Urteil
Krankenversicherung - Hilfsmittelverzeichnis - Anspruch auf Aufnahme eines (Therapie)-Laufrads - Funktionstauglichkeit - medizinischer/therapeutischer Nutzen - mittelbarer Behinderungsausgleich

Gericht:

LSG Berlin - Brandenburg 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 KR 56/14


Urteil vom:

22.02.2018


Grundlage:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Laufräder Leochrima HTL 16/12 und HTL 20/12 in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V aufzunehmen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufnahme eines Laufrads in das Hilfsmittelverzeichnis.

Der Kläger ist Hersteller von zwei Typen von Laufrädern, die er unter der Bezeichnung Leochrima HTL 16/12 und Leochrima HTL 20/12 vertreibt. Die Laufräder werden auf der Basis von Tretrollern gefertigt, sie sind (u.a.) mit unterschiedlich großen Rädern, einem tiefen Durchstieg, einer verstellbaren Sattelstütze, einem verstellbaren Lenkervorbau und Bremsen ausgestattet. Ein Sattel gehört nicht zum Lieferumfang. Optional werden eine Führungsstange sowie eine Fußstütze als Zubehör angeboten.

Am 5. März 2010 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Aufnahme der Laufräder als neue Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis unter der Produktgruppe 22 "Mobilitätshilfen". Ein früher gestellter Antrag sei von dem Beklagten noch mit Bescheid vom 6. November 2007 und Widerspruchsbescheid vom 18. April 2008 abgelehnt worden. Die Laufräder dienten der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung und dem Ausgleich einer Behinderung, sie seien keine alltäglichen Gebrauchsgegenstände. Beigefügt waren dem Antrag eine Konformitätserklärung betreffend die Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG, ein technischer Bericht des TÜV Süd, wonach die Laufräder der Prüfspezifikation DIN EN 12182: 1999 entsprechen würden, eine technische Dokumentation, eine Gebrauchsanleitung, ein Erfahrungsbericht aus dem Universitätsklinikum M über den erfolgreichen Einsatz der Laufräder in der Physiotherapie der Kinderklinik sowie Kopien von ärztlichen Verordnungen der Laufräder an Versicherte.

Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 29. Juni 2010 die Aufnahme des Produktes Therapielaufrad Leochrima HTL 16/12 und HTL 20/12 in das Hilfsmittelverzeichnis ab. Das angemeldete Produkt sei als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Sitzroller und Laufräder seien handelsübliche Produkte, die auch von Gesunden und Nichtbehinderten benutzt würden. Ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand werde nicht dadurch zu einem Hilfsmittel, dass er in gewisser Weise behindertengerecht umgestaltet sei. Ein Unterschied zwischen dem Therapielaufrad Leochrima und handelsüblichen Laufrädern sei nicht erkennbar. Der tiefliegende Rahmen stelle keine ausschließlich auf die Bedürfnisse von Behinderten ausgerichtete Konstruktion dar. Der Sattel gehöre nicht zum Lieferumfang, die als Zubehör angebotene Führungsstange sei kein behindertenspezifisches Ausstattungselement. Ob die Fußkonsole ein behindertenspezifisches Zubehör sei, könne nicht beurteilt werden. Sie könne jedenfalls nichts daran ändern, dass das Laufrad Leochrima insgesamt als allgemeiner Gebrauchsgegenstand anzusehen sei. Zudem sei nicht erkennbar, inwieweit das Produkt zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung bzw. zur Vorbeugung vor oder zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sein könnte. Der entsprechende Nachweis müsse im häuslichen bzw. alltäglichen Lebensbereich erbracht werden, da der Einsatz des Produkts in Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen nicht den Regelungen der §§ 33 und 139 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unterfalle. Der medizinische Nutzen eines Produkts setze einen spezifischen und konkreten Zusammenhang zwischen seinem Einsatz bei bestimmten Krankheitsbildern und dem Eintritt eines Behandlungserfolgs voraus. Vorliegend fehlten bereits eindeutige und detaillierte Herstellerangaben zu den vorgesehenen Indikationen. Diese Angaben könnten nicht durch die pauschale Nennung möglicher Einsatzgebiete ersetzt werden. Zudem sei der Nachweis des medizinischen Nutzens durch die Vorlage wissenschaftlicher Studien zu führen. Solche lägen aber nicht vor.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass das Laufrad speziell für Kranke und Behinderte konstruiert worden sei. Ein vergleichbares Produkt sei auf dem deutschen Markt nicht erhältlich. Das Laufrad könne eingesetzt werden, um Behinderten das Grundbedürfnis nach Mobilität zu erfüllen. Vorgelegt wurde dazu ein Bericht über die Verwendung eines Laufrads in der Schule sowie ein ärztliches Attest über die Erweiterung der Gehstrecke eines kleinwüchsigen Menschen durch ein Laufrad. Das Laufrad diene hauptsächlich dem Behinderungsausgleich, der therapeutische Nutzen sei nur ein Nebenziel. In dem St. Josef-Stift für Kinder- und Jugend-Rheumatologie würden ca. 30 Laufräder eingesetzt.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31. März 2011 zurück. Zur Begründung wiederholte sie ihre Erwägungen aus dem Bescheid vom 29. Juni 2010. Ergänzend wies sie darauf hin, dass der Auffassung nicht gefolgt werden könne, wonach die Laufräder primär dem Behinderungsausgleich dienen sollten. Das Produkt gehe nach seiner Zweckbestimmung über den bloßen Ausgleich von Mobilitätseinschränkungen hinaus. Es werde ausdrücklich als Therapielaufrad bezeichnet. Deswegen müsse sein medizinischer Nutzen für die beanspruchten Indikationen und Einsatzbereiche durch Studien belegt werden.

