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Urteil
Krankenversicherung - Hilfsmittel - Unterarmsilikonprothese - Schmuckarmprothese

Gericht:

LSG Saarbrücken


Aktenzeichen:

L 2 KR 22/06


Urteil vom:

28.11.2007


Leitsätze:

Zur Frage der Gebrauchsvorteile einer Unterarmsilikonprothese im Verhältnis zu einer Schmuckarmprothese aus Kunstharz.

Kurzbeschreibung:

Der 1974 geborenen Klägerin fehlt aufgrund einer Störung der Extremitätenentwicklung der linke Unterarm. Sie ist seit 2001 von der beklagten Krankenkasse mit einer Prothese in Silikontechnik versorgt. Im Jahre 2004 beantragte die Klägerin eine neue Prothese gleicher Art, da sie wegen ihrer publikumsträchtigen Arbeit häufig repräsentieren müsse und infolge der Verschmutzung der alten Prothese eine neue benötige.

Die Krankenkasse sagte (nur) eine Kostenübernahme für eine Prothese aus Kunstharz mit kosmetischem Überzug (sog. Standardprothese) zu. Eine erhöhte ästhetische Präsentation begründe keine Notwendigkeit der Hilfsmittelversorgung mit einer Silikonprothese.

Im Verfahren hat die Klägerin auf die erheblichen Gebrauchsvorteile im Alltagsleben hingewiesen. Anders als eine Prothese aus Gießharz lasse sich eine in Silikontechnik biegen, was z.B. im Haushalt das Grundbedürfnis "Greifen" besser zufriedenstelle. Für ihre beruflich-repräsentativen Pflichten sei eine solche Versorgung im Einzelfall erforderlich. Aufgrund der vielen Außenkontakte benötige sie eine Prothese, die nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen sei.

Das SG hat die Krankenkasse verurteilt, die Klägerin mit einer Unterarmprothese mit Silikonhandschuh zu versorgen (Urteil des SG Saarland vom 19.05.2006 - Az.: S 1 KR 943/04). Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und ebenfalls den Versorgungsanspruch bejaht. Die Silikonprothese gleiche in einem solchen Umfang die Greif- und Haltefunktion der linken Hand und damit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens teilweise aus oder erleichtere diese zumindest, dass die ausgefallene bzw. gestörte Funktion weitgehend kompensiert und der umfassende Gebrauchsvorteil erzielt werde. Dies gelte unabhängig von eventuellen Einzelvorteilen in den Bereichen Beruf, Sport und Ästhetik. Es komme insoweit alleine auf die Gebrauchsvorteile an.

Die Versorgung der Klägerin mit dem Hilfsmittel stehe auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V entgegen, da der erforderliche Behinderungsausgleich nicht in gleichem Umfang mit einem kostengünstigeren oder zumindest gleich geeigneten Hilfsmittel erreicht werden könne.

(Rechtsdienst der Lebenshilfe 2/2008)

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19.05.2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilstenor zu Ziffer 1) wie folgt berichtigt wird:

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 11.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
18.10.2004 verurteilt, der Klägerin eine Unterarmprothese mit Silikonhandschuh zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für die Berufungsinstanz.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Unterarmprothese nach Maß in Silikontechnik.

Die 1974 geborene Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist und der aufgrund einer Störung der Extremitätenentwicklung der linke Unterarm fehlt, beantragte bei der Beklagten zu Beginn des Jahres 2004 eine Prothese in Silikontechnik unter Vorlage einer Verordnung der Dres. S./W. aus I. und eines Kostenvoranschlages der Firma D., Du., der auf eine Endsumme von 11.149,51 EUR lautete. Die Klägerin war bereits im Jahre 2001 von der Beklagten mit einer gleichartigen Unterarmprothese versorgt worden. Sie begründete den Antrag damit, dass sie wegen ihrer publikumsträchtigen Arbeit häufig repräsentieren müsse und in Folge der Verschmutzung der alten Prothese eine neue benötige.

