Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Exoskelett-Orthese „ReWalk Personal 6.0“ (fortan: Exoskelett ReWalk) als Sachleistung.
Bei dem streitgegenständlichen Exoskelett ReWalk handelt es sich um eine motorbetriebene computergesteuerte Exoskelett-Orthese, die es Menschen mit einer Rückenmarksverletzung mittels einer Bewegungstechnologie für Hüfte und Knie ermöglicht, aufrecht zu stehen und zu gehen. Es ist ein von außen anlegbares, per Klettverschluss zu befestigendes System mit Batterie und Sensoren, das individuell auf Körpergröße, Gewicht und Nutzermerkmale angepasst und eingestellt wird. Die Batterie hat eine Leistungsdauer von 8 bis 10 Stunden und wird in einem kleinen Behältnis an der Hüfte befestigt. Zur Nutzung des Exoskeletts ReWalk werden zusätzlich Unterarmstützen benötigt. Die Bord-Elektronik und Software des Exoskeletts erkennen für den Anwender definierte Parameter und Gangzyklen. Der Anwender nutzt einen feststehenden Stuhl zum Anlegen der Orthese. Die Füße werden auf eine Einlage im Schuh gestellt. Das Sprunggelenk bleibt mittels eines unilateralen Fußhebergelenks, welches am Unterschenkelmodul angebracht ist, beweglich. Der Rumpf wird auf beiden Seiten abgestützt. Die Systemteile sind mit motorisierten Knie- und Hüftgelenken ausgestattet und mittels eines Beckenbügels sind die Seiten miteinander verbunden. Mit Hilfe von Computer und Bewegungssensoren wird das Exoskelett ReWalk durch den Benutzer gesteuert. Motorisierte Beine sorgen für die Bewegung von Knie und Hüfte. Das Exoskelett ReWalk steuert dabei die Bewegungen aufgrund von kleinen Veränderungen des Körperschwerpunkts und imitiert den natürlichen Gang. Eine Vorwärtsneigung des Oberkörpers wird durch das System erkannt und löst den ersten Schritt aus. Ein wiederholtes Vorwärtsneigen des Körpers löst eine Reihe von Schritten aus, die ein natürliches und zügiges Gehen veranlassen. Das Exoskelett ReWalk hat eine CE-Zertifizierung und wird im Hilfsmittelverzeichnis geführt.
Der Kläger ist im Jahr 1999 geboren und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist derzeit Student und betätigt sich in seiner Freizeit sportlich aktiv. Er ist 193
cm groß und wog bei Begutachtung am 02.12.2021 68
kg.
Der Kläger erlitt am 18.01.2015 einen Mountainbike-Unfall und zog sich dabei eine Fraktur der Brustwirbelsäule zu mit persistierender traumatischer Querschnittslähmung unterhalb Th 4. Auf Grund dieser Behinderung kann er weder stehen, gehen, aufstehen, noch Treppen steigen. Er ist stets auf einen Rollstuhl angewiesen, um sich darin sitzend fortzubewegen.
Der Kläger ist derzeit mit einem handbetriebenen Rollstuhl, einem Stehtrainer und einem PKW mit Handbetrieb sowie mit einem bedarfsweise anzubringenden Elektroantrieb an seinem Handrollstuhl versorgt. Nach eigenem Vortrag absolviert der Kläger täglich ein Stehtraining und führt regelmäßig ein Handbike-Training zuhause an der eigenen Apparatur als Sport durch. Weiterhin geht der Kläger nach eigenem Vortrag 1-mal pro Woche „CrossFit“ nach und geht wöchentlich schwimmen.
Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der Ärzte N. vom 07.06.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten das begehrte Exoskelett ReWalk am 20.06.2017. Eine erste Erprobung des Exoskeletts ReWalk durch den Kläger fand am 13.03.2017 statt. Dem Antrag war ein Kostenvoranschlag der rahm Zentrum für Gesundheit
GmbH vom 22.06.2017 über 102.078,00
EUR sowie eine von den Ärzten N. ausgefüllte ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 18.11.2016 beigefügt. In dieser ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung geben die Ärzte an, dass bei dem Kläger gemäß den der ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung beigefügten Ein- und Ausschlusskriterien keine Bedenken gegen ein Gangtraining mit dem Exoskelett ReWalk bestünden. Als Kriterien werden u.a. genannt: „2. Gesunde Knochendichte 3. Skelett weist keine Frakturen auf (…) 6. Körpergröße von 160 bis 190cm Abhängig von der Beinlänge: - Unterschenkellänge: 43,5 bis 56
cm, - Oberschenkellänge: 36 bis 48,5 cm“. Frage 6 in der ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung, ob der Kläger an unkontrollierten Spasmen, Ashworth > 3 leidet, wurde von den Ärzten bejaht. In dem ebenfalls dem Antrag beiliegenden ärztlichen Befundbericht führen die C. aus, dass sie den Kläger für die Nutzung des Exoskelett ReWalk für geeignet halten. Der Kläger gibt in einem dem Antrag beigefügten Schreiben an, dass er sich insbesondere durch die Versorgung mit einem Exoskelett ReWalk erhoffe, dass die bei ihm auftretenden starken Spastiken in Beinen, Rumpf und Blase zurückgehen würden. Durch das Exoskelett würde es ihm wieder möglich anderen Menschen „auf Augenhöhe“ zu begegnen. Schließlich sei ihm durch das Exoskelett (zweitweise) wieder möglich zu gehen.
