II.
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das
LSG hat wie die Vorinstanz zu Recht entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese hat.
Versicherte haben nach § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V idF des Art 5 Nr 9
iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 ( BGBl I S 1046) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4
SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen nach § 33
SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen (§ 12 Abs 1
SGB V).
Die Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass die Klägerin nach § 33
SGB V wegen ihrer Amputation im Oberschenkel Anspruch auf Ausstattung mit einer Beinprothese hat, weil dies zum Ausgleich der Behinderung erforderlich ist. Sie wurde seit 1980 fortlaufend mit herkömmlichen Beinprothesen versorgt. Damit ist aber dem Anspruch der Klägerin auf den erforderlichen und nach dem Stand der Medizintechnik möglichen Behinderungsausgleich (vgl § 2 Abs 1 Satz 3
SGB V) nicht Rechnung getragen worden. Solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig erreicht ist im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend.
Das
LSG hat in Übereinstimmung mit dem SG festgestellt, dass die C-Leg-Prothese des Herstellers B. wegen der Steuerung durch Mikroprozessortechnik deutliche Gebrauchsvorteile gegenüber den bisher üblichen, allein mechanisch gesteuerten Prothesen aufweise. Die Tatsacheninstanzen haben sich dabei auf zwei vom SG eingeholte orthopädische Fachgutachten gestützt, welche die Vorteile des C-Legs vor allem in der Ermöglichung eines nahezu natürlichen Gangbildes und einer erheblichen Reduzierung der Sturzgefahr sehen. Die Gutachter haben dabei verschiedene wissenschaftliche Ausführungen und Stellungnahmen ausgewertet.
Damit sind die Gebrauchsvorteile des C-Leg-Systems für den Senat verbindlich festgestellt (§ 163 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)). Die Beklagte hat insoweit auch keine Verfahrensfehler geltend gemacht. Im Übrigen hat der Senat in einem Parallelverfahren auch bereits entschieden, dass sich das
LSG zum Nachweis der vom Hersteller der neuartigen mikroprozessorgesteuerten Prothese im Vergleich zu den herkömmlichen, mechanisch gesteuerten Prothesen beigemessenen Vorzüge der erhöhten Standsicherheit, der Verbesserung des Gangbildes durch einen nahezu physiologischen Bewegungsablauf sowie der Verbesserung des Gehens auf Treppen und unebenem Gelände grundsätzlich auf das fachkundige Urteil orthopädischer Gutachter, ihr ärztliches Erfahrungswissen und die von ihnen ausgewertete Fachliteratur stützen durfte. Weiter gehender klinischer Prüfungen bedurfte es nicht (Urteil vom 16. September 2004 -
B 3 KR 20/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Verordnungsfähigkeit des C-Leg-Systems der Firma B ... Die meisten Hilfsmittel sind allerdings Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes (MPG) und dürfen deshalb nur in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind. Voraussetzung für diese Kennzeichnung ist, dass die grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG erfüllt sind und ein für das jeweilige Hilfsmittel vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist. Diese Voraussetzungen sind bei dem hier streitigen Hilfsmittel erfüllt. Damit ist davon auszugehen, dass das Hilfsmittel grundsätzlich geeignet ist, den medizinischen Zweck zu erfüllen, den es nach den Angaben des Herstellers besitzen soll, und dass es die erforderliche Qualität besitzt, die notwendig ist, um die Sicherheit seines Benutzers zu gewährleisten (vgl § 1 MPG). Diese Voraussetzung für die Hilfsmittelversorgung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 33
SGB V; sie folgt aber aus den Anforderungen, die das Gesetz in § 139 Abs 2
SGB V für die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis stellt, wobei diese Aufnahme selbst für den Anspruch des Versicherten nicht maßgebend ist. Mit der CE-Kennzeichnung ist das Hilfsmittel im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies von den KKn oder Gerichten noch eigenständig zu prüfen wäre; der CE- Kennzeichnung kommt insoweit eine Tatbestandswirkung zu (so auch Zuck, NZS 2003, 417, 418, der zutreffend darauf hinweist, dass trotz der unterschiedlichen Terminologie von MPG und
SGB V inhaltlich teilweise Deckungsgleichheit besteht; zur Tatbestandswirkung berufsrechtlicher Entscheidungen bei der Zulassung von Leistungserbringern vgl
BSG SozR 3-2500 § 126 Nr 1).
