Urteil
Krankenversicherung - elektronisches Lese-Sprechgerät als Hilfsmittel bei Blindheit - Eigenanteil - vorrangige Verpflichtung - Familienangehöriger - Heil- und Hilfsmittelbereich

Gericht:

BSG 3. Senat


Aktenzeichen:

3 RK 7/95


Urteil vom:

23.08.1995


Grundlage:

  • SGB 5 § 32 Abs 1 Fassung 1988-12-20 |
  • SGB 5 § 12 Abs 1 Fassung 1988-12-20 |
  • SGB 5 § 33 Abs 1 S 1 Fassung 1988-12-20

Leitsatz:

1. Zum elektronischen Lese-Sprechgerät als Hilfsmittel der Krankenversicherung für Blinde und zum Eigenanteil bei Nutzbarkeit als PC.

2. Zur vorrangigen Verpflichtung Familienangehöriger im Heil- und Hilfsmittelbereich.

Rechtsweg:

SG Berlin Urteil vom 20.05.1994 - S 72 Kr 552/93
LSG Berlin Urteil vom 11.01.1995 - L 15 Kr 38/94

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch nach § 33 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) auf Versorgung mit einem Lese- Sprechgerät als Hilfsmittel der Krankenversicherung (KV). Der 1953 geborene und bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger ist blind. Er erlernte den Beruf eines Masseurs und ist als Physiotherapeut in einem Rheumakrankenhaus beschäftigt. An seinem Arbeitsplatz steht ihm ein Computer zur Verfügung mit Sprachausgabe und Braille-Zeile, das ist eine Ausgabe in Blindenschrift, bei der vibrierende Schriftzeichen ertastet werden können. Er lebt mit seiner berufstätigen Ehefrau, die als Wirtschaftsleiterin in einem Seniorenheim beschäftigt ist, und seiner 14-jährigen schulpflichtigen Tochter zusammen. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung eines ihm ärztlich verordneten elektronischen Lese-Sprechgeräts ab, das schwarze Druckschriften durch ein elektronisches Abtastsystem und eine Sprachausgabe akustisch wahrnehmbar macht, also "vorliest", und dessen Kosten - je nach Ausstattung - nach dem vorgelegten Kostenvoranschlag damals rd 16.700,00 bis 31.000,00 DM betrugen (Bescheid vom 25. Februar 1993; Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1993). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Kosten für ein elektronisches Lesegerät zu übernehmen (Urteil vom 20. Mai 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Januar 1995). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es handele sich zwar um ein geeignetes, aber nicht um ein erforderliches und wirtschaftliches Hilfsmittel iS der §§ 33 Abs 1, 12 Abs 1 SGB V: Das Informationsbedürfnis des Klägers könne in annähernd gleichem Umfang durch andere Mittel wie den Hörfunk, Blindendruckschriften, Kassetten der Blindenhörbüchereien, befriedigt werden. Um von Behördenschreiben Kenntnis zu nehmen, könne er seine Ehefrau oder eine dritte Person als Vorlesekraft hinzuziehen. Das Erschließen von Fachliteratur falle nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen KV. Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der Vorschriften der §§ 12 Abs 1, 33 Abs 1 SGB V: Das Lesegerät sei erforderlich und auch wirtschaftlich. Er benötige das Lesesystem, um ohne fremde Hilfe seinen erhöhten Informationsbedarf zu befriedigen. Die Verweisung auf die Mithilfe seiner Ehefrau und Tochter als Vorlesekraft sei unzumutbar, da das Vorlesen von Fach- und Freizeitliteratur zu umfangreich sei. Blindendruckschriften deckten einen nur sehr geringen Ausschnitt aus dem Gesamtangebot der Literatur ab.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11.Januar 1995 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 1994 zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß der Kläger die Kosten des Lese-Sprechgeräts trägt, soweit dieses als PC nutzbar ist und die Kosten auf diese Funktion entfallen.


Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers führt mit der dem Revisionsantrag entsprechenden Einschränkung hinsichtlich einer Eigenbeteiligung zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

