Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe, der durch Bescheid vom 18.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 abgelehnt worden ist.
Der Bescheid des Beklagten vom 18.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der für die funktionelle Belastungserprobung aufgewandten Kosten. Da diese bis zum Ende der mündlichen Verhandlung noch nicht nachgewiesen waren, konnte das Gericht nach § 130
Abs. 1 Satz 1
SGG nur zur Leistung dem Grunde nach verurteilen.
1. Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung ist die Regelung in
§ 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Danach ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht werden kann oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde.
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm liegen vor.
Der Beklagte ist der zuständige Rehabilitationsträger für Leistungen der Eingliederungshilfe. Nach § 3
AG SGB XII LSA ist der Beklagte für Leistungen der Eingliederungshilfe zuständig.
Die Erstattung der Kosten für die durchgeführte funktionelle Belastungserprobung wurde zu Unrecht abgelehnt. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt voraus, dass ein entsprechender Sachleistungsantrag Erfolg gehabt hätte. Dies ist hier der Fall.
a) Rechtsgrundlage für die zunächst begehrte Sachleistung ist die Regelung in
§§ 53,
54 Abs. 1 SGB XII und
§ 33 SGB IX. Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (§ 53
Abs. 1
SGB XII). Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 53
Abs. 3
SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Dazu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder zu erleichtern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 54
Abs. 1
SGB XII unter anderem die in § 33
SGB IX genannten Leistungen sowie nach § 54
Abs. 1 Satz 1
Nr. 2
SGB XII Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule.
b) Der Kläger gehört zum anspruchsberechtigten Personenkreis für Leistungen der Eingliederungshilfe. Er leidet an einer wesentlichen Behinderung, die sein Hör- und Sehvermögen erheblich einschränkt. Das Ziel der Eingliederungshilfe kann durch die begehrte Leistung erreicht werden. Der Kläger studierte an einer Hochschule. Die funktionelle Belastungserprobung diente konkret dazu, die für die Prüfung erforderliche Belastbarkeit festzustellen. Damit dient die Belastungserprobung dazu, den Besuch der Hochschule zu erleichtern. Zum Besuch der Hochschule gehört auch der für den jeweiligen Studiengang vorgesehene Abschluss. Der Abschluss ist erforderlich, um den Beruf Jurist ausüben zu können.
c) Die Belastungserprobung ist eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 54
Abs. 1 Satz 1
SGB XII iVm § 33
SGB IX. Nach § 33
SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen nach § 33
Abs. 3
Nr. 6
SGB IX sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Nach
§ 13 Abs. 1 Nr. 5 Eingliederungshilfe-Verordnung umfassen die Hilfen zur schulischen Ausbildung für eine angemessenen Beruf vor allem die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule. Nach § 13
Abs. 2 EinglHV wird diese Hilfe nach Absatz 1 gewährt, wenn 1. zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahme erreicht wird, 2. der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist und der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bietet oder falls dies wegen der Art oder der Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.
Die durchgeführte Belastungserprobung war hier geeignet und auch erforderlich, um die Erwerbsfähigkeit des Klägers herzustellen, da der Kläger erst mit Abschluss des Studiums in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit als Jurist auszuüben. Diese angestrebte Tätigkeit ist auch angemessen. Der Kläger ist in der Lage, als Jurist zu arbeiten, wie das abgeschlossene Staatsexamen und die inzwischen ausgeübte Berufstätigkeit zeigen. Diese Tätigkeit sichert die Lebensgrundlage des Klägers, der seit Beginn seiner Beschäftigung unabhängig von existenzsichernden (aufstockenden) Leistungen des örtlichen Sozialhilfeträgers ist. Die Erwerbsminderungsrente sichert den Lebensunterhalt nicht, weil der Zahlbetrag zu gering ist.
Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Belastungserprobung hier nicht entbehrlich. Zwar ist es zutreffend, dass vor der Entscheidung des Landesjustizprüfungsamtes über die Gewährung von Nachteilsausgleichen nur eine amtsärztliche Stellungnahme eingeholt muss. Welche medizinischen und sonstigen Unterlagen der Amtsarzt für seine Entscheidung benötigt, legt der Arzt fest. Hier war das Ergebnis der Belastungserprobung jedoch zur Akte gelangt und wurde von der Amtsärztin auch berücksichtigt. Der Kläger gab glaubhaft an, dass die Amtsärztin ohne die Erkenntnisse aus der Belastungserprobung die getroffene Einschätzung nicht in gleicher Weise möglich gewesen wäre, zumal es sich um eine sehr seltene Erkrankung handelt. Die Erkenntnisse, die der Kläger durch die fünftägige Belastungserprobung gewonnen hat, hätte die Amtsärztin im Rahmen des halbstündigen Gesprächs anlässlich der Begutachtung vermutlich nicht in gleicher Weise gewinnen können. Der Kläger hat glaubhaft geschildert, welchen Weg er als mit seiner Erkrankung vertraute Person zurückgelegt hat, um zu der Erkenntnis zu gelangen, auf welche Weise er die Nachteile seiner Erkrankungen ausgleichen kann. Insofern hat das Ergebnis der Belastungserprobung dazu geführt, dass die Entscheidung über die Nachteilsausgleiche erleichtert wurde. Die Belastungserprobung war erforderlich, um zunächst festzustellen, welche Anforderungen der Kläger im Rahmen einer Prüfungssituation bewältigen kann. So hatte sich bei der vorher jahrelang durchgeführten Examensvorbereitung herausgestellt, dass der Kläger mit einer Lupenbrille nur maximal 4 bis 5 Stunden schreiben konnte. Das nur mündliche Ablegen des Staatsexamens war nicht gestattet worden. Das Anwenden einer Diktiersoftware führte nicht dazu, dass der Kläger schneller schreiben konnte. Der Kläger versuchte auch das Schreiben mit einer Assistentin. Auch auf diese Weise konnte er jedoch maximal 3 bis 4 Stunden schreiben. Die Schrift am eigenen
PC musste zudem so groß eingestellt werden, dass der Kläger maximal ein bis zwei Sätze auf einer Seite lesen konnte. Im Ergebnis der Belastungserprobung, in der neben der augenärztlichen Sicht auch arbeitspsychologische Aspekte berücksichtigt worden sind, stellte sich dann heraus, dass das Verwenden einer Diktiersoftware, das Schreiben mit einer Assistenzperson und auch das Erlernen der Blindenschrift ungeeignet waren. Später erblindete Menschen wie der Kläger gelangen nicht auf dieselbe Arbeitsgeschwindigkeit wie von Geburt an blinde Personen. Schließlich stellte sich auch heraus, dass sich das Sehvermögen durch eine Stresssituation wie eine Prüfung nochmals verschlechtern kann. Diese Erkenntnis, dass es sich um eine stressbedingte vorübergehende und keine dauerhafte Verschlechterung des Sehvermögens handelte, war für den Kläger wichtig, um die Prüfung überhaupt erst anzugehen. Für den Kläger am besten geeignet war nach dem Ergebnis der Belastungserprobung das Schreiben ohne Hilfsmittel mit der Hand.
Entgegen der Auffassung des Beklagten können die Teilhabeziele auch dann erreicht werden, wenn eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen wird. Zwar wird teilweise zur Regelung in § 10
SGB VI vertreten, dass in Fällen, in denen der Versicherte bereits eine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung bezieht, eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht in Betracht komme, weil dem Versicherten die notwendige Rehabilitationsfähigkeit fehle (
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.01.2010 -
L 1 R 632/08 - juris, nachfolgend
BSG, Urteil vom 11.05.2011 -
B 5 R 54/10 R - juris) oder die Erwerbsfähigkeit von bereits voll erwerbsgeminderten Personen nicht verbessert werden könne (
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.10.2008 -
L 1 R 393/06). Dabei wird außer Acht gelassen, dass es Personen geben kann, die bereits voll erwerbsgemindert sind und aus diesem Grund eine Rente wegen ihrer geminderten Erwerbsfähigkeit beziehen und deren Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gleichwohl verbessert oder wiederhergestellt werden kann,
z. B. wenn der Versicherte die Leistung benötigt, um den Weg zur Arbeit zurückzulegen. Insofern sind die Ausführungen des
BSG in seiner Entscheidung vom 11.05.2011 - B 5 R 54/10 R - Rnr. 47 unter Verweis auf die Entscheidung des Senats vom 23.02.2000 -
B 5 RJ 8/99 R - Rnr. 19 nicht für alle Fallgestaltungen zutreffend. Das Bundessozialgericht führt aus, dass es bei bestehender Erwerbsunfähigkeit nicht ausreiche, wenn zwar die geminderte Erwerbsfähigkeit verbessert, nicht aber die Erwerbsunfähigkeit beseitigt werden könne. Zum einen wurde die in Bezug genommene Entscheidung vom 23.02.2000 zu einem Zeitpunkt getroffen, als die Regelung in § 10
Abs. 1
Nr. 2c
SGB VI noch nicht in Kraft getreten war. Nach dieser Norm können im Fall der teilweisen Erwerbsminderung ohne Aussicht auf Besserung auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden, wenn dadurch der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Seit dem Inkrafttreten dieser Norm reicht es aus, dass zwar die Erwerbsminderung nicht beseitigt, wohl aber die Erwerbsfähigkeit verbessert werden kann. Diese Regelung wurde mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I
S. 1827) mit Wirkung zum 01.01.2001 eingeführt. Auch diesem bereits dauerhaft erwerbsgeminderten Personenkreis sollen demnach Teilhabeleistungen zugutekommen. Mit dieser Regelung wird bezweckt, den Arbeitsplatz von teilweise erwerbsgeminderten und erwerbstätigen Versicherten zu erhalten (BT-Drs. 14/4230
S. 24). Letztlich muss genau unterschieden werden, ob sich die Auswirkungen der Erkrankung oder Behinderung durch eine Teilhabeleistung verringern lassen. In bestimmten Fällen wie dem vom
BSG in seinem Urteil vom 11.05.2011 entschiedenen Fall wird sich die Erwerbsfähigkeit auch mit einer Teilhabeleistung nicht verbessern lassen. Demgegenüber ist die Aussicht auf eine Verbesserung der Erwerbsfähigkeit
z. B. bei "lediglich" wegeunfähigen Personen sehr viel größer. So kann ein wegeunfähiger Versicherter mit einem entsprechend ausgestattetem Kraftfahrzeug erwerbstätig sein. Außerhalb der Regelung in § 10
SGB VI ist durch § 53
Abs. 3
SGB XII klargestellt, dass es ausreicht, dem behinderten Menschen durch die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben die Ausübung eines angemessenen Berufs zu erleichtern.
Die aufgewandten Kosten sind unter Berücksichtigung der an insgesamt 5 Tagen durchgeführten Begutachtung nicht unwirtschaftlich.
d) Einkommen und Vermögen des Klägers sind nach
§ 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 SGB XII nicht zu berücksichtigen. Ermessen war nach § 53
Abs. 1 Satz 1
SGB XII nicht auszuüben, weil der Kläger zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen gehört.
3. Im Ergebnis hatte der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf eine Sachleistung gegen den Beklagten, deren Gewährung zu Unrecht abgelehnt wurde. Der Kläger war aufgrund der selbst beschafften Leistung einer Zahlungsverpflichtung ausgesetzt, deren Erstattung er vom Beklagten nach
§ 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verlangen kann. Dabei ist unschädlich, dass der Kläger diese Kosten inzwischen selbst beglichen hat. Der Antrag auf die Leistung wurde vorher gestellt (
BSG, Urteile vom 21.03.2001 -
B 5 RJ 8/00 R und vom 09.12.2010 - B 13 RJ 83/09 R - juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.