Mit der am 2. Mai 2011 bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger weiter die Aufnahme des Laufrads in das Hilfsmittelverzeichnis. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 11. Dezember 2013 abgewiesen. Bei den streitgegenständlichen Laufrädern handele es sich nicht um Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V. Mit Recht habe der Beklagte die Laufräder als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens angesehen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei zwischen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens und Hilfsmitteln zu unterscheiden. Maßgebend sei die Zweckbestimmung des Gegenstandes, die einerseits aus der Sicht des Herstellers und andererseits aus der der Benutzer abzuleiten sei. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden seien und ausschließlich oder ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt würden, seien nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Dagegen sei ein Gegenstand trotz geringer Verbreitung und hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er von seiner Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht sei. Maßgeblich sei die konkrete Funktion und Gestaltung des Gegenstandes. Ein Hilfsmittel liege auch vor, wenn ein Gegenstand zwar allgemein als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen sei, er jedoch in der konkreten Ausgestaltung erheblich von diesem abweiche, weil er für die Zwecke behinderter Menschen weiterentwickelt oder umgewandelt worden sei. Handelsübliche Laufräder würden auch in größeren Größen auf dem Markt angeboten, ohne dass sie speziell für die Bedürfnisse behinderter und kranker Menschen konstruiert worden wären. Es komme nicht darauf an, dass die Benutzung dieser Gegenstände gerade für Behinderte und Kranke in bestimmten Fällen besondere Vorteile bieten würde. Eine Weiterentwicklung oder Umwandlung gerade der Laufräder des Klägers für die Zwecke behinderter Menschen in einem Ausmaß, dass die Nutzung der Laufräder durch nicht behinderte Mensch nicht mehr möglich sei, sei nicht ersichtlich. Dahingestellt könne bleiben, ob die Laufräder für den Behinderungsausgleich oder zu Therapiezwecken eingesetzt werden könnten. Der Einsatz eines Hilfsmittels zur Verfolgung therapeutischer Zwecke setze voraus, dass ein spezifischer Krankheits- und Therapiebezug des Hilfsmittels bestehe, eine Nutzung innerhalb des Therapieplanes erfolge und dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der physikalischen Therapie bestehe, die durch den Einsatz des Hilfsmittels ersetzt würden. Die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit und die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung reichten dagegen nicht aus. Für den Einsatz der Laufräder als Hilfsmittel im Rahmen eines Therapieplans in dem genannten Sinne lägen keine Anhaltspunkte vor. Auch könne dahinstehen, ob die Laufräder im Einzelfall für den Behinderungsausgleich im Sinne einer Befriedigung des Grundbedürfnisses der Bewegungsfreiheit in Betracht kämen, um überhaupt eine Zurücklegung von Strecken im Nahbereich zu ermöglichen oder das Grundbedürfnis Bewegungsfreiheit bei Kindern und Jugendlichen zu sichern.

