Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2008 verpflichtet, Beihilfeleistungen zu den Kosten für eine C-Leg-Kniegelenkversorgung oder für eine dieser vergleichbaren Versorgung für die Ehefrau des Klägers zu übernehmen.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung entsprechenden Höhe abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Kläger, der als Studiendirektor im Dienst der Beklagten steht, begehrt die Gewährung von Beihilfe für die Versorgung seiner Ehefrau mit einer computergesteuerten Beinprothese.
Der Ehefrau des Klägers war im August 1982 der rechte Oberschenkel wegen eines Fibrosarkoms amputiert worden. Im Jahre 2003 legte sie dem Beklagten Kostenvoranschläge für die Versorgung des amputierten Beines mit einer sogenannten "C-Leg-Prothese" vor und bat um Übernahme des Beihilfeanteils. Das daraufhin von der Beihilfestelle eingeholte amtsärztliche Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese stelle aus amtsärztlicher Sicht keine zwingende Notwendigkeit dar. Bei der Ehefrau des Klägers bestünden Veränderungen an beiden Hüftgelenken sowie am linken Kniegelenk aufgrund einer vorzeitigen Verschleißerkrankung infolge eines gestörten Bewegungsablaufes nach der Oberschenkelamputation. Die Ehefrau des Klägers trage eine herkömmliche Prothese. Die beantragte C-Leg-Prothese könne zu einer wesentlichen Verbesserung der Gangsicherheit und einem harmonischeren Gangbild führen. Letzteres könne dem Fortschreiten degenerativer Gelenkveränderungen entgegenwirken. Nach fachorthopädischer Zusatzbegutachtung stellte der Amtsarzt fest, unter medizinischen Aspekten sei die Anschaffung einer computergesteuerten Beinprothese als sinnvoll zu erachten, eine absolute medizinische Notwendigkeit bestehe allerdings nicht. Für die Fortbewegung außerhalb der häuslichen Umgebung könne die Oberschenkelsaugprothese mit hydraulischem Kniegelenk als ausreichend betrachtet werden. Der Beklagte lehnte daraufhin die beihilferechtliche Anerkennung der Kosten ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte der Beklagte eine erneute amtsärztliche Stellungnahme ein, die die Anschaffung einer computergesteuerten Beinprothese wiederum medizinisch als sinnvoll erachtete, eine absolute medizinische Notwendigkeit aber verneinte. Das Amt für soziale Angelegenheiten in Koblenz gab ebenfalls eine Stellungnahme ab. Hiernach kann für Ehefrau des Klägers die Notwendigkeit einer Versorgung mit einer C-Leg-Prothese nicht begründet werden. Die Ehefrau des Klägers sei den eingeschränkten Außebereichsgehern, Aktivitätsklasse 2, zuzurechnen und habe eine Prothese, deren Möglichkeiten sie nicht ausnutze.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2007 beantragte der Kläger unter Vorlage eines ärztlichen Attestes und diverser Kotenvoranschläge erneut die Zusage der Übernahme der Kosten für die Versorgung seiner Ehefrau mit einer C-Leg-Prothese in Höhe des Beihilfesatzes. In seiner Stellungnahme vom 5. September 2007 führte der Amtsarzt aus, die beantragte Prothese mit elektronischem Kniegelenksystem ermögliche einen physiologischeren und sichereren Bewegungsablauf. Bezüglich der medizinischen Notwendigkeit verweise er auf seine Stellungnahme aus den Jahren 2003 und 2004.
Mit Bescheid vom 13. September 2007 lehnte der Beklagte die Anerkennung der Aufwendungen für eine C-Leg-Prothese als beihilfefähig ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, die C-Leg-Prothese ermögliche eine bedeutend bessere und aktivere Teilhabe am Leben und biete erhebliche Gebrauchsvorteile in der Sicherheit. Sie erlaube problemloses Gehen in verschiedenen Geschwindigkeiten und erleichtere das Treppensteigen. Auch das Gehen auf unebenem Gelände werde möglich. Außerdem werde das gesunde Bein und die bereits durch eine frühere Operation geschädigte Hüfte entlastet und damit die Gefahr einer weiteren drohenden Behinderung reduziert. In einem Urteil des Bundessozialgerichts (Az:
B 3 KR 20/04 R) werde dem dortigen Kläger eine C-Leg-Prothese ausdrücklich zugesprochen. Das im Rahmen des Widerspruchsverfahrens um Stellungnahme gebetene Amt für soziale Angelegenheiten verwies mit Schreiben vom 24. Januar 2008 auf die Stellungnahme aus dem Jahre 2004. Ergänzend teilte es am 7. Mai 2008 mit, hinsichtlich der Notwendigkeit der Prothese seien keine neuen Sachverhalte vorgetragen worden. Die Ehefrau des Klägers treibe weiterhin keinen Sport und bewege sich auf der damals angegebenen Strecke im Haus und außerhalb. Die Möglichkeiten der vorhandenen Prothese nutze sie bereits nicht voll aus. Bei der Ehefrau des Klägers handele es sich aber um einen "Grenzfall", da sie von ihrem Alter und ihrer Beweglichkeit her in der Lage sei, von einer solchen Prothese zu profitieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, nach § 3
Abs. 1 der Beihilfenverordnung (BVO) seien nur die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang beihilfefähig. Auf der Grundlage der eingeholten Gutachten komme die Beihilfestelle zu Recht zu dem Ergebnis, eine Versorgung der Ehefrau des Klägers mit einer C-Leg-Prothese sei nicht zwingend medizinisch notwendig. Eine Prothese mit C-Leg werde empfohlen, wenn bei dem Patienten folgende Indikationen vorlägen:
- Gehstrecke mehr als 5
km am Tag mit einer Geschwindigkeit von mehr als 5
km- Beruf, der ein hohes Maß an Sicherheit, langes Gehen und Stehen erfordert
- Erziehung von Kindern bis zu einem Alter von sechs Jahren
- häufiges Gehen von Stufen (mehr als 100 am Tag), schrägen oder unebenen Flächen.
