Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 8.7.2016 wird zurückgewiesen.
Auf die Klage der Klägerin werden der Bescheid vom 23.8.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 28.10.2016 aufgehoben.
Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Verfahren vor dem Senat zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl.
Die am 1965 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an einem Diabetes mellitus, einem Zustand nach einer Unterschenkelamputation im Dezember 2011 sowie einer Augenerkrankung. Unter dem Datum des 18.3.2015, bei der Beklagten am 27.3.2015 eingescannt, verordnete der Hausarzt der Klägerin
Dr. C. einen elektrischen Rollstuhl für den Außenbereich. Der Arzt bescheinigte unter dem 2.6.2015, dass die Klägerin in der Lage sei, mit einem manuell selbst betriebenen Krankenfahrstuhl die Wohnung zu verlassen, um die im Nahbereich liegenden Stellen zu erreichen und Alltagsgeschäfte zu erledigen. Sie habe keinen PKW und könne sich mit einem Elektrorollstuhl selbstständig fortbewegen. Sie sei auch in der Lage, sich mit ausreichender Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr zu bewegen.
Mit Datum vom 13.7.2015 lehnte die Beklagte aufgrund der ärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage dem Ehemann der Klägerin gegenüber die Kostenübernahme für einen elektrischen Rollstuhl ab. Die Klägerin verfüge über einen Rollstuhl mit Greifreifen und könne auch damit die Wohnung verlassen, um sich den Nahbereich zu erschließen.
Im Widerspruchsverfahren verwies die Klägerin darauf, sie müsse ein mobiles
COPD-Gerät mitführen und brauche daher einen Elektrorollstuhl. Der vorhandene sei für den Außenbereich nicht geeignet. Außerdem sei die Genehmigungsfrist abgelaufen.
Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten (SMD) nahm am 19.8.2015 gutachtlich Stellung. Man habe bereits im Februar 2015 festgestellt, dass sich die Klägerin mit einem Standard-Rollstuhl selbstständig und sicher fortbewegen könne. Man habe eine besondere Belastung im Hinblick auf die eingeschränkte Lungenfunktion nicht erkennen können. Die Klägerin habe früher selbst angegeben, noch in der Lage zu sein, mit dem Rollstuhl trotz Hindernissen wie einen Schotterweg das Haus zu verlassen. Sie könne sich den Nahbereich mit einem Rollstuhl mit Greifreifen selbstständig erschließen; außerdem sei sie im Hinblick auf eine diabetische Retinopathie und eines deswegen eingeschränkten Sehvermögens nicht qualifiziert, einen Elektrorollstuhl sicher und adäquat zu nutzen.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2015 die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl ab. Im Wesentlichen verwies sie auf die Stellungnahme des SMD sowie die ärztliche Bescheinigung von
Dr. C.. Das Mitführen eines tragbaren Sauerstoffgeräts erfordere nicht die Bewilligung eines Elektrorollstuhls. Dieses könne man anhängen.
Im Klageverfahren hat die Klägerin insbesondere darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion das
§ 13 Abs. 3a SGB V erfüllt seien. Auf die bei der Beklagten eingegangene ärztliche Verordnung vom 18.3.2015 habe die Beklagte nicht mitgeteilt, dass man weitere Informationen benötige. Auch sei eine ausreichende Information hinsichtlich der Überschreitung der Dreiwochenfrist des § 13
Abs. 3a
SGB V nicht erfolgt. Die Entscheidungsfrist sei für die Beklagte daher eindeutig abgelaufen und die Leistung gelte als genehmigt. Auch sei der angegriffene Bescheid inhaltlich rechtswidrig.
