juris Rn. 41; zustimmend Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Auflage, Band 2, 50. Lfg. November 2022, § 15 Rn. 26, setzt sie sich nicht mit der äußeren Normsystematik und dem das Ausbildungsförderungsrecht durchziehenden öffentlichen Interesse an einer effizienten Vergabe der nur beschränkt vorhandenen Förderungsmittel auseinander.
Diese systematische Auslegung des Rechtsfolgenmerkmals „für eine angemessene Zeit“ findet eine weitere Stütze in der grundsätzlich geforderten Studierfähigkeit (§ 9
Abs. 1 BAföG). Die Teilnahme an einem Studium trotz grundlegender Mängel in der individuellen Studierfähigkeit ist nicht förderungsfähig.
Vgl.
VG Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2005 – 1 V 1174/05 –, juris Rn. 13.
Soweit die Klägerin die Auswirkungen der von ihr vorgetragenen Erkrankung dahingehend beschreibt, sie
- leide unter einem mangelnden Zeitgefühl, Fehleinschätzung von benötigter Arbeitszeit und Schwierigkeiten bei der Planung,
- neige zu spontanen Entscheidungen und sei unfähig, Prioritäten festzulegen,
- habe Probleme, zu entscheiden, welcher Arbeitsschritt der nächste sei. Daher sei eine strukturierte Arbeitsweise für sie nicht umsetzbar,
- schiebe wichtige Entscheidungen und Aufgaben vor sich her und lenke sich mit unwichtigeren Unteraufgaben ab,
- leide unter erheblichen Konzentrationsproblemen und sei schnell abgelenkt und
- sei außerdem sehr vergesslich und verliere schnell den Überblick bei umfangreicheren Projekten,
trägt sie im Kern ihre eigene Studierunfähigkeit vor. Selbst eine krankheitsbedingte Studierunfähigkeit kann keine Verlängerung der Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus begründen, sondern steht der Ausbildungsförderung bereits dem Grunde nach gemäß § 9
Abs. 1
BAföG entgegen. Der Umstand, dass sie ihr Studium letztlich – in der mehr als vierfachen Zeit der Regelstudienzeit – absolviert hat, ändert daran nichts.
2. Unabhängig davon kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die Förderungshöchstdauer in dem Umfang von zwölf Fachsemestern aufgrund eines schwerwiegenden Grundes im Sinne des § 15
Abs. 3
Nr. 1
BAföG überschritten hat.
Grundsätzlich kann auch eine Krankheit ein schwerwiegender Grund im Sinne des § 15
Abs. 3
Nr. 1
BAföG sein, jedoch muss das Amt für Ausbildungsförderung die Möglichkeit haben, die Angaben über die Krankheit zu überprüfen.
Vgl.
OVG NRW, Urteil vom 12. April 1978 – XVI A 2180/76 –, juris.
Der Auszubildende trägt in diesem Zusammenhang auch die (materielle) Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit der von ihm geltend gemachten Verlängerungsgründe für den Ausbildungsrückstand, so dass Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Feststellung der Ursächlichkeit zum Nachteil des Auszubildenden gehen, sofern sie in seinen Verantwortungs- und Verfügungsbereich fallen.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1988 – 5 C 35.85 –, juris Rn. 15;
OVG NRW, Beschlüsse vom 28. November 2011 – 12 A 238/11 –, juris und vom 28. April 2010 – 12 A 1019/07 –, juris.
Der Auszubildende kann die Privilegierung nach § 15
Abs. 3
Nr. 1
BAföG nur beanspruchen, wenn er „aus“ schwerwiegenden Gründen, hier aufgrund von Krankheit, die Förderungshöchstdauer überschritten hat. Andernfalls wäre das Überschreiten der Förderungshöchstdauer nicht durch die Krankheit, sondern durch verfehlte Studienplanung bedingt, die das Gesetz als privilegierenden Verzögerungsgrund nicht anerkennt.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1988 – 5 C 35.85 –, juris.