1) Der Kläger hat in den Vorinstanzen beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für ein elektronisches Lesegerät zu übernehmen. Das ist iS der Verurteilung zur Verschaffung einer Sachleistung zu verstehen. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt als Zulässigkeitsvoraussetzung das Erfordernis eines bestimmten Klageantrages (BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr 6). Diesem Erfordernis genügt der gestellte Klageantrag, obgleich dieser offen läßt, welcher Gerätetyp begehrt wird und ob das Gerät übereignet oder nur leihweise zur Verfügung gestellt werden soll. Die KK hat im angefochtenen Bescheid ihre Leistungspflicht wegen fehlender Wirtschaftlichkeit global für alle Lese-Sprechgeräte im Grundsatz verneint. Ungeklärt blieb, welche Geräteart (PC-Lösung oder geschlossene Anlage) und welcher Gerätetyp nach Leistung und Preis unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsempfängers als wirtschaftlich am ehesten in Betracht kommt und ob das Gerät leihweise überlassen oder übereignet werden soll. In Fällen, in denen nicht nur die Entscheidung über die Art der Gewährung (Leihe oder Übereignung), sondern auch die Spezifizierung der geschuldeten Leistung im Zusammenwirken der Behörde mit dem Leistungsempfänger erfolgt, ist eine Klage auf eine wie im Ablehnungsbescheid nur global umschriebene Leistung zulässig, aber auch eine entsprechende Feststellungsklage, jeweils verbunden mit der Anfechtungsklage (vgl BSG SozR 3-4100 § 58 Nr 6) - jedenfalls wenn kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß die Beteiligten im Falle einer Verurteilung der Behörde über die Auswahl streiten werden, wie dies hier der Fall ist. Das bedarf keiner näheren Begründung, soweit offen bleibt, ob die Versorgung im Wege der Übereignung oder im Wege der leihweisen Überlassung erfolgen soll, weil die Rechtsprechung dies stets als zulässig angesehen hat (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn 3, 4, 5 und 7). Aus dem Eigenanteil des Versicherten bei Wahl der PC-Lösung ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Entschließt sich die KK, das Gerät auf Dauer nur leihweise zur Verfügung zu stellen, dann ist für den PC- Anteil aus den hierauf entfallenden Anschaffungskosten ein laufendes Nutzungsentgelt zu berechnen und vom Versicherten für die Dauer der Nutzung zu fordern.

Es verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitserfordernis, daß die begehrte Sachleistung im Klageantrag wie im Urteil allein mit ihrer Funktion als elektronisches Lesegerät mit Sprachausgabe (Lese-Sprechgerät) beschrieben wird. Ein solches Lese-Sprechgerät ermöglicht es, Druckschriften verschiedenster Art mit einem Scanner in einen Arbeitsspeicher einzulesen und sofort oder nach einer Zwischenspeicherung später mittels einer Sprachausgabe dem Blinden "vorzulesen". Hierzu werden von verschiedenen Herstellern zahlreiche Gerätetypen mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit angeboten. Nach der Wirkweise sind zwei Arten zu unterscheiden: die PC-Lösung und die geschlossene Anlage. Bei der PC-Lösung wird die Druckschrift mit Hilfe eines sog Scanners in den Arbeitsspeicher eines handelsüblichen PC eingelesen und mittels einer Sprachausgabe "vorgelesen". Das Steuergerät des PC (Rechner) muß mit den für den Betrieb des Scanners und mit den für den Betrieb der Tonausgabe erforderlichen Einrichtungen und Programmen ausgestattet sein. Die Aufrüstung eines PC zu einem Lese-Sprechgerät erfordert also neben dem Scanner und den Lautsprechern die Ausstattung des Rechners mit den erforderlichen Einrichtungen und Programmen zur Steuerung dieser Geräte. Soweit das Lese-Sprechgerät einen PC umfaßt und in dessen Arbeitsspeicher einliest, ist das Lese-Sprechgerät als PC nutzbar, insbesondere zur Textverarbeitung, zur Nutzung von Datenbanken und zum Betrieb eines Druckers. Bei der "Nicht-PC-Lösung" ( oder geschlossenen Anlage) wird der gedruckte Text in einen besonderen Arbeitsspeicher eingelesen, der keine Nutzung als PC erlaubt.

Bei einigen Gerätetypen ist neben der Sprachausgabe eine Ausgabe über eine Braille-Zeile möglich. Das Optacon-Lesegerät - auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ist noch einzugehen - erlaubt demgegenüber nur die Ausgabe über eine Braille-Zeile. Das Lese-Sprechgerät ermöglicht es durch die Sprachausgabe, daß erheblich mehr Zeichen je Minute übermittelt werden als beim Optacon-Lesegerät oder beim Bildschirmlesegerät, bei dem der eingelesene Text stark vergrößert in einem entsprechend kleinen Ausschnitt auf einem Bildschirm sichtbar gemacht wird. Das Geräteangebot verändert sich fortlaufend. Auch dies spricht unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie dafür, eine globale Bezeichnung zuzulassen und erst im Falle einer Verurteilung der KK unter den dann angebotenen Geräten auszuwählen, soweit der Streit nicht auch bestimmte Elemente der Auswahlentscheidung betrifft, wie dies hier der Fall ist.