Wenn die Möglichkeiten des teuren C-Leg nicht genutzt würden, seien andere Konstruktionen ausreichend geeignet. Die Versorgung mit einem C-Leg scheide daher aus (1.) bei Patienten, die eine weitere Gehhilfe brauchten, (2.) bei geringen Gehgeschwindigkeiten ohne die Möglichkeit und Notwendigkeit auch schneller zu gehen, (3.) bei Patienten ohne entsprechende Stumpffunktion zur Steuerung beim Treppensteigen und/oder Bergabgehen. Die Indikation werde damit praktisch auf aktive Außenbereichsgeher beschränkt. Die Ehefrau des Klägers sei indessen eine eingeschränkte Außenbereichsgeherin, Aktivitätsklasse 2. Sie habe eine Prothese, deren Möglichkeiten sie nicht ausnutze. Das Treppengehen erfolge bei ihr in einem typischen Prothesengang, obwohl sie mit ihrer Prothese alternierend Treppen und Schrägen hinabgehen könne. Das Urteil des Bundessozialgerichts betreffe die gesetzliche Krankenkassen und sei daher für die Beihilfe nicht bindend. Auf die allgemeine Fürsorgepflicht könne der Kläger seinen Beihilfeanspruch nicht stützen, da die Fürsorgepflicht durch die Beihilfenverordnung nicht nur konkretisiert, sondern auch begrenzt werde.
Am 29. September 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, seine Ehefrau verspreche sich von der Versorgung mit der C-Leg-Kniegelenkprothese ein leichteres und natürlicheres Gehen, mehr Sicherheit, eine Erleichterung des Treppensteigens und Laufens auf unebenem Gelände sowie eine Verringerung der Sturzgefahr. In der Vergangenheit sei es mit der derzeitigen Versorgung immer wieder zu Stürzen durch Wegknicken der Prothese gekommen. Im Dezember 2007 sei sie so schwer gestürzt, dass sie mehrere Knochenbrüche am rechten Unterarm erlitten habe. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln nach dem Stand der Medizintechnik. Dies bedeute, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig erreicht sei im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen, könne die Versorgung mit einem fortschrittlicheren Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend. Die vom Beklagten bisher durchgeführten Sachverhaltsermittlungen seien unzureichend und die Ausschlusskriterien offensichtlich der überholten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entnommen. Die Ehefrau des Klägers sei sehr wohl körperlich und geistig in der Lage, das elektronische Kniegelenk in seinen Möglichkeiten voll zu nutzen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2008 zu verpflichten, Beihilfeleistungen für die Kosten für eine C-Leg-Kniegelenkversorgung oder für eine dieser vergleichbaren Versorgung seiner Ehefrau in Höhe des Beihilfesatzes zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen in Ausgangs- und Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsunterlagen (3 Hefte) verwiesen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die Klage hat Erfolg.
Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen für die Versorgung seiner Ehefrau mit einem C-Leg-Kniegelenk oder eine dieser vergleichbaren Versorgung; der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 13. September 2007 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom 12. September 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (
vgl. § 113
Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO -).
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 3
Abs. 1
Nr. 1 der Beihilfenverordnung (BVO) Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 1. August 2006. Hiernach sind beihilfefähig die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfange, soweit sie dem Beihilfeberechtigten entstanden sind, in Krankheitsfällen (u.a.) zum Ausgleich erworbener körperlicher Beeinträchtigungen. Die Aufwendungen für die vom Kläger gewünschte prothetische Versorgung seiner Ehefrau mit einem computergesteuerten Kniegelenk sind nicht nur notwendig (1.) im Sinne der vorgenannten Vorschrift, sondern auch angemessen (2.).
