Der Kläger beansprucht, die ihm nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) um 20 vH zuerkannte Verletztenrente nach einer
MdE um 30 vH zu bemessen.
Der im Jahre 1944 geborene Kläger erlitt am 29. Mai 1973 während seiner versicherten Tätigkeit im Studentenwerk einen Unfall, als er auf einer Schicht Tapetenleim ausrutschte, ohne zu stürzen. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 1982 das Ereignis zwar als Arbeitsunfall anerkannt, dessen Entschädigung mangels dauerhafter Folgen aber abgelehnt hatte, verurteilte das Sozialgericht München (SG) die Beklagte, dem Kläger die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil vom 26. Juli 1984). Die Berufung der Beklagten dagegen hatte keinen Erfolg (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -
LSG - vom 9. August 1988).
Nach Einholung eines chirurgischen Gutachtens des
Prof. Dr. P, der eine Chondropathia patellae rechts als Unfallfolge mit einer
MdE um 20 vH feststellte, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27. Juni 1990 Dauerrente nach einer
MdE um 20 vH.
Im anschließenden auf Zubilligung einer
MdE um 30 vH gerichteten Klageverfahren hat das SG ein chirurgisches Gutachten des
Dr. Dr. K vom 11. November 1994 eingeholt, in dem dieser die unfallbedingte
MdE unter Hinweis auf die Tabellen im unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum (Mollowitz; Izbicki/Neumann/Spohr; Schönberger/ Mehrtens/Valentin) und die dort beschriebenen Schäden am Knie bzw Bein mit einer
MdE von höchstens 20 vH bewertet hat.
Durch Urteil vom 4. April 1995 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Stützung seiner dagegen eingelegten Berufung hat der Kläger ein Gutachten des
Dr. J vom 2. September 1996 vorgelegt, in dem dieser die
MdE wegen des Knieschadens mit 30 vH und zusätzlich eine aufgrund des Stockstützengebrauchs entstandene schmerzhafte bzw fibröse Schultersteife als unmittelbare Unfallfolge bewertet hat. Die Einzel-
MdE hierfür betrage 10 vH, ohne jedoch die Gesamt-
MdE zu erhöhen.
Der daraufhin vom
LSG von Amts wegen gehörte Arzt für Orthopädie
Dr. F hat in seinem Gutachten vom 19. Januar 1998 die Auffassung vertreten, dass die Schulterbeschwerden des Klägers nicht als mittelbare Unfallfolgen anerkannt werden könnten. Der Unfallschaden am rechten Kniegelenk sei wegen der Funktionseinbußen mit maximal 10 vH zu bewerten. Nachdem der Kläger seinerseits eine - weitere - gutachterliche Stellungnahme des
Dr. J vom 30. September 1998 vorgelegt hatte, hat das
LSG gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auf Antrag des Klägers ein arbeitsmedizinisches Gutachten des
Prof. Dr. Dr. D vom 30. Juni 2000 eingeholt. Dieser hat die Schulterbeschwerden als Unfallfolge und den Knieschaden rechts unter Zugrundelegung eines "Beurteilungsblatts für den Knie-Leistungs-Index der Mayo-Clinic" mit mindestens 30 vH beurteilt.
Durch Urteil vom 4. Oktober 2001 hat das
LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Annahme einer höheren
MdE als 20 vH sei nicht zu rechtfertigen. Hinsichtlich der Gesundheitsstörungen des Klägers an den Schultern könne mit den gutachterlichen Beurteilungen des
Dr. F, des
Dr. K und des
Prof. Dr. P der ursächliche Zusammenhang nicht bejaht werden. Hinsichtlich der Verletzungsfolgen am rechten Kniegelenk setze die Annahme einer
MdE um 20 vH voraus, dass eine Restbeweglichkeit von 0-0-90 oder eine nicht kompensierbare Instabilität vorliege. Der Kläger könne das Kniegelenk indes bis 125 beugen und bis 0 strecken, so dass von der Funktion her höchstens eine
MdE um 10 vH anzusetzen wäre. Die geringfügige Instabilität könne muskulär ausgeglichen werden. Die
MdE sei daher mit 20 vH schon relativ hoch angesetzt; 30 vH seien nicht zu rechtfertigen. Damit würde der Kläger einem Verletzten mit komplett eingesteiftem Gelenk gleichgestellt. Das beim Kläger bestehende so genannte "giving-way-Syndrom" sei kein Wackelknie und auch keine muskulär nicht kompensierbare Schwäche des Bandapparates. Die gutachtlichen Stellungnahmen des
Dr. J überzeugten insoweit nicht. Auch das Gutachten des
Prof. Dr. Dr. D führe nicht zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis. Der Annahme, die Schulterbeschwerden seien Unfallfolge, sei nicht zu folgen, weil der Kläger die Krücken nur zum Schutz vor den etwaigen Auswirkungen des "giving-way-Syndroms" benutze und nicht zur ständigen Übernahme des Körpergewichts beim Gehen. Auch der Einschätzung der
MdE wegen des Knieschadens mit 30 vH sei nicht zu folgen.