Nach einer Kurzstellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) und der Einholung eines Kostenvoranschlages für einen Schmuckarm aus Kunstharz, welcher auf eine Summe von 2.338,65 EUR lautete, sagte die Beklagte mit Schreiben vom 11.5.2004 eine Kostenübernahme für eine Prothese mit kosmetischem Überzug zu, lehnte aber den Antrag der Klägerin bzgl. Überzugs mit Silikontechnik mit der Begründung ab, eine erhöhte ästhetische Präsentation begründe keine Notwendigkeit dieser Hilfsmittelversorgung.

Hiergegen legte die Klägerin am 28.05.2004 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, die Beklagte habe ihr bereits im Jahre 2001 eine Unterarmprothese mit Silikonhandschuh gewährt, die nunmehr verschlissen sei.

Nach erneuter Anhörung des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 18.10.2004 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das Grundbedürfnis "Greifen", welches die Versorgung mit einem Hilfsmittel begründe, werde im vorliegenden Fall mit einer so genannten Standardprothese befriedigt, weshalb eine solche genehmigt worden sei.

Hiergegen richtete sich die am 12.11.2004 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt hat. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, die beantragte Versorgung bringe ihr erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben. Anders als ein Schmuckarm aus Gießharz lasse sich eine Prothese in Silikontechnik nämlich biegen, was zum Beispiel im Haushalt das Grundbedürfnis "Greifen" besser zufrieden stelle. Mit einer solchen Prothese könne sie auch Rad fahren und Schwimmen. Sie hat darüber hinaus geltend gemacht, unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse im Einzelfall sei eine solche Versorgung insbesondere aufgrund ihrer beruflich-repräsentativen Pflichten erforderlich. Als erste Ansprechpartnerin der Firma V. & B. für die Kontakte in die USA und Kanada benötige sie aufgrund der vielen Außenkontakte eine Prothese, die nicht auf den ersten Blick als eine solche zu erkennen sei. Dem genüge die sehr schmutzanfällige Standardprothese nicht. Bei dieser müsse alle Vierteljahre eine Auswechslung des Überzugs vorgenommen werden.

Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat im Klageverfahren zu eventuellen Gebrauchsvorteilen der beantragten Versorgung und zu deren medizinischer Notwendigkeit Beweis durch Sachverständigengutachten des Orthopäden Ip. erhoben ( Gutachten vom 22.8.2005 und Ergänzung vom 23.11.2005). Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 31.3.2006 hat die Klägerin die Funktion von Silikon- und PVC-Handschuh demonstriert.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 19. Mai 2006 verurteilt, der Klägerin eine Unterarmprothese mit Silikonhandschuh zu gewähren. Der Anspruch ergebe sich aus § 27 Absatz 1 Satz 2 Ziffer 3 des Fünften Sozialgesetzbuch - SGB V, § 33 SGB V, da sich die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Hilfsmittel in ihrem Einzelfall als Erfüllung von Grundbedürfnissen darstelle. Werde ein gegenüber der Standardausstattung verbessertes Hilfsmittel begehrt, sei erforderlich, dass der Einsatz des Hilfsmittels zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt werde. Das SG hat Bezug genommen auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes vom 16.09. 1999, Az.: B 3 KR 8/98 R, und ausgeführt, dazu gehörten zum einen die körperlichen Grundfunktionen wie Gehen, Stehen, Treppen steigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Auch die Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme zähle nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu diesen Bedürfnissen. Dabei sei auf den so genannten Basisausgleich abzustellen, der bei der Klägerin aber nach den Gesamtumständen des Einzelfalls erst durch die begehrte Versorgung gewährleistet sei. Zwar könne die Klägerin ihren Beruf auch mit der Standardprothese mit PVC- Handschuh ausüben.