2) Der Kläger hat, wie vom SG zu Recht entschieden, Anspruch auf ein Lese-Sprechgerät als Hilfsmittel. Nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V idF durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 ausgeschlossen sind. Das begehrte Lese-Sprechgerät ist jedenfalls zur Zeit noch kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen die Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet, dh üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig genutzt werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy mwN). Insoweit ist der PC in der üblichen Ausstattung (Rechner - einschließlich Betriebssystem, Disketten- und CD- Rom-Laufwerk -, Bildschirm, Tastatur, Maus und Drucker, also ohne Scanner und Sprachausgabe) zwar schon zur Zeit als ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Auch die Beteiligten haben unter Berücksichtigung einer Pressemeldung, die Gegenstand der Verhandlung war, nach der von 100 Einwohnern 12 über einen PC verfügen, einen PC (ohne Scanner und Sprachausgabe) als Gebrauchsgegenstand angesehen. Ein solcher PC kann nicht als Lese-Sprechgerät genutzt werden. Die mit dem "Multimedia-PC" eingeleitete Entwicklung mag in Zukunft dahin gehen, daß der übliche PC in der Lage sein wird, gedruckte Texte vorzulesen. Das ist indes jedenfalls zur Zeit noch nicht der Fall. Soweit das Lese-Sprechgerät als Gesamtanlage einen handelsüblichen PC umfaßt, sind die einzelnen Komponenten aufeinander abgestimmt und als technische Einheit anzusehen. Scanner und Sprachausgabe sind nicht ein selbständiges Gerät, das nur Blinde benötigen, sondern Teil der Gesamtanlage. Ein solches PC-Lese-Sprechgerät hat eine Doppelfunktion. Es ist einerseits als PC nutzbar (zB zur Textverarbeitung, zum Betreiben einer Datenbank oder eines Kalkulationsprogramms) und andererseits als Lese-Sprechgerät. In seiner Funktion als Lese-Sprechgerät ist es Hilfsmittel, was noch zu begründen ist, und in seiner Funktion als PC ein Gebrauchsgegenstand. In Fällen einer solchen Doppelfunktion verbleibt das Hilfsmittel und entsprechend auch ein Heilmittel in der Leistungspflicht der KKn, wenn der Teil der Herstellungskosten überwiegt, der auf die Hilfsmittelfunktion (Heilmittelfunktion) entfällt (BSG Urteil vom 10. Mai 1995 - 1 RK 18/94 -, antiallergene Kissenbezüge, für SozR vorgesehen mwN). Das wurde damit begründet, daß beim Überwiegen der auf die Hilfsmittelfunktion entfallenden Herstellungskosten die Bedeutung als Gebrauchsgegenstand in den Hintergrund trete und daß der Versicherte in diesen Fällen mit der Tragung der vollen Kosten übermäßig belastet werde. Sei diese Voraussetzung erfüllt, dann müßten die Beschaffungskosten im Verhältnis des festgestellten Herstellungsaufwands auf den Versicherten und die KK aufgeteilt werden. Dem stimmt der Senat im Grundsatz zu, meint aber, daß bei besonders aufwendigen Geräten auch die absolute Höhe der auf die Hilfsmittelfunktion entfallenden Kosten zu berücksichtigen ist.

Das LSG hat zur Verteilung der Herstellungskosten bei der PC-Lösung keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen und lediglich mitgeteilt, daß die Kosten für das Gesamtgerät - je nach Ausstattung - nach dem mit dem Antrag im Oktober 1992 vorgelegten Kostenvoranschlag damals rd 16.700,00 bis 31.000,00 DM betrugen. Zwischenzeitlich sind die Marktpreise für die in Betracht kommenden Geräte erheblich gefallen. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß die Kosten der Vorrichtungen für Einlesen und Sprachausgabe im August 1995 im Falle einer PC-Lösung auf 4.000,00 bis 5.000,00 DM anzusetzen sind. Ob die Gesamtanlage zur Zeit nicht mehr als 8.000,00 DM kostet und damit die Gesamtkosten zu mehr als 50 vH auf die Hilfsmittelfunktion entfallen, kann offen bleiben. Denn bei besonders aufwendigen Geräten kommt eine volle Belastung des Versicherten auch dann nicht in Betracht, wenn die auf die Hilfsmittelfunktion entfallenden Kosten nicht überwiegen. Nach den zuvor mitgeteilten Zahlen sind diese Vorrichtungen wertmäßig so erheblich, daß dem Versicherten die Tragung der hierauf entfallenden Kosten nicht zugemutet werden kann. Bei Geräten, die aus Teilkomponenten bestehen, die nach dem Baukastensystem ausgesucht werden können und für die sich Marktpreise gebildet haben, ist von den Marktpreisen auszugehen. In diesen Fällen kann auf die Feststellung des anteiligen Herstellungsaufwands verzichtet werden. Auf die Verpflichtung des Versicherten, bei Wahl einer PC-Lösung einen Eigenanteil zu tragen, ist nicht näher einzugehen, da der Kläger diesen bereits bei der Fassung des Klageantrags, soweit er mit der Revision weiterverfolgt wird, berücksichtigt hat. Insoweit sind sich die Beteiligten auch darüber einig, daß die KK bei der Auswahl des Geräts berücksichtigt, ob ihre Aufwendungen im Falle einer PC-Lösung (hier abzüglich des Eigenanteils des Versicherten) niedriger sind als im Falle einer Nicht-PC-Lösung (hier ohne Eigenanteil).

Ein Anspruchsausschluß nach § 34 Abs 4 SGB V idF durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG), der durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) einziger Absatz der Vorschrift wurde, greift nicht ein. Nach dieser Vorschrift idF durch das GRG vom 20. Dezember 1988 kann der Bundesminister für Arbeit, nach der Fassung durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2325) kann der Bundesminister für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die KK nicht übernimmt (Satz 1). In der aufgrund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen KV (KVHilfsmittelV) vom 13. Dezember 1989 (BGBl I 2237), die idF durch die Verordnung vom 17. Januar 1995 (BGBl I 44) gilt, sind Lese-Sprechgeräte nicht erfaßt. Es kann daher offenbleiben, ob die Worte "von geringem therapeutischen Nutzen" nur die Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung iS der 1. Alternative des § 33 Abs 1 SGB V betreffen, was nahe liegt, oder ob die Ermächtigung auch für den Fall gilt, daß ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung iS der 2. Alternative nur von geringem Nutzen ist.