Mit Urteil vom 8.7.2016 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13.7.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2015 verurteilt, der Klägerin einen Elektrorollstuhl für den Außenbereich unter Ausschluss der Eigensteuerung zu gewähren. Im Wesentlichen hat das SG ausgeführt, die Fristen des § 13
Abs. 3a
SGB V seien nicht eingehalten und die Beklagte habe die Klägerin über die Nichteinhaltung nicht informiert. Dies betreffe alle Leistungen, die nicht außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs lägen. Mit allen weiteren Einwendungen seien die Krankenkassen ausgeschlossen. Der Gesetzestext spreche zwar von einer erforderlichen Leistung; dennoch werde ein uneingeschränkter Sachleistungsanspruch festgelegt. Um eine medizinische Rehabilitation im engeren Sinne nach der Rechtsprechung des
BSG handele es sich nicht. Eine Rücknahme sei bislang nicht erfolgt. Die Gewährung der Leistung des Elektrorollstuhls hindere auch nicht das nicht mehr ausreichende Augenlicht der Klägerin, denn es sei überzeugend bekundet worden, dass sie auch den vorhandenen Standard-Rollstuhl nur noch durch Schieben und Steuern durch den Ehemann nutzen könne. Schon bei der Antragstellung sei daher eine Eigensteuerung ausgeschlossen und nicht gewollt gewesen. Daher sei im Tenor die Klarstellung bezüglich der Eigensteuerung erfolgt.
Gegen das ihr am 5.8.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.8.2016 Berufung eingelegt.
Sie vertritt die Ansicht, dass die Genehmigungsfiktion das § 13
Abs. 3a
SGB V nur greife, wenn sich der Versicherte die begehrte Leistung selbst beschafft habe, was hier nicht der Fall gewesen sei. Sie meint, § 13
Abs. 3a
SGB V ergebe keinen Sachleistungsanspruch.
Mit Bescheid vom 23.8.2016 hat die Beklagte die "fiktive Genehmigung vom 18.4.2015 (Tag nach Fristablauf)" mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 45
SGB X "vorsorglich" zurückgenommen. Sie hat dort ausgeführt, Vertrauensschutz genieße die Klägerin nicht, weil ein Leistungsverbrauch oder eine Vermögensdisposition nicht gegeben sei. Die fiktive Genehmigung sei rechtswidrig, da sie mit materiellem Recht nicht übereinstimme. Gründe, die dennoch die Versorgung mit dem Elektrorollstuhl rechtfertigten, seien aber nicht zu erkennen. In ihr Ermessen habe sie die Interessen der Klägerin einfließen lassen. Außerdem müsse sie alle Versicherten gleich behandeln und eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung sei der Klägerin bereits gewährt worden. Wegen ihrer eingeschränkten Sehkraft könne sie einen Elektrorollstuhl nicht verkehrssicher steuern.
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2016 zurückgewiesen. Ein Klageverfahren beim SG ist hiergegen anhängig unter dem Aktenzeichen S 20 KR 744/16.
Die Beklagte meint weiter, weil fingierte Verwaltungsakte die gleiche Rechtswirkung hätten wie tatsächlich erlassene, könne man diese auch nach § 45
SGB X zurücknehmen. Außerdem sei der Bescheid vom 23.8.2016 nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens nach § 96
SGG geworden, weil eine analoge Anwendung dieser Norm nicht möglich sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 8.7.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 23.8.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2016 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie
den Bescheid vom 23.8.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2016 aufzuheben.
Sie beruft sich darauf, dass ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt nur nach § 47
SGB X widerrufen werden könne; diese Voraussetzungen lägen eindeutig nicht vor.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des SG S 20 KR 744/17 sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die Berufung der Beklagten, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden konnte (§ 124
Abs. 2
SGG), hat keinen Erfolg. Das SG hat zu Recht angenommen, dass die Genehmigung bereits durch
§ 13 Abs. 3a SGB V fingiert ist und die Klägerin bereits deshalb mit dem Elektrorollstuhl - mit der vom SG tenorierten Einschränkung des Ausschlusses der Eigensteuerung - zu versorgen ist.
