Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie hat Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Gemäß
§ 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 ausgeschlossen sind. Ein Blindenführhund ist nicht nach der
Rechtsverordnung gemäß
§ 34 Abs. 4 SGB V von der Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Auch ist ein Blindenführhund kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da er für die speziellen Bedürfnisse sehbehinderter Menschen gedacht und entsprechend geschult ist; er wird nur von diesem Personenkreis benutzt (Urteil der Kammer vom 22.10.2002 -
S 13 KR 30/02).
Blindenführhunde sind als Hilfsmittel im Sinne des Krankenversicherungsrechts anerkannt (
vgl. BSG, Urteil vom 25.02.1981 -
5a/5 RKn 35/78 = BSGE 51, 206 = SozR 2200 § 182b
Nr. 19 = SozSich 1981, 218 = Breithaupt 1981, 938 = USK 8139; zur Hilfsmitteleigenschaft ausführlich auch das Urteil der Kammer vom 22.10.2002 - S 13 KR 20/02). Dass die Klägerin die artgerechte Haltung eines Blindenführhundes sicherstellen kann, ist zwischen den Beteiligten unstreitig (
vgl. dazu auch das MDK-Gutachten vom 04.08.2006).
Ein Blindenführhund ist als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung auch erforderlich, um eine Behinderung der Klägerin auszugleichen. Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung (
BSG, Urteil vom 26.02.1991 -
8 RKn 13/90 = SozR 3-2500 § 33
Nr. 3 = Breithaupt 1991, 529; Urteil vom 03.11.1993 -
1 RK 42/92 = SozR 3-2500 § 33
Nr. 4 = Breithaupt 1994, 551 = SozSich 1994, 132) dann "erforderlich", wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung in Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Dazu gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen, Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder der behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation oder mithilfe des von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittels wieder aufzuschließen soll (
vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1999 -
B 3 KR 8/98 R = SozR 3-2500 § 33
Nr. 31 = Breithaupt 2000, 542 = NZS 2000, 296 = SozSich 2000, 325). Blindheit bedeutet
u. a. den Verlust der Orientierungsfähigkeit und als Folge davon der Mobilität. Durch einen Blindenführhund wird die zur Umweltkontrolle erforderliche Sehfähigkeit nicht ersetzt, aber - in Grenzen - ausgeglichen. In diesem Sinne ermöglicht der Führhund allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens - so insbesondere die Teilnahme des Blinden am Straßenverkehr - und dient damit elementaren Grundbedürfnissen (
BSG, Urteil vom 25.02.1981 - 5a/5 RKn 35/78, a.a. O.; Urteil der Kammer vom
22.10.2002 - S 13 KR 30/02).
Allerdings folgt daraus nicht, dass die Krankenkasse zur Befriedigung dieses Grundbedürfnisses jedes Hilfsmittel zur Verfügung stellen muss, die den Behinderten in die Lage versetzt, dasselbe zu befriedigen. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt sich auf einen Basisausgleich (
BSG, Urteil vom 16.09.1999 -
B 3 KR 8/98 R,
a. a. O.). Zu den vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens (Mobilität) gehört die Fähigkeit sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung verlassen zu können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen erreichen zu können, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (
BSG, Urteile vom 16.09.1999 - B 3 KR 8/98 R, - a.a.O. -, B 13 KR 13/98 R und B 13 KR 2/99 R). Dementsprechend hat das
BSG in den vorgenannten Entscheidungen einen Anspruch auf einen "Rollstuhl-Bike" neben einem Rollstuhl oder anstelle eines solchen für nicht erforderlich gehalten. Diese Rechtsprechung kann jedoch auf den Fall der sehbehinderten Klägerin nicht übertragen werden.
Bei der Klägerin besteht eine gleichseitige Halbseitenblindheit (homonyme Hemianopsie). Die Sehschärfe ist inzwischen rechts auf 1/15, links auf 1/10 herabsetzt; das Gesichtsfeld ist hochgradig konzentrisch eingeengt. Auf Grund dessen ist die Beeinträchtigung des Sehvermögens so stark, dass die Klägerin als blind anzusehen ist. Sie ist wegen "Erblindung" als Schwerbehinderte nach einem
GdB von 100 anerkannt. Ihr ist vom Versorgungsamt auch das Nachteilsausgleichmerkmal "Bl" ( Blind) zuerkannt. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2005" (
AHP) definieren - u.a. auch für das Straßenverkehrsrecht (
vgl. AHP Nr. 23
Abs. 1) -: Blind ist der behinderte Mensch, der nicht sehen kann (
AHP Nr. 23
Abs. 2 Satz 1). Als blind ist aber auch der Behinderte anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht bei beidäugiger Prüfung mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzuachten sind (
AHP Nr. 23
Abs. 2 Satz 2).
