Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 11. August 2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheides vom 24. November 2008 erweist sich als rechtswidrig. Die Beklagte ist verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Versorgung mit Hörgeräten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. Januar 2012 war aufzuheben.
1. Die Beklagte ist für die Hörgeräteversorgung des Klägers gemäß
§ 14 SGB IX der zuständige Leistungsträger. Ein Antrag auf Versorgung mit einem Hörgerät, wie ihn der Kläger am 1. April 2008 bei der Beklagten gestellt hat, ist jedenfalls auf Leistung zur Teilhabe im Sinne von
§§ 1,
4 und
5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) gerichtet und ist daher als Antrag auf Teilhabeleistung im Sinne von § 14
Abs. 1 Satz 1
SGB IX zu werten (
BSG Urteil vom 24. Januar 2013
B 3 KR 5/12 R).
Ein einmal gestellter Antrag ist umfassend, d.h. auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommende Leistungen und Anspruchsgrundlagen hin zu prüfen. Er darf insbesondere nicht "künstlich" in separate Teil-Leistungsanträge für die verschiedenen in Betracht kommenden Teilhabeleistungen aufgespalten werden. Deshalb hatte die Beklagte den Leistungsantrag von vornherein sowohl unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur medizinischen Rehabilitation (§ 5
Nr. 1,
§ 31 SGB IX,
§ 33 SGB V) als auch unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5
Nr. 2, § 33
Abs. 8
S. 1
Nr. 4
SGB IX, §§ 9, 15
SGB VI) zu prüfen und danach die Zuständigkeit zu bestimmen (
BSG, aaO, mwN).
Im vorliegenden Fall ist die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger im Außenverhältnis zum Kläger für die Erbringung der erforderlichen Rehabilitationsleistung verantwortlich.
Nach § 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX verliert der materiell-rechtliche - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger (
§ 6 SGB IX) im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die Beklagte) eine im Sinne von § 14
Abs. 1
SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Sinn dieser Regelung ist es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern schnell und dauerhaft die Zuständigkeit zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken (
vgl. BT-Drucks 14/5074
S. 95 zu
Nr. 5 und
S. 102 zu § 14). Deshalb ist der erstangegangene Rehabilitationsträger gehalten, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags auf Leistung zur Teilhabe festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden gesetzlichen Regelwerk für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach
§ 40 Abs. 4 SGB V (§ 14
Abs. 1
S.1
SGB IX). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Muss für eine solche Feststellung die Ursache der Behinderung geklärt werden - vor allem in den Systemen der Unfallversicherung und der sozialen Entschädigung - und ist diese Klärung in der Frist nach § 14
Abs. 1
S.1
SGB IX nicht möglich, wird der Antrag unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet, der dem Grunde nach zuständig wäre und die Leistung dann zunächst ohne Rücksicht auf die Ursache erbringt (§ 14
Abs. 1
S. 2 und 3
SGB IX). Anderenfalls bestimmt § 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX: "Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest." Diese Zuständigkeit nach § 14
Abs. 2
S.1
SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (
BSG, U, v. 24. Januar 2013,-
B 3 KR 5/12 R - mwN).
Dadurch wird eine nach außen verbindliche Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers geschaffen, die intern die Verpflichtungen des eigentlich zuständigen Leistungsträgers unberührt lässt und die Träger insoweit auf den nachträglichen Ausgleich nach § 14
Abs. 4
S.1
SGB IX und
§§ 102 ff. SGB IX verweist (
BSG, aaO).
Nachdem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Leistung zur Teilhabe nicht innerhalb von zwei Wochen ab dessen Eingang weitergeleitet hat, oblag es ihr, unverzüglich den Rehabilitationsbedarf des Klägers festzustellen (§ 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX). Diese Zuständigkeit der Beklagten ist ausschließlicher Natur; denn die Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 14
Abs. 2
S.1
SGB IX schließt im Außenverhältnis zum Versicherten die Zuständigkeit aller anderen Träger aus. Im Verhältnis zwischen dem erstangegangenen Träger und dem Leistungsberechtigten ist also der Anspruch anhand aller Rechtsgrundlagen zu prüfen, die überhaupt in der konkreten Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Darüber hinaus verlieren alle anderen Träger innerhalb des durch der Leistungsantrag ausgelösten Verwaltungsverfahren ihre Zuständigkeit für die Gewährung von Rehabilitationsleistungen, was wiederum zur Folge hat, dass eventuell ergangene Bescheide wegen sachlicher Unzuständigkeit aufzuheben sind (
BSG, U. v. 24. Januar 2013, aaO mwN).