Gegen das ihm am 20. Januar 2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Februar 2014 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung des Klägers, mit der der Anspruch auf Aufnahme der Laufräder in das Hilfsmittelverzeichnis weiterverfolgt wird. Nach dem Gesetz bestehe Anspruch des Herstellers auf Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis, wenn das Produkt funktionstauglich und sicher sei, gegebenenfalls vorhandene zusätzliche Qualitätsanforderungen erfülle, mit Produktinformationen in deutscher Sprache versehen sei und, soweit erforderlich, der medizinischen Nutzen für das Produkt nachgewiesen sei. Der Nachweis der Funktionstauglichkeit und Sicherheit werde grundsätzlich durch die CE-Kennzeichnung erbracht. Zusätzliche Qualitätsanforderungen würden nicht existieren und seien auch von dem Beklagten bislang nicht geltend gemacht worden. Vorhanden sei auch eine Produktinformation in deutscher Sprache. Der medizinische Nutzen sei nicht nachzuweisen. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 15. März 2012 - B 3 KR 2/11 R darauf hingewiesen, dass bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung der medizinische Nutzen unter Berücksichtigung des jeweiligen Behandlungskonzepts zu beurteilen sei, während er bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich weitgehend identisch mit der Funktionstauglichkeit wäre. Die Laufräder fielen unter den durch die Rechtsprechung des BSG definierten Hilfsmittelbegriff. Bei ihnen würde es sich um ein Produkt handeln, das vom Leistungsberechtigten getragen oder mitgeführt werden könne. Es handele sich nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Aus der Produktinformation, der Darstellung auf der Homepage des Klägers und anderen Unterlagen würde sich ergeben, dass der Hersteller Menschen mit verschiedensten Einschränkungen als Zielgruppe definiert habe. Die Verwendung des Laufrades zur Freizeit und sportlichen Betätigung finde sich dagegen nicht. Im Hinblick auf die Frage, ob die Ähnlichkeit mit anderen handelsüblichen Laufrädern dazu führe, dass es sich gleichwohl um ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, hätten sowohl das Sozialgericht auch der Beklagte verkannt, dass sich entsprechend anzuwendende Vorgaben im Hilfsmittelverzeichnis für vergleichbare Produkte finden ließen. Hinzuweisen sei insoweit auf die Produktgruppe 22 (Mobilitätshilfen). Dort würden sich für den Bereich Anwendungsort: Straßenverkehr sowohl die Untergruppen der Zwei- als auch der Dreiräder finden. Soweit sich im Hilfsmittelverzeichnis eine Beschränkung auf Kinder finde, habe das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 7. Oktober 2010 - B 3 KR 5/10 R festgestellt, dass auch ein Erwachsenentherapiedreirad in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen fallen könne. Im Hilfsmittelverzeichnis würden sich Mobilitätshilfen finden, die auf handelsüblichen Fahrrädern basierten. Nichts anderes müsse für das streitgegenständliche Laufrad gelten, das Ähnlichkeit mit handelsüblichen Laufrädern aufweise. Entscheidend sei die besondere Konstruktion, die mit den Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses für die Therapiezweiräder vergleichbar sei. Entgegen dem Sozialgericht sei kein geeignetes Kriterium, ob das Erscheinungsbild mit dem eines handelsüblichen Laufrads ähnlich sei. Unzutreffend seien die Ausführungen des Sozialgerichts auch zu der Frage, ob der Einsatz des Laufrades für einen Behinderungsausgleich oder für einen therapeutischen Einsatz in Betracht käme. Der GKV-Spitzenverband gehe davon aus, dass Zwei- und Dreiräder die krankengymnastische Behandlung unterstützen und die Reaktionen des Patienten trainieren würden. Für ein Laufrad könne nichts anderes