Als Klageart ist vorliegend die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54
Abs. 1 1. Alt,
Abs. 4,
Abs. 5
SGG) und nicht nur die Feststellungsklage (§ 55
SGG) statthaft. Dadurch dass die Beklagte im Hinblick auf das Begehren der Klägerin einen ablehnenden Bescheid nebst diesen bestätigenden Widerspruchsbescheid erlassen hat, müssten selbst bei Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13
Abs. 3a
SGB V diese Bescheide zumindest zur Vermeidung eines Rechtsscheins aufgehoben werden. Im Übrigen ist zu erkennen, dass die Klägerin sich nicht nur auf die Bestätigung der Genehmigungsfiktion konzentriert, sondern sie begehrt zum einen die materiell-medizinische Überprüfung, ob sie nach
§§ 33,
34 SGB V einen Anspruch zur Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel hat, und zum andern die rechtliche Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 13
Abs. 3a
SGB V als Rechtsgrund für die begehrte Sachleistung vorliegen. Da der Versorgungsanspruch gegenüber der Beklagten als Krankenkasse auf beiden rechtlichen Grundlagen beruhen kann und die Beklagte sich auch weigert, die Versorgung auf der Grundlage des § 13
Abs. 3a
SGB V zu gewähren, ist die Kombination aus Anfechtungsklage und Leistungsklage in der vorliegenden Fallkonstellation richtige Klageart (erkennender Senat, Urteil vom 17.5.2017, L 2 KR 24/15;
vgl. auch
LSG Hessen, Urteil vom 23.2.2017,
L 8 KR 372/16, Rn. 18; SG Speyer, Urteil vom 18.11.2016,
S 19 KR 329/16, Rn. 21f.).
Die Beklagte hat die Klägerin wegen Eingreifens der Genehmigungsfiktion des § 13
Abs. 3a
SGB V mit dem beantragten Hilfsmittel zu versorgen. Ob darüber hinaus auch ein Versorgungsanspruch nach § 33
SGB V vorliegt, kann dahinstehen.
Gemäß § 13
Abs. 3a
SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 ... nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die
§§ 14,
15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (Satz 9).
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (
BSG, Urteil vom 8.3.2016,
B 1 KR 25/15 R Rn. 20), der der Senat folgt, dient die Genehmigungsfiktion (§ 13
Abs. 3a Satz 6
SGB V) dem Regelungszweck, Bewilligungsverfahren der Krankenkassen zu beschleunigen. Der Anspruch setzt nach dem inneren Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht des Satz 5 und dem Eintritt der Fiktion des Satz 6 des § 13
Abs. 3a
SGB V voraus, dass die Krankenkasse keinen oder keinen hinreichenden Grund mitgeteilt hat. Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der Krankenkasse prognostizierte, taggenau (
Anm.: Hervorhebung durch den Senat) anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablauf der Frist noch nicht als genehmigt gilt (
BSG aaO.).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin zunächst mit der ärztlichen Verordnung vom 18.3.2015 einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen; die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33
Abs. 1
SGB X hinreichend bestimmt ist (
BSG, Urteil vom 11.7.2017, B 1 KR 1/17 R, Rn. 18 mwN.). Diese Voraussetzung ist im Fall der Klägerin erfüllt, denn sie hat hinreichend klar dargestellt, dass es um einen elektrischen Rollstuhl für den Außenbereich geht. Dieser Antrag war daher grundsätzlich genehmigungsfähig.
Weitere Voraussetzung des § 13
Abs. 3a
SGB V ist die Erforderlichkeit der Leistung. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen (
BSG aaO. Rn. 22 mwN). Diese Regelung soll aber nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des Leistungskatalogs des
SGB V überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Durch die fachliche Befürwortung durch den Hausarzt in der entsprechenden Verordnung und die im Widerspruchsverfahren erläuterte subjektiv mangelhafte Nutzungsmöglichkeit des vorhandenen Rollstuhls ist die subjektive Erforderlichkeit des Hilfsmittels nach §§ 33, 34
SGB V gegeben. Außerdem hat die Beklagte zur Klärung dieser Frage ihren SMD einschalten müssen, wenn auch erst im Widerspruchsverfahren, was schon bedeutet, dass aus medizinischen Gründen eine Genehmigung des beantragten Hilfsmittels möglich erschien. Nach alldem kann von einem Rechtsmissbrauch der Klägerin keine Rede sein.