Vergeblich tritt die Beklagte ihrer Zuständigkeit als erstangegangener Rehabilitationsträger unter Heranziehung des Urteils des
BSG vom 24. Januar 2013 (B 3 KR 5/12 R) entgegen. In diesem Urteil hat das
BSG gerade nicht entschieden, dass die maßgebliche Antragstellung i.
S. des § 14
SGB IX durch Übergabe einer vertragsärztlichen Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker erfolgt. Das
BSG hat vielmehr auch bezogen auf den seinerzeit von ihm zu beurteilenden Sachverhalt ausdrücklich offen gelassen, ob die maßgebliche Antragstellung i.S des § 14
SGB IX durch Übergabe einer vertragsärztlichen Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker oder erst durch dessen Versorgungsanzeige bei der Krankenkasse erfolgt ist.
Vorliegend kann weder die Übergabe der Verordnung an den Hörgeräteakustiker noch die Versorgungsanzeige vom 7. April 2008 als vorrangige Antragstellung bei der Beigeladenen gewertet werden. Bei der Beklagten war der Antrag des Klägers bereits am 1. April 2008 eingegangen und er hat mehrfach ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass er einen Antrag bei der Krankenkasse nicht stellen möchte. In einer solchen Situation kann aber weder das Aufsuchen des Akustikers noch die Vorlage der Verordnung beim Akustiker oder die Versorgungsanzeige als Antragstellung gewertet werden, da es jedem Versicherten frei stehen muss, über die Antragstellung selbst zu entscheiden.
Im Übrigen hat das
BSG in den vorgenannten Entscheidungen ausdrücklich auf die Regelungen in § 16
SGB I über die Antragstellung Bezug genommen. § 16
Abs. 2
SGB I enthält eine detaillierte Regelung darüber, bei welchen Stellen Anträge auf Sozialleistungen gestellt werden können; Hörgeräteakustiker gehören nicht dazu.
2. Die Beklagte hat den Kläger auch mit neuen Hörgeräten zu versorgen. Die Beklagte ist allerdings nicht nach den Vorschriften für die gesetzliche Rentenversicherung, sondern nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung des Klägers mit Hörgeräten verpflichtet, da sich ein besonderer beruflicher Bedarf des Klägers seit Antragstellung im Jahr 2008 nicht ergeben hat.
Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich und demzufolge ist ein begehrtes Hörgerät grundsätzlich erforderlich i.
S. von
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn es nach dem Stand der Medizintechnik (
§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet (
BSG, U. v. 17. Dezember 2009
B 3 KR 20/08 R - Breithaupt 2010, 914).
Dementsprechend ist auch ein höherwertiges (und damit regelmäßig auch höherpreisiges) Hörgerät grundsätzlich erforderlich im Sinne von § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V, wenn und soweit es nach dem Stand der Medizintechnik (§ 2
Abs. 1 Satz 3
SGB V) die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet (
BSG; aaO).
Allerdings stellen Hörgeräte (mit Ausnahme von Cochlearimplantaten) keine Körperersatzstücke i.
S. von § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V dar; andernfalls wäre deren Anführung in der Vorschrift entbehrlich. Sie stehen ihnen aber insoweit funktionell gleich, als sie ungeachtet ihrer Funktionsweise unmittelbar auf die mindestens teilweise Wiederherstellung des körpereigenen Hörvermögens und nicht lediglich auf den Ausgleich mittelbarer Behinderungsfolgen ausgerichtet sind. Ziel der Versorgung ist die Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen; solange der Ausgleich im Sinne eines Gleichziehens mit deren Hörvermögen nicht vollständig erreicht ist, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hörgerät nach der Höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die
GKV nur für die Aufrechterhaltung eines - wie auch immer zu bestimmenden - Basishörvermögens aufzukommen habe. Das Maß der notwendigen Versorgung wird deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte ungeachtet technischer Möglichkeiten einer weitergehenden Verbesserung nur zur Verständigung "beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache" zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2
Abs. 1 Satz 3
SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (
BSG, aaO).
Begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des
§ 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten"; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33
Abs. 1 Satz 5
SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der
GKV ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern und erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (
BSG, U. v. 17. Dezember 2009 - aaO mwN).
Soweit die Krankenkassen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die Sachleistung "Versorgung mit Hörhilfen" (§ 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V) auf der Grundlage einer Festbetragsregelung (
§ 36 SGB V) zu erbringen hat, also unter Zuzahlungspflicht des Versicherten hinsichtlich des den Festbetrag übersteigenden Teils des Kaufpreises, erfüllt sie zwar im Regelfall ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag (§ 12
Abs. 2
SGB V). Dies ist grundsätzlich verfassungsgemäß, gilt jedoch in dieser Form nur, wenn eine sachgerechte Versorgung des Versicherten zu den festgesetzten Festbeträgen möglich ist. Der für ein Hilfsmitten festgesetzte Festbetrag begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkassen nämlich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (
BSG, Urteil vom 21. August 2008 -
B 13 R 33/07 R , BSGE 101,202 mwN insbesondere zur Rechtsprechung des
BVerfG und des
BSG).
Der Kläger weist schwerwiegende Hörbeeinträchtigungen auf. Mit derzeitigen Geräten der Firma Siemens Typ Signia ist er, wie er in der mündlichen Verhandlung dargestellt hat, nicht mehr ausreichend versorgt. Auch im Alltag hat er besondere Schwierigkeiten seine Gesprächspartner in Situationen, in denen Nebengeräusche auftreten, zu verstehen. Dies ist der klassische Leistungsbereich der Krankenversicherung. Es handelt sich dabei um solche Anforderungen die nach § 33
SGB V auszugleichen sind. Mit diesen Defiziten ist der Kläger sowohl im Privatleben als auch im Beruf eingeschränkt. Ein besonderer berufsbedingter Bedarf ergibt sich nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger mittlerweile in der Phase der passiven Altersteilzeit befindet. Daher ist letztlich nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch die bis zum Eintritt in die passive Altersteilzeit wahrgenommene Tätigkeit im Außendienst einer Versicherung
bzw. als xmitarbeiter in einer xabteilung "Zentraler Vertriebsservice" keine höheren Anforderungen an das Hörvermögen des Klägers stellen als dies auch im Privatleben der Fall ist.
Die von dem Kläger im Jahr 2008 getesteten Geräte vom Typ UNITRON Yuu haben den Vorteil erbracht, dass sie Nebengeräusche unterdrücken und damit insbesondere eine Verständigung auch unter Störgeräuschen ermöglichen. Gegenüber seinen derzeitigen Geräten haben diese Geräte auch einen deutlichen Vorteil gebracht, da die Siemens Geräte bereits älter (aus dem Jahr 2001) sind und damit inzwischen erhebliche und im täglichen Einsatz deutlich störende Abnutzungserscheinungen, ausweisen. Der Kläger hat die Abnutzungserscheinungen und Störgeräusche mir "sie schrappen mitunter" beschrieben. Auch die Qualität der in der Folgezeit begehrten Widex-Geräte haben nach Ausführung des Klägers einen entsprechenden Vorteil gebracht. Dementsprechend hat die Zeugin x bei ihrer schriftlichen Vernehmung bestätig, dass gegen die Anwendung der (alten) Festbetragsgeräte spricht, dass die Hörgeräte Nebengeräusche in geräuschvoller Umgebung nicht so stark reduzieren können und somit die Sprache nicht deutlicher zu hören ist.
3. Die Beklagte ist zur Neubescheidung des Antrages des Klägers verpflichtet, da derzeit noch nicht feststeht, welche Geräte den bestmöglichen Ausgleich der Behinderung des Klägers ermöglichen und ob diese Geräte zum Festbetrag erhältlich sind. Der
GKV Spitzenverband hat am 10. Juli 2013 ein neues Festbetragsgruppensystem und neue Festbeträge für Hilfen beschlossen. Das Festbetragsgruppensystem trat zum 1. November 2013 in Kraft. Eine Hörgeräteerprobung hat unter Berücksichtigung dieser neuen Gegebenheiten noch nicht stattgefunden.