Der von dem Sachverständigen zugrunde gelegte "Knie-Leistungs-Index der Mayo-Clinic" stimme offensichtlich nicht mit den hier einschlägigen
MdE-Erfahrungswerten für die gesetzliche Unfallversicherung überein. Dem Antrag des Klägers auf eine erneute medizinische Begutachtung zu der Frage, ob der von
Prof. Dr. Dr. D"vorgeschlagenen Methode zur Ermittlung der
MdE" zu folgen sei, sei nicht zu entsprechen, da es sich in der Sache nicht um eine medizinische, sondern um eine rechtliche Frage handele.
Mit seiner - vom Bundessozialgericht (
BSG) wegen Verfahrensmangels zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen Rechts. Das
LSG habe die ihm gemäß § 103
SGG obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Pflicht zur Durchführung eines "fairen Verfahrens" sowie die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung verletzt. Das
LSG habe Ermittlungen unterlassen, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen. Aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht sei es darauf angekommen festzustellen, wie hoch der Grad der
MdE durch die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls zu bemessen sei. Dazu hätten mehrere Gutachten von medizinischen Sachverständigen mit unvereinbaren Aussagen vorgelegen.
In dieser Situation habe es das
LSG unterlassen, vor einer abschließenden Würdigung der Beweise alle weiteren Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um Widersprüche zu konkretisieren, zu verringern oder gar auszuräumen. Hätte das
LSG seiner Amtsermittlungspflicht genügt, hätte es festgestellt, dass die unterschiedlichen Gutachtenergebnisse hinsichtlich der Höhe der
MdE nicht in einer unterschiedlichen Bewertung derselben Befunde begründet seien, sondern ganz wesentlich auf unterschiedlichen Befunderhebungsmethoden beruhten. Das angefochtene Urteil könne deswegen auf dem gerügten Mangel der Verletzung des § 103
SGG beruhen, weil ohne Unterlassung weiterer Aufklärungsmaßnahmen das
LSG mehr Einsicht in die Beurteilungsgrundlagen für die unterschiedlichen
MdE-Grade gehabt hätte, um dann der Überzeugensten folgen zu können. Die Pflicht zur Durchführung eines "fairen Verfahrens" gebiete es, dass das Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejahen dürfe. Daher sei die Anhörung des Klägers zu der Frage der Notwendigkeit und der Art des Gebrauchs von Stockstützen erforderlich gewesen. In deren Unterlassung liege zugleich ein Missbrauch des richterlichen Rechts auf freie Beweiswürdigung. Das
LSG habe ferner die ihm gemäß § 106 Abs 1
SGG obliegende Pflicht, auf die Stellung zweckdienlicher Anträge hinzuwirken, verletzt. Der Vorsitzende des erkennenden Senats des
LSG habe es unterlassen, den Kläger zur Erläuterung seines Hilfsantrages auf Einholung eines Ergänzungsgutachtens zu veranlassen. In diesem Falle wäre der Antrag dahin gestellt worden, das Ergänzungsgutachten zu der Frage einzuholen, ob die im Gutachten
Prof. Dr. Dr. D zur exakteren
MdE-Bestimmung herangezogenen Verfahren (Magnetresonanztomographie, isokinetische Muskelfunktionsprüfung, apparative Ganganalyse) nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft im Fall des Klägers zugrunde zu legen seien.