Mit Bescheid vom 28.06.2017 lehnte die Beklagte unter Berufung auf die aus ihrer Sicht fehlende medizinische Indikation aufgrund des Krankheitsbildes des Klägers eine Kostenübernahme für das begehrte Exoskelett ReWalk ab.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 11.07.2017 Widerspruch ein, wobei er sich auf verschiedene sozialgerichtliche Urteile berief, in denen Versicherten eine Versorgung mit einem Exoskelett zugesprochen wurde. Weiterhin verwies der Kläger darauf, dass der Ablehnungsbescheid aus seiner Sicht unzureichend begründet sei. Es sei insofern auch unverständlich, dass der Medizinische Dienst bei der Entscheidungsfindung nicht hinzugezogen worden sei.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 21.09.2017, dass aus ihrer Sicht bereits die Körpergröße des Klägers gegen eine Versorgung mit dem beantragten Exoskelett ReWalk spreche, da dieses nur bis zu einer maximalen Körpergröße von 190
cm verwendet werden könne. Zudem sei ausweislich der vom Kläger eingereichten medizinischen Unterlagen davon auszugehen, dass bei ihm schwere Spastiken auftreten würden – dies sei ein weiterer Ausschlussgrund für die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel.
Der Kläger reichte während des Widerspruchsverfahrens weitere Befundberichte und ärztliche Stellungnahmen ein, u.a. eine ärztliche Bescheinigung des R. vom 30.01.2018. In dieser wird eine Knochendichte T-score Dexa Messung vom 18.01.2017 angegeben mit der Beschreibung „Inaktivitätsosteoporose
LWK 2-
LWK 4 -2,0, Schenkelhals -3,1“.
Daraufhin veranlasste die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst, die nach Aktenlage erfolgte. In der gutachterlichen Stellungnahme vom 09.04.2018 sahen die Ärzte des Medizinischen Dienstes aus sozialmedizinischer Sicht keine Indikation zur Versorgung/Erprobung mit dem Exoskelett Re-Walk. Nach ihrer Auffassung bestehe bei dem Kläger im Bereich des Schenkelhalses eine Knochendichte von -3,1, entsprechend einer Osteoporose und im Bereich der Lendenwirbelkörper (
LWK) 2 bis 4 eine Knochendichte von -2,0, letzteres entspräche einer Osteoponie. In der Stellungnahme wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass aus Sicht der Ärzte durch die Querschnittslähmung von einer weiteren Zunahme der inaktivitätsbedingten Knochendichteabnahme beim Kläger auszugehen sei. Die von der Beklagten im Ablehnungsbescheid vertretene Einschätzung, dass bei dem Kläger schwere Spastiken anzunehmen seien, wird ausdrücklich nicht geteilt. Es wird insofern darauf abgestellt, dass zwar der neurologische Befundbericht den Spastikgrad modifiziert nach Ashworth nicht beschreibe, im Bericht des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 30.01.2018 jedoch der Spastikgrad mit maximal 2, größtenteils 1, angegeben wird. Die Ärzte des medizinischen Dienstes führten aus, dass keine schweren Spastiken vorlägen.
Der Kläger legte im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens einen weiteren Bericht vom 22.08.2018 über eine Knochendichtemessung der K. in Eschweiler, durchgeführt am 30.07.2018, vor. Ausweislich des Befundberichtes betrug der Wert der Lendenwirbelsäule bei der Messung im Mittel 0,899g pro Quadratzentimeter, entsprechend einem T-Wert von -1,7. Die ermittelten Werte am linken Schenkelhals sind angegeben mit 0,564g/cm2, entsprechend einem T-Wert von -2,7. In dem Befundbericht des behandelnden Arztes O. wird angegeben, dass nach
WHO Kriterien bei einem T-Wert von -2,7 am linken Schenkelhals eine Osteoporose vorläge.
Die von der Beklagten hierzu veranlasste weitere gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes sah die bereits in der Stellungnahme vom 09.04.2018 angenommene Osteoporose durch die Werte der neuen Knochendichtemessung bestätigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Medizinische Dienst sei in seinen Beurteilungen vom 09.04.2018 sowie 24.10.2018 zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nicht erfüllt seien. Die aktuelle Knochendichtemessung bestätige, dass bei dem Kläger am linken Schenkelhals eine Osteoporose vorliege. Nutzungsvoraussetzung für das Exoskelett Re-Walk sei gemäß Benutzerhandbuch eine gesunde Knochendichte.
