Urteil
Beihilfe für die Anschaffung, die Ausbildung und den Unterhalt eines Anfallswarn- und Anfallsbegleithundes

Gericht:

VG München 5. Kammer


Aktenzeichen:

5 K 3011/16


Urteil vom:

05.07.2018


Grundlage:

  • BG NW § 77 |
  • BhV NW § 3

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Beihilfebescheides der C. N. vom 00.00.0000 in der Gestalt deren Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 verpflichtet, der Klägerin eine Beihilfe in Höhe von 5.547,50 Euro zu gewähren, und verurteilt, aus diesem Betrag Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin steht als beihilfeberechtigte Beamtin - mit einem Bemessungssatz von 70% - im Dienste des beklagten Landes. Sie begehrt die Gewährung einer Beihilfe für die Anschaffung, die Ausbildung und den Unterhalt eines Anfallswarn- und Anfallsbegleithundes.

Die Klägerin ist seit ca. 15 Jahren anfallserkrankt. Eine medikamentöse Einstellung ist nicht möglich. Regelmäßig treten Anfälle auf, die häufig mit völliger Hilflosigkeit verbunden sind. Dabei ist die Klägerin auch meist nicht selbst in der Lage, Hilfe herbeizuholen. Bei der Klägerin sind eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 80 und - wegen der Art und Häufigkeit der Anfälle - die Nachteilsausgleiche G (Beeinträchtigungen im Straßenverkehr) und B (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) festgestellt worden.

Mit Verordnung vom 00.00.0000 verordnete der behandelnde Neurologe (Dr. med. M. D.) der Klägerin unter der Diagnose "Anfallsleiden, nicht einstellbar" einen Anfallswarn- und Begleithund.

Unter dem 00.00.0000 beantragte die Klägerin die Übernahme der zu erwartenden Kosten für einen Anfallswarn- und Begleithund als Hilfsmittel. Die Anschaffungskosten betrügen 1.200,- Euro, die im Mai beim Erwerb anfielen. Anders als bei Blindenhunden erfolge die Ausbildung gemeinsam mit dem Erkrankten, so dass sie neben den üblichen Unterhaltungskosten in den ersten zwei Lebensjahren von ca. 300,- Euro Ausbildungskosten ausgehe. Sie bitte zunächst um eine Entscheidung dem Grunde nach.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 teilte die C. N. (Beihilfestelle) der Klägerin - neben der Bewilligung einer Beihilfe für sonstige geltend gemachte Aufwendungen - mit, dass ihrem Antrag vom 00.00.0000 aus beihilferechtlicher Sicht nicht entsprochen werden könne. Epilepsiehunde seien im Hilfsmittelkatalog des § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW nicht ausdrücklich aufgeführt. Dies schließe die Beihilfefähigkeit nicht grundsätzlich aus. In einem solchen Fall habe die Beihilfestelle vielmehr nach § 3 Abs. 2 BVO NRW über die Notwendigkeit eines Hilfsmittels zu entscheiden. Zur Feststellung der Notwendigkeit werde in ständiger Praxis auch das Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) herangezogen. Sei dort ein entsprechendes Hilfsmittel eingetragen, werde es in aller Regel als notwendig im Sinne des § 3 Abs. 1 BVO NRW anerkannt. Im Hilfsmittelkatalog sei jedoch kein Eintrag zu diesem Hilfsmittel zu finden. Es werde davon ausgegangen, dass die GKV einen Epilepsiehund nicht als notwendig anerkenne.

Mit Schreiben vom 00.00.0000 bat die Klägerin, ihr "einen Anfallwarn- und -meldehund grundsätzlich als Hilfsmittel zu genehmigen".

Am 00.00.0000 erwarb die Klägerin die J. U. -Hündin "Dearest Tula B. E2. E3. "zu einem Kaufpreis vom 1.200,- Euro.