Das
LSG habe schließlich in mehrfacher Hinsicht die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung verletzt, indem es seine Entscheidung nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens gestützt habe. So habe es die wesentlichen Befunde im Gutachten des
Prof. Dr. Dr. D vom 30. Juni 2000 völlig übergangen. Es habe die darin angeführten Grundlagen der
MdE-Bewertung nicht umfassend zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es habe insoweit nur behauptet, nicht aber begründet, dass das von dem Sachverständigen zugrunde gelegte Beurteilungsblatt für den Knie-Leistungs-Index der Mayo-Clinic nicht mit den hier einschlägigen
MdE- Erfahrungswerten übereinstimme. Das genannte Beurteilungsblatt sei ein rein medizinisches Instrument zur Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes eines komplexen Kniegelenkes, das in der Fachwelt seit längerem zunehmende Beachtung finde. Das angefochtene Urteil könne deswegen in seiner
MdE-Bemessung auf diesem Verfahrensmangel beruhen, weil das
LSG ohne die Unterlassung der umfassenden Kenntnisnahme und Würdigung der Grundlagen der
MdE-Bemessung die Eignung der von
Prof. Dr. Dr. D verwendeten Methoden hätte erkennen können und daher auch zu einer
MdE um 30 vH hätte gelangen können. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens habe darüber hinaus die beratungsärztliche Stellungnahme des
Prof. Dr. H vom 23. Juli 2000 gehört, die das
LSG völlig übergangen habe. Hätte das
LSG diese Stellungnahme berücksichtigt, hätte es erkannt, dass die Auffassung der Beklagten, die
MdE betrage nur 20 vH, nicht auf schlüssigen und überzeugenden Argumenten beruhe.
Zum Gesamtergebnis des Verfahrens habe ferner die gutachtliche Stellungnahme des Orthopäden
Dr. J vom 12. Dezember 2000 gehört, die das
LSG ebenfalls völlig übergangen habe. Auch darauf könne das angefochtene Urteil beruhen, da
Dr. J nachweise, dass die
MdE-Bemessung des
Prof. Dr. H unvollständig, die des
Prof. Dr. Dr. D aber umfassend sei. Weiter habe das
LSG seine Pflicht zur Würdigung des gesamten Verfahrensergebnisses verletzt, indem es es unterlassen habe, die Methoden der Befunderhebung zu prüfen und zu vergleichen. Die Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung bestehe in der Unterlassung der Prüfung der Befunderhebungsmethoden, wie sich aus dem Fehlen jeglicher Ausführungen dazu im angefochtenen Urteil ergebe. Unstreitig sei, dass medizinische Gutachter bei der Schätzung des Grades der
MdE den neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft zu berücksichtigen, die Funktionseinbußen und nicht den Substanzverlust zu bewerten und die Funktionseinbußen möglichst objektiv zu erfassen hätten. Es habe also von Seiten der Gutachter gegolten, mit möglichst objektiven Methoden die Beschwerden des Klägers zu erfassen. Das
LSG hätte pflichtgemäß prüfen und vergleichen müssen, mit welchen Befundungsmethoden welche objektiven Messwerte dazu in den Gutachten des
Prof. Dr. P, des
Dr. Dr. K und des
Dr. F zu finden seien. Dann hätte das
LSG erkannt, dass in den genannten Gutachten als einzige objektive Messwerte die Beugefähigkeit mittels orthopädischem Winkelmesser und der Oberschenkelumfang mit einem Schneiderbandmaß aufgenommen worden seien. Nicht einmal die für den erfahrenen Gutachter einfach und rasch durchzuführende manuelle Abschätzung der Streckkraft im Kniegelenk sei durchgeführt worden.
Demgegenüber hätte sich das
LSG davon überzeugen können, dass
Prof. Dr. Dr. D sich durch unmittelbare Messungen methodisch und konsequent Aufschluss über die funktionellen Einbußen verschafft und sie systematisch ausgewertet habe. Er habe die wesentlichen Strukturen durch Magnetresonanztomogramme, die Knieleistungsfähigkeit durch isokinetische Muskelfunktionstests und den Gehvorgang durch apparative kinematische und kinetische Ganganalyse untersucht. Die Ursache für die unterschiedlichen
MdE-Bemessungen durch die Gutachter seien somit leicht zu erkennen gewesen. Das
LSG habe ferner das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht gewürdigt. Es habe es unterlassen, die Gutachten bezüglich der Mitteilung des klinischen Erfahrungswissens der Gutachter zur "Chondropathia patellae" zu vergleichen.