Im Hinblick auf die Umstände in ihrem Metier sei ein gepflegtes Aussehen jedoch nicht nur eine kosmetische Frage der Klägerin, sondern als Standard erwünscht und gefordert. Hinzu komme, dass die Bewältigung von Aktenarbeit ihr mit einem herkömmlichen PVC-Handschuh fast unmöglich sei. Auch im Privatleben bei der Versorgung des Haushalts für sich und ihren Lebensgefährten bringe die Versorgung mit Silikonhandschuh betreffend Rutschfestigkeit und Hitzebeständigkeit Gebrauchsvorteile. Eine sportliche Betätigung, hier Rad fahren und Schwimmen, werde durch die begehrte Versorgung erleichtert bzw. erst ermöglicht. Bei Betrachtung all dieser Umstände bringe die Versorgung mit Silikonhandschuh entgegen den Ausführungen des Sachverständigen Ip. nicht nur geringe Vorteile. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG hat das SG ausgeführt, falls ei n Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen bzw. ersetzen solle, sei grundsätzlich das Hilfsmittel zu gewähren, das die ausgefallene Funktion möglichst weitgehend kompensiere, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil biete. Vorliegend sei somit aufgrund der zuvor geschilderten beruflichen Stellung der Klägerin eine Versorgung notwendig, die u. a. das Fehlen ihres Unterarmes nicht sogleich erkennen lasse. Damit sei im Einzelfall die Versorgung durch eine Unterarmprothese mit Silikonhandschuh notwendiges Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Die streitgegenständlichen Bescheide seien teilweise aufzuheben gewesen, da eine Unterarmprothese hierin bereits gewährt geworden sei.

Gegen das der Beklagten am 26.6.2007 zugestellte Urteil hat diese am 19.07.2006 Berufung eingelegt.

Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit dem beantragten Schmuckarm, vielmehr sei sie durch die angebotene Unterarmprothese ausreichend versorgt. Zu Recht stelle das SG klar, dass betreffend der körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören usw.) auf den so genannten Basisausgleich abzustellen sei. Dieser sei jedoch entgegen den Ausführungen des SG nicht erst durch die begehrte Versorgung gewährleistet. Mittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzten, sondern in erster Linie bei deren Folgen auf beruflichem oder gesellschaftlichem Gebiet sowie bei Freizeitbetätigungen, seien nicht als Hilfsmittel der Krankenversicherung anzuerkennen. Das Ziel einer Hilfsmittelversorgung könne nicht die vollständige Rekonstruktion des verloren gegangenen früheren Zustandes sein, sondern der Behinderungsausgleich könne nur die Versorgung umfassen, die notwendig sei, um den Verlust - im vorliegenden Fall des Unterarmes - für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen. Daraus folge, dass der Wunsch nach einer aufwändigeren Unterarmversorgung nicht maßgebend sei, wenn hierdurch der Beklagten als Kasse Mehrkosten entstünden.

Das medizinische Gutachten des Sachverständigen Ip. bestätige ihre Ansicht. Danach biete die begehrte Unterarmprothese gegenüber der bewilligten Versorgung lediglich Gebrauchsvorteile, die nicht erheblich ins Gewicht fielen. Die berufliche Tätigkeit erfordere nach den Sachverständigenangaben medizinischerseits keine Unterarmprothese mit Silikonhandschuh. Hier stehe der kosmetische Aspekt eindeutig im Vordergrund. Da die beantragte Versorgung mit erheblichen Mehrkosten einhergehe, könne diese unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 12 SGB V nicht bewilligt werden. Originäre Aufgabe der gesetzlichen Krankenkasse sei die medizinische Rehabilitation. Ein kosmetischer Ausgleich unter subjektiven, modischen Aspekten falle nicht in die Zuständigkeit der Beklagten als Krankenkasse. Dies gebiete auch der Gleichbehandlungsgrundsatz. Sofern das SG in seinem Urteil insbesondere auf die berufliche Tätigkeit bzw. den persönlichen Anspruch der Klägerin nach einer modischen und gepflegten Erscheinung abstelle, hätte dies zur Bedeutung, dass beispielsweise eine Hausfrau ohne exponierte Tätigkeiten bei gleicher Behinderung diese kosmetisch aufwändigere Prothese nicht beanspruchen könne. Dies könne mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar sein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19.05.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und fügt zur Begründung hinzu, das Urteil des SG konkretisiere in richtiger Weise die Maßstäbe der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betreffend die Hilfsmittelversorgung. Allein die Gewährung einer Unterarmprothese mit Silikonhandschuh könne dem vom BSG formulierten Gebot des vollständigen Ausgleichs einer Behinderung im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen Rechnung tragen. Vor dem Hintergrund der BSG- Rechtsprechung sei weiterhin festzuhalten, dass solche Hilfsmittel zu gewähren seien, die die ausgefallene bzw. gestörte Funktion möglichst weitgehend kompensierten, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil böten. Diesen Maßstäben könne man nur bei Gewährung einer Unterarmprothese mit Silikonhandschuh gerecht werden, die bewilligte Versorgung reiche hierzu nicht aus. Im Übrigen seien die Gebrauchsvorteile einer Unterarmprothese mit Silikonhandschuh als wesentlich anzusehen.