gelten. Die Rechtsprechung zum Rollstuhlbike, auf die das Sozialgericht noch verwiesen habe, sei mittlerweile überholt. Des BSG habe mit Urteilen vom 18. Mai 2011 - B 3 KR 12/10 R und B 3 KR 7/10 R die Hilfsmitteleigenschaft von Rollstühlen und Handbikes bestätigt und sie durchaus im Rahmen von Grundbedürfnissen als einsetzbar angesehen. Unzutreffend sei der Vergleich mit einem Therapietandem. Mit einem Laufrad könnten sich sowohl Kinder als auch Erwachsene selbständig fortbewegen und damit im Rahmen des Grundbedürfnisses auf Mobilität tägliche Lebenswege des Nahbereiches zurücklegen. Laufräder seien nur für Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Ab Beginn des Einschulungsalters seien Menschen mit körperlichen Einschränkungen die typischen Nutzer eines Laufrades. Das gelte auch für die Laufräder anderer Hersteller. Laufräder mit Sitzmöglichkeit seien zu unterscheiden von Rollern ohne Sitzmöglichkeit. Bei ersteren handele es sich unter keinem Gesichtspunkt um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Es handele sich vielmehr um Produkte zum Behinderungsausgleich. Auch für Zwei- und Dreiräder sei im Hilfsmittelverzeichnis formuliert, dass sie die krankengymnastische Behandlung unterstützten sowie Stütz- und Gleichgewichtsreaktionen und die Bewegungskoordination trainierten. Das müsse auch für ein Laufrad gelten. Das BSG habe zu einem Behindertendreirad ohne weiteres die Auffassung vertreten, dass es ein geeignetes Produkt zur Sicherung der Krankenbehandlung sei (Urt. v. 7. Oktober 2010 - B 3 KR 5/10 R). Das müsse dann auch für das vergleichbare Laufrad gelten. Aus dem vom Senat eingeholtem Gutachten ergebe sich gleichfalls, dass ein Laufrad für bestimmte Personengruppen geeignet sei, bei Mobilitätsdefiziten eingesetzt zu werden. Die Frage eines Anspruchs des Versicherten im Einzelfall sei bei der Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis nicht zu klären. Das Fehlen des Nachweises eines therapeutischen Nutzens stelle ein grundsätzliches Problem von Hilfsmitteln dar. Schon ihr zahlenmäßig geringer Einsatz stehe aus wirtschaftlichen Gründen der Erstellung von Studien entgegen. Ergebnisse klinischer Prüfungen müssten auch bei Hilfsmitteln nicht vorliegen, welche therapeutischen Zwecken dienen sollten. Nach der Rechtsprechung reiche aus, dass sich im Hilfsmittelverzeichnis vergleichbare Produkte finden würden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Laufräder Leochrima HTL 16/12 und HTL 20/12 in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V aufzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei den streitgegenständlichen Produkten handele es sich nicht um Hilfsmittel. Vielmehr liege jeweils ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens vor. Nicht erkennbar sei, dass das vom Kläger produzierte Laufrad für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt worden sei. Es sei in seiner Ausgestaltung und Konzeption mit den handelsüblichen Laufrädern anderer Anbieter vergleichbar. Das ergebe sich aus einer Internetrecherche. Laufräder würden auch von gesunden Menschen genutzt. Das gelte für Kinder, aber auch für Jugendliche und Erwachsene. Auf die vom Hersteller vorgenommene Zweckbestimmung komme es nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei erforderlich, dass der Gegenstand entweder seiner Konzeption nach den Zwecken des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V dienen solle oder den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkomme und von körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt werde. An einer speziellen Konzeption für behinderungsspezifische Zwecke fehle es aber. Der Kläger habe bis vor kurzem selbst darauf hingewiesen, dass das Laufrad auch für