Hinsichtlich der übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen ist festzuhalten, dass die Beklagte den Antrag nach § 13
Abs. 3a Satz 1
SGB V nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von 3 Wochen beschieden hat, ohne der Klägerin hinreichende Gründe hierfür mitzuteilen; sie teilte ihr vielmehr keinerlei Gründe mit. Zwar hatte die Beklagte eine gutachtliche Stellungnahme des SMD eingeholt, aktenkundig ist aber nicht, dass sie ihrer entsprechenden Unterrichtungspflicht nach § 13
Abs. 3a Satz 2
SGB V der Klägerin gegenüber nachgekommen ist. Bei dem Antragseingang spätestens mit dem von der Beklagten im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem SG bestätigten Einscannen am 27.3.2015 begann diese Frist am Samstag, dem 28.3.2015 (§ 26
Abs. 1
SGB X in Verbindung mit § 187
Abs. 1
BGB) und endete am Freitag, dem 17.4.2015 (§ 26
Abs. 1
SGB X in Verbindung mit § 188
Abs. 2
BGB). Die Beklagte entschied erst am 13.7.2015 über den Antrag der Klägerin.
Die Klägerin hat somit aufgrund der Genehmigungsfiktion des § 13
Abs. 3a Satz 6
SGB V einen Anspruch auf die begehrte Leistung. § 13
Abs. 3a
SGB V hat nach der Rechtsprechung des
BSG (jüngst Urteil vom 11.7.2017, B 1 KR 26/16 R, Rn. 12, und Urteil vom 8.3.2016 aaO. Rn. 25) nicht nur eine sekundäre Kostenerstattung zur Folge, sondern auch die Gewährung des primären Naturalleistungsanspruchs (
vgl. auch erkennender Senat, Urteil vom 25.8.2017, L 2 KR 28/16, Rn. 37, und vom 17.5.2017 aaO. Rnrn. 3,4 mvwN.). Das
BSG hat ausdrücklich auf die Auffassung des
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 23.5.2014,
L 5 KR 222/14 B ER, Rn. 7) Bezug genommen und ausgeführt, dass nur bei dieser Auslegung mittellosen Versicherten ermöglicht wird, ihren Anspruch selbst zu realisieren, und dass darüber hinaus der Sanktionscharakter der Genehmigungsfiktion für diese Auslegung spricht.
Der Anwendung von § 13
Abs. 3a
SGB V im Falle der Klägerin steht Satz 9 dieser Vorschrift nicht entgegen, denn die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl gehört nicht zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation.
Nach § 13
Abs. 3a Satz 9
SGB V gelten für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die
§§ 14,
15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen. Dies entspricht grundsätzlich dem in
§ 11 Abs. 2 S. 3 SGB V und § 13
Abs. 3
S. 2
SGB V geregelten Anwendungsvorbehalt. Im Urteil vom 8.3.2016, aaO., stellte das
BSG ausdrücklich fest, dass nach den Gesetzesmaterialien und dem Regelungszweck Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von der "Kostenerstattungsregelung" ausgeschlossen sind. Der Begriff der medizinischen Rehabilitation sei dabei jedoch funktionsadäquat auszulegen. Der 1. Senat des
BSG geht dabei im Anwendungsbereich von § 14
Abs. 1 und 2
SGB IX (Verhältnis von behindertem Mensch zu Reha-Träger) von einem weiten Begriff der "medizinischen Rehabilitation" aus, während andererseits im Anwendungsbereich des § 13
Abs. 3a
S. 9
SGB V der Begriff in einem engeren Verhältnis zu verstehen ist (so auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 31.1.2017,
L 5 KR 471/15, Rn. 53 mwN.).