Hiergegen hat der Kläger am 11.02.2019 Klage erhoben. Er trägt vor, dass er einen Anspruch auf die begehrte Hilfsmittelversorgung habe, insbesondere sei das streitige Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden. Bei ihm liege keine Osteoporose im „pathologischen Sinn“ vor. Es sei zu berücksichtigen, dass alle schwerbehinderten Menschen, die krankheits- oder behindertenbedingt ihre Beine nicht bewegen könnten, naturgemäß einer Verminderung des Kalksalzgehalts in den unteren Extremitäten unterliegen würden. Ein Ausschluss von der Versorgung dieser Menschen mit einem Exoskelett ReWalk unter Verweis auf die mangelnde Knochendichte sei eine unzumutbare und ungerechtfertigte Benachteiligung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 28.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit dem Hilfsmittel einer ReWalk-Orthese (computergesteuertes und motorunterstütztes Exoskelett) des Herstellers ReWalk Robotics
GmbH („ReWalk Personal 6.0“) mit der Hilfsmittel-
Nr.: 23.29.01.2001 zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angegriffenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig. Bei dem Kläger seien die sowohl im Hilfsmittelverzeichnis als auch in den Herstellerangaben genannten Voraussetzungen
bzw. Einschlusskriterien für die Benutzung des Exoskelett-ReWalk nicht erfüllt. Mit der Osteoporose liege zudem ein Ausschlusskriterium vor, da die Werte der Knochendichtemessung eine Osteoporose am linken Schenkelhals belegen würden. Sie verweist auf die Werte der Knochendichtemessungen des Klägers, insbesondere die sog. „T-Werte“ und die von der Weltgesundheitsorganisation diesbezüglich zur Bestimmung einer Osteoporose angenommenen Richtwerte. Sie erläutert in diesem Zusammenhang, dass die Knochendichte und somit auch die Ausprägung des Knochenschwundes und die daraus vermutliche Knochenqualität am häufigsten mit diesen Werten beschrieben würden. Definitionsgemäß beruhe die Diagnose der Osteoporose daher auf einem T-Wert von <-2,5 SD (Standardabweichung). Diese Ausprägung sei keinesfalls grenzwertig sondern gemäß gängiger Einordnung der Weltgesundheitsorganisation sowie auch verschiedener Fachgesellschaften krankhaft. Es handele sich um eine bei dem Kläger bestehende gesicherte behandlungsbedürftige Osteoporose. Der Befund einer Osteoporose schließe das Vorliegen der Voraussetzung einer „gesunden Knochendichte“ – wie im Hilfsmittelverzeichnis gefordert – aus.
Das Gericht hat das Gutachten von Frau E. vom 20.09.2016 beigezogen, welches in Auftrag der Unfallversicherung des Klägers erstellt wurde. In diesem Gutachten prognostiziert Frau E., dass der Kläger dauerhaft u.a. wegen spastischer Episoden beeinträchtigt sein würde. Der Kläger wendet gegen das Gutachten ein, dass dieses, insbesondere die aufgestellte Prognose zu den Spastiken, schon aufgrund des Alters des Gutachtens nicht im hiesigen Verfahren berücksichtigt werden könne. Die Spastiken hätten sich in der Zwischenzeit zurückgebildet; es sei eine Verbesserung durch eine medikamentöse Behandlung eingetreten.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens desHerrn W.. Der Sachverständige hat nach körperlicher Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten am 10.12.2021 ausgeführt, dieser sei bei einer Körpergröße von 193
cm und einem Gewicht von 68
kg ohne Einschränkung in der Lage, ein Exoskelett ReWalk zu nutzen. Die Versorgung mit dem beantragten Exoskelett ReWalk sei zum Ausgleich der Behinderung als notwendig anzusehen. Der Kläger sei in der Lage, dieses Hilfsmittel fast selbstständig anzulegen und auch ohne Fremdunterstützung zu benutzen. Da der Kläger ein regelmäßiges Stehtraining durchführe, sei er auch in der Lage, mit dem Hilfsmittel entsprechende Wege innerhalb und außerhalb der Wohnung zurückzulegen. Der Sachverständige führt weiter aus, dass ein alternatives Hilfsmittel zur Exoskelettorthese, welches in der Lage wäre, eine Stand- und Gehfunktion bei einem querschnittsgelähmten Versicherten zu erzielen, nicht existiere. Zu den seitens des Medizinischen Dienstes geäußerten Bedenken bezüglich des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen macht der Sachverständige weitergehende Ausführungen. Hinsichtlich der Annahme von Spastiken bei dem Kläger führt er aus, dass sich weder an den oberen, noch den unteren Extremitäten Spastiken finden würden. Unter Berücksichtigung der Ashworth-Skala liege somit ein Grad 0 bis maximal 1 vor. Hinsichtlich der gemessenen Knochendichte führt der Sachverständige aus, dass die Einschätzung des MDK bezüglich des Vorliegens einer systemischen Erkrankung in Form einer Osteoporose bei dem Kläger nicht korrekt sei. Bei dem Krankheitsbild einer Osteoporose handele es sich um eine systemische Skeletterkrankung. Diese zeichne sich durch eine niedrige Knochenmasse und durch eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes aus und führe zu einem konsektutiven Anstieg der Knochenfragilität und zur Neigung zu Frakturen. Eine derartige Erkrankung liege bei dem Kläger definitiv nicht vor.
Die Beklagte ist der gutachterlichen Einschätzung mehrfach entgegengetreten und hat insbesondere auf die aus ihrer Sicht bestehenden Kontraindikationen der Überschreitung der maximalen Körpergröße zur Nutzung des Exoskeletts ReWalk, bestehende schwere Spastiken sowie einer Osteoporose bei dem Kläger und die Verdachtsdiagnose einer Syringomyelie verwiesen. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte nur noch den Einwand bezüglich der Osteoporose aufrechtgehalten.
Am 28.03.2022 fand eine weitere Messung der Knochendichte bei dem Kläger statt. In dem Messergebnis der Radiologischen Praxis M. findet sich ein T-Wert im Bereich Hals von -2,7, gesamt ist ein T-Wert von -3,0 bei dem Kläger angegeben.
Der Sachverständige hat sodann im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 21.04.2022 und 30.08.2022 auch unter Berücksichtigung dieser neuen Messwerte ausgeführt, bei dem Kläger bestünden keine Kontraindikationen, die eine Versorgung mit dem begehrten Exoskelett ReWalk ausschließen würden.