Betroffen seien sowohl Verrichtungen in der Freizeit, im Haushalt, aber auch im Beruf. Gerade dort biete die Silikonprothese erhebliche Vorteile. Es sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass Silikon ein wesentlich haltbareres Material sei als PVC. Die Silikonprothese biete zudem erhebliche Sicherheit beim Steuern eines Kraftfahrzeuges. Überdies werde das Fahrradfahren erst durch eine solche Prothese ermöglicht. Beim Kochen vermöge sie nur mit der hitzeresistenten Silikonprothese Töpfe zu halten. Schließlich macht sie geltend, dass durch die Versorgung mit einem Silikonhandschuh keine Mehrkosten entstünden, sondern im Vergleich zur Standardversorgung allenfalls gleich hohe Kosten anfielen. Zur Begründung führt sie aus, die Versorgung mit einer Standardprothese bedinge aufgrund des hohen Verschleißes jährlich mindestens 9 bis 10 neue PVC-Handschuhe, woraus ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Kostenvoranschlages der Fa. D. jährlich Kosten in Höhe von 2.662,47 EUR entstünden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor, da diesem dadurch Rechnung getragen werde, dass in jedem Einzelfall eine Differenzierung erfolge.

In einem Erörterungstermin vom 24.9.2007 hat der Berichterstatter des Senats die Klägerin informatorisch befragt; die Klägerin hat Bewegungsabläufe der Silikon- und PVC-Prothese demonstriert. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll vom 24.9.2007 verwiesen. Ferner hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2007 die Klägerin befragt, die auch dem Senat gegenüber die Funktionsweise der Prothese sowie des PVC- und Silikonhandschuhs erläutert und demonstriert hat.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Hinweis:

Fachbeiträge zum Thema finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/A_2008-4...

Rechtsweg:

SG Saarland Urteil vom 19.05.2006

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Saarland
Rechtsdienst der Lebenshilfe 02/2008

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG im Ergebnis den Bescheid vom 11.05. 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2004 teilweise aufgehoben und die Beklagte über die Zusage der Kostenübernahme für die Standardprothese hinaus zur Gewährung der streitgegenständlichen Unterarmprothese mit Silikonhandschuh verurteilt. Wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers war aber der Tenor des Urteils des SG zu korrigieren.

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Ein Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln.

Versicherte haben gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 4 Satz 1 SGB V kann das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischem Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX liegt eine Behinderung vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Eine Behinderung droht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist, § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Der aufgrund einer Störung der Extremitätenentwicklung fehlende Unterarm stellt eine solche Behinderung der Klägerin dar, denn der Zustand ist nicht alterstypisch und beeinträchtigt das Leben in der Gesellschaft. Das vorliegend begehrte Hilfsmittel kommt in Betracht, um eine solche Behinderung auszugleichen.

Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln ist gemäß § 1 Satz 1 SGB IX die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes - Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation - und unter ihren besonderen Voraussetzungen (§ 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Versorgung mit Hilfsmitteln nur dann, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient (BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az.: B 3 KR 68/01 R). Dazu gehören - wie bereits vom SG zutreffend dargestellt - zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen, Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens ( Schulwissen) umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe des von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittels wieder aufschließen soll. Dabei ist auf den sogenannten Basisausgleich abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09. 1999, B 3 KR 8/98 R).