Das
LSG habe es ferner unterlassen, die verschiedenen Gutachten auf die Grundlagen für ihre
MdE-Bemessung hin zu überprüfen. Schließlich habe das
LSG die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung dadurch verletzt, dass es bei seiner
MdE-Bemessung einen tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz angewendet habe. In der gesamten Bewertungsliteratur, in der
MdE-Grade für die Anwendung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zusammengestellt seien, finde sich kein einziges Mal ein
MdE-Grad zum Krankheitsbild der Chondropathia patellae. Weder das
LSG noch sämtliche Gutachten, auf die sich das Gericht stütze, wiesen eine einzige positive Übereinstimmung in den gesamten Funktionseinbußen, die mit dem Krankheitsbild der Chondropathia patellae einhergingen, mit einem tabellierten Wert nach. Erstmals in den "Anhaltspunkten" 1996 sei ein Bewertungsrahmen für die Folgen von "retropatellaren Chondromalazien" mit
MdE-Graden von 10 bis 40 vH vorgeschlagen. Zwar seien diese Werte nach allgemeiner Auffassung nicht für die gesetzliche Unfallversicherung gültig, aber unter den bestehenden Umständen erscheine es methodisch gerechtfertigt, sich in dem benachbarten Rechtsgebiet zumindest orientierend zu informieren. Das angefochtene Urteil habe schließlich auch dadurch gegen § 103
SGG verstoßen, dass es einen Beweisantrag ohne hinreichenden Grund abgewiesen habe. Das sei nur möglich gewesen, nachdem der Vorsitzende des erkennenden Senats zuvor schon seine Pflicht gemäß § 106
SGG verletzt habe. Ziel des Hilfsantrages sei eine Unterrichtung des Gerichts über den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft gewesen. Dem so korrekt ausgelegten Antrag hätte stattgegeben werden müssen. Das
LSG hätte aus dem Ergänzungsgutachten entnehmen können, dass die im Gutachten des
Prof. Dr. Dr. D verwendeten Methoden der Befunderhebung längst zum Stand der medizinischen Wissenschaft gehörten und teilweise schon ihren Eingang in den klinischen Alltag gefunden hätten. Mit ihnen seien Erkenntnisse - insbesondere über funktionelle Zusammenhänge - zu gewinnen, die mit althergebrachten Verfahren nicht zu erhalten seien, und die somit auch der
MdE-Bemessung bessere Entscheidungsgrundlagen lieferten. Das angefochtene Urteil könne deswegen in seiner
MdE-Bemessung auch auf dem gerügten Mangel der Verletzung des § 103
SGG beruhen, weil ohne die ungerechtfertigte Antragsabweisung das
LSG spätestens aus dem Ergänzungsgutachten hätte erkennen können, dass eine
MdE von 30 vH angemessen sei.
Abschließend bitte er den Senat um Überprüfung, ob die außergewöhnlich lange Verfahrensdauer von bisher schon fast drei Jahrzehnten nicht gegen Prinzipien des Rechtsstaates verstoße. Allein für die Gerichtsverfahren zur Frage des Grades der
MdE seien bisher über elf Jahre in Anspruch genommen worden. Unter höherrangigen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erscheine es kaum zumutbar, den Kläger auf ein weiteres Verfahren vor dem
LSG zu verweisen. Aus Gründen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz erschiene es daher angemessen, wenn der Fall durch ein Urteil in der Sache zum Abschluss gebracht würde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 04.10.2001 (Az.
L 3 U 189/95) und das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.04.1995 (Az. S 24 U 653/90) sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.06.1990 (Az. 8-10-V 042 780 B) in der Fassung des Folgebescheides vom 01.08.1991 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verurteilen, neben den schon in den genannten Bescheiden bindend anerkannten unfallbedingten gesundheitlichen Funktionsstörungen (beruhend auf dem Krankheitsbild einer "Chondropathia patellae" am rechten Knie), Muskelminderung am rechten Bein, Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks, röntgenologisch sichtbare Aufbrauch- und Verschleißerkrankung im Sinne einer Knorpelerweichung und - rückbildung im Bereich der rechten Kniescheibenrückseite (Chondropathia patellae), Kniegelenksinstabilität rechts nach schwerer Zerrung des rechten Kniegelenks mit Knorpelverletzung" noch zusätzlich folgende objektiv festgestellte Funktionsstörungen am rechten Knie "durch Magnetresonanztomografie gesicherte Minderung des Muskelquerschnitts insbesondere der Streckmuskulatur des rechten Oberschenkels um insgesamt fast 1/4, durch isokinetische Muskelfunktionstests gemäß Leistungsbeschreibung zu isokinetischen Test- und Trainingssystemen laut Anforderungen der Unfallversicherungsträger ("
BG-Norm") ermittelte Minderung des Streckdrehmoments um rund 2/3 und Minderung des spezifischen Muskelarbeitsvermögens um rund 4/5 (jeweils im Vergleich verletzte rechte Seite gegen unverletzte linke), durch apparative Ganganalyse bestätigte Gangunsicherheit sowie Giving- Way-Phänomen rechts" als Unfallfolge anzuerkennen und die gesamten unfallbedingten Gesundheitsstörungen des rechten Kniegelenks ab dem 01.01.1978 mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH zu bemessen sowie die Beklagte außerdem dazu zu verurteilen, dem Kläger die Kosten aller Rechtszüge zu erstatten,
hilfsweise,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, jedoch nur an einen anderen Spruchkörper als den 3. Senat.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückzuverweisen ist. Die festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung darüber, ob dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 29. Mai 1973 Verletztenrente nach einer höheren
MdE als 20 vH zusteht und ggf ab wann das der Fall ist, nicht aus. Das angefochtene Urteil beruht auf dem vom Kläger ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel, dass das
LSG seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 103
SGG verletzt hat.