Freizeit und Shopping interessant sei. Selbst wenn es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handeln würde, liege kein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich vor. Ein unmittelbarer Behinderungsausgleich werde schon deswegen nicht erreicht, weil ein Laufrad keine Funktionsdefizite ausgleiche. Es sei aber auch kein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich, weil die vom Kläger benannte Zielgruppe zur Erschließung des Nahbereiches der Wohnung nicht auf Laufräder angewiesen sei. Denn die Möglichkeit zur Nutzung des Laufrads setze voraus, dass die Versicherten sich grundsätzlich selbst fortbewegen könnten. Auch mit Mobilitätshilfen für Kinder im Straßenverkehr, wie sie in Produktgruppe 22 gelistet seien, sei das streitgegenständliche Laufrad nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu den dort gelisteten Produkten würden die Laufräder des Klägers keine behindertenspezifischen Besonderheiten aufweisen. Schließlich handele es sich bei dem Laufrad nicht um ein Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung. Ein solches liege nach der Rechtsprechung des BSG nur vor, wenn es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werde, um zu ihrem Erfolg beizutragen (Urteil vom 7. Oktober 2010 - B 3 KR 5/10 R). Es fehle der Bezug zu einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung. Für die Aufnahme im Hilfsmittelverzeichnis wäre insoweit auch der medizinische Nutzen der Therapieform nachzuweisen. Das Laufrad sei auch zu unterscheiden von dem vom BSG entschiedenen Fall der Versorgung mit einem behindertengerechten Dreirad (BSG vom 7. Oktober 2010 - B 3 KR 5/10 R). Dort sei das Therapiedreirad individuell an Gewicht, Größe und Art der Behinderung angepasst worden. Das sei bei dem streitgegenständlichen Laufrad schon deswegen nicht möglich, weil es über keine behindertenspezifische Ausstattung und Anpassungsfähigkeit verfüge. Laufräder seien für einen mittelbaren Behinderungsausgleich nicht erforderlich. Denn die Möglichkeit ihrer Nutzung setze die der Fortbewegung zu Fuß voraus. Wenn der Nahbereich aber bereits zu Fuß erschlossen werden könne, sei die Bereitstellung weiterer Hilfsmittel nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Laufrad sei als Fortbewegungsmittel für Fitness und Freizeit konzipiert, so werde es auch von den Herstellern beworben. Es bleibe unklar, ob das Laufrad nach der Vorstellung des Klägers als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung oder zum mittelbaren Behinderungsausgleich eingesetzt werden solle. Der Kläger habe keinen Nachweis für den medizinischen Nutzen des Laufrades vorgelegt. Auch der vom Senat beauftragte Gutachter habe einen solchen nicht gesehen. Der Kläger habe schon nicht im Einzelnen und nachvollziehbar dargelegt, für welche Einsatzgebiete sein Laufrad verwendet werden solle. Es gebe auch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Nachweise für einen Nutzen. Soweit der Gutachter Vorzüge der Verwendung eines Laufrades gegenüber einem Greifreifenrollstuhl gesehen habe, gingen seine Ausführungen über die ihm vom Gericht vorgegebene Fragestellung hinaus. Auch verkenne der Gutachter die Unterschiedlichkeit der Anforderungen an das Leistungsvermögen der Versicherten. Soweit der Gutachter auf eine verbreitete ärztliche Praxis der Empfehlung von Laufrädern hinweise, gebe es dafür keine Belege. Darüber hinaus sei eine Empfehlungspraxis auch kein Indiz für die Einbeziehung des Hilfsmittels in eine ärztliche Therapie.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Dr. C D zur Verwendung von Laufrädern bei der Therapie. Für den Inhalt des am 6. März 2017 erstellten Gutachtens wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Rechtsweg:

