Urteil
Anspruch auf Hilfe zur Beschaffung eines Kfz im Rahmen der Sozialhilfegewährung

Gericht:

SG Lüneburg


Aktenzeichen:

S 22 SO 48/07


Urteil vom:

04.10.2007


Tenor:

1. Unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 03. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar wird der Beklagte verpflichtet, die Kosten der Beschaffung eines angemessenen Kfz bis zum Preis von 55.000,00 EUR als Beihilfe zu gewähren.

2. Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt vom Beklagten die Gewährung einer Hilfe zur Beschaffung eines Kfz im Rahmen der Sozialhilfegewährung.

Der 1948 geborene Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert und pflegebedürftig. Sein Schwerbehindertenausweis weist die Merkzeichen B, G, aG, H und RF auf. Er lebt in der Gemeinde H ...

Im Jahre 1998 erhielt er eine Hilfe zur Beschaffung eines Kfz in Höhe von 30.000,- DM.

Am 18. Oktober 2006 stellte er bei dem Beklagten einen Antrag auf Hilfe zur Beschaffung eines Kfz und begründete dies unter anderem damit, dass der öffentliche Nahverkehr für den Kläger nicht nutzbar sei.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03. November 2006 ab (Bl. 91 bis 92 der Verwaltungsakte) und begründete dies wie folgt:

Für Fahrten zum Arzt und zu Therapien sei die Krankenkasse zuständig. Eine ständige Notwendigkeit zur Nutzung eines Kfz bestehe nicht, wenn der Kläger am Behindertensport teilnehme und ehrenamtliches Engagement betreibe.

Dagegen legte der Kläger am 23. November 2006 Widerspruch ein (Bl. 93 bis 97 der Verwaltungsakte) und begründete diesen wie folgt:

Der Kläger sei seit Jahren ehrenamtlich im THW tätig und seit mehr als 10 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv. Ferner berate er mit dem I. den Beklagten in Fragen der Barrierefreiheit. Das vorhandene Kfz sein reparaturbedürftig und kostenaufwändig. Der Kläger sei wegen der Schwere seiner Behinderung auf ein Auto angewiesen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2007 zurück (Bl. 101 bis 106 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:

Es handele sich nicht um Teilhabe am Arbeitsleben und vergleichbar gewichtige Gründe zur ständigen Notwendigkeit der Nutzung eines Kfz lägen nicht vor. Hinsichtlich kultureller Veranstaltungen sei der Kläger, wie andere nichtbehinderte Sozialhilfeempfänger auch, auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

Der Kläger hat am 31. Januar 2007 Klage erhoben.

Zwischenzeitlich hat der Beklagte den Antrag des Klägers auf Übernahme von Reparaturkosten für sein Kfz mit Bescheid vom 04. Mai 2007 abgelehnt.

Den dagegen eingelegten Widerspruch hat er mit Widerspruchsbescheid vom 06. Juli 2007 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 25. September 2007 Klage erhoben.

Der Kläger trägt vor:

Öffentliche Verkehrsmittel stünden im ländlichen Bereich nicht zur Verfügung. Er benötige das Kfz auch zur ehrenamtlichen Tätigkeit im Verein Deutsch - Ukrainische Direkthilfe, welche 2 bis 3 Mal pro Woche in Form einer Beratung und der Sammlung orthopädischer Hilfsmittel erfolge. Ferner arbeite er 2 bis 3 Tage pro Woche im Rahmen eines 400,- Euro - Arbeitsverhältnisses für die Firma J., welche Handybikers für Behinderte vertreibe. Sinn des Behindertenrechtes sei es, die Integration und Verselbständigung Behinderter zu erreichen. In diesem Sinne sei er ständig auf die Nutzung eines Kfz angewiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 03. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2007 den Beklagten zu verpflichten, die Kosten zur Beschaffung eines angemessenen Kfz bis zu einem Preis von 55.000,- Euro zu übernehmen.

Der Kläger beantragt hilfsweise,

unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 04. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Juli 2007 zu verpflichten, dem Kläger die Reparaturkosten seines Pkw, welche bis zum Oktober 2007 aufgelaufen sind, zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:

Die Erwerbstätigkeit und die ehrenamtlichen Tätigkeiten lösten kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz aus.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg. Der Hauptantrag ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 03. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2007 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide sind §§ 53 Absatz 1 Satz 1, 54 Absatz 1 Satz 2 SGB XII, 8 Absatz 1 EinglVO.

