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Urteil
Kostenerstattung für ein selbstbeschafftes höherwertigeres Hörgerät - Alleinzuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers - Rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten

Gericht:

LSG Sachsen 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 KR 36/10


Urteil vom:

30.04.2014


Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von über dem Festbetrag liegenden Kosten für Hörgeräte.

Der Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) wurden am 14. März 2006 durch den Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. S wegen einer mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit Hörgeräte beidseits verordnet.

Am 11. Juli 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) die Versorgung mit Hörgeräten. Aus einem Kostenvoranschlag der Fa. K Hörgeräte GmbH & Co. KG (im Folgenden: Fa. K Hörgeräte) vom 12. April 2006 geht hervor, dass sich die Kosten für die Hörgeräte vom Typ K S HS insgesamt auf 3.599,44 EUR beliefen; hiervon seien 2.520,62 EUR von der Klägerin zu übernehmen. Auf dem (in der in der Akte Beklagten vorhandenen Kopie nicht von der Klägerin unterschriebenen) Kostenvoranschlag ist ferner vermerkt: "Durch die geleistete Unterschrift bestätige ich den Eigenanteil inkl. der gesetzlichen Zuzahlung".

Am 17. Juli 2006 bestätigte die Klägerin den Empfang der verordneten Hörhilfe und die Fachärztin für HNO-Heilkunde L bescheinigte, sie habe sich davon überzeugt, dass durch die vorgeschlagene Hörhilfe eine ausreichende Hörverbesserung erzielt werde. Nachdem die Fa. K der Beklagten am 18. Juli 2006 eine Rechnung über 1.149,40 EUR übersandt hatte, erließ die Beklagte am 17. November 2006 einen Bescheid, in welchem sie erklärte, sie übernehme einen Betrag von 1.149,90 EUR gemäß der Festbetragsregelung abzüglich der Zuzahlung von 20,00 EUR.

Bereits am 24. August 2006 hatte die Klägerin bei der Bundesagentur für Arbeit einen Kostenzuschuss im Hinblick auf einen Eigenanteil beim Erwerb der Hörgeräte beantragt, nachdem ihr von ihrem Hörgeräteakustiker mitgeteilt worden war, die Krankenkasse übernehme nur Kosten in Höhe des Festbetrages. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 29. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2006 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage wurde mit Gerichtsbescheid des SG Leipzig vom 25. Oktober 2007 (Az. S 16 AL 117/07) abgewiesen. Gegen den Gerichtsbescheid wurde Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt; dort wurde das Verfahren zunächst ruhend gestellt und im weiteren Verlauf unter dem Az. L 1 AL 167/11 wieder aufgenommen; es ist noch anhängig.

Am 24. Juli 2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf vollständige Übernahme der Kosten für ihre beiden Hörgeräte. Die Festbeträge seien bereits geleistet, ihr Eigenanteil betrage 2.500,62 EUR. Sie habe sich nach ausgiebigen Tests für die digitalen Geräte mit Dynamikanpassung entschieden, weil diese ihre mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit in ihren spezifischen Hörsituationen zweckmäßig und sehr gut ausglichen. Dies könne sie nach monatelangem Tragen nur bestätigen. Eine ausreichende Versorgung mit Hörgeräten zum Festbetrag sei in ihrem Fall leider nicht möglich.

Die Beklagte zog Hörprotokolle bei und forderte mit Schreiben vom 3. August 2007 eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung T e.V. (im Folgenden: MDK) an. Es werde gebeten zu prüfen, ob die Versorgung mit Hörgeräten zum Festbetrag ausreichend sei. Eine vergleichende Anpassung mit Hörgeräten zum Festbetrag sei lt. Fa. K Hörgeräte nicht erfolgt.

In einer gutachtlichen Stellungnahme vom 27. August 2007 führte die Fachärztin für HNO-Heilkunde des MDK Dr. H aus, die medizinische Notwendigkeit der festbetragsüberschreitenden Hörgeräteversorgung sei anhand der vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar. In der ausgewählten Produktgruppe stünden ausreichend viele Alternativgeräte zur Verfügung (ca. 500), so dass eine Versorgung zum Festbetrag möglich sein solle.