Der vom Kläger verfolgte Anspruch auf höhere Verletztenrente richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist und die Leistung nicht nach dem Inkrafttreten des
SGB VII erstmals festzusetzen war (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, §§ 212, 214 Abs 3 Satz 1
SGB VII).
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf höhere Verletztenrente ist § 581 Abs 1 Nr 2 RVO. Danach wird dem Verletzten als Verletztenrente der Teil der Vollrente (§ 581 Abs 1 Nr 1 RVO) gewährt, der dem Grade der
MdE entspricht, solange seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens ein Fünftel (20 vH) gemindert ist.
Die Bemessung des Grades der
MdE, also die aufgrund des § 581 Abs 1 RVO durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens ( vgl jetzt: § 56 Abs 2 Satz 1
SGB VII), ist nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149;
BSG Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86 - HV- Info 1988, 1210;
BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 7 und 8, jeweils mwN). Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (BSGE SozR 3-2200 § 581 Nr 8 mwN). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Unfalls beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Hierbei sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der
MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (
BSG SozR 2200 § 581 Nr 23 und 27;
BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 5 und 8; Brackmann/Burchardt,
SGB VII, § 56 RdNr 71). Die Feststellung der Höhe der
MdE erfordert als tatsächliche Feststellung stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1
SGG (vgl im Einzelnen
BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8). Beachtet das Tatsachengericht einen bestehenden Erfahrungssatz nicht oder wendet es einen nicht existierenden Erfahrungssatz an, überschreitet es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (
BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8 mwN).
In der gesetzlichen Unfallversicherung haben sich im Laufe der Zeit bei einer Vielzahl von Unfallfolgen oder Berufskrankheiten für die Schätzung der
MdE Erfahrungswerte herausgebildet, die in Form von sog Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst sind und als Anhaltspunkte für die
MdE-Einschätzung im Einzelfall dienen (siehe Zusammenstellung bei Izbicki/Neumann/Spohr, Unfallbegutachtung, 9. Aufl, S 111 ff). Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte stellen allgemeine Erfahrungssätze dar und bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der
MdE unterbreitet (
BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8 mwN). Auch zur Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit durch Einschränkungen von Funktion und Beweglichkeit der Extremitäten insbesondere auch des Kniegelenks beeinträchtigt ist, haben sich allgemeine Erfahrungssätze gebildet (vgl Izbicki/Neumann/Spohr, aaO S 133 - 135). Allgemeine Erfahrungssätze können sich indes auch in diesem Bereich allein schon wegen der ständig fortschreitenden Sammlung weiterer Erfahrungen, aber auch zB wegen des Zugewinns neuer medizinischer Erkenntnisse im Laufe der Zeit wandeln. Ob das tatsächlich der Fall ist, ist ebenso wie die Frage der Einschätzung der
MdE insgesamt eine tatsächliche Feststellung, die dem Beweis durch - medizinische - Sachverständige unterliegt. Die diesbezüglichen Feststellungen des
LSG reichen für eine Entscheidung, welche gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalles vom 29. Mai 1973 bestehen und ob diese eine
MdE um mehr als 20 vH bedingen, nicht aus. Das Urteil beruht auf dem vom Kläger ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel, dass das
LSG unter Verletzung seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103
SGG), entschieden hat. Die in § 103
SGG normierte, das sozialgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsmaxime ist verletzt, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen (
BSG SozR 1500 § 160 Nr 5; Urteile des Senats vom 17. Februar 1998 - B 2 U 10/97 R -, vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 10/99 R - HVBG-Info 2000, 470 und vom 22. August 2000 - B 2 U 43/99 R - HVBG- Info 2000, 3122).