Die Frage, welche Qualität und Ausstattung ein Hilfsmittel haben muss, um als geeignete, notwendige, aber auch ausreichende Versorgung des Versicherten im Sinne von § 2 Abs. 4, § 12 Abs. 1, § 33 Abs. 1 SGB V gelten zu können, beantwortet sich nach der Rechtsprechung des BSG danach, welchem konkreten Zweck die Versorgung im Einzelfall dient. Soll ein Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen, ersetzen oder erleichtern (z. B. Prothesen), ist grundsätzlich ein Hilfsmittel zu gewähren, das die ausgefallene bzw. gestörte Funktion möglichst weitgehend kompensiert, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil bietet ( BSG, Urteil vom 23.07.2002, B 3 KR 66/01 R; so im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 16.09.1999, B 3 KR 8/98 R) . Geht es hingegen um einen Ausgleich ohne Verbesserung elementarer Körperfunktionen allein zur Befriedigung eines sonstigen allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens (z. B. Kommunikation, Schaffung eines geistigen und körperlichen Freiraums, selbständiges Wohnen, Bewegung im Nahbereich der Wohnung, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben), bemisst sich nach diesen Grundsätzen der Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht nach dem technisch Machbaren
(BSG, Urteil vom 23.7.2002 aaO.).

Vorliegend steht nach diesen Maßstäben und nach umfassender Beweiswürdigung entgegen der Auffassung der Beklagten fest, dass die streitgegenständliche Silikonprothese in solchem Umfang die Greif- und Haltefunktion der linken Hand und damit - unabhängig von evtl. Einzelvorteilen im Bereich Sport, Ästhetik und Beruf - Grundbedürfnisse des täglichen Lebens teilweise ausgleicht oder zumindest erleichtert, dass die ausgefallene bzw. gestörte Funktion weitgehend kompensiert und der umfassendste Gebrauchsvorteil erzielt wird.

Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat durch Auswertung des Gutachtens von Dr. Ip. und seiner ergänzenden Stellungnahme, ohne im Ergebnis diesem Gutachten zu folgen, sowie nach der Demonstration der Gebrauchsvorteile durch die Klägerin vor dem Senat. Berücksichtigt man daneben noch die konkrete Vorgeschichte, nämlich die bereits erfolgte Versorgung der Klägerin mit einer Silikon-Unterarmprothese durch die Beklagte im Jahr 2001, sind die deutlichen Gebrauchsvorteile einer solchen Prothese nicht von der Hand zu weisen.

Im Gutachten vom 22.8.2005 führte Dr. Ip. im Wesentlichen aus, seit 1994 werde die Klägerin mit einer Standardprothese versorgt und seit 2001 mit einer solchen aus Silikon-Überzug. Mittlerweile sei nach Angaben der Klägerin ein Verschleiß festzustellen und kein Wechsel möglich. Mit der Prothese könne sie nach eigenen Angaben Töpfe halten, Fahrrad fahren, schwimmen gehen und reiten. Sie könne Ordner abstützen und halten und blättern und mit Hilfe der Prothese Schnürsenkel binden sowie feinmotorische Tätigkeiten durchführen und den Haushalt alleine führen. Sie habe den Vergleich zu einer Standardprothese; mit der sei sie nicht in der Lage gewesen, die genannten Tätigkeiten zu verrichten, die Oberfläche sei viel zu glatt, Töpfe könne sie damit nicht richtig halten und Gegenstände rutschten weg. Auch komme es bei einer Standardprothese zu einer schnellen Verfärbung. Diese sei auch nicht wärmebeständig und habe einen erhöhten Reinigungsbedarf. Sie müsse repräsentieren und habe eine bessere Akzeptanz mit einem Silikonarm, weil man auf den ersten Blick nicht sehe, dass der Unterarm fehle. Seit Juli 2001 sei sie bei der Fa. V. & B. im Marktservice tätig. Sie treibe in der Freizeit viel Sport. Dr. Ip. führte weiter aus, die vorhandene Prothese passe gut. Sie bestehe aus Silikon mit einer bestimmten Technik, die ein schnelles selbstständiges Anlegen und Ablegen gewährleiste. Die Farbe sei verblasst und die Gefäßzeichnung nicht zu erkennen. Die Prothese verfüge nicht über mechanische Effekte.
Die Klägerin könne sie flüssig anziehen und ausziehen und auch eine Schleife binden, wobei die Prothese zum Gegenhalten benutzt werde. Mit der vorhandenen Prothese sei ein Öffnen und Schließen der Hand nicht möglich und die Funktion beschränke sich auf ein einfaches Gegenhalten, was auch durch einen Schmuckarm aus Gießharz erfüllt werde. Geringe Vorteile zeige die Oberflächenbeschaffenheit des Silikons mit höherer Reibungskraft, so dass das Abrutschen von Gegenständen besser vermieden werden könne. Dieser Vorteil sei gegenüber einem Schmuckarm aus Gießharz aber nicht als erheblich einzustufen. Hinzu komme, dass die Klägerin bereits seit 2001 mit einem Silikonarm versorgt sei und sich dadurch an den Gebrauchsvorteil gewöhnt habe. Eine Umstellung würde ihr den täglichen Gebrauch der Prothese erschweren. Die berufliche Tätigkeit erfordere aus medizinischer Sicht keinen Silikonunterarm; sie könne genauso gut mit einer Gießharzprothese versorgt werden. Der kosmetische Aspekt stehe bei der Klägerin eindeutig im Vordergrund. Die Behauptung der Beklagten treffe zu, nach der das Grundgerüst bei den Prothesen aus den gleichen Komponenten bestehe und die Mehrkosten durch den Handschuh zur kosmetischen Armprothese mit Unterarm-Überzug und Materialzuschlag resultierten.

