Die als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Versorgung mit dem
GPS-Gerät Modell "Trekker Breeze".
1. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V aus der
GKV-Versorgung ausgeschlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.
Bei dem begehrten
GPS-Gerät handelt es sich um ein Hilfsmittel der
GKV, dagegen nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Zur Begründung kann auf die Ausführungen des
BSG für das artgleiche Modell in seinem Urteil vom 25.06.2009 verwiesen werden (
B 3 KR 4/08 R Rn. 10 - 13).
Das begehrte
GPS-Gerät ist im Einzelfall der Klägerin erforderlich, um eine bestehende Behinderung auszugleichen. Für den Ausgleich von Folgen krankheitsbedingter Mobilitätseinschränkungen haben die Krankenkassen im Gefüge der verschiedenen Sozialleistungsträger nur einzustehen, soweit die Bewegung im Nahbereich der Wohnung eines Versicherten betroffen ist und das beanspruchte Hilfsmittel hierfür einen besonderen Gebrauchsvorteil bietet; Auch nach Inkrafttreten des
SGB IX (
§ 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) ist die
GKV nicht für den Ausgleich sämtlicher direkter und indirekter Behinderungsfolgen zuständig. Ihre Aufgabe ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Für darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitationsziele haben hingegen andere Sozialleistungssysteme aufzukommen. Demgemäß ist ein Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung - mittelbarer Behinderungsausgleich - nur "erforderlich" iS von § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33
Nr. 7 jeweils Rn. 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung). Räumlich bezieht sich dies im Bereich der Mobilität auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Dazu ist der Versicherte nach Möglichkeit zu befähigen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegende Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Ausnahmen hiervon hat das
BSG nur bei besonderen zusätzlichen Merkmalen gemacht - etwa im Hinblick auf die besonderen Entwicklungsanforderungen von Kindern und Jugendlichen (- behindertengerechtes Dreirad für Kinder) oder unter besonderen Umständen im Rahmen der medizinischen Versorgung (- schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung,
vgl. BSG, Urt. vom 25.06.2009 -
B 3 KR 4/08 R Rn. 15 - 17).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das
GPS-Gerät, welches die Klägerin begehrt, zum mittelbaren Behinderungsausgleich erforderlich. Es erleichtert bereits die Bewegung im Nahbereich und stellt einen nicht unerheblichen Gebrauchsvorteil zur Verfügung. Bereits im Nahbereich, der vom
BSG räumlich mit dem Bewegungsradius umschrieben wird, den ein Gesunder zu Fuß zurücklegen kann, bietet das Gerät Gebrauchsvorteile. Soweit Versicherte in diesem räumlichen Bereich befähigt werden sollen, einen kurzen Spaziergang zu machen und Alltagsgeschäfte zu erledigen, hat die Klägerin anhand der von der Kammer in der Sitzung durchgeführten Befragung dargelegt, dass sie
z.B. mit dem Gerät in der Lage ist, sich besser zu orientieren als mit dem Langstock. Die Funktion, wonach bereits 20 - 50 m vorher angezeigt wird, um was für eine Art von Kreuzung es sich handelt, ermöglicht der Klägerin ein frühzeitiges "Einhören" in die Regelung des Überganges, ob es sich um eine mit oder ohne Ampeln geregelte Kreuzung handelt. Dies spricht für eine höhere Sicherheit des Fortbewegens bereits im Nahbereich.
Das Gerät ermöglicht auch in anderer Hinsicht mehr Sicherheit und zudem ein völlig selbständiges Bewegen bereits im Nahbereich. Mit dem Langstock ist die Klägerin nach eigener Darstellung nachvollziehbar darauf verwiesen, bekannte, d.h. für blinde Menschen, bereits mindestens einmal von ihnen aufgesuchte Orte anhand äußerer (und innerer) Leitpunkte aufzusuchen. Bereits für solchermaßen bekannte Orte im Nahbereich ermöglicht das Gerät, sich zur Erledigung von Alltagsgeschäften besser und vor allem selbständig zu orientieren. Der Vorteil zeigt sich konkret in den Situationen, in denen Einrichtungen aufgesucht werden sollen, die im bekannten Nahbereich liegen, aber in Straßen oder Ladenzeilen/Einkaufsmalls so nebeneinander liegen, dass sie zwar für jeden Sehenden anhand bestimmter Merkmale (wie Hausnummern, Hinweisschilder) voneinander unterscheidbar sind, nicht aber für die Klägerin als erblindeten Menschen. Die Klägerin hat anschaulich dargestellt, dass es ihr in solchen Fällen nicht möglich ist, ohne fremde Hilfe ein anvisiertes Geschäft oder sonstige Einrichtung aufzusuchen, mit dem
GPS-Gerät dagegen schon. Das
BSG hat für den Bereich der Bewegungseinschränkungen darauf hingewiesen, dass wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung auch der
GKV ist, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig, zumindest aber deutlich weniger abhängig werden. Hier kann der ausschlaggebende funktionelle Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels liegen. Ein Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels kann also auch darin liegen, die selbständige Lebensführung und die zeitliche Dispositionsfreiheit in weit größerem Maße zu sichern als ohne und den Bewegungsspielraum im Nahbereich der Wohnung durch die Unabhängigkeit von fremder Hilfe spürbar zu erweitern (Urt. v. 12.08.2009 -
B 3 KR 8/08 R, Rn. 18
ff., ausgeführt für die Bewilligung eines E-Rollstuhls anstatt einer Schiebehilfe durch die Ehefrau oder sonstige Dritte).
Das
GPS-Gerät ermöglicht zudem im Nahbereich auch bisher unbekannte Einrichtungen selbständig und sicher aufzusuchen. Das Gerät bietet insoweit den Gebrauchsvorteil, das Ziel selbständig zu finden und den zurückzulegenden Weges planen zu können. Damit wird im Ergebnis - so die nachvollziehbar geschilderte Erfahrung der Klägerin - für Blinde bereits im Nachbereich ein vorausschauendes Gehen ermöglicht. So kann mithilfe des Gerätes frühzeitig der genaue Standort des Zieles
z.B. auch unter Angabe der Straßenseite, auf der es sich befindet, vorher ermittelt werden. Die Klägerin hat dargelegt, dass ihr diese Funktion ermöglicht,
z.B. die nächstgelegene Ampel zur Erreichung des gewünschten Zieles zu nutzen. Sie ist nicht darauf angewiesen, erst bei Erreichen des Zieles
z.B. die Straßenseite zu wechseln oder nach einem sicheren Übergang zu suchen. Darüber hinaus ermöglicht gerade diese Funktion, auch im Nahbereich
z.B. bisher nicht benötige Einrichtungen, wie Fachärzte oder Beratungsstellen, selbständig aufzufinden.
Die Grundsätze des
BSG in der Entscheidung vom 25.06.2009 (B 3 KR 4/08 R) führen zu keiner abweichenden Bewertung. Die Gebrauchsvorteile zeigen sich bereits in dem vom
BSG für maßgeblich erachteten Nahbereich der Wohnung. Das gilt auch bei Zugrundelegung des gebotenen abstrakten Maßstabes unter Außerachtlassung der großstädtischen Herausforderungen, denen sich die Klägerin gegenübersieht. Soweit das
BSG den Behinderungsausgleich im Rahmen des Grundbedürfnisses infolge von Blindheit oder Sehbehinderung 1:1 mit demjenigen gleichsetzt, den Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates erfordern, gilt das aus Sicht der Kammer zwar für den räumlichen Bereich; der funktionell geschuldete Ausgleich unterscheidet sich aber (
BSG, aaO, Rn. 18). Zum Grundbedürfnis i.