Die Auszubildenden unterliegen ausbildungsförderungsrechtlich der Pflicht, die Ausbildung umsichtig zu planen und zielstrebig durchzuführen.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 25. August 2016 – 5 C 54.15 –, juris Rn. 24.
Dieser Pflicht hat die Klägerin – im Lichte des Ausbildungsförderungsrechts – nicht genügt. Sie hat seit dem fünften Fachsemester, mit dem sie die Förderungshöchstdauer überschritten hat, in zwölf Fachsemestern ausweislich der von ihr übersandten Leistungsübersicht nur eine Prüfungsleistung erbracht. Bei diesen Umständen wäre sie gehalten gewesen, sich beurlauben zu lassen, um umfassend die Ursachen ihrer Leistungsmängel zu ergründen und beheben zu lassen. Ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, die Krankheit sei bei ihr lange unentdeckt geblieben, kann darüber nicht hinweghelfen. Denn eine Beurlaubung im Studium hätte gerade dazu gedient, den Ursachen ihrer Leistungsmängel tiefer auf den Grund gehen zu können. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, es seien weitere Schwierigkeiten in ihrem Studium hinzugekommen als sie neben diesem einer Arbeit habe nachgehen müssen, ohne die sie möglicherweise zügiger hätte studieren können, hat sie selbst eine weitere mögliche Ursache für die Verzögerungen genannt, die nicht in ihrer Erkrankung
bzw. Behinderung lag.
3. Des Weiteren und unabhängig von den vorstehenden Ausführungen kann eine Ursächlichkeit der vorgetragenen Erkrankung
bzw. Behinderung deshalb nicht festgestellt werden, weil sie nicht dargelegt hat, welche konkrete Verzögerung auf welche Weise durch ihre Erkrankung
bzw. Behinderung verursacht worden sein soll. Ausweislich des vorgelegten Bescheides vom 00.00.2022 liegen bei ihr folgende Beeinträchtigungen vor: Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom; Funktionseinschränkung der Fingergelenke, Schmerzsyndrom; Wirbelsäulensyndrom; Fußfehlform bds. Diese Beeinträchtigungen sind mit einem Grad der Behinderung von 50 bewertet. Konkrete Auswirkungen auf die Studierfähigkeit der Klägerin während des fünften bis zum zwölften Semester sind daraus alleine nicht ersichtlich.
Überdies ist nicht auszuschließen, dass andere Gründe – wie etwa die von ihr selbst angeführte Erwerbstätigkeit neben dem Studium – für die Verzögerungen ursächlich waren oder die Klägerin durch geeignete Maßnahmen der Verzögerung hätte entgegenwirken können. Sie hätte etwa – wie für die Anfertigung der Masterarbeit nach ihrem eigenen Vortrag erfolgt – durch Beantragung eines Nachteilsausgleichs versuchen müssen, die Verzögerungen zu minimieren. Zudem hat sie nicht vorgetragen, durch welche konkreten Einschränkungen sie gehindert war, den Leistungsnachweis früher als nach den zwölf Semestern zu erbringen.
4. Die Versagung von Ausbildungsförderung für ihr 17. Semester ist mit Verfassungsrecht vereinbar. Insbesondere kann dem besonderen Gleichheitssatz in
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG kein Teilhabeanspruch für Menschen mit Behinderung entnommen werden, der es verlangte, unabhängig von der eigenen Studierfähigkeit und dem individuellen Studienfortschritt oder sogar bei leistungsfreien Semestern Ausbildungsförderung als Sozialleistung für eine Verzögerung im Umfang von mehr als der dreifachen Regelstudienzeit zu bewilligen.
Nur an die Behinderung anknüpfende Benachteiligungen sind nach
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG verboten. Der besondere Gleichheitssatz untersagt jegliche Benachteiligung wegen einer Behinderung. Auf den Grund der Behinderung kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Person in der Fähigkeit zur individuellen und selbstständigen Lebensführung längerfristig beeinträchtigt ist. Zu den Menschen mit Behinderungen gehören psychisch Kranke, wenn die Beeinträchtigung längerfristig und von solcher Art ist, dass sie den Betroffenen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern kann.