Allein aus der Erwähnung der Hilfsmittel als Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne von
§ 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX folgt auch kein deckungsgleiches Verständnis im Sinne des
SGB V, speziell des § 13
Abs. 3a Satz 9
SGB V. Denn dann wären eine Vielzahl von Hilfsmitteln nach § 33
SGB V bereits deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 13
Abs. 3a
SGB V ausgeschlossen. Ein Ergebnis, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann und auch im Widerspruch zu § 2
Abs. 2
SGB I steht. Danach sind die sozialen Rechte bei der Auslegung von Vorschriften und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist insbesondere sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Danach stellt eine generell restriktive, in erster Linie aus finanziellen, haushaltsmäßigen Erwägungen geleitete Handhabung des SGB einen Verstoß gegen § 2
Abs. 2
SGB I dar. Eine weite Auslegung des Begriffs der "Leistungen der medizinischen Rehabilitation" würde auch dem Sinn und Zweck des § 13
Abs. 3a
SGB V, eine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse in der Krankenversicherung zu erreichen, widersprechen. Ferner gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei § 13
Abs. 3a Satz 9
SGB V um eine Ausnahmevorschrift handelt, die eng auszulegen ist (Bayerisches
LSG aaO. Rn. 54).
Greift somit die Genehmigungsfiktion des § 13
Abs. 3a
SGB V zu Gunsten der Klägerin, ist es ohne Bedeutung, ob sie daneben auch einen Genehmigungsanspruch aus §§ 33, 34
SGB V hat.
2. Diese fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39
Abs. 2
SGB X;
BSG, Urteil vom 08.03.2016 aaO, Rn. 31). Als solches erledigendes Ereignis kann der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 23.8.2016 nicht gelten, denn diese auf § 45
SGB X gestützte Rücknahme war rechtswidrig.
Zunächst ist der Senat nicht gehindert, hierüber im Rahmen des anhängigen Berufungsverfahrens als 1. Instanz zu entscheiden, denn der Bescheid vom 23.8.2016 ist gemäß §§ 153
Abs. 1, 96
SGG Gegenstand dieses Verfahrens geworden (
vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2017, B 1 KR 15/17 R, noch nicht im Volltext veröffentlicht, Terminbericht 52/17; erkennender Senat aaO.,
LSG München, Urteil vom 3.2.2017, L 5 KR 471/15, Rn. 24, und Urteil vom 28.6.2016 ,
L 5 KR 323/14, Rn.28 ff - allerdings ohne jegliche Begründung, SG München, Urteil vom 16.6.2016, S 7 KR 409/15, Rn. 24). Der fingierte Verwaltungsakt änderte die angefochtene Leistungsablehnung ab (
BSG vom 7.11.2017 nach dem Terminsbericht 52/17). Dass der Bescheid zwischen Zustellung des Urteils des SG und Berufungseinlegung durch die Beklagte erlassen wurde, steht dem nicht entgegen (
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.6.2013, L 11 R 3828/11, Rn. 19 mwN.).