Auf eine Anfrage der Beklagten teilte die Firma K Hörgeräte mit Schreiben vom 11. September 2007 mit, ihr sei der Rahmenvertrag der AOK Thüringen zur Lieferung von Hörgeräten bekannt. Die Klägerin sei zu Beginn der Anpassung über die Möglichkeit einer Versorgung zu den Festbeträgen informiert worden und es sei eine Ausprobe angeboten worden. Aus den Unterlagen sei ersichtlich, dass die Klägerin die Geräte nicht getestet habe. Dem Schreiben war eine von der Klägerin unterschriebene sog. Kundeninformation vom 30. März 2006 beigefügt, in welcher die Klägerin u.a. erklärte, sie sei über die Möglichkeit einer Hörgeräteversorgung ohne privaten Eigenanteil informiert worden und darüber, dass ihr, wenn sie eine andere Versorgung als die eigenanteilsfreie wähle, ihr für das Hörgerät und die Wartungsleistungen die Mehrkosten entstünden, die aus ihrer Wahl resultierten. Ferner wurden anlässlich der Hörgeräteanpassung erstellte Hörprotokolle übersandt.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 lehnte die Beklagte die Übernahme der über dem Festbetrag liegenden Kosten für die Hörgeräte ab. Sie habe ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag erfüllt, eine Kostenübernahme über den Festbetrag hinaus sei nicht möglich. Das Sachleistungsprinzip sei durch die Festbeträge gesichert. Alle Hörgeräte, die nach Festbeträgen abgegeben würden, seien aus medizinischer Sicht ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich und könnten die Behinderung ausgleichen. Bei einer Hörgeräteanpassung sollten mindestens zwei Hörgeräte aus dem Festbetragsbereich getestet werden. Die Fa. K Hörgeräte habe mitgeteilt, dass eine Testung mit Geräten aus dem Festbetragsbereich nicht durchgeführt worden sei.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie benötige aus beruflichen Gründen Hörgeräte, die in der Lage seien, im Frequenzbereich der menschlichen Sprache gut zu differenzieren, Störgeräusche zu erkennen und herauszufiltern, ein problemloses Telefonieren erlaubten, keine Rückkopplungen unter Kopfhörern auslösten und sich den ganzen Tag tragen ließen. Ein Gerät zum Festbetragspreis sei da aus Erfahrung des Hörgeräteakustikers nicht in Frage gekommen und auch nicht der Form halber getestet worden. Die Hörgeräte, für die sich nach gründlichem Test von sechs Hörgeräte-Typen entschieden habe, glichen ihre Hörbehinderung im Alltags- und Erwerbsleben zu ihrer vollen Zufriedenheit aus.

Unter dem 19. November 2007 berechnete die Fa. K Hörgeräte der Klägerin einen Betrag von 2.580,62 für die die Hörgeräte K sc HS nebst Zubehör.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 teilte die Fa. K Hörgeräte unter Übersendung von Hörprotokollen vom 13. Dezember 2007 mit, auf Wunsch der Klägerin sei nachträglich eine Ausprobe zweier zuzahlungsfreier Hörgeräte durchgeführt worden. Neben- und Störgeräusche hätten nicht herausgefiltert werden können und das Mikrofoneigenrauschen sei von der Klägerin sehr stark wahrgenommen worden. Telefonieren sei wegen ständiger Rückkopplungen und Rauschens erschwert gewesen. Mit den der Klägerin zur Verfügung stehenden Hörgeräten könne hingegen ein optimales Sprachverstehen in Ruhe, im Störgeräusch und beim Telefonieren erreicht werden.