SG Berlin, Urteil vom 11.12.2013 - S 210 KR 991/11
BSG - B 3 KR 5/18 R (anhängig)

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass das Laufrad Leochrima HTL 16/12 und Leochrima HTL 20/12 in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden.

Anspruchsgrundlage ist § 139 Abs. 4 SGB V. Nach dieser Vorschrift ist ein Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderungen nach § 139 Abs. 2 SGB V und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße und sicher Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher Sprache versehen ist.

Der Kläger ist Hersteller der beiden Laufräder, er hat auch den zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis erforderlichen Antrag gestellt. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten und des Sozialgerichts sind die Laufräder Leochrima HTL 16/12 und HTL 20/12 Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung. Der Inhalt des Hilfsmittelbegriffs ergibt sich daraus, dass nach § 33 Abs. 1 SGB V Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Konkretisiert wird der Hilfsmittelbegriff durch § 47 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung. Danach umfassen Hilfsmittel (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) die Hilfen, die von den Leistungsberechtigten getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Die vom Kläger hergestellten Laufräder sind bewegliche Gegenstände, die von den Versicherten mitgeführt und mitgenommen werden können. Es handelt sich bei ihnen nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Sie sind auch nicht grundsätzlich von einer Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.

Für die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln und den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens ist nach der Rechtsprechung des BSG darauf abzustellen, welche Zweckbestimmung dem Gegenstand aus der Sicht des Herstellers und aus der Sicht der Benutzer mitgegeben ist. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder weit überwiegend von diesem Personenkreis auch benutzt werden, sind nicht als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (BSG v. 16. September 1999 - B 3 KR 1/99 R juris Rn 14; v. 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R - juris Rn 24). Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger jedenfalls mittlerweile als eigentliche Zielgruppe für die Verwendung seiner Produkte nur (noch) kranke und behinderte Menschen im Blick hat. Das folgt schon daraus, dass er für die Laufräder eine Konformitätserklärung nach der für Medizinprodukte geltenden EU-Richtlinie 93/42/EWG abgegeben und dazu eine Prüfung nach der DIN EN 12182 (Technische Hilfe für behinderte Menschen) veranlasst hatte. Aus § 3 Medizinproduktegesetz ergibt sich, dass Medizinprodukte zur Verwendung durch kranke und behinderte Menschen bestimmt sind. Medizinprodukte sind (u.a.) Instrumente, Apparate, Vorrichtungen und Stoffe, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke (u.a.) der Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder Behinderung oder der Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu dienen bestimmt sind. Der Kläger hat seinen Laufrädern ausweislich der Konformitätserklärung die Funktionen "Therapielaufrad" und "Mobilitätshilfe" zugeschrieben. Diese Zweckbestimmung bezieht sich auf die besonderen Bedürfnisse kranker und behinderter Menschen.

Zuzugeben ist dem Beklagten lediglich, dass gewisse Formulierungen in den früheren Internetauftritten des Klägers vermuten lassen, dass er ursprünglich ein weiteres Einsatzgebiet für die von ihm entwickelten Laufräder ins Auge gefasst hatte. Dafür sprechen auch die Hinweise in dem von dem gerichtlichen Sachverständigen erstatteten Gutachten, dass der Kläger die von ihm angebotenen Laufräder ursprünglich für seine eigenen Kinder entworfen hatte. Es ist jedoch kein Rechtsgrundsatz ersichtlich, aus dem sich ergeben könnte, dass ein Hersteller die mit seinen Produkten verfolgten Erwartungen in Bezug auf deren Einsatzmöglichkeiten im Laufe der Zeit nicht ändern könnte. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Hersteller seine Erwartungen nur der Realität angepasst hatte. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung, für die sich der Senat auf seine Beobachtungen des Straßen- und Fußgängerverkehrs stützt, werden Laufräder von gesunden Menschen nur bis zu einem Lebensalter benutzt, das etwa mit dem Eintritt in die Schule endet. Eine Benutzung von Laufrädern durch gesunde Jugendliche oder Erwachsene kommt - im Gegensatz zur Verwendung von Tretrollern - praktisch nicht vor. Laufräder für gesunde Jugendliche und Erwachsene sind ausgesprochene Nischenprodukte. Soweit die Beklagte das Gegenteil behauptet, hat sie das auch nicht ansatzweise belegen können. Richtig ist allerdings, dass die Einsatzmöglichkeiten der vom Kläger angebotenen Laufräder nach der durch die Werbematerialien dokumentierten Vorstellung des Klägers auch kleinere Kinder erfassen sollen und sich somit teilweise Überschneidungen mit der Zielgruppe der gesunden (Klein-)Kinder ergeben, für die handelsübliche Laufräder angeboten werden. Aus dieser für einen begrenzten Teilbereich bestehenden Überschneidung kann aber nicht abgeleitet werden, dass die vom Kläger angebotenen Laufräder allgemein als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen wären. Denn die Funktionalität dieser Laufräder wird wesentlich dadurch bestimmt, dass sie durch die Verstellmöglichkeiten der Höhe von Lenker und Sattel, die Größe und Länge des Rahmens sowie das maximale Benutzergewicht von 105 kg insbesondere von Personen benutzt werden können, die dem Kleinkindalter bereits entwachsen sind. In der durch die Art und Weise der Konstruktion vorgegebenen besonderen Zielgruppe der Produkte des Klägers, größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene, werden Laufräder nicht von gesunden Menschen, sondern überwiegend nur von kranken und behinderten Menschen benutzt. Damit sind sie nicht als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen.