Ein Ausschluß der Lese-Sprechgeräte aus der Leistungspflicht der KKn ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen. Nach § 128 SGB V idF durch das GRG erstellen die Spitzenverbände der KKn gemeinsam ein Hilfsmittelverzeichnis (Satz 1), in dem die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel aufzuführen sind (Satz 2). Nach § 128 S 2 SGB V idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (2. SGB V-ÄndG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2325) sind in dem Verzeichnis auch die für die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben. Das Hilfsmittelverzeichnis schließt elektronische Lese-Sprechgeräte nicht aus (Hilfsmittelverzeichnis vom 29.Januar 1993, BAnz Beilage 1993, Nr 50a 1-140 mit Ergänzungen, zuletzt BAnz Beilage 1995, Nr 150a 1-19 vom 11. Mai 1995; vgl auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Versorgung mit Seh-und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln nach dem Recht der gesetzlichen KV vom 15. August 1990, ErsK 1990, 454).

Das LSG hat das Lese-Sprechgerät zu Recht als ein - bezogen auf den individuellen Bedarf des Klägers - geeignetes Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung iS der 2. Alternative des § 33 Abs 1 S 1 SGB V angesehen. Ob der Begriff der Sehhilfe in § 33 Abs 1 S 1 SGB V nur Hilfsmittel erfaßt, die wie zB eine Brille das Restsehvermögen verstärken und nicht die Körperfunktion des Sehens durch eine andere Körperfunktion ersetzen, wie dies bei den Lese-Sprechgeräten der Fall ist, kann offenbleiben. Das Lese-Sprechgerät ist jedenfalls ein sonstiges Hilfsmittel, da der allgemeine Hilfsmittelbegriff iS der 2. Alternative als Ausgleich der Behinderung auch den ersetzenden Ausgleich umfaßt (vgl BSG SozR 2200 § 182b Nr 17 - Blattwendegerät -, Nr 25 - Kopfschreiber - und Nr 26 - Schreibtelefon; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy). Auch das Optacon-Lesegerät, das die Rechtsprechung als geeignetes Hilfsmittel anerkannt hat ( BSG, 8. Senat, SozR 2200 § 182b Nr 34 - 1. Optacon-Entscheidung -; BSG, 11a Senat, SozR 5420 § 16 Nr 1 - 2. Optacon-Entscheidung -), dient dem ersetzenden Ausgleich. Desgleichen ist es unerheblich, daß das Lese- Sprechgerät nicht unmittelbar am Körper des Behinderten ausgleichend wirkt, sondern der Ausgleich indirekt auf andere Weise erzielt wird (BSG SozR 2200 § 182b Nr 12 - Fernsehlesegerät; BSG SozR 3-2500 Nr 7 - Rollstuhlboy). Die Rechtsprechung hat zwar Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet, nicht als Hilfsmittel der KV anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmitteln der KV und solchen der Eingliederungshilfe unterschieden (vgl zu einer elektrischen Schreibmaschine bei einer Phokomelie der oberen Gliedmaßen: BSG SozR 2200 § 187 Nr 1 und zu einer Blindenschrift-Schreibmaschine: BSG SozR 2200 § 182b Nr 5). Dies gilt aber nur für Hilfsmittel, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich für nur eines dieser Gebiete eingesetzt werden. Soweit jedoch Grundbedürfnisse betroffen sind, fällt auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der KV, wie zum Clos-o-mat entschieden (BSG SozR 2200 § 182 Nr 10, ständige Rechtsprechung). Das Lese-Sprechgerät kann keinem der vorgenannten Bereiche zugeordnet werden. Es liest Druckschriften jeglichen Inhalts, die sich auf jedes der genannten Gebiete beziehen können. Im übrigen ist das Informationsbedürfnis, dessen Ausgleich das Lese-Sprechgerät dient, den Grundbedürfnissen zuzuordnen, wovon beide Optacon-Entscheidungen ausgehen. Überdies hat die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang zu den Grundbedürfnissen ganz allgemein die Schaffung eines geistigen Freiraums gerechnet und insoweit ausdrücklich auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einbezogen (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1). Das schließt es entgegen der Auffassung des LSG aus, bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung den vom Kläger bezeichneten Informationsbedarf unberücksichtigt zu lassen, soweit dieser auf den beruflichen, privaten und - mit der ehrenamtlichen Betätigung - auf den gesellschaftlichen Bereich entfällt.