Die Beklagte beauftragte hierauf den MDK mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob aus medizinischer Sicht Hörgeräte im Festbetragsbereich ausreichend und zweckmäßig für alle Ausgleichsbereiche des täglichen Lebens seien oder ob die Versorgung mit den höherwertigen Hörgeräten aus beruflichen Gründen notwendig sei. Frau Dr. H führte hierzu im Gutachten vom 15. Januar 2008 aus, nach den vorgelegten Unterlagen sei die binaurale Hörgeräteversorgung medizinisch nicht indiziert, wenn man die Indikationskriterien gemäß Heil- und Hilfsmittelrichtlinie des GBA zugrunde lege. Für eine einohrige Hörhilfenversorgung seien die audiologischen Kriterien erfüllt. Mit der vergleichenden Anpassung vom 13. Dezember 2007 seien sowohl mit den zuzahlungsfreien (digitalen) als auch mit dem zuzahlungspflichtigen Hörgerät für das rechte Ohr eine Einsilberverständlichkeit von 80 % bei 65 dB Nutzschall unter 40 dB Störschall dokumentiert. Somit sei ein objektivierbarer Hörgewinn durch die festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung nicht gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Februar 2008 wurde der Widerspruch unter Bezugnahme auf das Gutachten vom 15. Januar 2008 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 31. März 2008 Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben und zur Begründung u.a. dargelegt, bei der Prüfung der sechs Hörsysteme 2006 habe der Störschall bei 60 dB gelegen, bei der Prüfung am 13. Dezember 2007 bei 40 dB. Außerdem werde in dem Gutachten die eingeschränkte Dynamik ihres Gehörs nicht berücksichtigt. Der Hörverlust in dB und die Verstehensquote von Einsilbern sähen zwar nicht dramatisch aus, in Kombination mit der hohen Geräuschempfindlichkeit verschlechtere sich das Sprachverstehen in tatsächlichen Hörsituationen jedoch deutlich. Die Hörgeräte, für die sie sich entschieden habe, kompensierten ihre Hörbehinderung am besten.

Das SG hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte nebst sonstigen Unterlagen beigezogen und sodann ein Gutachten auf hno-ärztlichem Fachgebiet eingeholt, in welchem Dr. med. habil. M , Klinikum St. G gGmbH nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 19. Juni 2009 am 13. Juli 2009 festgestellt hat, im Vergleich zu den Vorbefunden 1998, 2002, 2003 und 2006 sei ein langsames Fortschreiten der mediokochleären Innenohrschwerhörigkeit beidseits festzustellen. Zum Zeitpunkt der Hörgeräteversorgung habe nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hörhilfen keine Indikation für eine beidseitige Hörgeräteversorgung bestanden. Auch zum Untersuchungszeitpunkt bestehe nach den Richtlinien keine Indikation über die Verordnung mit Hörhilfen beidseitig. Aus den Anpassberichten von Juli 2006 bzw. Dezember 2007 gehe ein gleichwertiger Hörgewinn bei der Versorgung sowohl mit den Festbetragsgeräten als auch mit den Hörgeräten der Klägerin hervor. Damit könne die bei der Klägerin bestehende Behinderung mit dem Hörgerät der Basisversorgung medizinisch hinreichend und zweckmäßig ausgeglichen werden. Bei beiden Hörgeräten handele es sich um digitale Hörgeräte. Die Klägerin sei nicht unbedingt auf das Hörgerät K s HP angewiesen, um die bestehende Hörminderung auszugleichen. Mit Festbetragsgeräten sei die gleiche Sprachverständlichkeit erreicht worden. Eine Indikation für eine beidseitige Hörgeräteversorgung habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Unabhängig vom objektiv messtechnisch erfassbaren Hörgewinn durch die unterschiedlichen Hörgeräte könne durch die Auswahl höherwertiger Geräte sicherlich auch ein verbesserter Tragekomfort erreicht werden. Dieser sei jedoch durch die individuellen Ansprüche des Hörgeschädigten und dessen finanzielle Möglichkeiten beeinflusst und nicht Inhalt einer medizinisch notwendigen und zweckmäßigen Versorgung.

