Urteil
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Gewährung von Grundsicherungsleistungen für die Anschaffung eines behindertengerechten Fahrzeugs - Anforderungen an die Annahme eines Anordnungsgrundes im Eilverfahren über die Kostenübernahme zur Anschaffung eines Fahrzeugs

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat


Aktenzeichen:

L 18 AS 1084/17 B ER | L 18 AS 1086/17 B ER PKH


Urteil vom:

20.06.2017


Grundlage:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin, mit der diese ihren erstinstanzlichen gestellten Antrag, den Antragsgegner im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, ihr für die Anschaffung eines neuen behindertengerechten Kraftfahrzeugs (Kfz) "mindestens 40.000,- EUR" zu zahlen, hilfsweise dieses Geld als Darlehen zu gewähren, ist nicht begründet. Das Sozialgericht (SG) hat daher auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht beanstandungsfrei abgelehnt (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Ungeachtet dessen, dass für die von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren (nur) begehrte Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines Fahrzeugs grundsätzlich nicht die Zuständigkeit des Antragsgegners, sondern des Sozialhilfeträgers bestehen dürfte, weil die Antragstellerin für ihre angemessene schulische Ausbildung und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ein behindertengerechtes Kfz benötigt und daher die Voraussetzungen der §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) iVm § 8 Abs. 1 Satz 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung erfüllt sein dürften, wonach Hilfen zur Beschaffung eines Kfz in angemessenem Umfang gewährt werden, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere der Behinderung auf die Benutzung eines Kfz angewiesen ist, ist eine Befassung des Sozialhilfeträgers mit diesem Begehren bislang ersichtlich nicht erfolgt (vgl etwa BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 8 zu der Übernahme notwendiger Beförderungskosten (Taxikosten) zum Besuch einer Schule). Eine Anspruchsgrundlage nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) scheidet nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des SG, auf die gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen wird, aus. Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach § 54 SGB XII scheitert auch nicht daran, dass die Antragstellerin - vermittelt über den Hauptleistungsberechtigten - zu den Anspruchsberechtigten nach dem SGB II zählt. Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Sozialhilfeträger und den Leistungsträgern iS der §§ 6, 6a SGB II bestimmt § 21 Satz 1 SGB XII, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt (nach dem SGB XII) erhalten. Korrespondierend hiermit bestimmt § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, dass der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II die Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausschließt. Damit bleiben die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII von den Leistungsausschlüssen unberührt.

Ob die Antragstellerin einen entsprechenden Antrag beim Sozialhilfeträger gestellt hat, ist nach Aktenlage nicht feststellbar. Letztlich könnte im Außenverhältnis auch eine Zuständigkeit des Antragsgegners nach Maßgabe von § 14 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) bestehen, wenn der Antragsgegner den Antrag nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 SGB IX weitergeleitet hätte. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in § 6a SGB IX eine gesonderte Regelung zur Rehabilitationsträgereigenschaft getroffen worden ist. § 6a SGB IX ist durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) rückwirkend zum 1. Januar 2005 in das Gesetz eingefügt worden. § 6a SGB IX bestimmt, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) auch Rehabilitationsträger für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für behinderte erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des SGB II ist, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist. Mit der Rehabilitationsträgereigenschaft der BA soll nach der Gesetzesbegründung deren Fachkompetenz für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige erhalten bleiben (BT-Drucks 16/1410 S 33). Klarstellend zu dieser Aufgabenzuweisung an die BA bestimmt § 6a Satz 2 SGB IX, dass ungeachtet der Aufgabenwahrnehmung durch die BA die Zuständigkeit der Arbeitsgemeinschaft oder des zugelassenen kommunalen Trägers erhalten bleibt. Damit verbleibt die Entscheidungsbefugnis über die Leistungsgewährung bei den Arbeitsgemeinschaften bzw den zugelassenen kommunalen Trägern (BT-Drucks 16/1696 S 32). Die Aufgabenwahrnehmung durch die BA umfasst grundsätzlich auch die Verpflichtung zur Weiterleitung eines Antrags nach § 14 SGB IX (vgl BT-Drucks 16/1696 S 32). Hierbei kann im vorliegenden Zusammenhang unentschieden bleiben, ob und in welchem Umfang § 16 SGB II Leistungen zur Teilhabe auch für den Kreis der Sozialgeldempfänger, zu denen die Antragstellerin gehört, vorsieht. Denn die aus § 14 SGB IX folgende Zuständigkeit des erst- oder zweitangegangenen Rehabilitationsträgers hängt gerade nicht davon ab, ob er für die fragliche Leistung grundsätzlich zuständig sein kann. Vielmehr erstrecken sich die in § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX geregelten Zuständigkeiten jedenfalls im Außenverhältnis auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind (vgl Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25. Juni 2008 - B 11b AS 19/07 R = SozR 4-3500 § 54 Nr 1 Rn 15; BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 34/06 R - juris).