Zu Unrecht wendet die Revision ein, die Klägerin könne die Gebrauchsvorteile des C-Leg nicht in einem solchen Maße nutzen, wie es der Senat in seinem Urteil vom 6. Juni 2002 -
B 3 KR 68/01 R - ( SozR 3-2500 § 33 Nr 44) für anspruchsbegründend gehalten habe. Diesem Einwand liegt eine unrichtige Auslegung dieser Entscheidung durch die Beklagte zu Grunde. Das
LSG hat festgestellt, dass die Klägerin von ihren körperlichen und geistigen Voraussetzungen her in der Lage ist, die Gebrauchsvorteile der Prothese voll zu nutzen. Sie nutze diese tatsächlich auch in ihrem Alltag in allen Lebenslagen, die das Gehen ( einschließlich Treppensteigen) bzw das Laufen erfordern. Bei der intensiven Nutzung der Prothese profitiere sie in besonderem Maße durch die deutlich verminderte Sturzgefahr. Zudem ermögliche die Prothese einen physiologischen Bewegungsablauf, wodurch zusätzlich die Belastung von Wirbelsäule und Hüftgelenk gesenkt werde. Allerdings ist die Annahme, durch das physiologische Gangbild werde auf Dauer auch einer Schädigung der Gelenke und der Wirbelsäule besser vorgebeugt als mit einer herkömmlichen Prothese, zunächst nur plausibel, nicht aber als belegt anzusehen; dafür bedürfte es wohl längerer Erfahrungen in der Praxis, möglicherweise auch klinischer Studien. Diese Annahme wäre allein noch kein ausreichender Grund, die Versorgung mit einem C-Leg an Stelle einer herkömmlichen Prothese zu rechtfertigen. Weil es darauf aber nicht entscheidend ankommt, kann offen bleiben, ob dieselbe Schonung des Skelettsystems auch durch den Einbau von Dämpfungselementen in herkömmliche Prothesen zu erreichen wäre. Denn die verfahrensfehlerfrei festgestellten anderen Gebrauchsvorteile des C-Leg reichen bereits aus, um den Anspruch der Klägerin zu begründen.
Auf Grund der festgestellten Tatsachen ist die Einschätzung des
LSG, dass die mit der C-Leg-Versorgung für die Klägerin verbundenen Vorteile gegenüber der bisherigen Versorgung erheblich seien, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R - ( SozR 3-2500 § 33 Nr 44), in der - ebenso wie hier - die von der Tatsacheninstanz festgestellten allgemeinen Gebrauchsvorteile nicht angegriffen und deshalb für den Senat bindend festgestellt waren, ausgeführt, dass die Gebrauchsvorteile dann wesentlich sind, wenn sie sich allgemein im Alltagsleben auswirken und sich nicht auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken. In dem damals entschiedenen Fall wurde der wesentliche Gebrauchsvorteil darin gesehen, dass die betroffene Versicherte bei der Beaufsichtigung ihrer kleinen Kinder von der Verringerung der Sturzgefahr besonders profitierte. Dass dies nicht nur ein Lebensbereich am Rande, sondern ein solcher von zentraler Bedeutung ist, hat der Senat auch unter Hinweis auf die besondere Erwähnung der Belange behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages in § 9 Abs 1
SGB IX betont. Den Ausführungen kann aber keineswegs entnommen werden, dass nur behinderte Mütter oder Väter zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrags Anspruch auf eine C-Leg-Versorgung haben, oder dass es zumindest ein Lebensbereich sein müsse, der in ähnlicher Weise vom Gesetz besonders hervorgehoben werde. Dies hat das
LSG zutreffend erkannt und schon die Gebrauchsvorteile im normalen Alltag der Klägerin als erheblich gewertet.
Die Versorgung mit der C-Leg-Prothese verstößt trotz der erheblichen Mehrkosten gegenüber einer herkömmlichen Prothese von rund 10.000,00 auch nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1
SGB V). Eine Kosten- Nutzen-Erwägung ist hier nicht anzustellen. Erhebliche Mehrkosten sind nur dann beachtlich, wenn die zusätzlichen Gebrauchsvorteile eines neuen Hilfsmittels im Alltagsleben als eher gering und die dafür anfallenden Kosten im Vergleich zu einem bisher als ausreichend angesehenen Versorgungsstandard als unverhältnismäßig hoch einzuschätzen sind (stRspr, so auch zuletzt Urteil vom 6. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R -
BSG SozR 2500 § 33 Nr 44). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil sich die mit dem Einsatz des C-Leg verbundenen Gebrauchsvorteile allgemein im Alltagsleben der Klägerin und nicht nur in Randbereichen auswirken. Auch hier kann sich die Beklagte nicht auf das vorgenannte Urteil des Senats stützen. Der dortige Hinweis auf die besonderen Bedürfnisse körperlich behinderter Mütter bei der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben war nur als verstärkendes, zusätzliches Argument für die Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen, nicht aber als ausschlaggebend, um den Versorgungsanspruch in jenem Verfahren zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Rechtsweg:
vorhergehend
LSG Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2004 -
L 5 KR 241/02