Die Beklagte hält anlässlich der Messwerte der Knochendichte des Klägers aus 2022 ihren Vortrag, dass bei dem Kläger eine Kontraindikation wegen einer bestehen Osteoporose vorliege, aufrecht. Sie verweist insoweit auf ein weiteres sozialmedizinisches Kurzgutachten des medizinischen Dienstes vom 29.06.2022. Zudem nimmt sie Bezug auf die gültige S1-Leitlinie „Querschnittslähmungsassoziierte Osteoporose“ der deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie (DPMG e.V.), Arbeitsgruppe Osteoporose, AWMF-Register-
Nr. 179/007 und führt aus, dass hiernach die Osteoporose zu den häufigen sekundären Komplikationen einer Querschnittslähmung zähle.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung sind Auszüge der Videodokumentation zur Erprobung am 13.03.2017 des Exoskeletts ReWalk und zu einer kurz vor der Verhandlung erfolgten Erprobung im Jahr 2023 eingesehen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die in Auszügen vorliegenden Teile der Verfahrensakte B 3 KR 10/20 R Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
gem. § 54
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
i. V. m.
Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Sachleistungsanspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Exoskelett ReWalk als Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Der Bescheid vom 28.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten aus § 54
Abs. 2 Satz 1
SGG.
Versicherte haben nach
§ 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Absatz 4 SGB V ausgeschlossen sind. Anspruch auf Versorgung besteht nur, soweit das begehrte Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Leistungen, die nicht notwendig oder wirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (
§ 12 Abs. 1 SGB V).
Durch die Aufnahme des Exoskelett ReWalk in das Hilfsmittelverzeichnis steht fest, dass es sich bei diesem nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. In diesem Zusammenhang hat der 5. Senat des Landessozialgerichts NRW darauf verwiesen, dass es auf der Hand liegt, dass das Exoskelett ReWalk speziell Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen entgegenkommt und von körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird (
vgl. hierzu Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (
LSG NRW), Urteil vom 27. Februar 2020 – L 5 KR 675/19-, juris, Rn. 32). Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an.
Ein Ausschlussgrund nach § 34
Abs. 4
SGB V liegt nicht vor. Der Kläger begehrt vorliegend auch keine Doppelversorgung. Der bereits vorhandene Aktivrollstuhl dient als mittelbarer Behinderungsausgleich der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums im Sitzen, mit dem Stehrollstuhl kann der Kläger eine senkrechte Position einnehmen, sich so aber nicht stehend fortbewegen. Da das streitgegenständliche Exoskelett ReWalk v.a. die aufrechte Fortbewegung ermöglicht, ist es ein Aliud zur vorhandenen Versorgung (
vgl. hierzu
LSG NRW, Urteil vom 27. Februar 2020 – L 5 KR 675/19-, juris, Rn. 33).
Der Anspruch des Klägers auf Sachleistung ergibt sich aus § 33
Abs. 1, Satz 1, 3. Alt.
SGB V unter dem Gesichtspunkt des unmittelbaren Behinderungsausgleichs. Das begehrte Exoskelett ReWalk ist erforderlich, um die bestehende Behinderung auszugleichen, da sie u.a. der Wiederherstellung der Gehfähigkeit des Klägers dient.
Zur Frage der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleichs im Sinne der dritten Variante des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V unterscheidet der 3. Senat des Bundessozialgerichts (
BSG) in ständiger Rechtsprechung (
vgl. nur
BSG, Urteil vom 06. Februar 1997 – 3 RK 3/96; Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 10/08 R; Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 3/12 R) zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst dient, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird.
Die Hilfsmittelversorgung ist im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund steht „der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Dabei ist das Funktionsdefizit möglichst weitgehend nach dem aktuellen Stand des medizinischen und technischen Fortschritts auszugleichen. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt anders als beim mittelbaren Behinderungsausgleich, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis wie
z.B. das Stehen oder Gehen bezieht; die Erhaltung
bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (
BSG, Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 3/12 R -, SozR 4-2500 § 33 Nr 40).“ (
LSG NRW, Urteil vom 27. Februar 2020 – L 5 KR 675/19-, juris, Rn. 35)
Hingegen ist es Aufgabe des mittelbaren Behinderungsausgleichs, einem behinderten Menschen, dessen Funktionsbeeinträchtigung durch medizinische Maßnahmen einschließlich des Einsatzes von Hilfsmitteln nicht weiter behoben werden kann, das Leben mit den Folgen dieser Beeinträchtigung zu erleichtern (
BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 13/13 R-, juris, Rn. 20 m. w. N.)
bzw. die Folgen der Behinderung durch Kompensation und Aktivierung anderer Sinnesorgane auszugleichen (
LSG NRW, Urteil vom 27. Februar 2020 – L 5 KR 675/19-, juris, Rn. 37). Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleich ist Ziel nicht der Ausgleich im Sinne eines Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Der Grund hierfür liegt darin, dass Aufgabe der
GKV in allen Fallen die medizinische Rehabilitation (
vgl. § 1 SGB V) – d.h. die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges – ist, um eine selbständige Lebensführung und die Bewältigung der Anforderungen des Alltags zu ermöglichen. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen zählen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedenfalls das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (
vgl.:
BSG, Urteil vom 25. Februar 2015, B 3 KR 13/13 R-, juris, Rn. 20 m. w. N.).
Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe der Auffassung des 5. Senats des
LSG NRW an, dass das vom Kläger begehrte Hilfsmittel Exoskelett ReWalk dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient, da diese Versorgung auf die Wiederherstellung der auf Grund der Querschnittslähmung ausgefallenen Funktion seines Stütz- und Bewegungsapparates, insbesondere betreffend die Fähigkeit zu gehen, zu stehen, sich hinzusetzen und wieder aufzustehen, zielt. Hierzu führt das
LSG NRW in seinem Urteil vom 27. Februar 2020 – L 5 KR 675/19 (Rn. 38 f.) aus:
„Unter Anwendung dieser Maßstäbe ordnet der Senat das Exoskelett Re-Walk dem unmittelbaren Behinderungsausgleich zu (so auch SG Speyer, Urteil vom 20.5.2016 – S 19 KR 350/15 und SG Gießen, Urteil vom 19.4.2017 – S 9 KR 131/15 – beide rechtskräftig, a.A. SG Dresden, Urteil vom 15.3.2017 – S 25 KR 791/16). Es ersetzt als orthopädisches Hilfsmittel die Funktion der Beine, in dem es jedenfalls das selbständige Stehen und Gehen – auf das der Senat im Folgenden maßgeblich abstellt – ermöglicht.
Bei der Frage, welche Körperfunktion ausgeglichen wird, ist nicht auf die durch die Querschnittslähmung verursachte Nervenschädigung und die damit verbundene Bewegungslosigkeit der Beine zu rekurrieren. Weder das Exoskelett Re-Walk noch sonst ein auf dem Markt erhältliches Hilfsmittel ist derzeit in der Lage, dem Kläger wieder ein willensgesteuertes Bewegen seiner Beine zu ermöglichen. Es geht vielmehr – universeller betrachtet – um den Ausgleich der durch den körperlichen Schaden verloren gegangenen Funktion der Beine, die für den Menschen im Wesentlichen aus dem Stehen und Gehen besteht. Die nicht krankheits- sondern funktionsbezogen- generelle Betrachtungsweise findet auch bei den dem unmittelbaren Behinderungsausgleich zuzurechnenden Seh- und Hörhilfen Anwendung. Denn eine Brille oder ein Hörgerät gleichen – unabhängig von der Funktionsstörung der Augen
bzw. des Ohres – die Funktion des Sehens oder des Hörens aus. Welche Erkrankung und welche körperliche Störung den Ausfall der Funktion verursacht haben, ist unerheblich. Dem entsprechend kann es bei der weggefallenen Funktion des Stehens und Gehens auch nicht darauf ankommen, ob diese
z.B. wegen des Fehlens eines Bein(teil)s oder einer Querschnittslähmung weggefallen ist.
Das Exoskelett Re-Walk ersetzt jedenfalls die Funktion des Stehens und Gehens. Der Kläger legt das Exoskelett wie eine zweite Hose an, wählt auf der Fernbedienung das Programm „Stehen“ und löst den Aufstehvorgang durch seine Vorwärtsneigung und sein Bewegen der Unterarmgehstützen aus. Wählt er das „Gehen“ aus, wird dieses durch sein Vorwärtsneigen und –bewegen der Unterarmgehstützen ausgelöst. Das Gehen endet, sobald der Kläger die Unterarmgehstützen nicht mehr bewegt. Obwohl das Exoskelett Re-Walk – anders als mechatronische Prothesen wie
z.B. das C-leg – kein Körperersatzstück ist, wird das Gehen bei beiden Hilfsmitteln auf ähnliche Weise ermöglicht.
(…)
Das Exoskelett Re-Walk gleicht die Behinderung auch deshalb nicht nur mittelbar aus, weil die Auswirkung der ausgefallenen Körperfunktion nicht durch ein Aliud ersetzt oder einen anderen Sinn kompensiert werden muss. Der Aktivrollstuhl ermöglicht dem Kläger zwar im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs eine Ortsveränderung. Diese wird aber nicht durch die ausgefallene Funktion der Beine, sondern durch etwas anderes, das Sitzen und Fahren des Rollstuhls, ermöglicht. Anders als bei der Lichtanlage als Warnsystem für Gehörlöse (siehe: Schlesweig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 12. Mai 2011 – L 5 KR 44/10 -, juris) wird die ausgefallene Körperfunktion (Hören) auch nicht durch einen anderen Sinn (Sehen) ersetzt.“
Das begehrte Exoskelett ReWalk ist für den unmittelbaren Behinderungsausgleich des Klägers betreffend seine Fähigkeit zu gehen, zu stehen, sich hinzusetzen und wieder aufzustehen geeignet und erforderlich.
Diesbezüglich stützt sich die Kammer auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf das von Amts wegen eingeholte Gutachten des Sachverständigen W. sowie auf seine weiteren ergänzenden Stellungnahmen. Nach Überzeugung der Kammer hat der Sachverständige nachvollziehbar und detailliert dargelegt, dass der Kläger die medizinischen Voraussetzungen einer Versorgung mit dem Exoskelett ReWalk erfüllt, insbesondere bei ihm keine Kontraindikationen – in Form von fehlender Knochendichte, Überschreitung einer maximalen Körpergröße und einer schweren Spastizität – bestehen. Er hat zudem ausführlich dargestellt, dass die Versorgung des Klägers mit dem Exoskelett ReWalk zum Ausgleich der Behinderung notwendig ist.