Auf den gegen den Bescheid vom 00.00.0000 erhobenen Widerspruch teilte die Beihilfestelle mit Schreiben vom 00.00.0000 mit, dass die Hinweise in dem Bescheid vom 00.00.0000 "eher informatorischer Natur" gewesen seien. Gleichzeitig bat die Beihilfestelle um eine Stellungnahme des behandelnden Arztes zur medizinischen Notwendigkeit des Anfallswarn- und Meldehundes. Mit Schreiben vom 00.00.0000 legte die Klägerin der Beihilfestelle eine nervenärztliche Bescheinigung des E. med. M. D. vom 00.00.0000 vor.

E2. von der Beihilfestelle eingeschaltete Amtsarzt der Stadt N., E. M1., gelangte in seiner Stellungnahme vom 00.00.0000 zu dem Ergebnis, dass "bei dem vorliegenden schweren Krampfanfallsleiden und der hier dokumentierten relativen Erfolglosigkeit der bisherigen Therapiebemühungen zur Vermeidung von doch deutlichen Verletzungen und Gefährdungen der Anerkennung der Anschaffung eines Anfall- und Meldehundes zugestimmt werden sollte."

Mit Schreiben vom 00.00.0000 bat die Klägerin - unter Vorlage des Entwurfs eines Ausbildungsvertrages - um Übernahme der Ausbildungs- und Unterhaltungskosten für den von ihr erworbenen Hund.

Am 00.00.0000 erhob die Klägerin Klage beim erkennenden Gericht (5 K 3435/13), mit der sie eine "Entscheidung über Beihilfeleistungen für die Anschaffung und Ausbildung eines Epilepsiehundes" begehrte. Gleichzeitig beantragte die Klägerin "eine vorläufige Regelung hinsichtlich der Ausbildung des Hundes" (5 M. 771/13).

Das Verfahren 5 M. 771/13 wurde durch Annahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags vom 00.00.0000 beendet. In dem Vergleich verpflichtete sich der Beklagte, der Klägerin im Falle der Ablehnung ihres noch zu stellenden Antrags auf Gewährung einer Beihilfe zu den Kosten der Ausbildung des Epilepsiehundes die fehlende Voranerkennung nicht entgegenzuhalten.

Das Klageverfahren 5 K 3435/13 wurde im Rahmen des gerichtlichen Erörterungstermins am 28. Mai 2015 ebenfalls unstreitig beendet.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 lehnte die Beihilfestelle den Antrag der Klägerin vom 00.00.0000 auf Anerkennung eines Anfalls- und Warnhundes als Hilfsmittel gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW nach Beteiligung des Finanzministeriums NRW ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beihilfestelle mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zurück.

Am 00.00.0000 erhob die Klägerin Klage beim erkennenden Gericht (5 K 570/14) mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, ihr einen Anfallswarn- und Anfallsbegleithund als notwendiges Hilfsmittel zuzubilligen und dessen Anschaffungs-, Ausbildungs- und Unterhaltskosten zu übernehmen.

Mit Verfügung vom 00.00.0000 hob die Beihilfestelle den Bescheid vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 auf und gab darüber hinaus eine Zusicherung gemäß § 38 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) mit folgendem Inhalt ab:

"Für ein künftiges Antragsverfahren auf Anerkennung eines Anfallswarn- und Anfallsbegleithundes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 10 BV0 NRW als Hilfsmittel, sichere ich Ihnen bis zu einem rechtskräftigen Abschluss zu, dass Ihnen die fehlende Voranerkennung für das Hilfsmittel nicht entgegenhalten wird und verzichte bis zur rechtskräftigen Entscheidung auf die Einrede der Verjährung.

Für den Fall der Anerkennung des Hundes als Hilfsmittel gem. § 4 Abs.1 Nr. 10 BVO NRW erkenne ich neben den Anschaffungskosten in Höhe von 1.200,00 Euro im Rahmen der derzeit gültigen beihilferechtlichen Bestimmungen folgende weitere Kosten an, auch wenn Ihnen diese bereits entstanden sein sollten:

- Geschirr, Hundeleine, Halsband und Maulkorb gem. § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW,

- Unterhaltskosten (Futter, Tierarzt, Versicherungen etc.) für lhren Hund ohne Nachweis bis zu 100 Euro im Monat,

Anm.: Hierfür ist eine Erklärung Ihrerseits erforderlich, dass Ihnen Kosten in dieser Höhe entstanden sind. Werden höhere Kosten geltend gemacht, ist die Vorlage von Belegen erforderlich.