Eine Benachteiligung im Sinne von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG liegt bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt vor, soweit dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme hinlänglich kompensiert wird. Menschen mit Behinderungen werden demnach benachteiligt, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu derjenigen Nichtbehinderter durch staatliche Maßnahmen verschlechtert wird. Dies ist der Fall, wenn ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten werden, die anderen offenstehen. Untersagt sind letztlich alle Ungleichbehandlungen, die für Behinderte zu einem Nachteil führen. Erfasst werden dabei auch mittelbare Benachteiligungen, bei denen sich der Ausschluss von Betätigungsmöglichkeiten nicht als Ziel, sondern als typische Nebenfolge einer Maßnahme der öffentlichen Gewalt darstellt.
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG beinhaltet außer einem Benachteiligungsverbot auch einen Förderauftrag. Er vermittelt einen Anspruch auf die Ermöglichung gleichberechtigter Teilhabe nach Maßgabe der verfügbaren finanziellen, personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten.
Vgl.
BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2019– 2 BvC 62/14 –, juris Rn. 54-56,
m.w.N.An diesen Maßstäben gemessen, kann eine verfassungswidrige Benachteiligung der Klägerin im Sinne von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat gerade mit § 15
Abs. 3
Nr. 5
BAföG eine auf Studiumsverzögerungen aufgrund von Behinderungen bezogene kompensatorische Fördermaßnahme geschaffen, um den Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung in Ausbildung gerecht zu werden.
Aus dieser einfachgesetzlichen Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Kompensationsvorgabe folgt jedoch – wie vorstehend aufgezeigt – weder ein unbegrenzter Anspruch auf Ausbildungsförderung von Menschen mit Behinderung, die wegen der Behinderung ihre Ausbildung zu keinem Ende bringen können, noch von Menschen mit Behinderung, deren eigene Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeit zur Absolvierung einer Ausbildung gerade wegen der Behinderung so stark eingeschränkt ist, dass sie das Ausbildungsende nicht in einer angemessenen Zeit erreichen können. Denn auch das in § 15
Abs. 3
Nr. 5
BAföG konkretisierte verfassungsrechtliche Kompensations- und Fördergebot aus
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG steht wie dargelegt unter dem Vorbehalt verfügbarer finanzieller, personeller, sachlicher und organisatorischer Möglichkeiten. Die Bestimmung einer angemessenen Zeit für die Verlängerung von Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus muss auch bei schwerwiegenden Gründen für die Verzögerung aufgrund einer Behinderung (§ 15
Abs. 3
Nr. 5 BAföG) die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für die Sozialleistung der Ausbildungsförderung berücksichtigen. Der Teilhabeanspruch aus
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG findet hier seine Grenze in der Endlichkeit finanzieller Ressourcen verbunden mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich fundierten (
Art. 12
Abs. 1
GG) Anspruch anderer Auszubildender auf Ausbildungsförderung. Zur Erfüllung dieser verfassungsrechtlichen Rechtspositionen stehen dieselben finanziellen Ressourcen zur Verfügung. Insoweit stellen diese Ansprüche im gegebenen Zusammenhang eines im Kern von der Klägerin begehrten unbegrenzten Förderanspruchs aus
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG entgegenstehende Rechte von Verfassungsrang dar, die den kompensatorischen Förderanspruch aus
Art. 15
Abs. 3
Nr. 5
BAföG i.V.m. Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG begrenzen. In der vorstehend dargestellten grundsätzlichen Ausgestaltung begegnet diese Grenze keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Kosten des gemäß § 188 Satz 2
VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens fallen der unterlegenen Klägerin gemäß § 154
Abs. 1
VwGO zur Last. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167
Abs. 2 und 1 Satz 1
VwGO i. V. m. §§ 708
Nr. 11, 711, 709 Satz 2, 108
Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung.