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Urteil
Anspruch auf stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation - Notwendigkeit ständiger ärztlicher Verantwortung

Gericht:

LSG Hamburg 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 KR 51/21


Urteil vom:

20.01.2022


Grundlage:

Orientierungssätze:

1. Versicherte haben gegen ihre Krankenkasse nur dann Anspruch auf stationäre medizinische Rehabilitation, wenn diese notwendig unter ständiger ärztlicher Verantwortung durchgeführt werden muss und dabei nicht lediglich die Gewährung von Unterkunft in einem nicht gefährdenden Milieu mit Anleitung zur Bewältigung lebenspraktischer und beruflicher Anforderungen im Vordergrund stehen soll (vgl BSG vom 26.6.2007 - B 1 KR 36/06 R = BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4 und vom 19.6.2018 - B 1 KR 87/17 B).

2. Aus den vorgenannten Entscheidungen ergibt sich, dass die Frage, ob es sich bei einer Adaptionsbehandlung im Anschluss an eine Drogenentwöhnungstherapie um eine medizinische Rehabilitationsleistung mit Zuständigkeit der Krankenkassen nach dem SGB 5 handelt, nicht allgemein beantwortet werden kann.

3. Es bedarf jeweils einer individuellen Prüfung des Einzelfalls und dabei einer Bewertung sowohl des Angebots der Einrichtung, in der die Adaptionsbehandlung erbracht wird, als auch und vor allem des Inhalts der konkret zu beurteilenden Maßnahme.

Rechtsweg:

SG Hamburg, Urteil vom 23. April 2021 - S 46 KR 1391/17

Quelle:

Landesrecht Hamburg

Tenor:

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert wird für das Klage- und das Berufungsverfahren auf 19.114,30 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Adaptionsmaßnahme.

Der 1956 geborene, langjährig alkoholabhängige R.T. (im Folgenden: Versicherter) bezieht seit 2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, jedenfalls im streitigen Zeitraum aufgestockt durch Leistungen der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Er ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und befand sich zu deren Lasten im Zeitraum vom 5. bis zum 15. Dezember 2014 im B. zur wiederholten stationären Entgiftungsbehandlung und anschließend im zum S. (S.) H. gehörenden Haus O. in B1 zur stationären Vorsorge. Von dort aus wurde eine stationäre Entwöhnungsbehandlung beantragt, die dann im Zeitraum vom 27. April bis zum 18. August 2015 ebenfalls zu Lasten der Beklagten in der Fachklinik H1 des S.H. erfolgte.

Am 30. Juli 2015 beantragte der Versicherte mit Hilfe der Fachklinik H1 bei der Beklagten auf einem Formular der Deutschen Rentenversicherung ("Antrag auf Verlängerung einer Leistung oder Änderung der Leistungsform zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke") die "Weiterführung" der stationären Entwöhnungsbehandlung "als Adaption". Beigefügt war eine ärztliche Stellungnahme, wonach der Versicherte weiterführende professionelle Unterstützung in einer suchtmittelfreien Umgebung benötige. Dies bilde die Voraussetzung für eine erfolgreiche soziale und berufliche Eingliederung. Die Bearbeitung der Themen, die er im Verlauf der Behandlung begonnen habe, sei nicht abgeschlossen. Noch immer falle es dem Versicherten schwer, sich anderen gegenüber mit seinen echten emotionalen Inhalten zu öffnen und anzuvertrauen. Sich auf diesem Wege anstatt durch Rückzug und Suchtmittelkonsum in Krisen zu entlasten, müsse sich als Verhaltensmuster noch weiter stabilisieren. Die Suche nach geeignetem neuen Wohnraum - der Versicherte war seit Längerem ohne festen Wohnsitz und zuletzt vor Beginn der stationären Krankenhausbehandlung in einem Männerwohnheim untergekommen - werde Zeit benötigen. Auch dafür biete die stationäre Adaption den geeigneten Rahmen. Darüber hinaus könne der Versicherte dort weitere Schritte in Richtung seiner beruflichen Orientierung unternehmen. Seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Waldhilfsarbeiter könne er nicht mehr bewältigen.

Die Beklagte leitete den Antrag noch am selben Tag an die Klägerin weiter.

Die Adaptionsmaßnahme wurde im Zeitraum vom 18. August 2015 bis zum 16. Februar 2016 von der T. (T.) durchgeführt. Die Kosten in Höhe von kalendertäglich zunächst 101,00 Euro (bis zum Jahresende 2015) und dann 104,00 Euro (ab Anfang 2016) trug vorläufig die Klägerin, die jedoch mit Schreiben vom 1. und 30. September 2015 gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch anmeldete.

Die Beklagte lehnte diesen ab, da es sich bei der Maßnahme nicht um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) handle. Eine Erstattung durch die gesetzliche Krankenkasse sei daher nicht möglich.

Nachdem die Klägerin die Beklagte zuletzt mit Schreiben vom 31. Mai 2016 vergeblich zur Begleichung eines Gesamterstattungsbetrages in Höhe von 19.114,30 Euro (136 Tagessätze á 101,00 Euro, 47 Tagessätze á 104,00 Euro zuzüglich Fahrtkosten in Höhe von dreimal 102,40 Euro und einmal 183,10 Euro) aufgefordert hatte, hat sie am 28. Juli 2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung dieses Betrags "nebst Zinsen gemäß § 102 ff. des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X)" begehrt.

Zur Begründung hat sie unter Bezugnahme auf von der Rechtsprechung entwickelte Abgrenzungsgrundsätze im Wesentlichen vorgetragen, die streitige Adaptionsmaßnahme habe eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Sinne des § 40 SGB V dargestellt, in der es unter der Leitung fachmedizinischen Personals vorrangig darum gegangen sei, durch psychologische Behandlungen einem Rückfall in die Sucht vorzubeugen. Entscheidend sei, dass die Maßnahme ausweislich des Entlassungsberichtes und der ärztlichen Stellungnahme zum Antrag auf Verlängerung der Adaptionsmaßnahme überwiegend durch eine Behandlung zur Sicherung der in der Entwöhnungsbehandlung begonnenen medizinischen und psychosozialen Probleme des Versicherten im Sinne einer therapeutischen Einheit geprägt gewesen sei. Es hätten beim Versicherten zu Beginn der Adaption erhebliche Unsicherheiten bei Sozialkontakten sowie ein Reaktionsverhalten mit verbaler Aggression und Rückzug bei Verbesserungsvorschlägen vorgelegen. Außerdem sei es zu einer vorübergehenden Depression und einem Alkoholrückfall gekommen, was auch medikamentös und therapeutisch behandelt worden sei. Dies zeige, dass die Entwöhnungstherapie ihr Ziel noch nicht vollständig erreicht habe, sodass eine unmittelbare Fortsetzung im Rahmen der Adaptionsbehandlung erforderlich gewesen sei. Bei den ebenfalls erbrachten Behandlungen zur besseren beruflichen und sozialen Integration habe es sich lediglich um unterstützende, ebenfalls therapeutisch ausgelegte Maßnahmen gehandelt. Zudem habe der Versicherte eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen, sodass eine berufliche Rehabilitation bereits deshalb nicht im Vordergrund gestanden haben dürfte. Schließlich sei im Entlassbrief eine sich anschließende stationäre Eingliederungshilfemaßnahme zur Förderung der sozialen Wiedereingliederung für den Versicherten empfohlen worden, sodass es sich bei der Adaptionsmaßnahme nicht auch um eine soziale Rehabilitationsmaßnahme gehandelt haben könne.

Die Beklagte hat demgegenüber auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 R - verwiesen, welches auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. Inhalt der in der T. angebotenen Adaptionsmaßnahme sei danach gerade keine medizinische Rehabilitation, was sich aus der auf der Homepage der Einrichtung dargestellten Beschreibung der Adaptionsmaßnahme sowie dem Entlassungsbericht ableiten lasse. Ihr habe kein ärztlicher Behandlungsplan zugrunde gelegen, aus dem sich eine medizinische Ausrichtung ergebe. Es habe sich um eine eigenständige isolierte Maßnahme mit Zielsetzungen vorrangig nichtmedizinischer Ausrichtung gehandelt, für welche die Klägerin im Rahmen der Eingliederungshilfe zuständig sei. Das werde bereits durch die Dauer des extern durchgeführten Praktikums deutlich. Daran könnten auch weder der Rückfall des Versicherten noch dessen Stimmungseintrübungen etwas ändern, denn dadurch werde die Adaptionsmaßnahme nicht nachträglich Teil der vorausgegangenen und abgeschlossenen Entwöhnungsbehandlung. Dass im Bedarfsfalle auch ärztlich-therapeutische Unterstützungsmöglichkeiten vorhanden gewesen seien, verändere den Charakter der Adaptionsmaßnahme nicht.

Hierauf hat die Klägerin erwidert, die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des BSG vermöge nicht zu überzeugen, sodass nicht allein auf die fachlich-medizinische Ausrichtung der Behandlung abgestellt werden könne, sondern vielmehr auf das Rehabilitationsverständnis des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Das SG hat über die Klage am 23. April 2021 mündlich verhandelt und diese mit Urteil vom selben Tag als unbegründet abgewiesen.

Rechtsgrundlage der Entscheidung sei § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX. In S. 1 bis 3 Hs. 1 der Vorschrift heiße es: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. ... Für unzuständige Rehabilitationsträger, die eine Leistung nach Abs. 2 Satz 1 und 2 erbracht haben, ist § 105 SGB X nicht anzuwenden."

Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 R, juris), der die Kammer uneingeschränkt folge, bestehe eine Zuständigkeit für Krankenkassen für die Kostentragung einer Adaptionsmaßnahme nur dann, wenn die Voraussetzungen nach den §§ 9 bis 11 SGB VI nicht vorlägen, die Voraussetzungen der §§ 27 und 40 SGB V hingegen erfüllt seien. Die Zuständigkeit der Beklagten für die Adaptionsmaßnahme sei nur dann gegeben, wenn nach ihrem materiellen Recht der Versicherte die Leistung hätte beanspruchen können. § 40 Abs. 2 SGB V bestimme, dass es um eine medizinische Rehabilitationsleistung unter ständiger ärztlicher Verantwortung gehe, bei der nicht lediglich die Gewährung von Unterkunft in einem nichtgefährdenden Milieu mit Anleitung zur Bewältigung lebenspraktischer und beruflicher Anforderung im Vordergrund stehen solle. Die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe allein in der medizinischen Rehabilitation nach Maßgabe des SGB V, also der möglichst weitgehenden Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüberhinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibe Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, a.a.O.).

Wie sich aus §§ 40 ff., § 11 Abs. 2 SGB V ergebe, setze medizinische Rehabilitation im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung ihrem Hauptzweck nach eine stationäre Behandlung der Patienten voraus, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegen zu wirken (Vorsorge) oder um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen, auch mit dem Ziel eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Rehabilitation), wobei Leistungen der aktivierenden Pflege nicht von den Krankenkassen übernommen werden dürften (vgl. § 107 Abs. 2 Nr. 1 SGB V). Neben dieser Zielsetzung müsse die Maßnahme erfordern, dass die Einrichtung in organisatorischer, institutioneller Hinsicht "fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung" stehe und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sei, den Gesundheitszustand des Patienten "nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkung zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen".

Die Kammer könne nicht erkennen, dass der Adaptionsmaßname ein bestimmter ärztlicher Behandlungsplan zugrunde gelegen habe, aus dem sich in erster Linie eine medizinische Ausrichtung der Maßnahme ergebe. Im Vordergrund hätten vielmehr nichtmedizinische Ziele und Mittel gestanden, nämlich die berufliche und soziale Integration des Versicherten.

Das Ziel der Maßnahme ergebe sich aus Sicht des Gerichts zunächst aus der Selbstdarstellung auf der Internetseite der T. (https://alida.de/menschen-mit-suchterkrankungen/adaption/). Dort heiße es in einem Informationsflyer (Stand: 01/2020):

Schritte zu einem neuen Alltag

Sie wollen nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung jetzt abstinent und selbstständig leben? Dann ist es für Sie wichtig, Ihren Therapieerfolg zu festigen und Schritt für Schritt auszubauen. Mit unserer T. (T.) können Sie Ihren neuen Weg in eine berufliche und gesellschaftliche Wiedereingliederung beginnen.

In der Adaption bieten wir Ihnen den nötigen Rückhalt für die Entwicklung und eigenverantwortliche Gestaltung eines selbstbestimmten und suchtmittelfreien Lebens.

Wir unterstützen Sie durch

- Beratung zur Arbeitsintegration

- Externes Praktikum zur Belastungserprobung

- Bewerbungs- und Soziales Kompetenztraining

- EDV-Schulungen

- Beratung und Therapie in Einzel- und Gruppengesprächen

- Fachärztliche Begleitung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation.

Hieraus werde deutlich, dass sich die Einrichtung selbst das Ziel gesetzt habe, die Rehabilitanden beruflich und gesellschaftlich wieder einzugliedern. Die fachärztliche Tätigkeit stelle dabei allein eine diesem Ziel untergeordnete Begleitmaßnahme dar.

Dies werde auch bestätigt durch die in der Akte der Einrichtung befindliche Zielvereinbarung zwischen dem Versicherten und der Einrichtung. Dort würden die Ziele der Maßnahme in Kategorien in folgender Reihenfolge aufgeführt (soweit von Relevanz werden die handschriftlichen Eintragungen wiedergegeben):

- Gesundheit ("Abstinenz wahren", "für Bewegung sorgen").

- Praktikum/Arbeit/Beruf

- Persönlichkeitsentwicklung

- Wohnen

- Soziales Netz

- Selbsthilfegruppe

- Freizeit/Alltagsstrukturierung

- Finanzielle Situation

- Juristische Situation

- Sonstiges

- Erforderliche begleitende medizinische/psychotherapeutische Maßnahmen

- (...).

Bei dieser Liste falle zunächst auf, dass die medizinischen und therapeutischen Maßnahmen schon in der Benennung der Ziele noch nach der Kategorie "Sonstiges" erschienen und dann im hier zu beurteilenden Fall auch keine Eintragungen enthielten, woraus geschlussfolgert werden könne, dass bei Aufnahme medizinische Aspekte anders als bei einer Rehabilitation im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB V nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten. Demgegenüber seien die im Entlassbericht des S. H1 formulierten suchttherapeutischen und psychotherapeutischen Ziele (z.B. Krankheitseinsicht, Rückfallprophylaxe, Verbesserung Impulskontrolle, Problemlösefähigkeit, Selbstwahrnehmung, Frustrationstoleranz) im Schwerpunkt klar medizinischer Natur, und sozialarbeiterische sowie berufsbezogene Ziele (Freizeitaktivitäten ausbauen, trockene Kontakte fördern und Pflege) ergänzten die Entwöhnungsbehandlung am Rande. Die Kammer erachte es danach für fernliegend, dass die Adaptionsmaßnahme in der T., wie von der Klägerin behauptet, lediglich eine fortgesetzte Entwöhnungsbehandlung habe darstellen sollen. Im Antrag des S. vom 21. Juli 2015 sei vielmehr die Rede von einer benötigten suchtmittelfreien Umgebung nach Beendigung der Entwöhnungsbehandlung als Voraussetzung für eine erfolgreiche soziale und berufliche Eingliederung des Versicherten sowie der Möglichkeit, im Rahmen der Adaptionsmaßnahme geeigneten Wohnraum zu suchen und weitere Schritte in Richtung seiner beruflichen Orientierung zu unternehmen.

Das gleiche Bild zeichne sich auch mit Blick auf den Personalstand der T. ab, welcher im Wesentlichen durch nicht-medizinisches Personal gekennzeichnet sei:

Funktion Stellenanteil

Fachärztliche Leitung 0,25

Therapeutische Leitung 0,5

Psychologie 0,5

Sozialarbeit/Pädagogik 2,27

Praktikumsvermittlung/-betreuung 0,5

Budget Berufsförderungswerk 0,2

Prägend für die Adaptionsmaßnahme sei des Weiteren das Praktikum des Versicherten auf dem Kinderbauernhof gewesen, welches ausweislich der Vereinbarung zwischen der Praktikumsstelle, dem Versicherten und der T. der Wiederherstellung seiner beruflichen Erwerbsfähigkeit habe dienen sollen und an dem der Versicherte im Zeitraum vom 7. September 2015 bis zum 31. Januar 2016 für 4 bis 5 Stunden täglich und somit in einem großen zeitlichen Umfang teilgenommen habe. Auch dieser wesentliche Bestandteil der Adaptionsmaßnahme habe klar keinen medizinischen Ansatz verfolgt.

Aus der psychotherapeutischen Verlaufsdokumentation resultiere ebenfalls nichts anderes. Zwar hätten sehr regelmäßig psychotherapeutische Sitzungen mit dem Versicherten stattgefunden, und dort seien zum Teil auch Auslöser der Sucht wie z.B. familiäre Konflikte mit ihm erörtert worden, der weit überwiegende Teil erschöpfe sich aber in der Besprechung lebenspraktischer Aspekte wie Wohnungssuche, Behördenangelegenheiten, Freizeitbeschäftigungen, Praktikum auf dem Kinderbauernhof, Betreuungsverfahren, Geldangelegenheiten (Rente) etc. Dies treffe ebenso auf die zwischen den Sozialpädagogen und dem Versicherten durchgeführten Gespräche zu.

Abweichendes ergebe sich ferner nicht aus dem Umstand, dass der Versicherte nach dem Rückfall Anfang Januar 2016 und dem kurzzeitigen depressiven Einbruch medikamentös und damit auch medizinisch in der T. behandelt worden sei. Hierin zeige sich für das Gericht zum einen die allein begleitende Rolle der Mediziner und Psychotherapeuten, zum anderen sei die Einrichtung in einer solchen Situation schlicht dazu gezwungen gewesen, medizinisch zu intervenieren, was allerdings nichts am sozialen Gesamtcharakter der Maßnahme ändere.

Schließlich spiegele auch der Entlassbericht der T. den bisher gewonnenen Eindruck des Gerichtes wider, denn die ergriffenen medizinischen Maßnahmen würden nur knapp beschrieben (Ziffer 8.1 und 8.2 a. E.) und bezögen sich ausschließlich auf den Alkoholrückfall. Anders als die Beklagte meine, spiele es auch keinerlei Rolle, wie die T. die Adaptionsmaßnahme selbst in rechtlicher Hinsicht qualifiziere oder mit welchen Termini mögliche Anschlussmaßnahmen belegt würden, maßgeblich für die Einordnung sei allein der objektiv zu beurteilende Inhalt dessen, was tatsächlich stattgefunden habe.

In der Zusammenschau werde daher aus der Adaptionsmaßnahme insgesamt keine Rehabilitationsmaßnahme, in der medizinische Gesichtspunkte derart im Vordergrund gestanden hätten, dass sie als eine solche im Sinne des § 40 Abs. SGB V zu werten wäre.

Gegen dieses ihr am 29. April 2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Mai 2021 eingelegte Berufung der Klägerin.

Sie rügt zunächst die Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör sowie auf - im Berufungsverfahren nachgeholte - Akteneinsicht, weil ihr durch das SG erstmals im Rahmen der dortigen mündlichen Verhandlung eröffnet worden sei, dass die gesamte Patientenakte der T. beigezogen worden sei. In dieser fänden sich jedoch entscheidungserhebliche Unterlagen. Darüber hinaus habe das SG sich nicht mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, wonach das BSG in der Entscheidung vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 -, auf die sich das SG stütze, von einem inhaltlich überholten Verständnis der medizinischen Rehabilitationsleistungen ausgegangen sei. So habe bereits der Gesetzgeber zur Begründung der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2001 ergangenen Neufassung des § 11 Abs. 2 SGB V ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es bei der medizinischen Rehabilitation nicht vorrangig auf die gestörte Organfunktion ankomme, sondern diese vielmehr dazu diene, den Folgen von Krankheiten in Form von Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen vorzubeugen, sie zu beseitigen oder zu bessern oder wesentliche Verschlimmerungen abzuwenden (BT-Drs. 14/1245, S. 61). Darin liege ein deutlicher Widerspruch zu der bisher vom BSG vertretenen Auffassung. Im SGB IX komme ein umfassendes Verständnis der medizinischen Rehabilitation zum Ausdruck, wonach zu dieser auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, insbesondere Hilfen zur Unterstützung der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, Hilfen zur Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen gehörten; auch würden als Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie, Belastungserprobung und Arbeitstherapie sowie die Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung genannt. Schließlich gehe aus näher bezeichneten Begutachtungs- und Rehabilitationsrichtlinien sowie Leitfäden hervor, dass es sich entgegen der vom BSG in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2007 geäußerten Auffassung auch nach dem eigenen Rehabilitationsverständnis der Krankenversicherungen bei der medizinischen Rehabilitation nicht um eine auf die Krankenbehandlung beschränkte Leistung handele, sondern dass dieser vielmehr ein umfassender Behandlungsauftrag zugrunde liege, der nur durch ein interdisziplinär besetztes Behandlungsteam verwirklicht werden könne.

Aber selbst, wenn man der Auffassung des BSG folge, habe es sich bei der verfahrensgegenständlichen Rehabilitationsmaßnahme um eine medizinische Maßnahme gehandelt. Die Ausführungen des SG, dass nicht in erster Linie eine medizinische Ausrichtung der Maßnahme, sondern vielmehr nichtmedizinische Ziele und Mittel, nämlich die berufliche und soziale Integration des Versicherten im Vordergrund gestanden hätten, sei unzutreffend.

Die T. sei eine zertifizierte Adaptionseinrichtung, die mit fachmedizinischem Personal alkohol- oder medikamentenabhängigen Personen psychosoziale Behandlungsmaßnahmen anbiete. Die Adaption könne nur im Anschluss an eine stationäre oder teilstationäre Entwöhnungsbehandlung erfolgen, stehe unter ärztlicher Verantwortung und diene insbesondere dazu, den bereits erzielten Behandlungserfolg zu sichern und zu festigen, eine dauerhafte Abstinenz zu erreichen und zu erhalten und körperliche und seelische Störungen weitgehend zu beheben oder auszugleichen sowie die möglichst dauerhafte Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf, Schule und Gesellschaft zu erhalten bzw. zu erreichen.

Bereits aus dem Antrag auf Änderung der Leistungsform an die Beklagte vom 21. Juli 2015 ergebe sich, dass bei dem Versicherten nach Beendigung der Entwöhnungsbehandlung weiterer therapeutischer Bedarf zur Stabilisierung seiner Persönlichkeit und zur Verhinderung eines Rückfalls in den Suchtmittelkonsum in Krisen bestanden habe. Entsprechend fänden sich sowohl im ärztlichen Aufnahmebefund vom 27. August 2015 als auch im Entlassbericht der T. umfangreiche Ausführungen zu noch vorhandenen Gesundheitsstörungen des Versicherten sowie zu deren Entwicklung während der Maßnahme. In der Therapievereinbarung zwischen der T. und dem Versicherten vom 19. August 2015, in den Praktikumsvereinbarungen sowie in einem Schreiben der T. an die Beklagte vom 10. Dezember 2015 werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Versicherte mit der Adaption an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teilnehme.

Aus den Wochenplänen und der psychotherapeutischen Verlaufsdokumentation gehe das Ausmaß der Therapiegruppengespräche sowie der Gespräche mit dem Versicherten über seine familiären Konflikte, die Auslöser seiner Sucht gewesen seien, die weitere Stabilisierung des Versicherten und seine Rückfallgefährdung sowie weitere Krisensituationen, seine Stimmungslage, seine Krankheiten wie Polyneuropathie, seinen Rückfall und seine Medikation hervor.

Da im Anschluss an die Adaptionsbehandlung eine stationäre Eingliederungshilfemaßnahme zur Förderung der sozialen Wiedereingliederung empfohlen und beantragt worden sei, könne es sich bei der Adaptionsbehandlung nicht auch schon um eine soziale Rehabilitationsmaßnahme gehandelt haben.

Das SG habe sich zu Unrecht für die Beurteilung eines Sachverhalts aus den Jahren 2015 bis 2016 auf den Internetauftritt der T. aus dem Jahr 2020 gestützt, und dass, obwohl es gleichzeitig ausgeführt habe, dass die rechtliche Qualifizierung durch die T. keine Rolle spiele.

Schließlich trägt die Klägerin vor, dass das SG zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass aus der Zielvereinbarung zwischen dem Versicherten und der Einrichtung hervorgehe, dass medizinische Aspekte nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten. Bereits an erster Stelle werde "Gesundheit (Rückfallgefahren, Hilfen für Abstinenzerhaltung, akute gesundheitliche Beschwerden, Einschränkungen für die Erwerbsfähigkeit)" angeführt, wonach "die Abstinenz zu wahren" und "für Bewegung zu sorgen" der Schwerpunkt der Behandlung seien. Auch sei unter dem Punkt "Persönlichkeitsentwicklung" vereinbart worden, "Themen aus der Therapie, die weitergeführt werden sollen wie u.a. das Lernen, besser mit Ärger und Kränkungen umzugehen, Umgang mit Schamgefühlen/Selbstwertdefiziten" in der Adaption zu behandeln. Damit spiegelten sich wesentliche Elemente einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Zielvereinbarung wieder. Das SG habe übersehen, dass in dem der streitigen Maßnahme zugrundeliegenden Antrag bei dem Versicherten nach Beendigung der Entwöhnungsbehandlung ein weiterer therapeutischer Bedarf zur Stabilisierung seiner Persönlichkeit zur Verhinderung eines Rückfalls in den Suchtmittelkonsum in Krisen gesehen worden sei. Das Praktikum wiederum habe der Psyche und damit medizinischen Aspekten gedient. Die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sei kaum mehr möglich gewesen.


Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. April 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie - die Klägerin - 19.114,30 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % nach Maßgabe des § 108 Abs. 2 SGB X zu zahlen.


Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht keine Verfahrensfehler des SG und hält dessen angefochtene Entscheidung für überzeugend. Die Klägerin übersehe, dass zum Zeitpunkt der vom SG zutreffenderweise herangezogenen Entscheidung des BSG vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06R - die von ihr genannten "neueren" Rehabilitationsansätze sämtlich vorgelegen hätten. Die zitierte Bundestagsdrucksache stamme aus dem Jahr 1999, die Begutachtungsrichtlinie aus dem Jahr 2005, die Rehabilitationsrichtlinie aus dem Jahr 2004. Es sei davon auszugehen, dass der damals zuständige 1. Senat des BSG diese Grundsätze und Richtlinien zur umfassenden Rehabilitation gekannt und trotzdem (?) oder gerade deshalb entschieden habe, dass die gesetzliche Krankenversicherung nur zuständig sei, wenn es sich um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme nach § 40 Abs. 2 SGB V handele.

Dies sei bei der streitigen stationären Adaptionsmaßnahme nicht der Fall gewesen. Die Grenzziehung zwischen medizinischer Rehabilitationsmaßnahme im Sinne des Krankenversicherungsrechts und einer Adaptionsmaßnahme, die in erster Linie die berufliche und soziale Integration der Betroffenen zum Ziel habe, möge schwierig sein, wenn auch psychologische Aspekte zum Aufbau der Teilhabe am Leben vorhanden seien. Die Leistungspflicht der Krankenkassen sei vom BSG zutreffend auf solche Leistungen beschränkt worden, die konkret unter ärztlicher Aufsicht und Verantwortung stünden (Hinweis auf Hauck/Noftz, SGB, 10/19, § 40 SGB V, Rn. 35 ff.). Eine solche konkrete ärztliche Aufsicht wie in der klinischen Entzugsbehandlung habe bei der Adaptionsmaßnahme der Einrichtung T. eben nicht im Vordergrund gestanden. Die Adaptionsmaßnahme habe als weiterführendes Behandlungskonzept der Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft gedient, wie das SG u.a. unter Einbeziehung das Entlassberichts des S. H1 und des Antrags auf Weiterbehandlung zur sozialen Eingliederung überzeugend festgestellt habe. Eine Rehabilitationsmaßnahme, die sich an eine medizinische Maßnahme anschließe, baue in der Regel auf das erreichte Behandlungsziel (hier die Entwöhnung) auf und diene der weiteren Genesung. Eine solche Maßnahme in Form der Adaptionsbehandlung unterstütze auf dem Weg zu einer selbstständigen, abstinenten Lebensführung bei der beruflichen Integration. Gerade dieser Schwerpunkt lasse sich auch im Konzept der T. wiederfinden. Das Ziel, "sich anderen gegenüber mit seinen echten emotionalen Inhalten zu öffnen und anzuvertrauen", sei doch Grundlage der Integration ins soziale und auch berufliche Leben. Der Versicherte sei zwar nur "wahrscheinlich bis zu unter 3 Stunden arbeitsfähig", aber eine Beschäftigung, die ihm Tagesstruktur verleihe, habe in seinem Fokus gestanden und dürfte auch der Schwerpunkt der Adaptionsmaßnahme gewesen sein, um sowohl der Rückfallgefahr als auch einer Depression zu begegnen. Durch das "(monatelange!)" Praktikum habe der Versicherte eine "verstärkte Einbindung in die Kontakte seiner Herkunftsfamilie" entwickelt und eine "stabil bessere Einbettung" erreicht.

Soweit die Klägerin auf den Internetauftritt der Einrichtung T. Bezug nehme und kritisiere, dass das SG sich auf eine zum Zeitpunkt der Entscheidung aktuelle Internetseite aus dem Jahr 2020 stütze, so sei dem entgegenzuhalten, dass sich in der Verwaltungsakte der Beklagten ein Internetauftritt mit Datum 26. Oktober 2017 befinde, der eine wortgleiche Beschreibung der Adaption der T. wie die spätere, vom Gericht verwendete beinhalte. Danach habe sich das Konzept der Einrichtung mit Schwerpunkt der Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft bis heute offenbar nicht verändert. Die Unterstützung erfolge danach durch Beratung zur Arbeitsintegration, externes Praktikum zur Belastungserprobung, Bewerbungs- und soziales Kompetenztraining, EDV-Schulungen, Beratung und Therapie in Einzel- und Gruppengesprächen sowie fachärztliche Begleitung im Rahmen medizinischer Rehabilitation. Eine fachärztliche Begleitung erfolge demnach auch, aber erst unter ferner liefen.

Bezeichnend sei auch, dass federführender Beleger die Deutsche Rentenversicherung N. sei. Die Einrichtung verfolge demnach nicht schwerpunktmäßig eine medizinische Rehabilitationsbehandlung, für die die Krankenkassen zuständig wären, sondern eine Wiedereingliederung in das abstinente gesellschaftliche Leben.

Alles in allem könne die Klägerin mit ihrer Argumentation, dass der Versicherte vorrangig medizinisch behandelt worden sei, nicht überzeugen. Die Adaptionsmaßnahme sei weder eine "fortgesetzte Entwöhnungsbehandlung" noch eine therapeutische Einheit mit der Entzugsbehandlung unter vergleichbaren medizinischen Gesichtspunkten gewesen, denn es fehle an einem ärztlichen Behandlungsplan und schwerpunktmäßig ärztlichem Fachpersonal. Dass eine fachärztliche Begleitung, insbesondere bei Rückfällen, vorgehalten werde, ändere nichts am Charakter einer Adaptionsmaßnahme mit dem Ziel, eine suchtmittelfreie Umgebung zu bieten, um den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen. Hierfür seien die Krankenkassen nicht zuständig.

Auf entsprechende gerichtliche Anfrage haben die Beteiligten ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Patientenakte des Versicherten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat die zulässige Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung von 19.114,30 Euro und dementsprechend auch keinen solchen auf Zahlung von Zinsen.

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung. Der Berufungserwiderung der Beklagten ist nicht viel hinzuzufügen, sodass auch hierauf Bezug genommen werden kann.

Die von der Klägerin gerügten Verfahrensverstöße durch das SG - so sie denn vorgelegen haben - sind durch die mittlerweile erfolgte Akteneinsicht in die Patientenakte des Versicherten und die Äußerungsmöglichkeiten im Rahmen der zweiten Tatsacheninstanz geheilt worden.

Das SG hat der Entscheidung zu Recht die vom BSG im Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 R - aufgestellten Grundsätze zugrundegelegt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Rechtslage nach dem SGB V sich seither geändert hat. So legt auch das von der Klägerin in Bezug genommene LSG Baden-Württemberg in dem Urteil vom 10. Oktober 2017 - L 11 KR 131/16 - dieselben Maßstäbe an. Dementsprechend hat auch das BSG mit dem auf jenes Urteil ergangenen Beschluss vom 19. Juni 2018 - B 1 KR 87/17 B - die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Die von der Klägerin angeführten Äußerungen in Gesetzgebungsverfahren und Richtlinien stammen zum einen aus einer Zeit lange vor der Entwicklung der BSG-Rechtsprechung zur Reha-Abgrenzungsproblematik und stehen zum anderen nicht im Widerspruch zu dieser, sondern befassen sich in erster Linie mit der Abgrenzung einer medizinischen Reha von einer kurativen Behandlung. Auch der erkennende Senat hat sich bereits mit den nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 30. Januar 2019 - L 1 KR 122/18 NZB und L 1 KR 123/18 NZB - der Rechtsauffassung des BSG angeschlossen. An beiden Verfahren war die hiesige Klägerin in derselben Eigenschaft beteiligt, und in den Gründen heißt es unter anderem:

Nach diesem Maßstab ist hier nicht erkennbar, aus welchem Grund dem Streit zwischen den Beteiligten grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte. Denn es fehlt jedenfalls an einer Klärungsbedürftigkeit, weil die Rechtslage durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits hinreichend geklärt ist.

Die Beklagte sieht es als grundsätzliche Rechtsfrage an, ob der Begriff der medizinischen Rehabilitation nur kurative Maßnahmen oder wegen des modernen Rehabilitationsverständnisses auch adaptive Maßnahmen im Rahmen einer umfassenden Rehabilitation umfasst.

Das Bundessozialgericht hat zu dieser Frage bereits in seinem Urteil vom 26. Juni 2007 (B 1 KR 36/06 R) klar Stellung bezogen. Danach haben Versicherte gegen ihre Krankenkasse nur dann Anspruch auf stationäre medizinische Rehabilitation, wenn diese notwendig unter ständiger ärztlicher Verantwortung durchgeführt werden muss und dabei nicht lediglich die Gewährung von Unterkunft in einem nicht gefährdenden Milieu mit Anleitung zur Bewältigung lebenspraktischer und beruflicher Anforderungen im Vordergrund stehen soll. Wie sich aus dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 19. Juni 2018 (B 1 KR 87/17 B) ergibt, entspricht dies auch weiterhin der Auffassung des Bundessozialgerichtes.

Aus diesen Entscheidungen ist allerdings ablesbar, dass die Frage, ob es sich bei einer Adaptionsbehandlung im Anschluss eine Drogenentwöhnungstherapie um eine medizinische Rehabilitationsleistung mit Zuständigkeit der Krankenkassen nach dem SGB V handelt, nicht allgemein beantwortet werden kann. Es bedarf jeweils einer individuellen Prüfung des Einzelfalls und dabei einer Bewertung sowohl des Angebots der Einrichtung, in der die Adaptionsbehandlung erbracht wird, als auch und vor allem des Inhalts der konkret zu beurteilenden Maßnahme.