1. Unzweifelhaft hat der Kläger Anspruch auf Versorgung seiner Ehefrau mit einer Beinprothese, da dieser im Jahre 1982 der rechte Oberschenkel amputiert worden ist; die Ehefrau des Klägers ist daher derzeit mit einer Beinprothese mit hydraulischem Kniegelenk versorgt. Mit dieser Versorgung wird aber dem Anspruch des Klägers auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen zum Ausgleich der körperlichen Behinderung seiner Ehefrau nicht Genüge getan: Denn den in den Jahren 2007/2008 vom Beklagten eingeholten Stellungnahmen des Amtsarztes und des Amtes für soziale Angelegenheiten und den in Bezug genommenen amtsärztlichen Stellungnahmen aus den Jahren 2003/2004 ist übereinstimmend zu entnehmen, dass eine computergesteuerte Beinprothese erhebliche Gebrauchsvorteile gegenüber einer herkömmlichen Prothese aufweist und die Ehefrau des Klägers in der Lage ist, von diesem zu profitieren. In seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2003 hat der Amtsarzt ausgeführt, die C-Leg-Prothese könne zu einer wesentlichen Verbesserung der Gangsicherheit und einem harmonischeren Gangbild führen. Letzteres könne dem Fortschreiten degenerativer Gelenkveränderungen bei Frau Sch. entgegenwirken. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. November 2003 spricht der Amtsarzt von einer weiteren Optimierung der prothetischen Versorgung. Im nunmehrigen Verwaltungsverfahren hat der Amtsarzt diese Einschätzung in seiner Stellungnahme vom 5. September 2007 wiederholt und auf seine frühere Stellungnahme aus den Jahren 2003/2004 verwiesen. Das Amt für soziale Angelegenheiten hat am 7. Mai 2008 mitgeteilt, bei der Ehefrau des Klägers handele es sich um einen "Grenzfall", da diese vom Alter und ihrer Beweglichkeit her in der Lage sei, von einer computergesteuerten Prothese zu profitieren. Hiernach ist die Kammer davon überzeugt, dass die Ehefrau des Klägers durch eine Versorgung mit einer C-Leg-Prothese oder einer dieser vergleichbaren Prothese weiter gleichziehen kann mit einem gesunden Menschen (so auch
BSG, Urteil vom 19. September 2004 -
B 3 KR 20/04 R - für die Frage des Ausgleichs der Behinderung im Sinne des
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Im Übrigen hat die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich ihr "neues" Sicherheitsgefühl geschildert, welches sie während einer probeweisen Versorgung mit einem computergesteuerten Kniegelenk verspürt habe. Sie habe ohne Gehhilfen Schrägen und Unebenheiten bewältigen können mit einer Leichtigkeit, die ihr zuvor nicht bekannt gewesen sei.
Soweit das Amt für soziale Angelegenheiten in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2004 und vom 24. Januar 2008 ausführt, die Indikationen für eine Versorgung mit einem C-Leg-Kniegelenk lägen bei der Ehefrau des Klägers nicht vor, da die Ehefrau lediglich der Aktivitätsklasse 2 (eingeschränkte Außenbereichsgeherin) zuzurechnen sei, steht dies der Notwendigkeit der Aufwendungen für den Ausgleich der körperlichen Behinderung der Ehefrau nicht entgegen. Zum einen ist die Notwendigkeit schon dann zu bejahen, wenn Gebrauchsvorteile vorhanden sind, die einen weiteren Behinderungsausgleich ermöglichen; nicht erforderlich ist, dass sämtliche Gebrauchsvorteile genutzt werden können. Zum anderen kann der Ehefrau auch nicht entgegenhalten werden, sie sei körperlich wenig aktiv und gehöre daher "nur" der Aktivitätsklasse 2 an, da die herkömmliche Prothese ein aktiveres Leben augenscheinlich nur schwerlich zulässt. In der mündlichen Verhandlung ist für die Kammer der Eindruck entstanden, dass die Klägerin durchaus in der Lage und willens ist, ein Leben mit mehr körperlicher Betätigung zu führen. Wenn daher auch, wie in der amtsärztlichen Stellungnahme ausgeführt, eine "absolute medizinische Notwendigkeit" im Sinne einer "Überlebensnotwendigkeit" für eine computergesteuerte Beinprothese nicht besteht, so besteht nach alledem aber in jedem Fall eine beihilferechtliche Notwendigkeit.
2. Die Aufwendungen für eine Versorgung der Ehefrau des Klägers mit einer C-Leg-Prothese oder einer dieser vergleichbaren Prothese sind auch angemessen im Sinne des § 3
Abs. 1
Nr. 1 BVO. Angesichts der dargestellten Gebrauchsvorteile der computergesteuerten Prothese gegenüber der herkömmlichen Prothese, die mit einem erheblichen Gewinn an Lebensqualität für die Ehefrau des Klägers verbunden sind, sind die Mehrkosten für die Versorgung mit der gewünschten Prothese, die sich im Bereich von 8.000
EUR bewegen dürften (
vgl. die im oben genannten Urteil des
BSG aufgeführten Kosten), nicht unverhältnismäßig, zumal die computergesteuerte Prothese auch dazu beitragen dürfte, dem weiteren Fortschreiten degenerativer Gelenkveränderungen bei der Ehefrau entgegenzuwirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154
Abs. 1
VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 167
VwGO, 708
Nr. 11, 711
ZPO.