Der Kläger hat auch die Funktionstauglichkeit und Sicherheit seiner Laufräder nachgewiesen. Das ergibt sich aus der CE-Kennzeichnung seiner Produkte. Mit der CE-Kennzeichnung gilt ein Hilfsmittel auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne als funktionstauglich und sicher, ohne dass dies von den Krankenkassen oder den Gerichten noch gesondert zur prüfen wäre. Der CE-Kennzeichnung kommt Tatbestandswirkung zu (BSG v. 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R - juris Rn 37). Das ist mittlerweile durch den am 1. April 2007 in Kraft getretenen § 139 Abs. 5 SGB V ausdrücklich gesetzlich so geregelt. Von der nach § 139 Abs. 5 Satz 3 SGB V bestehenden Möglichkeit, zusätzliche Prüfungen vorzunehmen und dafür erforderliche Nachweise zu verlangen, hat der Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Die EU-Konformitätserklärung ist auch nicht deswegen wirkungslos, weil die ihr zugrunde liegende EU-Richtlinie 93/42/EWG mittlerweile durch die VO über Medizinprodukte 2017/245 ersetzt worden ist. Die Regelungen der neuen Verordnung geltend nach Art 123 Abs. 2 VO 2017/245 zwingend nämlich erst ab dem 26. Mai 2020. Überdies sind in Art 120 Abs. 4 VO 2017/245 Übergangsfristen vorgesehen, während denen eine nach altem Recht erteilte Konformitätserklärung ihre Wirksamkeit behält. Besondere Qualitätsanforderungen für Laufräder im Sinne des § 139 Abs. 2 SGB V schließlich gibt es nicht, so dass die Produkte des Klägers solche auch nicht zu erfüllen hatten.

Den medizinischen Nutzen der Laufräder hat der Kläger soweit erforderlich nachgewiesen. Die an den Nachweis des medizinischen Nutzens zu stellenden Anforderungen unterscheiden sich danach, ob ein Hilfsmittel in Frage steht, welches therapeutischen Zwecken dient, oder ob es sich um ein Hilfsmittel zum bloßen Behinderungsausgleich handelt. Bei letzteren ist der Nachweis eines therapeutischen Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit für den Ausgleich einer Behinderung hinausgeht, nicht geboten und im Regelfall auch nicht möglich (BSG v. 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R - juris Rn 33; v. 16. September 2004 - B 3 KR 20/04 R - juris Rn 18). Soweit dagegen der therapeutische Nutzen eines Hilfsmittels geltend gemacht wird, muss zumindest die gleiche Wirksamkeit wie die von anderen herkömmlichen Produkten nachgewiesen werden. Die Durchführung und Vorlage klinischer Studien ist indessen auch hier nicht unbedingt erforderlich (BSG v. 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R - juris Rn 33).

Ein therapeutischer Nutzen der von dem Kläger hergestellten Laufräder ist nicht nachgewiesen. Er ergibt sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus den weiteren Ermittlungen des Senats (zur Zulässigkeit solcher weiterer Ermittlungen vgl BSG v. 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R - juris Rn 29). Der gerichtlich beauftragte Sachverständige Dr. D hat zwar ausgeführt, dass Laufräder zurzeit in der Kinder-Rheumatologie und der Kinder-Orthopädie verwendet würden. Besondere therapeutische Ziele, die im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung stehen, hat der Sachverständige allerdings nicht benannt, sondern allgemein auf gesundheitsfördernde Aspekte der Bewegung verwiesen. Die allgemein gesundheitsfördernde Wirkung körperliche Betätigung ist aber noch keine besondere Therapieform. Weder dem eingeholten Gutachten noch den sonstigen vom Kläger eingereichten Berichte und Unterlagen lässt sich entnehmen, dass eine Benutzung der vom Kläger angebotenen Laufräder durch kranke oder behinderte Menschen regelmäßig unter ärztlicher Kontrolle und Anleitung erfolgt. Damit fehlt es offensichtlich schon an einem inneren Zusammenhang zwischen der Verwendung der Laufräder und einer bestimmten ärztlich verantworteten Therapieform, deren Einleitung von bestimmten Indikationen abhängig gemacht wird und deren Erfolge und Ergebnisse überwacht werden könnten. Der Nachweis eines therapeutischen Nutzens der vom Kläger hergestellten Laufräder ist demnach nicht erbracht worden.