3) In die Leistungspflicht der KV fallen nach dem Grundsatz des § 12 SGB V, der auch für die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln gilt, nur solche Hilfsmittel, deren Verwendung wirtschaftlich und notwendig ist, was neben der in § 33 geforderten Erforderlichkeit zu prüfen ist. Das LSG hat das Lese-Sprechgerät nicht als "erforderlich und wirtschaftlich" angesehen und dabei die vom Kläger angegebenen Informationen nach Lebensbereichen aufgeteilt. Es hat den Kläger hinsichtlich der Informationen von allgemeinem Interesse auf Rundfunk, Fernsehen, Tonkassetten, Erzeugnisse in Blindenschrift usw verwiesen. Dem vermag der Senat nicht
zuzustimmen. Der Informationsbedarf eines Blinden rechtfertigt die Versorgung mit einem Lese-Sprechgerät nicht nur in wenigen Ausnahmefällen eines außerordentlich hohen Lesebedarfs, etwa im Zusammenhang mit dem Besuch eines Gymnasiums oder eines Studiums. Ein dahingehender Rechtssatz ist der Hilfsmittel-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu entnehmen (aA: Krauskopf, SGB V § 33 Rz 15). Der 8. Senat des BSG hat zwar in der 1. Optacon-Entscheidung (SozR 2200 § 182b Nr 34) einen Anspruch mit der Begründung verneint, ein Bedarf in den Grenzen elementarer Grundbedürfnisse, der nicht mittels Rundfunk oder Druckerzeugnissen in Blindenschrift gedeckt werden kann, aber durch das begehrte Hilfsmittel gedeckt werden könnte, sei den Feststellungen des LSG in der damals angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Der 11a Senat hat in der 2. Optacon-Entscheidung aufgrund der damals vom LSG getroffenen Feststellungen einen Bedarf nach weiteren Informationen, der nicht durch Rundfunk und Blindendruckschrift gedeckt werden könne, als nicht ausgeschlossen angesehen (SozR 5420 § 16 N 1).

Der Maßstab elementarer Grundbedürfnisse, des Wirtschaftlichen und des Notwendigen besagt in diesem Zusammenhang nicht, daß die Informationen, für deren Erlangung das begehrte Hilfsmittel erforderlich ist, ihrerseits unerläßlich sein müssen. Der erkennende Senat hat zwar in einer älteren Entscheidung zum Schreibtelefon für Taubstumme nur auf Informationen abgestellt, auf die der Behinderte unumgänglich angewiesen sei (BSG, 3. Senat, SozR 2200 § 182b Nr 26). Dem Informationsbedürfnis ist indes - allerdings begrenzt durch eine Nutzen-Kosten-Betrachtung, auf die später einzugehen ist - in einem umfassenderen Sinne Rechnung zu tragen. Es genügt, daß ein Informationsbedarf im Rahmen einer normalen Lebensführung auftritt. Eine entgegenstehende Auffassung ist der 1. Optacon-Entscheidung des 8. Senats, der nach der Geschäftsverteilung für das Gebiet der KV nicht mehr zuständig ist, jedenfalls nicht mit der für eine Anrufung des Großen Senats erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen. Insbesondere kann dem Hinweis auf den Rundfunk als mögliche Informationsquelle nicht die Aussage entnommen werden, daß nur das Bedürfnis nach allgemein interessierenden Informationen als Grundbedürfnis anzuerkennen sei, zumal die Einteilung der Informationen in solche von allgemeinem Interesse und solche, die nur Spezialgebiete betreffen oder nur von regionaler Bedeutung sind, nichts über die Wichtigkeit der Information für die Lebensführung des Einzelnen besagt. So könnte zB bei schöngeistiger Literatur, auch wenn sie allgemein bekannt ist, die Erforderlichkeit ihrer Kenntnis in Zweifel gezogen werden. Die Erforderlichkeit der jeweiligen Information nach ihrem Inhalt zu bestimmen, wäre mit dem in Art 5 Grundgesetz (GG) geschützten Grundwert unvereinbar. Eine Verengung auf Informationen von allgemeinem Interesse würde zumindest in der Tendenz der Rechtsprechung widersprechen, daß zu den Grundbedürfnissen nicht nur das Informationsbedürfnis, sondern auch die Bildung eines geistigen Freiraums gehört, der sich der 8. Senat zur knappschaftlichen KV später ausdrücklich angeschlossen hat (SozR 3-2500 § 33 Nr 3). Als Maßstab ist deshalb der allgemein praktizierte Informationsbedarf heranzuziehen. Der normale Informationsbedarf und das Angebot zur Deckung dieses Bedarfs wächst ständig. Trotz der Veränderungen im Bereich von Rundfunk und Fernsehen haben auch die gedruckten Informationen an Bedeutung zugenommen. Fernsehen (mit Tonkanal) und Rundfunk bieten zwar fortlaufend weitere Programme an. So sind die früheren zwei Fernsehprogramme je nach Kabel- oder Satellitenanschluß inzwischen durch 25-50 weitere Sender ergänzt worden. Das ermöglicht es den Sendern, in einem früher nicht gekannten Umfang auch auf Spezialinteressen einzugehen. Andererseits ist gerade auf Spezialgebieten der Umfang der notwendigen Informationen noch schneller gewachsen als das Rundfunkangebot, so daß auch hier die Informationen, die nur gedruckt zur Verfügung stehen, zunehmen. Auch allgemein ist der Umfang der Informationen, die als erforderlich angesehen werden, so gewachsen, daß der Markt an Wochen-, Unterhaltungs- und Spezialzeitschriften geradezu explodiert. Für den Büchermarkt gehen die jährlichen Neuerscheinungen in die 100.000. Ein vernünftiger Gebrauch von Fernsehen und Rundfunk erscheint gerade in Anbetracht des wachsenden Angebots nur bei Benutzung gedruckter Informationen möglich ( Programmzeitschriften). Mit der Zunahme technischer Geräte zur Erleichterung der normalen Lebensführung nimmt die Zahl der gedruckten Gebrauchsanweisungen ständig zu. Deren Vielzahl läßt es weitgehend nicht mehr genügen, diese vor der ersten Inbetriebnahme einmal durchzulesen. Ihre ständige Verfügbarkeit erweist sich damit als besonders wichtig. Die ständige Verfügbarkeit gedruckter Texte ist für die Informationen über Spezialgebiete, aber auch für den persönlichen Lebensbereich (etwa Kontoauszüge) von besonderer Bedeutung.