VV 4.1.10.7 zu § 4 Abs. 1 Nr. 10 BV0

- Ausbildungskosten für den Hund in Höhe von 225,00 Euro pro Monat,

- notwendige Fahrtkosten zu der in Bremen gelegenen Ausbildungsstelle gem. § 4 Abs. 1 Nr. 11 BVO NRW,

- auswärtige Unterbringungskosten anlässlich eines Trainings mit dem Hund gern. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVO NRW.

Vorsorglich weise ich darauf hin, dass nach § 3 Abs. 1 BVO NRW bei allen Kosten zu berücksichtigen ist, dass nur die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang beihilfefähig sind."

Das Klageverfahren 5 K 570/14 wurde daraufhin unstreitig beendet.

Mit Kurzantrag auf Zahlung einer Beihilfe vom 00.00.0000 beantragte die Klägerin die Bewilligung einer Beihilfe zu den Anschaffungs-, Ausbildungs- und Unterhaltskosten für ihr "Hilfsmittel Assistenzhund". Die geltend gemachten im Einzelnen aufgeführten Aufwendungen bezifferte sie auf insgesamt 7.925,- Euro. Darüber hinaus führte sie aus, dass der Hund inzwischen abschließend und erfolgreich geprüft sei. Sie beziehe sich bei ihrem Antrag auf die bereits geführten Verwaltungsstreitverfahren sowie die erteilte Zusicherung.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 lehnte die Beihilfestelle die Gewährung einer Beihilfe für die mit dem Antrag vom 00.00.0000 geltend gemachten Aufwendungen ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Im Hilfsmittelverzeichnis der GKV sei unter dem Begriff "Epiliepsie(warn)hund" kein Eintrag zu finden. Es sei davon auszugehen, dass die GKV einen Epilepsiewarnhund nicht als notwendig anerkenne und die Notwendigkeit damit nicht gegeben sei. B. den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ergäben sich auch keinerlei Anhaltspunkte, dass der Hund die Aufgabe zuverlässig wahrnehme und als Hilfsmittel geeignet sei. Auch die erfolgreiche Prüfung belege dies nicht.

Zur Begründung ihres am 00.00.0000 erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen aus: Das Hilfsmittelverzeichnis der GKV sei keine abschließende, verbindliche Aufzählung von möglichen Hilfsmitteln und stehe insoweit der Gewährung einer Beihilfe nicht entgegen. Ein Assistenzhund sei für sie erforderlich, da ihre Erkrankung therapieresistent sei und sie durch ihre Anfälle immer wieder in völlig schutzbedürftige, hilflose Situationen gerate. Der Hund erfülle verschiedene Funktionen und ersetze damit krankheitsbedingt beeinträchtigte (Körper)-funktionen. Er könne sowohl durch Bellen als auch durch Bedienen des Hausnotrufs Hilfe holen, sie vor Übergriffen schützen, sie auf geübten Wegen nach Hause geleiten, ihre Notfallmedikation holen und reichen. Vor Anfällen könne er frühzeitig warnen und sie so vor Sturzverletzungen behüten. Diese Hilfeleistungen habe er mehrfach - auch erkennbar für andere - erbracht, so dass die Eignung rein faktisch nachgewiesen sei. Die Hilfeleistungen ermöglichten ihr gesellschaftliche Teilhabe sowohl im privaten Bereich als auch im Erwerbsleben. Sie seien zwingende Voraussetzung für ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Soweit bisher die grundsätzliche Eignung eines Assistenzhundes als wissenschaftlich nicht belegbar angesehen werde, sei beispielhaft auf die Rechtslage in Österreich hinzuweisen. Dort seien Assistenzhunde in § 39a des Behindertengesetzes legaldefiniert. In Ausführungsrichtlinien seien weitere Bestimmungen, u. a. für Epilepsiehunde, erfasst.

Mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 wies die Beihilfestelle den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Assistenzhunde seien nicht im Hilfsmittelkatalog des § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW aufgeführt. Die schließe zwar die Beihilfefähigkeit nicht grundsätzlich aus. In diesen Fällen stelle sich aber die Frage nach der Notwendigkeit eines solchen Hilfsmittels. Dazu werde das Hilfsmittelverzeichnis der GKV herangezogen. Ein Epilepsiewarnhund bzw. Assistenzhund sei dort - mit Ausnahme eines Blindenführhundes - nicht aufgeführt und werde von der GKV auch nicht als Hilfsmittel anerkannt. Ob Assistenzhunde hinreichend geeignet seien, eine Behinderung umfassend auszugleichen, könne wegen fehlender, allgemeingültiger Standards für die Ausbildung und den Einsatz nicht festgestellt werden. Für die beihilferechtliche Notwendigkeit reiche nicht aus, dass das begehrte Hilfsmittel sinnvoll, unterstützend und hilfreich sei. Es müsse ein Nachweis bestehen, wonach der Epilepsiehund die Funktionen als Hilfsmittel tatsächlich auch in vollem Umfang erfülle. Es möge zwar sein, dass der Hund im Einzelfall eine Warnfunktion durch Bellen und eine Hilfestellung durch Bedienen des Hausnotrufs erfülle. Ob diese Funktionen aber hinreichend gesichert und im Notfall immer erfüllt würden und er durchgehend als Hilfsmittel geeignet sei, sei bisher nicht nachgewiesen. Der Hinweis auf bestehende Regelungen in Österreich könne unabhängig von deren Ausgestaltung nicht auf den Fall der Klägerin übertragen werden. In der Bundesrepublik Deutschland bestünden solche Regelungen nicht. Zwar gebe es auch hier politische Initiativen, um Assistenzhunde als Hilfsmittel zu etablieren. Einschlägige Entscheidungen des Gesetzgebers seien bisher aber nicht getroffen worden. Daraus lasse sich schließen, dass der deutsche Gesetzgeber bewusst keine einschlägigen Regelungen getroffen habe, Assistenzhunde allgemein als Hilfsmittel anzuerkennen. Das Finanzministerium halte aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage an seiner bisherigen Auffassung fest und erteile nicht die nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 11 BVO NRW erforderliche Zustimmung.

Am 3. August 2016 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben und diese anschließend ausführlich begründet.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids der C. N. vom 00.00.0000 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 00.00.00000 zu verpflichten, ihr eine Beihilfe in Höhe der gesetzlichen Bestimmungen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage - auch unter Bezugnahme auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und den verwaltungsgerichtlichen Verfahren 5 K 570/14, 5 K 3435/13 und 5 M. 771/13 - entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakten 5 K 570/14, 5 K 34.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Thema Assistenzhunde finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Di...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung der von ihr beantragten Beihilfe. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 77 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz - LBG NRW) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung NRW - BVO NRW) vom 5. November 2009 (in der im maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung) sind beihilfefähig die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der Gesundheit, zur Besserung oder Linderung von Leiden, zur Beseitigung oder zum Ausgleich angeborener oder erworbener Körperschäden sowie bei dauernder Pflegebedürftigkeit und erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW umfassen die beihilfefähigen Aufwendungen vom Arzt schriftlich verordnete Hilfsmittel (Satz 1). Beihilfefähig sind insbesondere Aufwendungen für dort im Einzelnen aufgelistete Hilfsmittel (Satz 10). Aufwendungen für in Satz 10 nicht genannte Hilfsmittel von mehr als 1.000,- Euro sind nur beihilfefähig, wenn die Beihilfestelle die Beihilfefähigkeit vorher anerkannt hat; bei Aufwendungen von mehr als 2.500,- Euro ist darüber hinaus die Zustimmung des Ministeriums der Finanzen erforderlich (Satz 11).

Diese Voraussetzungen liegen für die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen vor.

Die Aufwendungen für die Anschaffung, die Ausbildung und den Unterhalt des von ihr erworbenen Anfallswarn- und Begleithundes "Tula" sind notwendig im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW.