§ 96
SGG hat den Zweck, eine schnelle, erschöpfende Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis in einem Verfahren prozessökonomisch zu ermöglichen und zu verhindern, dass das Gericht gezwungen wäre, über einen nicht mehr aktuellen Zustand zu entscheiden. Zudem soll durch die Einbeziehung in das anhängige Verfahren auch die Gefahr divergierender Entscheidungen vermieden werden (
vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 96 Rn. 1a; Klein in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl. 2017, § 96
SGG, Rn. 16; SG München aaO. Rn. 27). Würde man den Rücknahmebescheid der Beklagten bei der Entscheidung im hiesigen Verfahren unberücksichtigt lassen, könnte es zu einer Fallkonstellation kommen, in der der erhobenen Klage stattgegeben wird und die Beklagte zur Leistungsgewährung verurteilt wird, während in einem weiteren Prozess über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Genehmigungsfiktion der Beklagten Recht gegeben wird. In diesem Fall stünden sich zwei sich widersprechende Entscheidungen gegenüber. Eine Anwendung des § 96
SGG ist in der vorliegenden Fallgestaltung gerechtfertigt und geboten, da es beim Klagegegenstand der hier erhobenen Leistungsklage gerade um die Herleitung eines Anspruchs aus einer Genehmigungsfiktion und damit aus einem fingierten Verwaltungsakt geht. Streitgegenstand ist damit ein Recht aus einem fingierten Verwaltungsakt, der nach Berufungseinlegung mit Wirkung für die Zukunft durch die Beklagte aufgehoben wurde. Genau eine solche Fallkonstellation will § 96
SGG aber seinem oben dargestellten Sinn und Zweck nach erfassen. Über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides konnte daher durch Einbeziehung nach §§ 153
Abs. 1, 96
Abs. 1
SGG im Rahmen dieses Berufungsverfahrens erstinstanzlich entschieden werden, ohne dass zu diesem Bescheid noch ein Vorverfahren oder ein gesondertes gerichtliches Verfahren durchzuführen war (erkennender Senat aaO.; im Ergebnis auch
BSG aaO. nach dem Terminsbericht 52/17).
Inhaltlich ist dieser Bescheid rechtswidrig und aufzuheben, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45
SGB X nicht vorliegen. Die Beklagte durfte nämlich den fiktiven Bescheid nicht zurücknehmen, weil er nicht rechtswidrig war. Nach der Rechtsprechung des
BSG (Urteil vom 7.11.2017 aaO. - Terminsbericht, Urteil vom 8.3.2016 aaO., Rn. 32) beurteilt sich die Rechtmäßigkeit in Fällen einer fiktiven Genehmigung alleine nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13
Abs. 3a
SGB V und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Weder hat sich im Fall der Klägerin etwas ergeben, was die Genehmigung ausschließen könnte, noch durfte die Beklagte nach dieser Rechtsprechung auf die materiell-rechtliche Situation abstellen, die sie im Fall der Klägerin auf der Grundlage der medizinischen Ausführungen des SMD als nicht erfüllt ansieht. Entspricht somit die Genehmigungsfiktion der rechtlichen Grundlage des § 13
Abs. 3a
SGB V, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Fiktion nicht darauf an, wie der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich zu beurteilen wäre (
BSG aaO.,
LSG München, Urteil vom 28.06.2016. Rn. 33). Den Weg über § 47
SGB X (Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakts) ist die Beklagte nicht gegangen, dessen Voraussetzungen liegen auch offenkundig nicht vor. Der Senat hatte somit auch den Bescheid vom 23.8.2016 nebst Widerspruchsbescheid vom 28.10.2016 aufzuheben, ein weiteres gerichtliches Verfahren zu dem Bescheid ist nicht zulässig.
Greift daher nach wie vor die Rechtsgrundlage des § 13
Abs. 3a Satz 6
SGB V für das klageweise geltend gemachte Begehren der Klägerin, hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160
Abs. 2
SGG) liegen nicht vor. Der Senat folgt der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des 1. Senats des
BSG, so dass weder eine Abweichung (§ 160
Abs. 2
Nr. 2
SGG) vorliegt noch die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Dass der 3. Senat des
BSG, wie die Beklagte anmerkt, im Urteil vom 11.5.2017, B 3 KR 30/15 R, Rn. 50
ff. Zweifel an der Rechtsprechung des 1. Senats im Hinblick auf die Voraussetzungen der Rücknahme einer fingierten Genehmigung äußert und zu einer anderen Auffassung "neigt", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Zum einen hat der 3. Senat nicht in der Sache entschieden und zum andern hat er auch nicht den Großen Senat angerufen (§ 41
Abs. 2,
Abs. 3
SGG).