Die Revision hält der Verweisung auf Radio und Fernsehen zu Recht entgegen, daß in den vom Kläger bezeichneten Druckschriften Informationen angeboten werden, die weitgehend nicht über Rundfunk, Fernsehen, Erzeugnisse in Blindendruckschrift oder Tonkassetten erlangt werden könnten; derartige Erzeugnisse deckten auch allgemein nur einen sehr geringen Ausschnitt der Literatur ab. Ein Informationsbedarf iS eines Grundbedürfnisses kann für nach ihrem Inhalt bezeichnete Informationen nicht mit der Begründung verneint werden, Radio und Fernsehen würden andere Informationen jeweils zu einem mehr oder minder gleichen Thema anbieten und insoweit sei auch eine Auswahl möglich. Rundfunk und Fernsehen sowie die in Tonbibliotheken angebotenen Aufzeichnungen eröffnen auch Nichtbehinderten die theoretische Möglichkeit, auf gedruckte Informationen zu verzichten, da eine große Auswahl an Informationen angeboten wird. Auch wenn Teile der Bevölkerung sich mit Fernsehen und Rundfunk begnügen und bewußt auf gedruckte Informationen verzichten, kann dies nicht als Maßstab herangezogen werden. Ein Verzicht auf das Lesen von Druckschriften bewirkt nach allgemeiner Auffassung eine geistige Verarmung, weil zahlreiche Informationen nur gedruckt zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit zu lesen bleibt für Allgemeinbildung, Erziehung und Persönlichkeitsentfaltung (Art 2 GG) von elementarer Bedeutung. Die aufgezeigte Bedeutung der nur gedruckt zur Verfügung stehenden Informationen gilt für Nichtbehinderte und Behinderte in gleichem Maße. In diesem Zusammenhang kann zwar die Bedeutung des Schreibens für die kulturelle Entwicklung und für die geistige Entwicklung des Einzelnen nur teilweise berücksichtigt werden. Denn das Lese-Sprechgerät ermöglicht es nicht, selbst zu lesen, und setzt auch nicht die Fähigkeit zu lesen voraus. Es liest vor. Die Eigenschaft gedruckter Texte, daß die Information jederzeit verfügbar ist, wirkt sich dagegen auch beim Gebrauch des Lese-Sprechgeräts aus. Es ermöglicht dem Blinden überdies die jederzeitige eigene Auswahl zwischen den Büchern und gedruckten Texten, über die er verfügt. Auch die jederzeitige Auswahl wird vom Grundbedürfnis umfaßt (vgl BSG, 3. Senat, SozR 3-2500 § 33 Nr 4). Damit ist der vom Kläger bezeichnete "Lesebedarf" in vollem Umfang zu berücksichtigen, auch hinsichtlich der beruflichen Fachliteratur und der ehrenamtlichen Betätigung.

4) Schon wegen des Umfangs des danach zu berücksichtigenden Lesebedarfs kann der Kläger nicht auf die Mithilfe des Ehepartners und der schulpflichtigen Tochter als Vorlesekräfte verwiesen werden. Es läßt sich innerhalb der gesetzlichen KV keine generelle vorrangige Selbsthilfe bzw Hilfe von Angehörigen gegenüber Versicherungsansprüchen begründen (Schulin, Handbuch der Sozialversicherung Band I, 1994, § 6 RdNr 62 f). Wesentliches Merkmal der Sozialversicherung ist die Bemessung der Leistungen am versicherten Risiko. Nur ausnahmsweise gilt der in der Sozialhilfe vorherrschende Nachranggrundsatz, nach dem eine Leistung nicht zu bewilligen ist, wenn der Betroffene sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen erhält ( Schulin, aaO RdNr 64). Eine solche Ausnahme hat der Gesetzgeber im Rahmen der häuslichen Krankenpflege und Haushaltshilfe (§§ 37, 38 SGB V) normiert, wonach kein Anspruch auf die vorgenannten Leistungen besteht, soweit Familienangehörige zu Hilfeleistungen zur Verfügung stehen. Die Rechtsprechung hat diese Ausnahme auf den Heil- und Hilfsmittelbereich ausgeweitet; auch hier gehöre es zu den Pflichten jedes Versicherten und der mit ihm in einem Haushalt lebenden Familienangehörigen, alles Zumutbare zu tun, um neben den vorgesehenen Leistungen der KKn zur Behebung des Krankheitszustandes beizutragen (Keine Entschädigung der nicht erwerbstätigen Ehefrau für deren Mithilfe bei der Heimdialyse: BSGE 44, 139, 141 = SozR 2200 § 185 Nr 1 und BSGE 45, 130; ähnlich zur kostenlosen häuslichen Krankenpflege eines Kindes durch seine Mutter: BSGE 28, 253, 254 = SozR Nr 33 zu § 182 RVO; ähnlich zum Bad-Helfer: BSG SozR 2200 § 187 Nr 3, eine Entscheidung, die den Rechtszustand vor dem Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) betrifft). Eine solche Verweisung ist indes unter dem Gesichtspunkt der Solidarität nur gerechtfertigt, soweit für die Angehörigen eine kostenfreie Familienversicherung besteht (Schulin, aaO RdNr 64) und diesen deswegen eine solche Mithilfe zuzumuten ist ( Höfler, KassKomm § 37 RdNr 19 und § 38 RdNr 20). Maßgebend ist der im Einzelfall bestehende Bedarf. Der Zeitaufwand, den das Vorlesen der vom Kläger bezeichneten Texte aus Tageszeitungen, Behördenpost usw nicht nur vorübergehend für die Zeit einer Erkrankung, sondern dauerhaft erfordert, ist der Ehefrau und der Tochter des Klägers schon unabhängig von einer anderweitigen Belastung beim Maßstab der kostenlosen Familienversicherung unzumutbar. Überdies ist die Ehefrau des Klägers selbst volltags als Wirtschaftsleiterin in einem Seniorenheim berufstätig. Diese Berufstätigkeit führt zusätzlich zur Unzumutbarkeit. Offen bleibt, ob sich aus der Berufstätigkeit auch das Fehlen einer Familienversicherung ergibt. Der Heranziehung der Tochter setzt deren Schulbesuch enge Grenzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger wegen seiner Blindheit ohnehin weitgehend auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen ist.

5) Auch soweit das LSG auf "Dritte", also auf bezahlte Vorlesekräfte, verweist, hält das Urteil einer Nachprüfung nicht stand. Das LSG hat in anderen Verfahren (vgl BSG Urteil vom 23. August 1995 - 3 RK 8/95, vorgehend LSG Berlin vom 11. Januar 1995 - L 15 Kr 92/93), in denen der Ehegatte des Versicherten selbst sehbehindert war, vorrangig auf bezahlte Vorlesekräfte verwiesen und dies damit begründet, daß Blinde verschiedene Leistungen und steuerrechtliche Vergünstigungen erhalten, die ua Mehraufwendungen für Vorlesekräfte berücksichtigen. Nach dem in Berlin geltenden Landesrecht erhielten Blinde ein Pflegegeld, das in diesen Fällen monatlich 1.100,00 DM betragen habe (§ 2 Abs 2 und 3 des Gesetzes über Pflegeleistungen vom 10. Mai 1962 idF des Gesetzes vom 25. September 1990 - GVBl Berlin S 2076). Dieses Pflegegeld sei zweckgleich der Blindenhilfe nach § 67 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und berücksichtige ebenfalls ua den Mehraufwand für Vorlesen (Hinweis auf BVerwGE 27, 270, 274). Das Pflegegeld ist jedoch wie die Blindenhilfe nach § 67 BSHG und die steuerrechtlichen Vergünstigungen, auf die das LSG verweist, nur für den blindheitsbedingten Mehrbedarf gedacht, der mit den Hilfsmitteln der KV nicht gedeckt werden kann. Insbesondere hinsichtlich der Blindenhilfe schließt es der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe zu den Leistungen der KV aus, zur Entlastung der KV auf die Sozialhilfe zu verweisen. Der Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gilt zwar für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG nur eingeschränkt. Die Blindenhilfe wird als pauschalierte Leistung ohne Rücksicht auf im Einzelfall festgestellte oder feststellbare, nachgewiesene oder nachweisbare Mehraufwendungen gewährt; das erschwert es, einen Bedarf und die zur Deckung dieses Bedarfs erforderlichen Aufwendungen zu ermitteln und ihnen tatsächliche Leistungen gegenüberzustellen, die diesen Bedarf möglicherweise (teilweise) zu decken geeignet erscheinen (BVerwGE 51, 281, 284 f). Der Nachrang zu den Hilfsmitteln der KV bereitet jedoch keine Anwendungsschwierigkeiten. Der Grundsatz, daß aus der Blindenhilfe (§ 67 BSHG) auch solche Geräte zu bestreiten sind, die nicht Hilfsmittel iS der Verordnung nach § 47 BSHG ( Eingliederungshilfe-Verordnung) sind, steht dem nicht entgegen, sondern bestätigt den Vorrang der Hilfsmittel. Soweit es sich um persönliche Schriften handelt, bliebe überdies bei einer Verweisung auf Dritte der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Privatsphäre (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG) außer acht. Auch bei der Anwendung sozialrechtlicher Leistungsvorschriften ist dieser verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Privatsphäre zu beachten, dh es sind diejenigen Leistungen zu gewähren, die den Schutz der Privatsphäre des Versicherten und seiner Familie sicherstellen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 5 - Schreibtelefon -).