Ob Aufwendungen notwendig sind, richtet sich danach, ob sie medizinisch geboten sind. Der Dienstherr ist nur gehalten, eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung im Krankheitsfall zu gewährleisten. Kosten für lediglich nützliche, aber medizinisch nicht gebotene Maßnahmen muss der Beihilfeberechtigte selbst tragen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Januar 2009 - 2 C 129.07 -, BVerwGE 133, 67 = juris, Rn. 9 und vom 28. Mai 2008 - 2 C 24.07 -, DVBl 2008, 1193 = juris, Rn. 23; BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 -, BVerfGE 106, 225 = juris, Rn. 29 ff.; Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Bd. 1, B I § 3 Anm. 1, Bl. B 42 (Stand: Oktober 2017).

Die Klägerin ist seit ca. 15 Jahren anfallserkrankt. Regelmäßig treten Anfälle auf, die häufig mit völliger Hilflosigkeit verbunden sind. Dabei ist die Klägerin meist nicht selbst in der Lage, Hilfe herbeizuholen. Die Erkrankung ist austherapiert. Eine Verbesserung des gesundheitlichen Zustands ist weder durch den Einsatz von Medikamenten noch durch andere therapeutische Ansätze möglich. Diesen - nicht zuletzt durch die fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Neurologen E. med. M. D. vom 00.00.0000 gestützten - Umständen ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten.

Von dieser Sachlage ausgehend ist der von der Klägerin erworbene Anfallswarn- und Begleithund "Tula" für diese unerlässlich. Die Klägerin hat bereits im Rahmen des behördlichen Vorverfahrens ausgeführt, dass der Hund in verschiedener Weise krankheitsbedingte Beeinträchtigungen ihrer Körperfunktionen ersetzt. Der Hund ist in der Lage, die Klägerin frühzeitig vor Anfällen zu warnen und sie so vor Sturzverletzungen zu behüten. Er kann durch Bellen und Bedienen des Hausnotrufs Hilfe holen, die Notfallmedikation bringen, die Klägerin in hilfloser Lage vor Übergriffen schützen und sie auf geübten Wegen nach Hause geleiten.

Der Anfallswarn- und Begleithund "Tula" erfüllt die oben beschriebenen Funktionen auch - wie von dem Beklagten gefordert - regelmäßig und zuverlässig. Die Klägerin hat hierzu schriftliche Stellungnahmen ihrer Kolleginnen I. P., H. C1. und B1. G. vorgelegt (Gerichtsakte, Bl. 76 bis 78). Namentlich die Ausführungen der Kollegin P. machen eindrucksvoll deutlich, dass der Hund seine Aufgaben in zuverlässiger Art und Weise erfüllt. Die von der Klägerin im Rahmen der Klagebegründung weiterhin geschilderten Ereignisse (Anfall am 00.00.0000 auf dem Weg zur Arbeit; Anfall am 00.00.0000 während ihrer Abordnungszeit im Ministerium für Schule und Weiterbildung) sowie die von ihr im Rahmen der mündlichen Verhandlung gemachten ausführlichen Darlegungen (zum normalen Tagesablauf unter Einbindung ihres Hundes und zu dessen Aufgabenerfüllung) ergänzen dieses von den Fähigkeiten des Hundes gewonnene Bild. Diesen Erkenntnissen hat der Beklagte nichts Substantielles entgegengesetzt. Davon, dass die Funktionen lediglich "im Einzelfall sporadisch erfüllt werden", kann angesichts all dessen nicht die Rede sein.