Mit Urteil vom 12. Januar 2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Festbetragsregelungen seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich unbedenklich. Nur für den Fall, dass der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag nicht ausreiche, um eine konkret vorliegende Behinderung objektiv auszugleichen, sei die Leistungspflicht der Krankenkasse durch die Festbetragsregelung nicht begrenzt. Die Kammer sei unter Würdigung der vorliegenden Hörprotokolle und des eingeholten Gutachtens zu der Überzeugung gelangt, dass die Versorgung mit einem Hörgerät im Rahmen der Festbetragsgrenze ausreichend und zweckmäßig gewesen wäre.

Gegen das ihr am 3. Februar 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. März 2010 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Probleme beim Verstehen sprachlicher Kommunikation bei Neben- und Störgeräuschen spielten sowohl im Gutachten als auch im Urteil des SG keine Rolle. Auch sei unberücksichtigt geblieben, dass die Hörergebnisse in der Freifeldprüfung bedeutend schlechter ausgefallen seien (55 % Sprachverständlichkeit im Störschall von 60 dB bei einem Nutzschall von 65 dB, was einem Gespräch in normaler Lautstärke mit fast ebenso hohem Lärmpegel in der Umgebung entspreche). Ihr sei es immer darum gegangen, dass die Krankenkasse vollständig die Kosten für Hörgeräte übernehme, die ihre Hörbehinderung am besten ausglichen, somit für die von ihr genutzten Hörgeräte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Leipzig vom 12. Januar 2010 und den Bescheid vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die über der Festbetragsgrenze liegenden Kosten für die Hörgeräteversorgung i.H.v. 2.560,62 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihrer Ansicht nach besteht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch auch deshalb nicht, weil die Entscheidung der Klägerin für die begehrten Hörgeräte bereits im Jahr 2006 und damit vor der Antragstellung bei der Beklagten am 27. Juli 2007 erfolgt sei. Zudem sei ein wesentlicher Gebrauchsvorteil der Hörhilfen der Klägerin gegenüber den angebotenen zuzahlungsfreien Hörhilfen auch für eine berufliche Nutzung nicht ersichtlich.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Nach Ansicht der Beigeladenen zu 1 sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch angesichts des ermittelten Ausmaßes der Hörstörung nicht erfüllt.

Die Beigeladene zu 2 hat zuletzt mit Schreiben vom 28. April 2014 mitgeteilt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht erfüllt, da die Wartezeit von 15 Jahren mit 162 Monaten nicht erfüllt sei.

Die Beklagte hat noch eine sozialmedizinische Stellungahme des MDK vom 18. August 2010 vorgelegt, in welcher Frau Dr. H zunächst ausgeführt hat, zwar handele es sich bei Hörgeräten um Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich, jedoch sei auch nach Auffassung des Bundessozialgerichtes (BSG) der Anspruch durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) begrenzt. Ausgeschlossen seien demnach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet sei. Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung sei eine kostenaufwendige Versorgung nur dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt sei und einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative biete. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht gegeben. Auch wenn das BSG das Sprachverstehen in Störschallbedingungen als maßgeblich für die Versorgung von Versicherten mit Hörgeräten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ansehe, so müsse darauf hingewiesen werden, dass die im Rahmen der Hörgeräteanpassung durchgeführte Störschallmessung vordergründig zum Nachweis des Gebrauchsvorteils einer binauralen gegenüber der einohrigen Hörhilfenversorgung vorgesehen sei, nicht jedoch als standardisiertes Verfahren zur Simulation von Alltagssituationen. Für die Störschallmessung zur Alltagssimulation stünden noch keine als Standard definierte Verfahren zur Verfügung. Soweit die Klägerin darauf verweise, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit auf eine gute Sprachdifferenzierung, Störgeräuschunterdrückung, gutes Verstehen am Telefon und eine Rückkopplungsunterdrückung angewiesen sei, seien die Einschränkungen des Sprachversehens im Störgeräusch durchaus nachzuvollziehen, träten jedoch auch im Alltag auf. Die gegebene Hörgeräteversorgung begründe nicht ausschließlich einen beruflichen Nutzungsvorteil.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 16. März 2012, 28. März 2012, 29. März 2012 und 2. April 2012 mit einer Entscheidung in der Hauptsache durch die Einzelrichterin einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Rechtsweg:

SG Leipzig, Urteil vom 12.01.2010 - S 27 KR 99/08

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch die Vorsitzende und Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden, da die hierfür gemäß § 155 Abs. 4, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen Einverständniserklärungen vorliegen.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet; der geltend gemachte Erstattungsanspruch besteht nicht. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger i.S. von § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) über den Antrag der Klägerin nach allen Rechtsgrundlagen zu befinden hatte, die in der gegebenen Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind; eine Ablehnung ist dem erstangegangenen Rehabilitationsträger, der den Antrag nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX weitergeleitet hat, nur möglich, wenn überhaupt kein Träger die beantragte Leistung zu erbringen hat (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 15 ff.; Hessisches LSG, Urteil vom 19. Juni 2013 - L 6 AL 3/10 - juris Rn. 42).

1. Die Voraussetzungen des für den Bereich des SGB V als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind, sofern die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (zweite Fallgruppe) und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch.

a) Ein Anspruch der Klägerin gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V besteht nicht. Zwar kann eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung unaufschiebbar werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (siehe hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R - juris Rn. 16). Die medizinische Dringlichkeit ist allerdings nicht allein ausschlaggebend. Denn für die erste Fallgruppe wird neben der Unaufschiebbarkeit vorausgesetzt, dass die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung der Krankenkasse vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden. Daraus folgt, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - juris Rn. 23; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11. März 2013 - L 4 KR 32/12 B - juris Rn. 21).

Der Klägerin war die Einschaltung der Beklagten vor der Beschaffung möglich. Ein Unvermögen der Beklagten zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung kann nicht begründet werden.

b) Ein Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V herleiten.

Danach besteht ein Kostenerstattungsanspruch, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Krankenkasse eine vom Versicherten beantragte und ihm rechtlich zustehende Leistung objektiv rechtswidrig verweigert hat, wenn die einschlägigen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen also erfüllt gewesen sind (siehe nur Helbig in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 13 Rn. 54, 56). Das Bestehen eines entsprechenden Sachleistungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu denjenigen Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - juris Rn. 12).

Der Anspruch ist somit gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (st. Rs, z.B. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 28 m.w.N.).

Zu berücksichtigen ist insoweit, dass eine Leistung im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nicht bereits mit der Auswahl des jeweiligen Hilfsmittels "selbst beschafft" ist. Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren notwendig vorgeschaltet und scheidet deshalb - mit Ausnahme von Fällen der Vorfestlegung - als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. Anspruchshindernd ist grundsätzlich erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Unschädlich sind danach Auswahlentscheidungen, die den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind wie z. B. bei der Hörgeräteversorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Geräte, zu der auch eine probeweise Hörgeräteüberlassung gehört. Anderes gilt dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch die Krankenkasse die Abnahme und Bezahlung des Hilfsmittels verlangen kann (z. B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/09 R - juris Rn. 12 und Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -, juris Rn. 44, jeweils m.w.N.).

Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Klägerin bereits vor Antragstellung am 24. Juli 2007 eine endgültige rechtliche Verpflichtung bzgl. der Zahlung der den Festbetrag übersteigenden Kosten für das Hörgerät eingegangen war. Zum einen war sie, wie aus der von ihr unterschriebenen "Kundeninformation" vom 20. März 2006 hervorgeht, von der Fa. K Hörgeräte darüber informiert worden, dass über dem Festbetrag liegende Kosten von ihr zu tragen seien und hat sich trotzdem nicht für eine eigenanteilsfreie Versorgung entschieden (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2013 - L 33 R 550/12 - juris Rn. 58). Auch der Vermerk auf dem Kostenvoranschlag der Fa. K Hörgeräte vom 12. April 2006 "bestätige ich den Eigenanteil inkl. der gesetzlichen Zuzahlung" macht deutlich, dass der Klägerin jedenfalls bewusst war und sie akzeptiert hat, dass die Fa. K Hörgeräte sie zur Bezahlung der den Festbetrag übersteigenden Kosten heranziehen würde. Dem entsprechend wurde ihr nach Ablehnung ihres Antrags vom 24. Juli 2007 mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 der über dem Festbetrag liegende Betrag von der Fa. K Hörgeräte in Rechnung gestellt und von ihr auch beglichen. Zudem hat die Klägerin in ihren Schriftsätzen mehrfach ausgeführt, sie habe sich (im Juli 2006) für ihre Hörgeräte "entschieden". Damit kann eine Kausalität zwischen ggf. rechtswidriger Leistungsablehnung und dem Entstehen der Mehrkosten ausgeschlossen werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Klägerin den Entschluss zum Erwerb der Hörgeräte unbedingt, also unabhängig von der Entscheidung der Beklagten hinsichtlich ihres Antrags auf Übernahme der Mehrkosten, gefasst hatte.

Damit kann dahin stehen, ob die Klägerin unter dem Gesichtspunkt des unmittelbaren Behinderungsausgleichs, für welchen das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts gilt, ggf. Anspruch auf eine Versorgung mit hinsichtlich der Kosten über dem Festbetrag liegenden Hörgeräten gehabt hätte oder ob, wovon sowohl die Gutachterin des MDK Dr. H als auch der vom SG bestellte Gutachter Dr. med. habil. M ausgingen, bereits eine einohrige Versorgung mit einem Festbetragsgerät ihre Hörbehinderung ausreichend ausgeglichen hätte.

2. Soweit die Klägerin mit dem von ihr geltend gemachten Erstattungsanspruch auch einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für Leistungen zur Teilhabe geltend macht (§ 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX i.V.m. § 16 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] bzw. § 97 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung), ist die Beklagte ebenfalls passivlegitimiert (s.o.). Mögliche Anspruchsgrundlage insoweit ist § 15 Abs. 1 Satz 4 2. Alt. SGB IX. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind jedoch ebenfalls nicht erfüllt.

Bei dem - rehabilitationsrechtlichen - Kostenerstattungsanspruch nach § 15 Abs. 1 Satz 4 2. Alt. SGB IX handelt es sich um einen Parallelanspruch zum krankenversicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch wegen rechtswidriger Leistungsablehnung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V. Der Anspruch ist somit gegeben, wenn der nach § 14 SGB IX zuständige Rehabilitationsträger die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und d. Versicherte bzw. Leistungsberechtigte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung d. Versicherten bzw. Leistungsberechtigten ausgelöst hat (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 42). Mangels Vorliegen des erforderlichen Ursachenzusammenhanges (s.o. unter 1. b) sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift ebenfalls nicht erfüllt.

Damit kann dahinstehen, ob entsprechend den Ausführungen der Beigeladenen zu 2 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 SGB VI für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegeben waren. Des Weiteren kann dahin stehen, ob die Klägerin aus beruflichen Gründen in besonderer Weise auf ihr Hörvermögen angewiesen ist bzw. die Voraussetzungen für die Annahme einer besonderen beruflichen Betroffenheit vorliegen.

3. Da § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Außenverhältnis zum Versicherten die Zuständigkeiten aller anderen Träger ausschließt und die Beklagte somit den geltend gemachten Anspruch unter Beachtung aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu prüfen hatte (s.o.), hat (auch) die Beigeladene zu 1 innerhalb des durch den Antrag der Klägerin vom 24. Juli 2007 ausgelösten Verwaltungsverfahrens ihre Zuständigkeit für die Gewährung von Rehabilitationsleistungen verloren (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 26); sie war somit sachlich nicht zuständig für den Erlass der Bescheide vom 29. September 2006 und 1. März 2007.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).

Referenznummer:

R/R7878


Informationsstand: 02.01.2019