In welchen Fallgruppen eine Sehbehinderung vorliegt, die Blindheit gleichzusetzen ist, ergibt sich aus
AHP Nr. 23
Abs. 3. Die Fallgruppe f) erfasst "homonyme Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der horizontalen nicht mehr als 30 Durchmesser besitzt". Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen dieser Fallgruppe; dies ist bereits im versorgungsamtsärztlichen Gutachten vom 22.07.2003 festgestellt worden. Dass die Klägerin noch über ein geringes Restsehvermögen verfügt, steht einem Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund nicht entgegen. Entscheidend ist, dass bei der Klägerin eine Blindheit gleichzusetzende hochgradige Sehbehinderung besteht. Soweit die Beklagte die Ablehnung des Antrags u.a. mit der Vorschrift des § 33
Abs. 2
SGB V begründet, verkennt sie, dass sich diese Vorschrift auf den Anspruch auf Sehhilfen bezieht. Was Sehhilfen sind, ergibt sich aus Abschnitt E. der vom Gemeinsamen Bundesausschuss
gem. § 92
Abs. 1 Satz 2
Nr. 6 erlassenen Hilfsmittel-Richtlinien. Um eine derartige Sehhilfe geht es vorliegend jedoch nicht. Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem Blindenführhund. Dieser ist seinem Sinn und Zweck nach eine Gehhilfe für Blinde und ihnen gleichgestellte Behinderte, wie es auch der weiße Blindenlangstock ist. Träfe die Auffassung der Beklagten zu, die
WHO-Klassifikationen als Voraussetzung für den Anspruch auf einen Blindenführhund heranzuziehen, müsste dies entsprechend für den Blindenlangstock gelten. Dass dies nicht so ist, erscheint offensichtlich und wird auch von der Beklagten so gesehen, da sie die Klägerin zu Recht mit einem Blindenlangstock versorgt hat. Blindenführhund und Blindenlangstock gehören also nicht zu den Sehhilfe
i.S.v. § 33
Abs. 2
SGB V und Abschnitt E. der Hilfsmittel-Richtlinien (
vgl. Hilfsmittelverzeichnis, Produktgruppe 25); sie sind "andere Hilfsmittel" (
vgl. Abschnitt A. I.
Nr. 2.1 der Hilfsmittel-Richtlinien; Hilfsmittelverzeichnis, Produktgruppen 07 und 99).
Blindheit und eine ihr gleichzusetzende hochgradige Sehbeeinträchtigung, wie sie bei der Klägerin besteht, haben zur Folge, dass sich der Behinderte in einer nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden kann. Wer sich infolge körperlicher Mängel nicht sicher im (Straßen-)Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet (§ 2
Abs. 1 Satz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV). Blinde Fußgänger können ihre Behinderung durch einen weißen Blindenstock, die Begleitung durch einen Blindenhund im weißen Führgeschirr und gelbe Abzeichen mit drei schwarzen Punkten kenntlich machen (§ 2
Abs. 2 Satz FeV). Das Gesetzt stellt also ausdrücklich darauf ab, dass sich jeder Verkehrsteilnehmern sicher bewegen kann. Kann sich ein blinder Mensch im (Straßen-)Verkehr nicht sicher fortbewegen, so darf er - dies folgt aus § 2
Abs. 1 FeV - am öffentlichen Verkehr nicht teilnehmen.
Durch den totalen Verlust der Sehfähigkeit ist die Klägerin zwar nicht gehindert zu gehen (ihre unteren Extremitäten sind gesund); jedoch fehlt ihr ohne Hilfsmittel die Fähigkeit, sicher zu gehen. Dieser Verlust wird durch das Hilfsmittel "Blindenlangstock" nur unvollständig ausgeglichen. Dies gilt nicht nur an wohnortfernen Orten im Urlaub oder bei Verwandten-/ Bekanntenbesuchen, sondern auch in der näheren Wohnortumgebung. Ein "sicheres" Gehen mit dem Blindenlangstock ist allenfalls innerhalb der eigenen vertrauten Wohnung gewährleistet. Außerhalb der Wohnung im Straßenverkehr gelingt dies nur noch nach intensivem OuM-Training, mit hoher Konzentration und unter beherrschbaren "normalen" Straßenverkehrs- und Ortsbedingungen. Dies ergibt sich aus den nachvollziehbaren überzeugenden Darlegungen des (sachverständigen) Zeugen N. vom 29.05.2007 im Verfahren S 13 KR 99/06 (SG Aachen). Dieser ist OuM-Ausbilder für Blinde und Sehbehinderte. Er ist zwar kein Experte für Blindenführhunde, sondern für die Schulung mit dem Blindenlangstock, vermochte aber gleichwohl die Unterschiede des Umgangs mit einem Blindenlangstock und einem Blindenführhund aufzuzeigen und zu erklären. Er hat deutlich gemacht, dass der Blindenlangstock zwar durchaus ein Gehen im Straßenverkehr ermöglicht, in vielen Situationen aber an Grenzen gelangt und seine Funktion nicht oder nur bedingt erfüllen kann. Dies gilt zum Beispiel beim Aufspüren von Ampelmasten, bei widrigen Witterungsverhältnissen, insbesondere Schnee, beim Überqueren sehr breiter Straße oder sehr großen Kreuzungen, beim Überwinden großer Plätze oder freier Flächen, bei großen Menschenansammlungen, beim Auffinden von Treppen, Aufzügen und Türen in großen Gebäuden, bei Hindernissen in Kopfhöhe. In diesen nur beispielhaft genannten Situationen ist der Blindenlangstock nicht mehr oder nur noch unvollkommen geeignet, dem Blinden ein sicheres Gehen zu ermöglichen. Hierzu hat der Zeuge N. u.a. dargelegt, dass der Blindenlangstock zwar ein wesentliches Hilfsmittel zum Ertasten von Untergründen und zur Fortbewegung ist, jedoch sein Gebrauch gerade im Straßenverkehr eine hohe Konzentration verlangt.