6) Der Senat hat aufgrund der Feststellungen des LSG und ergänzend des SG keinen Zweifel daran, daß der Kläger mit dem begehrten Lese-Sprechgerät Druckschriften in einem wesentlichen Umfang zur Kenntnis nehmen kann. Beim Optacon-Lesegerät (SozR 5420 § 16 Nr 1) und beim Bildschirm-Lesegerät (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 4) waren insoweit besonders eingehende Feststellungen erforderlich, weil diese Geräte jeweils nur wenige Buchstaben gleichzeitig erkennen lassen. Das Lese-Sprechgerät bietet gerade hinsichtlich der Ausgabe eine ungleich größere Leistungsfähigkeit und stellt an den Benutzer vergleichsweise geringere Anforderungen. Der Einleseteil erfordert es zwar, daß Zeitungsartikel von einer Hilfsperson paßgerecht gefaltet oder ausgeschnitten werden müssen. Das führt indes zu einer ungleich geringeren Belastung der Hilfsperson als deren Verlesung und bewirkt darüber hinaus, daß ein solcher Artikel für den Blinden auf Dauer verfügbar bleibt. Es mag sein, daß die Schwierigkeiten des Scanners mit Vielfarbdrucken und übergroßen Buchstaben (zB in Überschriften) gerade bei Arzneibeipackzetteln, Kontoauszügen und Telefonbüchern zu Problemen führen ( vgl hierzu Rundschreiben des BMA BArbBl 10/1994, 155). Das Fortbestehen derartiger Einschränkungen ändert indes nichts daran, daß Lese-Sprechgeräte im Grundsatz einen breiten Anwendungsbereich haben. Vielmehr ist darauf hinzuwirken, daß die genannten Druckerzeugnisse in Zukunft behindertengerecht so gestaltet werden, daß sie ohne Mühe eingelesen werden können. Der Senat sieht aufgrund der Feststellungen der Vorinstanzen keine Veranlassung, an der Beurteilung des Klägers zu zweifeln, daß ihm das Gerät die Befriedigung des angegebenen Informationsbedarfs erlaubt. Der Kläger benutzt an seinem Arbeitsplatz ein vergleichbares Gerät und kennt dessen Leistungsfähigkeit. Überdies waren sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einig, daß der Kläger auch zur Nutzung eines Geräts mit PC-Funktion in der Lage ist.

7) Das Lese-Sprechgerät ist auch wirtschaftlich iS einer begründbaren Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 4 mwN - Bildschirmlesegerät). Im Falle einer PC- Lösung entfallen auf die KK für Einlese- und Sprachausgabe nach den jetzt geltenden Preisen etwa 4.000,00 bis 5.000,00 DM, wie ausgeführt. Für die Bewertung des Gebrauchsvorteils ist ua der zeitliche Umfang der beabsichtigten Nutzung und die Bedeutung der jeweils erschließbaren Informationen maßgebend. Der Kläger benötigt das Lesegerät, um Fachliteratur, Bücher und private Unterlagen zu lesen und um als Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft für Masseure und Physiotherapeuten mitarbeiten zu können. Ein solcher Informationsbedarf kann nach seiner Dringlichkeit als durchschnittlich bewertet werden. In einem solchen Fall muß der zeitliche Umfang der Nutzung wöchentlich durchschnittlich mindestens 5 Stunden betragen, um die auf die KK entfallenden Kosten zu rechtfertigen. Das ist iS einer "gegriffenen Größe" zu verstehen, wie sie von der Rechtsprechung entwickelt wird, um die Handhabung unbestimmter Rechtsbegriffe zu erleichtern (vgl hierzu BSG vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 46/82 - VersorgB 1984, 93 = SozSich 1984, 221 = ZfS 1984, 240). Das LSG hat zwar die mutmaßliche Nutzungsdauer nicht ausdrücklich festgestellt. Jedoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen insoweit eine Mindestdauer, die eine abschließende Beurteilung erlaubt. Der vom LSG festgestellte Lesebedarf und die Bereitschaft des Klägers, einen erheblichen Anteil der Kosten selbst zu tragen, lassen den Schluß zu, daß die erforderliche Mindestnutzungsdauer erreicht wird. Eine solche Nutzungsdauer ist zwischen den Beteiligten überdies unstreitig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Fundstelle:

SozR 3-2500 § 33 Nr 16 (LT1-2)
RegNr 22150 (BSG-Intern)
KrV 1996, 23 (LT1-2)
BLB RdSchr BLB 15/96 (T)
MDR 1996, 292-293 (LT)

Diese Entscheidung wird zitiert von:

BSG 1995-08-23 3 RK 8/95 Parallelentscheidung
BSG 1995-08-23 3 RK 6/95 Parallelentscheidung

Referenznummer:

KSRE046210518


Informationsstand: 21.05.1996