Im Rahmen dieser konkreten Betrachtungsweise kommt der erkennende Senat vorliegend zu derselben Bewertung der streitigen Behandlung des Versicherten in der Einrichtung der T. wie das SG, wonach es sich aus den vom SG ebenso wie von der Beklagten in der Berufungserwiderung überzeugend dargelegten Erwägungen nicht um eine medizinische Reha handelte.

Das SG hat zunächst zutreffend ausgeführt, dass bei der Qualifizierung der Maßnahme auf deren objektiven Inhalt und nicht auf die - gegebenenfalls aufgrund fehlerhafter rechtlicher Einordnung falsche - Bezeichnung durch die hieran Beteiligten abzustellen ist.

Das SG hat auch zu Recht den Internetauftritt der T. zur Beurteilung des Charakters der streitigen Adaption mit herangezogen, weil sich hieraus eine Gewichtung der grundsätzlich in diesem Zusammenhang durchgeführten Maßnahmen, der Ansatz und die Schwerpunkt-setzung der Einrichtung ergeben. Dass die herangezogene Darstellung aus dem Jahr 2020 (die im Übrigen sowohl der aktuellen als auch der von der Beklagten angeführten aus dem Jahr 2017 entspricht) einen anderen Inhalt gehabt haben soll als im streitigen Zeitraum im Jahr 2015/2016 ist weder vorgetragen noch wahrscheinlich. Diese Darstellung hat das SG nicht allein, sondern im Zusammenhang mit weiteren, den konkreten Versicherten betreffenden Unterlagen zur angezeigten Beurteilung der konkreten Maßnahme herangezogen.

Die Klägerin vermag mit ihrem Berufungsvortrag nicht den zutreffenden Hinweis des SG darauf zu entkräften, dass aus den "Zielvereinbarungen Adaption" schon durch die Reihenfolge der aufgeführten Bereiche, insbesondere aber auch durch den Umstand, wo welche handschriftlichen Eintragungen vorgenommen wurden und wo nicht - Letzteres insbesondere bei den am Ende stehenden "erforderlichen begleitenden medizinischen/psychotherapeutischen Maßnahmen" -, ein deutlicher Hinweis auf den nicht in erster Linie medizinischen, sondern vielmehr sozial-integrativen Charakter der Adaptionsmaßnahme besteht. Denn dies steht im Einklang mit den Angaben des Versicherten im "Bewerberbogen", in dem er als Erwartungen und Ziele "der Adaptionsbehandlung/der sozialen Rehabilitation" (die hier von der Einrichtung selbst tatsächlich bezeichnenderweise nebeneinander genannt werden) eine weitere Festigung in seiner Abstinenz und das Finden einer Wohnung nennt.

Schließlich fällt auf, dass in dem von der T. im Rahmen des am Ende der streitigen Adaptionsmaßnahme an die Klägerin gerichteten Antrags auf eine nachfolgende "stationäre Soziale Rehabilitation" eingereichten "Gesamtplans Eingliederungshilfe für Suchtkranke" genannten "Leitziele der Antrag stellenden bzw. leistungsberechtigten Person" sowie "wichtigen Zwischenschritte, um, wie angestrebt, wohnen und leben zu können (Rahmenziele)" im Wesentlichen ebenso auf die vorherige und vorliegend streitige Adaptionsmaßnahme passen würden. Genannt werden eine Wohnung, eine Tätigkeit wie ein Minijob oder ein Ehrenamt, um den Tag mit Arbeit zu strukturieren (ausdrücklich mit diesem Wunsch hatte der Versicherte ausweislich des "Entlassberichts Adaption" die streitige Maßnahme begonnen, weil er sich ohne eine Beschäftigung, die ihm auch den Alltag strukturiert, rückfallgefährdet sah), sowie die Aufrechterhaltung der wiederhergestellten familiären Kontakte. Um dies zu gewährleisten, sollten insbesondere die Abstinenz gesichert und die körperliche Fitness durch Bewegung gestärkt werden.

Da es sich bei der nachfolgenden "stationären Sozialen Rehabilitation" auch nach Auffassung der T. und der Klägerin nicht um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme handelte, sondern diese als Maßnahme der Eingliederungshilfe in die Zuständigkeit der Klägerin fällt, vermag die sich hiervon unterscheidende Einordnung der streitigen Adaptionsmaßnahme nicht zu überzeugen.

Auch erschließt sich nicht, warum der Umstand, dass nachfolgend unstreitig eine Eingliederungshilfemaßnahme erfolgte, eine dementsprechende Einordnung der Adaptionsmaßnahme ausschließen sollte. Mit der gleichen Berechtigung könnte man anführen, dass die Einordnung der zuvor durchgeführten stationären Entwöhnungsbehandlung als medizinische Rehabilitationsmaßnahme eine entsprechende Qualifizierung der Adaptionsmaßnahme ausschließe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 3 S. 1, 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und berücksichtigt, dass die endgültige Streitwertfestsetzung durch das SG und die darauf beruhende schriftsätzliche Antragstellung der Klägerin im Berufungsverfahren einen offenbaren und daher unbeachtlichen Schreibfehler in Gestalt eines Zahlendrehers (19.411,30 Euro anstelle von 19.114,30 Euro) enthalten.

Referenznummer:

R/R9471


Informationsstand: 22.08.2022