S. des Erledigens von Alltagsgeschäften kann es gerade auch erforderlich sein, Orte, Einrichtungen oder Menschen im Nahbereich aufzusuchen, die vorher noch nie aufgesucht und bisher nicht bekannt waren. Das oben genannte Beispiel eines (neuen) Facharztes oder einer Beratungsstelle sind nur zwei Beispiele. Ein gehbehinderter Mensch ist dazu mit den für die Bewegungseinschränkung zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln des Rollstuhls oder sonstiger Hilfsmittel (Rollator, Treppenraupe, Schiebehilfen
etc.) ohne weiteres in der Lage. Das Grundbedürfnis wird aber für Blinde und Sehbehinderte, wie der Fall der Klägerin zeigt, allein mit dem Langstock nicht gleichermaßen wie bei gehbehinderten Menschen erfüllt. Es besteht insoweit ein qualitativer Unterschied in der Behinderung und demzufolge auch des notwendigen Ausgleichs bereits im Bereich des Grundbedürfnisses, respektive des Nahbereichs. Zumindest im Sinne eines Anspruchs auf Gleichbehandlung im Behinderungsausgleich kann somit ein zur Orientierung dienendes
GPS-Gerät für blinde Menschen erforderlich sein. Gemessen an diesem Maßstab ist aus Sicht der Kammer nicht erst dann ein Gebrauchsvorteil zum Basisausgleich gegeben, wenn sich der sehbehinderte Mensch nach den Umständen des Einzelfalles ohne
GPS im Nahbereich nicht zumutbar orientieren kann, weil
z.B. Orientierungsdefizite bestehen (dazu
BSG, aaO, Rn. 19). Auch das
BSG hat insoweit darauf hingewiesen, dass entscheidend ist, ob die Orientierung im Nahbereich um die Wohnung für die im Alltag üblichen Wege mit einem
GPS-System für blinde und sehbehinderte Menschen wesentlich verbessert werden kann. Davon ist im Fall der Klägerin auszugehen.
Das Gerät stellt mit den ermittelten Gebrauchsvorteilen schließlich keine unwirtschaftliche, von der
GKV nicht geschuldete Optimalversorgung der Klägerin dar (
BSG, aaO, Rn. 17). Wirtschaftlichere Alternativen mit denselben Gebrauchsvorteilen hat die Beklagte nicht dargelegt und sind der Kammer auch nicht bekannt. Die Alternativversorgung mit einer App für Smartphones, welche die Beklagte in der mündlichen Verhandlung thematisiert hat, kommt für die Klägerin schon deshalb nicht in Betracht, weil sie den Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens eines Smartphones nicht besitzt. Im Übrigen hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass die Verwendung von solchen Apps zwar beworben wird und theoretisch technisch auch für blinde Menschen in Betracht kommt, diese aber in der praktischen Anwendung keinen mit dem begehrten
GPS-Gerät vergleichbaren Vorteile bieten. Das liege schon daran, dass die Smartphones selbst auf eine Nutzung mittels Touchscreen angelegt seien und eine rein sprachlich-akustische Steuerung, auf die blinde Menschen angewiesen seien, nicht zuverlässig funktioniere. Entsprechenden Einwänden begegnet der erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte Verweis der Beklagten auf das preisgünstigere System Kapten plus, welches die Klägerin selbst bereits erworben und praktisch ausprobiert hat. Die Klägerin konnte aufgrund ihrer Nutzung berichten, dass vor dem Hintergrund, dass dieses ursprünglich für Rad- und Motorradfahrer konstruiert wurde, die Handhabung mittels Stimme und Einsprechen der Route/des Zieles - gerade im öffentlichen, typischerweise nicht geräuscharmen Straßenraum - praktisch nicht zuverlässig funktioniert.
2. Es kann nach dem o.g. Ausführungen offen bleiben, ob ein Anspruch der Klägerin als solcher der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach
§§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -
iVm § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX alternativ in Betracht kommt. Soweit die Beklagte - zuletzt in ihrer Klageerwiderung - selbst davon ausgeht, ist sie auch für diesen möglichen Leistungsanspruch gegenüber der Klägerin zuständig. Die Beklagte ist nach
§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX als erstangegangene Rehabilitationsträgerin im Verhältnis zur Klägerin zur Prüfung auch der weiter in Betracht zu ziehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen verpflichtet. Danach verliert der materiell-rechtlich - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beklagte Krankenkasse) eine iS von § 14
Abs. 1
SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Diese Zuständigkeit nach § 14
Abs. 2 Satz 1
SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (
BSG, aaO, Rn. 22). Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin insoweit nicht fristgerecht weitergeleitet. Die Klägerin hat dargelegt, dass außerhalb des von der Krankenkasse abzudeckenden Bedürfnisses der Bewegung im Nahbereich durch das begehrte Gerät im ferneren Bereich (
z.B. bei der Nutzung des
ÖPNV) weitere Gebrauchsvorteile bestehen, zumindest die Gefahr des Sich-Verirrens an unbekannten Orten wirksam begegnet werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.