Soweit der Beklagte darauf abstellt, dass es an allgemeingültigen Standards für die Ausbildung und den Einsatz und damit an einem (wissenschaftlichen) Nachweis fehle, wonach der Epilepsiehund die Funktionen als Hilfsmittel tatsächlich auch in vollem Umfang erfülle, führt dies nicht weiter. Es trifft zwar zu, dass bislang in der Bundesrepublik Deutschland - anders als in anderen Ländern, z.B. in Österreich - noch keine entsprechenden gesetzlichen Regelungen getroffen worden sind. Dafür, dass dies der Erkenntnis geschuldet sei, dass es an einem Nachweis fehle, wonach der Epilepsiehund die Funktionen als Hilfsmittel tatsächlich auch in vollem Umfang erfülle, ist indes ein tragfähiger Anhalt nicht ersichtlich. Dass ein geeigneter Hund nach entsprechender - wie auch immer im Einzelnen gearteter - Ausbildung die Funktionen eines Assistenzhundes in zuverlässiger Art und Weise auszufüllen vermag, zeigt sich in eindrucksvoller Weise bei dem hier in Rede stehenden Anfallswarn- und Begleithund "Tula". Auch die von dem Beklagten angeführte "Entschließung des Bundesrates: Gleichbehandlung aller von Assistenzhunden unterstützter Menschen mit Behinderung schaffen - Assistenzhunde für Menschen mit Behinderung anerkennen" vom 10. Februar 2017 (Drucksache 742/16) macht dies deutlich. B. dieser Entschließung lassen sich nicht im Ansatz Zweifel an der generellen Eignung von entsprechend ausgebildeten Assistenzhunden herleiten. Im Gegenteil: Der Bundesrat geht ersichtlich von der Eignung entsprechend ausgebildeter Hunde aus, wenn er dort ausführt, dass die Aufgabe von Assistenzhunden schon jetzt darin besteht, "ein selbstbestimmtes Leben ... zu ermöglichen" und "Assistenzhunde, zu denen Begleithunde, Diabeteswarnhunde, Epilepsiehunde oder auch Blindenführhunde zählen," im Alltag zum Beispiel helfen, "indem sie das Telefon holen, Unterarmstützen bringen, vor Unterzuckerung warnen, Türen öffnen, Hilfe rufen und so weiter." Die Schaffung bundesweit einheitlicher Qualitätsstandards wird dort lediglich gefordert, um den Betroffenen, "die einen Assistenzhund erwerben, Sicherheit hinsichtlich der Eignung und Befähigung des Tieres" zu geben und die "Eintragung von Assistenzhunden in den Schwerbehindertenausweis" zu ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund kommt der fehlenden Aufnahme des Anfallswarn- und Begleithundes in den Hilfsmittelkatalog des § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW bzw. in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V - entgegen der Auffassung des Beklagten - keine Bedeutung für die Frage der Notwendigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW zu.

Die schriftliche ärztliche Verordnung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 BVO NRW liegt mit der Verordnung des E. med. M. D. vom 00.00.0000 vor.

Die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 11 BVO NRW erforderliche vorherige Anerkennung der Beihilfefähigkeit steht dem geltend gemachten Anspruch vor dem Hintergrund der von dem Beklagten unter dem 00.00.0000 abgegebenen Zusicherung gemäß § 38 VwVfG NRW nicht entgegen.

Der Umstand, dass das Ministerium der Finanzen die Erteilung der Zustimmung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 11, Halbsatz 2 BVO NRW verweigert hat, ist für die rechtliche Bewertung im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich.

Die im Einzelnen von der Klägerin angeführten und nachgewiesenen Aufwendungen sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Sie halten sich insgesamt im Rahmen der von dem Beklagten gegebenen Zusicherung vom 00.00.0000, nach der auch die Nichteinhaltung der Jahresfrist nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BVO NRW hinsichtlich der bereits in den Jahren 2013 und 2014 entstandenen Aufwendungen dem Anspruch nicht entgegensteht. Die geltend gemachten Unterhaltskosten sind in vollem Umfang beihilfefähig. Soweit nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2, 2. Halbsatz BVO NRW von den Aufwendungen für den Betrieb der Hilfsmittel nur der 100 Euro im Kalenderjahr übersteigende Betrag beihilfefähig ist, greift dies für die hier in pauschalierter Weise abgerechneten Unterhaltskosten nicht.

Vgl. Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Bd. 1, B I § 4 Erl. 10, Bl. B 75 (Stand: Oktober 2017).

Der Zinsanspruch beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, 187 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Referenznummer:

R/R7986


Informationsstand: 12.03.2019