Auch wenn das akustische Lokalisieren und das Geradeausgehen einen wesentlichen Anteil des OuM-Trainings ausmacht, ist selbst ein gut geschulter Blinder beim Überqueren sehr breiter großer Straßen oder Kreuzungen nicht in der Lage, allein mit dem Blindenlangstock eine gerade Linie einzuhalten. Anders ist es mit einem Blindenführhund: Dieser visiert einen ganz bestimmten Punkt auf der gegenüberliegenden Seite an und geht genau auf diesen zu. Ähnliches gilt beim Überwinden von Plätzen oder großen freien Flächen. Hier hat der Zeuge N. den neugestalteten Platz vor dem Hauptbahnhof Aachen genannt. Dieser sei zwar optisch sehr schön gestaltet, aber für einen Blinden mit einem Langstock sehr ungünstig; er könne sich auf einen solchen Platz kaum zurecht finden, was aber mit einem Hund kein Problem wäre. Weiter hat der Zeuge N. dargelegt, dass im Winter bei Schneefall die Konturen der Straßen und Straßenbegrenzungen durch Schnee verschüttet sind; der Blinde könne sie mit einem Langstock nicht mehr erkennen, hier versage der Langstock völlig; dagegen sei ein Blindenführhund in einer solchen Situation ideal. Auch in großen Bauten - so der Zeuge N. - ist ein Blindenführhund hilfreich und besser geeignet als der Blin denlangstock, soweit es um das Auffinden von Treppen, Aufzügen und Türen geht. Schließlich hat der Zeuge N. überzeugend dargelegt, dass der Gebrauch des Blindenlangstocks den Blinden nicht davor schützt, vor große Hindernisse in Kopfhöhe zu stoßen. Der Blindenlangstock wird in einer ganz bestimmten Art und Weise gebraucht.
Er wird ungefähr soweit vom Körper entfernt gehalten, dass der Blinde immer einen Schritt im Voraus geschützt ist, jedoch nur in der Körperbreite und in der Körperhöhe von der Gürtellinie abwärts bis zum Boden. Vor einer Kollision mit Hindernissen oberhalb der Gürtellinie schützt er nicht. Ein gut geschulter Blindenführhund dagegen kann solche Hindernisse erkennen und würde sich quer stellen, um dem Blinden zu signalisieren, dass hier ein großes Hindernis ist. Diese zahlreichen Beispiele zeigen, dass auch zur Erschließung der näherer Wohnumgebung - sei es im Urlaub, bei Wochendverwandtenbesuchen oder am Heimatort - das Grundbedürfnis des sicheren Gehens in den geschilderten Situationen durch einen Blindenlangstock nicht mehr befriedigt werden kann; dann bedarf der Blinde einer Begleitperson oder eines Blindenführhundes (rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 29.05.2007 S 13 KR 99/06; ebenso: SG Aachen, Urteil vom 22.10.2007 - S 21 KR 32/07). Die Klägerin lebt zwar nicht allein; ihr Ehemann ist aber selbst blind. Die Hinzuziehung einer anderen Begleitperson bei Bedarf ist nicht immer möglich. Im Übrigen hat die Rehabilitation behinderter Menschen u.a. zum Ziel, ihnen eine "möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen und zu erleichtern" (
vgl. § 4
Abs. 1
Nr. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB IX). Auch deshalb kann es der Klägerin nicht ohne Not zugemutet werden, bei Bedarf Freunde und Bekannte als Begleitperson um Hilfe zu bitten.
Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem folgenden Ergebnis: Wenn die Bedingungen für die artgerechte Unterbringung und Haltung eines Hundes - wie bei der Klägerin - gegeben sind, ist ein Blindenführhund nicht nur eine sinnvolle, sondern eine notwendige Ergänzung zum Blindenlangstock, um das Grundbedürfnis der Mobilität im Sinne der Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums zu befriedigen, auch im Sinne eines Basisausgleichs. Nur die kumulative Versorgung mit Blindenlangstock und Blindenführhund ermöglicht blinden Menschen, die sich für einen Hund entscheiden und diesen versorgen können, eine von fremder Begleitung unabhängige Orientierung und Mobilität, insbesondere eine - vom Gesetz (§ 2
Abs. 1 Satz 1 FeV) geforderte - sichere Fortbewegung im Verkehr (Riederle, SGb 2002, 96, 98; rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 29.05.2007 - S 13 KR 99/06; SG Aachen, Urteil vom 22.10.2007 - S 21 KR 32/07). Dies begründet den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Blindenführhund.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.