Danach gilt für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne von §§ 33 und 55 SGB IX. Sie ist im angemessenen Umfang zu gewähren, wenn der nach § 2 SGB IX wesentlich behinderte Mensch wegen der Art und Schwere der Behinderung insbesondere zur Teilnahme am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kfz angewiesen ist. Sinn und Zweck der Kfz - Hilfe als Teil der Eingliederungshilfe ist es, den Behinderten durch die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und durch die Eingliederung in das Arbeitsleben nach Möglichkeit einem Nichtbehinderten gleichzustellen und ihm zu ermöglichen, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben. Nach Urteilen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Oktober 1977 (- V C 15.77 -) und 20. Juli 2000 (- 5 C 43/99 -) muss die Notwendigkeit zur Benutzung eines Kfz ständig, nicht nur vereinzelt oder gelegentlich bestehen. Dabei ist auf die gesamten Lebensverhältnisse des Betroffenen abzustellen und die Notwendigkeit im Sinne des Nachrangigkeitsprinzipes zu verneinen, wenn die erforderliche Mobilität auf andere Art und Weise sichergestellt ist.

Im vorliegenden Fall kann der in Woltersdorf lebende Kläger unstreitig nicht auf die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehres verwiesen werden. Auch die ständige Nutzung eines Taxis scheidet aus, weil der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeiten Gegenstände befördern muss, welche die Benutzung eines Anhängers erfordern würden.

Zutreffend ist, dass hinsichtlich Krankentransporten und Teilnahme am Behindertensport grundsätzlich die Krankenkasse der zuständige Träger ist (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtes Münster vom 01. April 2003, - 5 K 1640/99 -; Beschluss des Sozialgerichtes Lüneburg vom 06. Juli 2005, - S 23 SO 195/05 ER -).

Jedoch geht die Kammer davon aus, dass ein Angewiesensein auf die Nutzung eines Kfz beim Kläger ständig gegeben ist:

Der Beklagte verkennt, dass der Kläger das Kfz zur Ausübung einer 400,- Euro - Beschäftigung benötigt. Damit liegt bereits die Notwendigkeit einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, wie § 8 Absatz EinglVO sie fordert, vor.

Darüber hinaus ergeben auch die sonstigen Aktivitäten des Klägers im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft einen mindestens ebenso gewichtigen Grund, welcher die ständige Nutzung eines Kfz erfordert (vgl. Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 8 EinglVO, Rd. 5). Zu dieser Einschätzung gelangt die Kammer auch unter Beachtung der gebotenen engen Auslegung der Norm.

Denn nach dem Vortrag des Klägers ist für die Kammer erkennbar, dass der Kläger ein Kfz offensichtlich täglich benötigt, um seinem umfangreichen ehrenamtlichen und staatsbürgerschaftlichen Engagement nachzukommen. So arbeitet der Kläger im Gemeinderat, führt eine Beratung im Rahmen des I. durch, betätigt sich im Verein Deutsch - Ukrainische Direkthilfe und ist Mitglied des THW. § 8 Absatz 1 EinglVO sieht die Gewährung einer Kfz - Hilfe auch ausdrücklich in Fällen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vor. Im Übrigen hat der Beklagte bereits in der Vergangenheit entsprechende Leistungen bewilligt. Der Kammer ist eine entscheidende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit dem Jahr 1998 nicht erkennbar. Entsprechende Tatsachen hat der Beklagte auch nicht vorgetragen.

§ 8 Absatz 2 EinglVO sieht die Möglichkeit der darlehensweisen Hilfegewährung vor und räumt dem Sozialhilfeträger Ermessen ein. Eine Leistung als Darlehen wäre nur dann statthaft, wenn die Möglichkeit der Rückzahlung besteht (vgl. Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm § 8 EinglVO, Rdn. 11). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, weil der pflegebedürftige und erwerbsunfähige Kläger dauerhaft auf Sozialhilfeleistungen angewiesen ist. Somit ist das Ermessen hinsichtlich einer beihilfemäßigen Gewährung auf Null reduziert.

Bei der Höhe der Gewährung geht die Kammer von Umbaukosten des anzuschaffenden Fahrzeuges von etwa 30.000,- Euro und angemessenen Anschaffungskosten für einen Omnibus von etwa 25.000,- Euro aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

Referenznummer:

R/R3245


Informationsstand: 13.01.2010