In seiner Ergänzung vom 23.11.2005 schrieb der Gutachter, er habe die Rutschfestigkeit als Gebrauchsvorteil berücksichtigt und die Hitzebeständigkeit habe außer bei geringen täglichen Verrichtungen wie Tragen und Heben eines Topfes nur wenig Bedeutung. Auch ein Schmuckarm in herkömmlicher Technik könne durch Überziehen eines Schutzhandschuhes präpariert werden, damit eine gewisse Hitzebeständigkeit erzielt werden könne, Gleiches gelte für die berücksichtigte Rutschfestigkeit. Die Schmutzunempfindlichkeit sei wohl auch kein wesentlicher Gebrauchsvorteil, da in der neuen Bürotechnik ein Kontakt zu Farbe und Schwärze minimal sei. Außerdem habe er Gebrauchsvorteile einer Silikonprothese nicht vollständig abgelehnt. Diese seien aber nur leicht. Zur rechtlichen Fragestellung könne er als Mediziner keine Stellung nehmen.

Der Senat folgt diesen Ausführungen insoweit, als der Gutachter Gebrauchsvorteile im täglichen Leben beschrieben hat. Er teilt aber nach der Demonstration der Klägerin, die bereits vor dem SG die Benutzung des Silikon-Unterarms im Vergleich zu einer Standardprothese vorgeführt hat, mit bestehender Silikonprothese und mitgebrachtem älterem Standardüberzug die rechtliche Einschätzung des Gutachters nicht, diese Gebrauchsvorteile seien nur gering und damit zu vernachlässigen.

Unabhängig von den vom Gutachter bereits beschriebenen Vorteilen war augenfällig, dass schon durch die Möglichkeit der Drehung des Unterarms, die lediglich in Silikontechnik ausführbar ist, weitere deutliche Vorteile im Bereich des Greifens und Haltens bestehen. Die Klägerin kann mit der vorhandenen Silikonprothese mithilfe des gesunden rechten Arms den Unterarm stufenlos in verschiedene Drehpositionen stellen und damit Halte- und Greiffunktionen verbessern. Die von der Beklagten aufgezeigte Alternative, für die Rutschfestigkeit und Hitzebeständigkeit über eine Standardprothese einen Handschuh überzuziehen, ist demgegenüber unpraktikabel und ganz augenfällig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da die Klägerin hierfür nur einen gesunden Arm zur Verfügung hat.

Nimmt man Rutschfestigkeit und insbesondere Hitzebeständigkeit der Silikonprothese mit der Folge hinzu, dass die Klägerin beim Kochen auch mit heißen Töpfen und ähnlichen Gebrauchsgegenständen umgehen kann, einen Aktenordner halten und mit Hilfe des gesunden Arms darin blättern kann und die Rutschfestigkeit einer Silikonprothese der natürlichen Beschaffenheit von Händen am nächsten kommt, sind die Gebrauchsvorteile einer solchen Prothese insgesamt keineswegs unerheblich, wobei noch nicht einmal berücksichtigt wird, dass, wie ebenfalls vor dem Senat demonstriert, die Verschmutzung einer Silikonprothese deutlich geringer ist als diejenige bei einer Standardprothese.