Aus der sachlich-rechtlichen Sicht des
LSG kam es im vorliegenden Falle darauf an, festzustellen, in welchem Umfang die durch den Arbeitsunfall verursachte Chondropathia patellae die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens beeinträchtigt. Hierzu hatte das
LSG mehrere Sachverständigengutachten eingeholt, die insoweit zu unterschiedlichen Beurteilungen gekommen waren. Während die von Amts wegen im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des
Dr. Dr. K und des
Dr. F aufgrund der von ihnen objektivierten Funktionseinbußen die
MdE mit 10 vH bzw maximal 20 vH bewertet hatten, war der gemäß § 109
SGG ernannte Sachverständige
Prof. Dr. Dr. D zu dem Ergebnis gelangt, dass die
MdE allein wegen des Knieschadens 30 vH betrage. Dabei hatte er seine Beurteilung auf ein sog "Beurteilungsblatt für den Knie-Leistungs-Index der Mayo-Clinic" gestützt. Hierzu hatte der Kläger vor dem
LSG den Beweisantrag gestellt, ein Ergänzungsgutachten zu der Frage einzuholen, ob die im Gutachten des
Prof. Dr. Dr. D zur exakteren
MdE-Bestimmung herangezogenen Verfahren im Falle des Klägers zugrunde zu legen seien. Im Revisionsverfahren hat der Kläger dazu dargelegt, dass die von
Prof. Dr. Dr. D verwendeten Methoden längst zum Stand der medizinischen Wissenschaft gehörten und teilweise schon Eingang in den klinischen Alltag gefunden hätten. Träfe dies zu, handelte es sich uU um allgemeine Erfahrungssätze, die bei der Beurteilung der
MdE zu berücksichtigen sein könnten. Dies festzustellen diente der Beweisantrag des Klägers, zu dessen Befolgung sich das
LSG angesichts der Sachlage hätte gedrängt fühlen müssen.
Das
LSG hatte nach § 103
SGG von allen geeigneten Ermittlungsmöglichkeiten erschöpfend Gebrauch zu machen ( BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO;
BSG Urteil vom 22. August 2000 - B 2 U 43/99 R - HVBG-Info 2000, 3122). Zu diesen Ermittlungsmöglichkeiten zählt die Einholung eines medizinischen Gutachtens zu der Frage, ob die von dem Sachverständigen
Prof. Dr. Dr. D herangezogenen Verfahren zur Bestimmung der
MdE zugrunde zu legen seien, etwa weil es sich um inzwischen anerkannte allgemeine Erfahrungssätze handele. Die insoweit vom
LSG zur Ablehnung des Beweisantrages gegebene Begründung, es gehe in der Sache nicht um eine medizinische Frage, sondern um eine rechtliche Frage, deren Beantwortung nicht Gegenstand eines Ergänzungsgutachtens sein könne, ist nicht hinreichend.
Auf dem vorliegenden Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das
LSG nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts zu einer anderen Bemessung der
MdE gelangt wäre. Die Sache war daher allein aus diesem Grunde unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG). Zu einer Zurückverweisung an einen anderen Senat des
LSG sieht der Senat keinen Anlass. Eine derartige Maßnahme kommt nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht (s dazu
BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 7), die vorliegend nicht erfüllt sind. Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Der Senat sieht sich trotz der langen Verfahrensdauer nicht im Stande, in der Sache abschließend zu entscheiden. Die Bemessung des Grades der
MdE ist, wie schon ausgeführt, eine durch Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens und damit eine tatsächliche Feststellung, die das Revisionsgericht nicht selbst treffen kann (vgl § 163
SGG). Die Sache ist nicht spruchreif, so dass eine abschließende Entscheidung in der Sache untunlich iS von § 170 Abs 2
SGG ist. Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Aufstellung von allgemeinen medizinischen Erfahrungssätzen als Feststellung genereller Tatsachen auch in der Revisionsinstanz vorgenommen werden könnte (s dazu
BSG Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - HVBG-Info 1998, 1178 mwN; vgl
BSG SozR 3-2200 § 551 Nr 16), denn die dafür erforderlichen Ermittlungen wären angesichts ihres zu erwartenden Umfangs jedenfalls untunlich.