Der Sachverständige führt in seinem Gutachten sowie in den ergänzenden Stellungnahmen zwar aus, dass die Knochendichtemessungen des Klägers einen T-Wert am linken Schenkelhals des Klägers zeigen, die bei Zugrundelegung der
WHO Kriterien einer Osteoporose entsprechen. Aus Sicht des Sachverständigen liegt trotz Berücksichtigung dieser Werte bei dem Kläger dennoch eine gesunde Knochendichte vor. Er erläutert in diesem Zusammenhang, dass bei einem Versicherten, der regelmäßig im Rollstuhl sitze, der Mineralgehalt des Knochens grundsätzlich erniedrigt ist wegen der fehlenden Belastung des knöchernen Abschnitts in den unteren Extremitäten. Es sei dokumentiert, dass der Kläger regelmäßig ein Handbike-Training zuhause an eigener Apparatur durchführe und dieses Training als Sport betreibe. An den oberen Extremitäten sei im Rahmen der Begutachtung keine Muskelatrophie festgestellt worden. Insofern sei das Krankheitsbild einer systemischen Osteoporose
bzw. Osteoponie grundsätzlich beim Kläger auszuschließen, erst recht eine Behandlungsbedürftigkeit in diese Richtung. Weiterhin merkt der Sachverständige an, dass in einer zitierten Publikation aus 2018 eine derartige Erkrankung nicht mehr als Kontraindikation aufgelistet werde. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.08.2022 verweist der Sachverständige zusätzlich darauf, dass im Hilfsmittelverzeichnis als Voraussetzung bei der Versorgung mit dem Exoskelett ReWalk der Nachweis einer gesunden Knochendichte gefordert werde – diese Formulierung decke sich insoweit mit der Beschreibung der Voraussetzungen im Handbuch des Herstellers zu dem hier streitigen Hilfsmittel. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass nach Herstellerangaben ein T-Score von -3,5 den Kriterien für eine gesunde Knochendichte entspreche.
Der Sachverständige gibt unter Verweis auf den gemessenen T-Wert von -2,7 an der linken Hüfte des Klägers an, dass dieser Wert deutlich über dem Wert liegt, der gemäß Handbuch als ausreichende Knochendichte für die Benutzung des ReWalk-Systems angesehen wird. Weiter verweist er auf einschlägige Literatur, in der bei querschnittsgelähmten Menschen im Bereich der unteren Extremitäten grundsätzlich eine Verringerung der Knochendichte im Zusammenhang mit der bestehenden Beinparese festgestellt werde. Da zwischen den Messungen von 2018 bis 2022 eine geringgradige Verbesserung der Messwerte festzustellen sei, handele es sich keinesfalls um eine Progredienz der Osteoporose, sondern um eine persistierende, leicht gebesserte Osteoporose betreffend lediglich die unteren Extremitäten. Aus Sicht des Sachverständigen spricht gegen das Vorliegen einer systemischen osteoporotischen Erkrankung, dass der gemessene Wert der Lendenwirbelsäule besser ist. Zu diesem Punkt führt der Sachverständige anschließend aus, dass aus seiner Sicht – auch unter Berücksichtigung der aktuellen Knochendichtemessung – keine Kontraindikation für das Exoskelett ReWalk bestehe, da eine gesunde Knochendichte bei dem Kläger vorliegen würde.
Hinsichtlich der Voraussetzungen der Körpergröße führt er aus, dass es ausweislich des gültigen Handbuchs des ReWalk-Systems nicht auf die Gesamtkörpergröße des Patienten ankomme, sondern konkret auf die Maße betreffend der unteren Extremitäten abzustellen ist. Bei der Anpassung des Systems wird ein Unterschenkel- und Oberschenkelwert festgelegt, der nicht unter-
bzw. überschritten werden soll. Auch ist in der ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung dokumentiert, dass die Versorgung abhängig sei von der Beinlänge und der Körpergröße insgesamt und die Körpergröße nur einen untergeordneten Richtwert darstellt. Er verweist auf eine der ergänzenden Stellungnahme beigefügte Publikation, in der eine Körpergröße von 160cm bis 195cm als Indikationsstellung aufgelistet ist. Weiterhin führt er aus, dass bereits Probestellungen dieses Systems ohne entsprechende Passprobleme stattgefunden haben.
Der Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, dass sich bei dem Kläger keine Hinweise auf eine behandlungsbedürftige Spastizität im Rahmen der Begutachtung ergaben; es erfolgten lediglich noch neurologische Vorstellungen.
Aus Sicht des Sachverständigen ergeben sich keine zusätzlichen Hinweise auf eine eigenständige Beschwerdesymptomatik durch den seinerzeit kernspintomographisch beschriebenen Verdacht auf Syringomyelie. Er führt insoweit aus, dass im Falle einer klinischen Relevanz die vom Kläger durchgeführten Stehversuche überhaupt nicht durchführbar wären.
Der Sachverständige schließt seine ergänzende Stellungnahme unter Verweis auf die regelmäßige sportliche Aktivität des Klägers dahingehend ab, dass dieser die medizinischen Voraussetzungen für eine entsprechende Versorgung erfüllt und auch in der Lage ist, das Hilfsmittel in Eigenregie selbst anzulegen und zu nutzen. Kontraindikationen, die einer Versorgung entgegenstehen würden, finden sich bei dem Kläger nicht.
Für die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen spricht, dass er sich ausführlich und mehrfach mit den Einwänden der Beklagten auseinandergesetzt hat.