Indes kann im vorliegenden gerichtlichen Eilverfahren die - im Hauptsacheverfahren notwendige echte (vgl BSG aaO Rn 13) - Beiladung des Sozialhilfeträgers unterbleiben, weil bereits ein Anordnungsgrund iS eines zur Abwendung anders nicht mehr rückgängig zu machender Nachteile unabweisbaren Regelungsbedürfnisses jedenfalls derzeit nicht dargetan ist.

Gegenstand der Regelungsanordnung ist ausschließlich der Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Kfz als Zuschuss bzw als Darlehen. Nur dieser Sachverhalt ist dem Gericht in diesem Verfahren unterbreitet worden und nur hierauf bezieht sich das im Rechtsschutzantrag zum Ausdruck gekommene Begehren. Hier hat der Antragsgegner zudem in einem selbstständigen Bescheid eine Regelung zu diesem Lebenssachverhalt getroffen, der hinreichend von den nach §§ 20, 22 SGB II getroffenen Entscheidungen abgrenzbar ist. Von vornherein nicht Gegenstand des Verfahrens ist daher die Übernahme von Reparaturkosten für das noch benutzte behindertengerechte Kfz und/oder die Übernahme von Benzinkosten bzw Fahrkosten für einen Fahrdienst.

Die Anschaffung eines - wie mit Antrag und Beschwerde geltend gemacht - "neuen" Kfz bzw - wie mittlerweile mit Schriftsatz vom 16. Juni 2017 begehrt - eines Gebrauchtfahrzeuges ist derzeit indes (noch) nicht zwingend, da der Antragstellerin noch ihr behindertengerechtes Kfz zur Verfügung steht, das sie auch tatsächlich nutzt. Zwar liegen ausweislich des Berichts des TÜV Rheinland über die Hauptuntersuchung vom 13. Juni 2017 erhebliche Mängel an diesem Kfz vor, die unverzüglich zu beseitigen sind, und zwar bis zur Nachuntersuchung am 13. Juli 2017. Bis dahin ist das Fahrzeug aber weiter nutzbar. Ggfs kann es nach Durchführung der Reparaturen, deren Kosten derzeit nicht einschätzbar sind, auch darüber hinaus weiter genutzt werden. Es bedarf daher zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes jedenfalls derzeit nicht der begehrten Anordnung, zumal dadurch die Hauptsache vorweg genommen würde und derzeit nicht einmal ersichtlich ist, ob auch ein deutlich billigeres Gebrauchtfahrzeug den erforderlichen Zweck erfüllen könnte. Ggfs hätte der Antragsgegner, sofern er nach § 14 SGB IX im Außenverhältnis zuständiger Träger sein sollte, auch über die Übernahme etwaiger Reparaturkosten zu entscheiden, wenn diese das Fahrzeug für einen nicht unerheblichen Zeitraum wieder fahrtüchtig machen würden.

Prozesskostenhilfe war für das Beschwerdeverfahren mangels ausreichender Erfolgsaussicht nicht zu gewähren (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 iVm § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Im PKH-Beschwerdeverfahren sind Kosten kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vgl § 127 Abs.4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R7583


Informationsstand: 25.07.2018