II.
Der Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag nach § 86b
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2). Hierzu bedarf es eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds.
Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die Entscheidung eilbedürftig ist und es nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der Anordnungsanspruch ist der materiell-rechtliche Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind unter Beachtung der objektiven Beweislastverteilung glaubhaft zu machen (§ 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG i. V. m. § 920 Zivilprozessordnung [ZPO]), die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen daher überwiegend wahrscheinlich sein.
1. Es besteht ein Anordnungsanspruch. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage stellt die Versorgung des Antragstellers mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion eine erforderliche Hilfsmittelversorgung im Sinne des
§ 33 Abs. 1 SGB V dar. Demnach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Der beantragte Elektrorollstuhl mit Stehfunktion dient in allen drei genannten Versorgungszwecken. Im Hinblick auf den zu sichernden Erfolg einer Krankenbehandlung und die Vorbeugung einer drohenden Behinderung hat die behandelnde Neurologin des Antragstellers in ihrer Stellungnahme vom 4. Juni 2019 ausgeführt, dass das intermittierende stehen für den Antragsteller extrem wichtig sei, um die Muskelkraft, die Knochensubstanz, das Herz-Kreislaufsystem sowie alle Organe vor die Generation und Schwächung zu schützen
bzw. sie zu trainieren. Die Physiotherapeutin des Antragstellers führt in ihrer Stellungnahme vom 29. Mai 2019 ergänzend aus, dass durch die Belastung der Muskulatur Kontrakturen im Bereich der Füße reduziert werden könnten. Die Schwerkraft belaste zusätzlich noch das kardiopulmonale System wodurch die Funktion der Muskelvenenpumpe gekräftigt werde.
Zusätzlich dient der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion auch dem Behinderungsausgleich. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktion dienen (
vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-2500 § 33
Nr. 18 und 20). Der in § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines körperlichen und geistigen Freiraums (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Juni 2013 -
L 5 KR 72/13 B ER -, Rn. 15, juris).
Bei dem Antragsteller ist das Grundbedürfnis des Stehens betroffen. Es ist zwischen den Beteiligten zuletzt unstreitig geblieben, dass die Antragsgegnerin dazu verpflichtet ist, den Antragsteller mit Hilfsmitteln zu versorgen, die dieses Grundbedürfnis erfüllen. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller in der Vergangenheit deshalb u.a. mit einem Stehtrainer versorgt. Die bisherige Versorgung des Antragstellers ist nach Überzeugung des Gerichts aber nicht ausreichend. Insbesondere ist der vorhandene Stehtrainer ungeeignet, dem Antragsteller das Grundbedürfnis des Stehens zu erfüllen. Der Antragsteller hat insoweit glaubhaft dargelegt, dass er aufgrund von Spastiken in den Beinen und mangelnder Rumpfspannung den vorhandenen Stehtrainer auch mit Unterstützung von Hilfspersonen nicht mehr verwenden kann. Der Antragsteller beschreibt insoweit nachvollziehbar, dass er in dem vorhandenen Gerät weder am Unterkörper noch am Oberkörper hinreichend fixiert werden kann. Hierdurch gleite er entweder aus dem Gerät heraus oder der Oberkörper falle zur Seite
bzw. nach vorne. Hierzu hat der Antragsteller die Abbildung eines ähnlichen Gerätes vorgelegt, wie es bei ihm vorhanden ist. Darauf ist erkennbar, dass eine Fixierung des Oberkörpers nicht möglich ist. Die Beine werden nur durch Kniepolster gestützt. Auch die behandelnde Neurologin des Antragstellers bestätigt, dass eine Nutzung des vorhandenen Stehtrainers nicht mehr möglich sei. Der Antragsteller hat ferner vorgetragen, dass ein Aufrichten aus dem Sitzen ins Stehen ihm Schmerzen bereite. In dem beantragten Rollstuhl mit Stehfunktion könnte der Antragsteller hingegen hinreichend fixiert werden und vom Liegen ins Sitzen gebracht werden. Auch hierzu hat der Antragsteller ein entsprechendes Foto eingereicht, das diesen Vortrag nachvollziehbar macht.