Da die Beklagte den am 1. August 2008 eingegangenen Rehabilitationsantrag des Klägers nicht fristgerecht an einen anderen Träger weitergeleitet hat, ist sie seitdem zur unverzüglichen Feststellung des Rehabilitationsbedarfs verpflichtet. Sie hätte unverzüglich durch die Heranziehung von Sachverständigen und/oder eigenen fachkundigen Stellen sorgfältig abklären müssen, welche Leistungen zur Teilhabe erforderlich sind, um insbesondere die Behinderung in Form der schwer wiegenden Hörbeeinträchtigung zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder deren Verschlimmerung zu verhüten, die Teilhabe des Klägers am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern und seine persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben und der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermögliche oder zu erleichtern (
vgl. im Einzelnen
§ 4 Abs. 1 SGB IX). Nach einer umfassend ausgerichteten Erstfeststellung des Rehabilitationsbedarfs hätte die Beklagte die Rehabilitationsleistungen entsprechend dem Verlauf der Rehabilitation regelmäßig anpassen und darauf ausrichten müssen, den Kläger unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls den Zielen der §§ 1 und 4
Abs. 1
SGB IX entsprechende umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zügig, wirksam, wirtschaftlich und auf Dauer zu ermöglichen, wobei sie insbesondere auch eine "wirksame" Ausführung der Leistung zu "gewährleisten" gehabt hätte (
§ 10 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB IX).
Diesen gesetzlichen Verpflichtungen hat sich die Beklagte bislang entzogen. Da seit Antragstellung der Rehabilitationsbedarf des Klägers weiterhin in Gestalt seiner Hörminderung besteht, ist die Beklagte verpflichtet, den konkreten Bedarf des Klägers unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen zu ermitteln und zu befriedigen. Sie wird dabei die Geräte zur Verfügung stellen müssen, die einen möglichst vollständigen Behinderungsausgleich gewährleisten, wozu auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen gehört. Wie vorstehend beschrieben ist dabei auch der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zu berücksichtigen.
Die Beklagte wird dabei unter Mitwirkung des Klägers - nämlich durch Anprobe und Nachstellung verschiedener Hörgeräte - ermitteln, ob der Kläger mit den mittlerweile zum Festbetrag erhältlichen Hörgeräten einen möglichst vollständigen Behinderungsausgleich (mit Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen) erreichen kann. Sollte eine solche "Festbetragsversorgung" möglich sein, ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger solche Geräte zur Verfügung zu stellen. Reicht eine Versorgung auch mit Geräten unter Berücksichtigung der neuen Festbeträge nicht aus, ist die Beklagte in den bereits vorstehend erläuterten durch das Wirtschaftlichkeitsgebot gesetzten Grenzen auch zur Versorgung des Klägers mit höherwertigen Geräten zuständig und verpflichtet. Insoweit wird die Beklagte unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Gerichts und nach Ermittlung der für den Behinderungsausgleich erforderlichen Geräten den Kläger hinsichtlich der Hörgeräte erneut zu bescheiden haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 193
SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 160
Abs. 2
SGG), ist nicht gegeben. Insoweit hat das
BSG zwar offen gelassen, ob die Inanspruchnahme eines Hörgeräteakustikers unter Vorlage der ärztlichen Verordnung bereits als Antragstellung bei der gesetzlichen Krankenkasse gewertet werden kann, wenn der Versicherte damit in dem in Betracht kommenden Rahmen eine Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenkasse anstrebt. Dies ist im vorliegenden Einzelfall aber nicht entscheidend, da es in der Entscheidungsfreiheit des Klägers liegt, einen Antrag bei einem bestimmten Leistungsträger zu stellen oder dies eben auch nicht zu tun. Der Kläger wollte vorliegend den Antrag ausdrücklich nicht bei der Beigeladenen stellen. Auf die vom
BSG offen gelassene Fragestellung kommt es daher nicht an.