Hinsichtlich des Vorliegens einer Osteoporose hat der Sachverständige unter Hinweis auf weiterführende fachmedizinische Literatur verständlich erläutert, aus welchen Gründen bei querschnittsgelähmten Personen nicht von einer nach den von der Weltgesundheitsorganisation maßgeblichen Werten von dem Vorliegen einer Osteoporose auf eine fehlende gesunde Knochendichte geschlossen werden kann. Weiterhin hat der Sachverständige für die Kammer nachvollziehbar darauf verwiesen, dass ausweislich eines Vergleichs der Werte der Knochendichtemessung aus den Jahren 2018 und 2022 bei dem Kläger keine Verschlechterung der T-Werte – sogar eine leichte Verbesserung – festzustellen ist. Es handelt sich daher um keine fortschreitende, behandlungsbedürftige Osteoporose. Ebenfalls hat der Sachverständige für die Kammer unter Rückgriff auf die Auffassung in der medizinischen Literatur rekurriert, dass die spezielle Risikoeinschätzung für Frakturen im Einzelfall zu treffen ist. In diesem Zusammenhang ist – auch hierauf stellte der Sachverständige ab – die äußerst sportliche Konstitution des Klägers zu berücksichtigen wie auch seine nahezu täglichen sportlichen Aktivitäten. Die Kammer sah diesen Eindruck einer sehr sportlichen Verfassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Der Kammer ist es daher verständlich, wenn der Sachverständige ausführt, dass von den reinen Werten der Knochendichte, mithin den T-Werten unter Zugrundelegung der
WHO Kriterien, nicht auf eine ungesunde Knochendichte beim Kläger geschlossen werden kann.
Die Ausführungen der Beklagten sowie des Medizinischen Dienstes, dass ein Widerspruch bestehe, wenn im Benutzerhandbuch (sowie im Hilfsmittelverzeichnis) zu dem Exoskelett ReWalk einerseits als Voraussetzung eine gesunde Knochendichte gefordert werde, gleichzeitig aber bei Vorliegen von Werten einer Knochendichte, die eindeutig krankheitswertig erniedrigen Kalksalzgehalt feststellten und nach den
WHO Kriterien eine Osteoporose am linken Schenkelhals bedeuteten, dennoch eine gesunde Knochendichte angenommen werden könne, rechtfertigen keine abweichende Einschätzung.
Der von dem Hilfsmittelverzeichnis verwendete Begriff einer „gesunden Knochendichte“ ist unbestimmt – es wird im Hilfsmittelverzeichnis nicht vorgegeben, ab welchen Werten eine Knochendichte als ungesund anzusehen ist und mithin der Versorgung eines Versicherten mit dem Exoskelett ReWalk entgegenstehen würde. Im Rahmen der „Ausfüllung“ des Begriffs der „gesunden Knochendichte“ ist zu berücksichtigen, dass dem Hilfsmittelverzeichnis nach ständiger Rechtsprechung die Funktion einer Auslegungs- und Orientierungshilfe für Ärzte und Krankenkassen zukommt und für die Sozialgerichtsbarkeit die Qualität einer unverbindlichen Orientierungshilfe hat (
vgl. Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand: 05.01.2023), § 33
SGB V, Rn. 25 m. w. N.). Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Herstellerangaben zu den medizinischen Voraussetzungen der Verwendung des Exoskelett ReWalk Indizien dafür bieten, ob das Hilfsmittel abstrakt zur Versorgung des Versicherten geeignet ist – die Herstellerangaben sind jedoch unverbindlich für das Gericht und die Herstellerangaben können nicht die individuelle Einschätzung zur konkreten Geeignetheit durch Ärzte und Sachverständige ersetzen.
Der Sachverständige hat dargelegt, dass grundsätzlich eine gesunde Knochendichte in dem Sinne vorhanden sein muss, dass eine Verwendung des Exoskelett ReWalk nicht ausgeschlossen ist. Umstritten ist im vorliegenden Fall nur, was unter dem Begriff der „gesundenKnochendichte“ zu verstehen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei Aufnahme des begehrten Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis nach den Herstellerangaben das Exoskelett ReWalk bis zu einem T-Wert von -3,5 verwendet werden kann. Soweit das Hilfsmittelverzeichnis den Begriff der „gesunden Knochendichte“ aufgreift, ist nicht ersichtlich, weshalb abweichend von den Herstellerangaben eine Einschränkung dahingehend vorgenommen werden sollte, dass eine gesunde Knochendichte nur dann vorliegt, wenn die von der
WHO zur Bestimmung einer Osteoporose zugrunde gelegten Kriterien nicht überschritten werden. Der Sachverständige hat – wie bereits oben dargestellt – zudem nachvollziehbar dargelegt, dass in der medizinischen Fachliteratur eine Risikoeinschätzung im Einzelfall bezüglich Frakturen durchzuführen ist. Hierbei ist aus Sicht des Sachverständigen ebenfalls zu berücksichtigen, dass bei querschnittsgelähmten Personen grundsätzlich eine verringerte Knochendichte bestehe. Der Begriff der gesunden Knochendichte ist unter Berücksichtigung dieses Standes der medizinischen Wissenschaft zu berücksichtigen, insbesondere da auch die Herstellerangaben des begehrten Hilfsmittels in ihren genannten Werten zur Knochendichte über die von der Weltgesundheitsorganisation genannten Werte hinausgeht. Der Kläger verfügt daher über eine gesunde Knochendichte nach diesem Begriffsverständnis.