Allein dies fordert bereits die Versorgung mit einer Silikonprothese. Hinzu kommt im Fall der Klägerin, dass - wie auch der Gutachter Dr. Ip. ausdrücklich erwähnt und besonders hervorgehoben hat - nunmehr eine Versorgung der Klägerin lediglich mit einer Standardprothese sogar zu einem Funktionsnachteil führen würde. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beklagte die Klägerin bereits im Jahr 2001 mit einer Silikonprothese versorgt hatte und sie nunmehr der Klägerin mit der Gewährung lediglich eines PVC-Überzugs eine deutliche Verschlechterung ihrer gewohnten Greif- und Haltefähigkeiten zumuten würde. Die Auffassung der Beklagten, die bestehende Versorgung sei rechtswidrig gewesen und Vertrauensschutz in rechtswidriges Handeln sei nicht schützenswert, erfasst nicht die sozialmedizinische Folge der damaligen Bewilligung. Diese Versorgung bedeutet einen der Klägerin mittlerweile seit ca. 6 Jahren gewährten Gebrauchsvorteil mit einer solchen Prothese. Dass dies im Alltag der Klägerin zu einer Gewöhnung an diese konkrete Situation geführt hat und der nicht in Zweifel zu ziehende Rückschritt zu einer Standardprothese das Leben der Klägerin deutlich erschweren würde, ist eine Folge, die nicht nur Dr. Ip. als negativ hervorgehoben hat, sondern die mit den oben erwähnten rechtlichen Regelungen des SGB V und der Rechtsprechung des BSG zur Hilfsmittelversorgung nicht zu vereinbaren wäre.

Die Frage, ob die alte Silikonprothese in der Art verschlissen ist, dass eine Ersatzprothese erforderlich ist, stellt sich im konkreten Falle nicht, denn die Beklagte hat durch den angefochtenen Bescheid vom 11.5.2004 und die darin enthaltene Zusage für eine Ersatzprothese in Standardform deutlich zu erkennen gegeben, dass sie eine Ersatzbeschaffung für notwendig hält. Dies sieht auch der Sachverständige Ip. so und dies hat die Beklagte auch im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats bestätigt.

Die Beklagte sieht schließlich einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, was sie damit begründet, dass beispielsweise eine Hausfrau ohne exponierte berufliche Stellung bei gleicher Behinderung die aufwändigere Prothese nicht beanspruchen könne. Dem ist jedoch neben den Ausführungen des Senats zu den Funktionsvorteilen - wie auch von der Klägerin geltend gemacht - entgegenzuhalten, dass es alleine auf die Gebrauchsvorteile ankommt. Dies bedeutet, dass nicht die Berufstätigkeit entscheidend ist und auch bei einer Hausfrau in der Situation der Klägerin ein entsprechender Versorgungsanspruch in Betracht käme.

Der Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Hilfsmittel steht auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V entgegen, denn der oben dargestellte erforderliche Behinderungsausgleich kann nicht in gleichem Umfang mit einem kostengünstigeren und zumindest gleich geeigneten Hilfsmittel erreicht werden.

Unter Betrachtung all dieser Umstände ist der Ansicht des SG zu folgen, wonach die Versorgung mit Silikonhandschuh der Klägerin erhebliche Gebrauchsvorteile bringt. Ist der Klägerin die begehrte Silikonprothese bereits aufgrund des Vorstehenden zu bewilligen, kann es dahinstehen, ob allein die repräsentative berufliche Stellung der Klägerin die Gewährung einer Prothese notwendig macht, die das Fehlen ihres Unterarms nicht sogleich erkennen lässt, und allein dies einen Versorgungsanspruch begründen könnte.

Die Klägerin hat nach alledem einen Anspruch auf die begehrte Versorgung. Die teilweise Aufhebung des Bescheides vom
11.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2004 und die Verurteilung durch das SG erfolgten demnach zu Recht.

Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R2955


Informationsstand: 11.04.2008