Die Versorgung mit dem beantragten Elektrorollstuhl mit Stehfunktion ist auch erforderlich. Der Antragsteller muss sich insoweit nicht auf die von der Antragsgegnerin vorgeschlagene alternative Versorgungsmöglichkeit mit einem anderen Stehtrainer verweisen lassen. Die Versorgung mit einem neuen Stehtrainer wäre zwar wirtschaftlicher. Auf wirtschaftliche Aspekte kommt es allerdings nur dann an, wenn mehrere gleich geeignete Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Nach Überzeugung des Gerichts sind die von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Stehtrainer aber nicht in gleichem Maße geeignet, die Versorgungsziele zu erfüllen, wie der beantragte Stehrollstuhl. Der Antragsteller hat hierzu vorgetragen, dass er auch die von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Stehtrainer nicht mehr nutzen könne. Diese seien in der Funktion ähnlich zu dem Gerät, das er schon habe. Er könne nicht mehr aus dem Sitzen nach oben gezogen werden. Auch bei den vorgeschlagenen Stehtrainern drohe ein Herausfallen oder ein Abknicken des Oberkörpers. Diese Darstellung des Antragstellers ist glaubhaft. Der Vorsitzende hat sich hierzu anhand der Produktbeschreibungen der vorgeschlagenen Stehtrainer, die sich auf den Webseiten der Hersteller abrufen lassen, selbst ein Bild gemacht. Demnach wäre einzig in das Gerät E. der Firma M. überhaupt für die Körpergröße des Antragstellers konzipiert. Bei den anderen vorgeschlagenen Modellen der Firmen R. und B. reichen die Größenangabe nur bis 1,90 m. Inwieweit sich die Größe dieser Modelle noch durch Sonderanfertigungen anpassen ließe, war nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass bei sämtlichen Stehtrainern das Aufrichten des Körpers aus dem Sitzen erfolgt. Hierzu hat der Antragsteller unwidersprochen vorgetragen, dass ihm dies Schmerzen bereite.
Noch wichtiger erscheint allerdings, dass der Antragsteller die vorgeschlagenen Stehtrainer nicht selbstständig, sondern nur mit fremder Hilfe benutzen könnte. Mit dem beantragten Stehrollstuhl wäre dem Antragsteller hingegen ein selbstständiges Aufrichten in die Stehposition möglich. Wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung ist es, einem behinderten Menschen von der Hilfe anderer weitgehend
bzw. deutlich unabhängiger zu machen (
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 27). Daher kann der für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausschlaggebende funktionelle Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels auch darin liegen, dass sich der behinderte Mensch durch das Hilfsmittel ein bis dahin nur mit fremder Hilfe wahrnehmbares allgemeines Grundbedürfnis (teilweise) erschließen kann und somit befähigt wird, ein selbstständigeres Leben zu führen (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Juni 2013 -
L 5 KR 72/13 B ER -, Rn. 16, juris, unter Verweis auf
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 33). Nur der beantragte Elektrorollstuhl mit Stehfunktion verschafft dem Antragsteller diesen durch die Ziele der Hilfsmittelversorgung geforderten weit gehenden Behinderungsausgleich.
2. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund in einem Wechselverhältnis zueinanderstehen, so dass bei einem bestehenden Anordnungsanspruch die Anforderungen an den Anordnungsgrund zu reduzieren sind (
vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Auflage, § 86b
SGG, Rn. 27). Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es dem Antragsteller um die Erfüllung eines Grundbedürfnisses geht, das er derzeit überhaupt nicht erfüllen kann. Er hat deutlich gemacht, dass er trotz nur noch bestehenden Reststehfähigkeit und einer lediglich grobmotorischen Funktionen der Arme noch aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Der Krankheitsverlauf des Antragstellers ist allerdings progredient, so dass die derzeit noch vorhandenen körperlichen Ressourcen des Antragstellers stetig schrumpfen. Vor diesem Hintergrund sind dem Antragsteller ein weiteres Zuwarten und insbesondere das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193
Abs. 1
SGG.