Bei dem Kläger liegt auch keine schwere Spastizität vor, die der begehrten Versorgung mit dem Exoskelett ReWalk entgegenstehen würde. Der Sachverständige hat für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass sich im Rahmen der Begutachtung keine Hinweise auf eine solche Spastizität feststellen ließen. Zu der Einschätzung, dass bei dem Kläger keine schweren Spastiken auftreten, kam im Übrigen auch das Kurzgutachten des Medizinischen Dienstes vom 09.04.2018. Die Beklagte hält diesen Einwand im Übrigen ausdrücklich nicht mehr aufrecht. Es ist daher nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass nach Auffassung der Kammer sich nichts anderes auch unter Berücksichtigung des Gutachtens von A. aus dem Jahr 2016 ergeben kann – da dieses Gutachten zum Entscheidungszeitpunkt bereits sieben Jahre alt ist. Der Kläger hat im Rahmen der persönlichen Anhörung zudem glaubhaft geschildert, dass bei ihm keine schweren Spastiken auftreten. Im Übrigen sind die Einwendungen des Medizinischen Dienstes auch deshalb von geringer Aussagekraft, da diese nur im Rahmen eines Gutachtens nach Aktenlage erfolgten und der Medizinische Dienst – im Gegensatz zu dem Sachverständigen – den Kläger nicht persönlich begutachtet hat.
Die Körpergröße des Klägers von 193
cm stellt kein Ausschlusskriterium für die Versorgung mit dem begehrten Exoskelett ReWalk dar. Der Sachverständige hat für die Kammer nachvollziehbar darauf verwiesen, dass es ausweislich des gültigen Handbuchs des ReWalk-Systems nicht auf die Gesamtkörpergröße des Patienten ankommt, sondern konkret auf die Maße betreffend die unteren Extremitäten abzustellen ist. Der Sachverständige hat unter Bezugnahme auf die ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung sowie die durchzuführenden Anpassungen des Systems erläutert, dass die Versorgung abhängig sei von der Beinlänge und die Körpergröße nur eine untergeordnete Rolle spielt. Hierbei hat er auch berücksichtigt, dass die zum Zeitpunkt der Begutachtung des Klägers durchgeführten Erprobungen ohne Passprobleme erfolgten.
Die Ausführungen des Sachverständigen sind für die Kammer insbesondere vor dem Hintergrund der Angaben in der zur Akte genommenen „Flyer-Broschüre“ zu dem Exoskelett ReWalk einleuchtend – dort ist aufgeführt, dass das Exoskelett ReWalk entwickelt wurde für Personen, die
ca. eine Körpergröße zwischen
ca. 160
cm und
ca. 190
cm haben, wobei angegeben wird, dass dies abhängig von der Beinlänge sei. Durch die „ca.“ Angabe in Verbindung mit konkreten Angaben für die Oberschenkel- und Unterschenkellänge wird die Auffassung des Sachverständigen bestätigt, dass nicht die Überschreitung einer Körpergröße von über 190
cm für sich genommen ein Ausschlusskriterium ist, sondern in Abhängigkeit zu der Beinlänge bei dem Kläger gesetzt werden muss. Die Beklagte hat diesen Einwand im Übrigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung aufgegeben.
Einer Versorgung des Klägers steht auch nicht die in der Vergangenheit geäußerte Verdachtsdiagnose Syringomyelie entgegen. Der Sachverständige hat für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass sich keine zusätzlichen Hinweise auf eine eigenständige Beschwerdesymptomatik bei der Begutachtung feststellen ließen und bei einer klinischen Relevanz die vom Kläger durchgeführten Stehversuche überhaupt nicht durchführbar wären. Die Beklagte hat diesen Einwand in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht mehr aufrechterhalten.
Dass der Kläger das begehrte Hilfsmittel nutzen kann, hat er bereits während der Erprobungstermine gezeigt. Anhand der vorliegenden Videodokumentationen zu den Erprobungen im März 2017 und im Jahr 2023 konnte sich die Kammer einen Eindruck davon verschaffen, dass der Kläger nach den wenigen Erprobungsterminen bereits in der Lage ist, das begehrte Exoskelett ReWalk nahezu selbständig zu nutzen. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige für die Kammer überzeugend ausgeführt, dass der Kläger aus körperlicher Sicht ohne Einschränkung in der Lage ist, eine ReWalk Exoskelett Orthese zu nutzen und diese entsprechend zu handhaben.
Die Erforderlichkeit einer Versorgung mit dem Exoskeletts ReWalk liegt vor, da der Kläger – wie der Sachverständige bestätigt hat – derzeit mit keinem gleich geeigneten auf dem Markt erhältlichen Hilfsmittel ermöglicht werden kann, selbständig zu gehen und zu stehen. Insbesondere ist die bisherige Versorgung des Klägers mit Aktiv-Rollstuhl und Stehtrainer nicht geeignet, dem Kläger den aufrechten Gang zu ermöglichen.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2
Abs. 1 Satz 1
i. V. m. § 12
Abs. 1
SGB V) steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Nach § 12
Abs. 1
SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn mehrere tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (
BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 10/08 R – zitiert nach juris, Rn. 12). Wie bereits erläutert, fehlt es hieran im vorliegenden Fall jedoch.
Im Ergebnis hat der Kläger Anspruch auf den unmittelbaren Behinderungsausgleich durch das Exoskelett ReWalk nach § 33
Abs. 1, Satz 1, 3. Alt.
SGB V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
Abs. 1 Satz 1
SGG.