Hinreichend nachgewiesen ist der medizinische Nutzen der vom Kläger produzierten Laufräder aber für den Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs. Insoweit ergibt sich der medizinische Nutzen bereits aus der Funktionstauglichkeit (BSG v. 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R - juris Rn 33; v. 16. September 2004 - B 3 KR 20/04 R - juris Rn 18). Für den Nachweis der Funktionstauglichkeit ist auf die CE-Kennzeichnung Bezug zu nehmen (BSG v. 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R - juris Rn 37). Allerdings müsste eine Listung des Produktes in dem Hilfsmittelverzeichnis unterbleiben, wenn es regelmäßig nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst wird (LSG Nordrhein-Westfalen v. 8. Dezember 2015 - L 1 KR 61/11 - juris Rn. 35). Für den Ausschluss des Anspruches auf Aufnahme würde es aber nicht ausreichen, dass ein Produkt nur im Einzelfall und bei Vorliegen besonderer qualitativer Momente vom Versorgungsanspruch umfasst wird (BSG v. 30. November 2017 - B 3 KR 3/16 R). Denn insoweit können die objektiven medizinischen und sonstigen Voraussetzungen für eine Versorgung abstrakt im Hilfsmittelverzeichnis definiert werden.

Der Senat vermag sich nicht der Auffassung des Beklagten anzuschließen, wonach die Versorgung eines behinderten Menschen mit einem Laufrad zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bereits deswegen stets ausgeschlossen ist, weil die Benutzung dieses Hilfsmittels den Erhalt der Gehfähigkeit sowie sonstiger körperlichen Fähigkeiten voraussetzt, welche es den Versicherten ermöglichen würden, den Nahbereich auch zu Fuß zu erschließen. Denn die Gehfähigkeit kann dem Grunde nach erhalten geblieben sein, ohne dass die Belastungsfähigkeit des versicherten Menschen für alle im Nahbereich gelegenen Ziele ausreichen muss, die von einem gesunden Menschen üblicherweise zu Fuß aufgesucht werden. In der Rechtsprechung des BSG ist bereits anerkannt, dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln haben, wenn sie im Nahbereich gelegene Ziele ohne Hilfsmittel nur unter Schmerzen oder mit erheblichem Zeitaufwand erreichen können (BSG v. 12. August 2009 - B 3 KR 8/08 R - juris Rn 24). Aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen und Verordnungen ergibt sich die Möglichkeit von Fällen, in denen bei Rheumapatienten trotz grundsätzlich erhalten gebliebener Gehfähigkeit zur Schonung der Gelenke oder bei Kleinwüchsigkeit die Verwendung eines Laufrades angezeigt erscheint, um den Versicherten den Nahbereich zu erschließen, der über den Umfang eines Grundbedürfnisses nicht hinausgeht. Darüber hinaus kann es bei Vorliegen besonderer Umstände, etwa zur Sicherstellung der Erreichbarkeit der behandelnden Ärzte, auch erforderlich sein, die Mobilität der Versicherten im Rahmen der Grundbedürfnisse in einem über den üblichen Nahbereich hinausgehenden Umfang sicherzustellen (vgl. BSG v. 16. September 2004 - B 3 KR 19/03 R - juris Rn 21).

Schließlich gibt es für die vom Kläger hergestellten Laufräder des Klägers auch eine Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache, welche die für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen enthält.

Nach alledem war auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und der Beklagte zur Aufnahme der Laufräder in das Hilfsmittelverzeichnis zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG iVm § 154 VwGO.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.

Referenznummer:

R/R7758


Informationsstand: 16.10.2018