Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 02.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2006 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54
Abs. 2
S. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung einer Hilfe zur Beschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs, in das der Rollstuhl der Klägerin hineingeschoben werden kann.
Anspruchsgrundlage sind die §§ 53, 53
SGB XII in Verbindung mit
§ 8 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung - EinglHVO).
Der Beklagte ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs sachlich zuständig. Insoweit wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26.05.2006 Bezug genommen.
Die Klägerin gehört - unstreitig - gemäß
§ 53 Abs. 1 SGB XII zum anspruchsberechtigten Personenkreis.
Die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs gilt nach
§ 8 Abs. 1 S. 1 EinglHVO als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des
§ 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII in Verbindung mit den
§§ 33 und
55 des SGB IX. Sie wird nach § 8
Abs. 1
S. 2
EinglHVO in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass andere Eingliederungsziele damit ausgeschlossen sind; sie müssen aber vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehört auch, dass die Notwendigkeit der Benutzung eines eigenen
Kfz ständig -
bzw. genauer "regelmäßig" (
vgl. § 10 Abs. 6 EinglHVO - und nicht nur vereinzelt
bzw. gelegentlich besteht (
vgl. BVerwG Urt. v. 20.07.2000 - 5 C 43/99, juris). "Regelmäßig" bedeutet hingegen nicht, dass das Fahrzeug gleichsam täglich benötigt wird oder der Bedarf sich ausnahmsweise jede Woche mindestens zweimal täglich stellt und entsprechend befriedigt wird. Entscheidend ist allein, ob der Behinderte mit Blick auf das Ziel der Eingliederungshilfe auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen ist, wobei zum einen maßgeblich auf die Art und Schwere der Behinderung einerseits und zum anderen auf die gesamten Lebensumstände und -verhältnisse des Behinderten abzustellen ist (
vgl. OVG Sachsen-Anhalt Beschl. v. 28.09.2007 - 3 L 231/05, juris).
Die Benutzung eines Kraftfahrzeugs kann für die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bereits dann regelmäßig notwendig sein, wenn es für jede Fortbewegung, die den Fahrbereich des Rollstuhls überschreitet, notwendig ist, ein Kraftfahrzeug zu benutzen (
OVG Münster Urt. v. 25.03.1991 - 24 A 123/88, juris). Auch ist zu berücksichtigen, dass ein Kraftfahrzeug typischerweise ein der Eingliederung eines Behinderten dienendes Hilfsmittel ist. Ist hieran gemessen die erforderliche Mobilität in zumutbarer Weise durch andere Hilfen (
z.B. durch die Benutzung eines Rollstuhls oder öffentlicher Verkehrsmittel) oder in sonstiger Weise wie Krankentransport, Mietauto, Taxi sichergestellt, ist der Behinderte nicht auf die Benutzung eines (eigenen) Kraftfahrzeugs ständig angewiesen. Vor diesem Hintergrund hat insbesondere eine zu 100% schwerbehinderte Schülerin, die bewegungsunfähig ist, dem Grunde nach einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Kraftfahrzeughilfe (
vgl. VG Potsdam Beschl. v.17.01.2002 - 7 L 1018/01, juris; SG Gotha Urt. v. 02.06.2008 - S 14 SO 1391/06, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Kraftfahrzeug, in das ihr Rollstuhl - mit der Klägerin in dem Rollstuhl sitzend - hineingeschoben werden kann. Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Anschaffung eines Kraftfahrzeugs kommt zunächst insbesondere zu Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Die Teilhabe am Arbeitsleben ist auch betroffen, wenn der Behinderte das Kraftfahrzeug für den Schulbesuch benötigt (
vgl. OVG Niedersachsen Urt. v. 11.06.1981 -
4 A 152/80, juris (LS)). Zwar benutzt die Klägerin zum Schulbesuch grundsätzlich einen Behindertenfahrdienst. Nach den Angaben der Mutter musste die Klägerin - trotz nunmehr grundsätzlicher Einzelbetreuung - mehrfach vorzeitig von der Schule nach Hause geholt werden, weil sie einen Krampfanfall hatte
bzw. geschrien hat. Dies kommt nach den Angaben der Mutter im Verhandlungstermin bis zu zwei- bis dreimal im Monat, manchmal auch weniger vor. Um der Klägerin den Schulbesuch weiterhin zu ermöglichen und den Schulbesuch nicht weiter zu gefährden, ist die Klägerin insoweit nach Überzeugung der Kammer auf ein Kraftfahrzeug angewiesen.
Darüber hinaus ist die Klägerin auch im privaten Bereich auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Maßnahmen der Eingliederungshilfe sind nach §§ 53, 54
SGB XII auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55
SGB IX. Im Vordergrund der Eingliederungshilfe stehen also auch die persönlichen und menschlichen Begegnungen; hierzu gehört auch, dem Behinderten die Begegnung und den Umgang mit nicht behinderten Personen zu ermöglichen, zu erleichtern oder vorzubereiten sowie die Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen. Die gewünschte Eingliederung kann dabei - entgegen der Ansicht der Beklagten, wonach soziale Kontakte in erster Linie in der Schule stattfinden - keinesfalls auf die Schule reduziert werden (
vgl. VG Potsdam Beschl. v. 17.01.2002 - 7 L 1018/07, juris). Nach Ansicht des Gerichts ist die Klägerin auch und gerade als Schwerstmehrfachbehinderte auf die Begegnung mit Dritten angewiesen; sie braucht die Nähe zu anderen Menschen und fühlt sich nach den Angaben ihrer Mutter insbesondere bei ihrem Großvater, den sie jede Woche besucht, sehr wohl. Soweit der Beklagte weiter meint, dass soziale Kontakte auch durch Telefonate aufrecht erhalten werden können, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht sprechen kann und im Übrigen Telefonate auch eine räumliche Nähe nicht ersetzen. Auch der Umstand, dass andere Verwandtenbesuche derzeit nicht so häufig stattfinden, wie die Klägerin
bzw. ihre Familie sich das wünscht, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn dies liegt allein daran, dass Besuche aufgrund der derzeit vorhandenen Transportmöglichkeiten faktisch unmöglich sind. Um diesen Zustand zu beenden, ist die Klägerin gerade auf das Kraftfahrzeug angewiesen.
Im vorliegenden Fall ist zudem weiter zu berücksichtigen, dass es für jede Fortbewegung, die den Fahrbereich des Rollstuhls überschreitet, aufgrund der Behinderungen der Klägerin notwendig ist, ein Kraftfahrzeug zu benutzen. Deshalb ist die Benutzung eines Kraftfahrzeugs für die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bereits deshalb regelmäßig notwendig. Die Klägerin kann sich nicht selbstständig bewegen, sondern muss getragen
bzw. gefahren werden. Sie leidet unter einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten sowie cerebralen Krampfanfällen. Nach Ansicht der Kammer kann von der Mutter der Klägerin insoweit unter keinen Umständen mehr verlangt werden, die Klägerin, die mittlerweile
ca. 52
kg wiegt, zu tragen. Auch ist die Klägerin nicht auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verweisen, da sie unter häufigen Krampf- und Schreianfällen leidet. Die Schwierigkeiten bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel hat die Mutter der Klägerin im Erörterungstermin nachvollziehbar geschildert. Auch die Benutzung eines Mietwagens oder eines Taxis ist für die Klägerin nicht zumutbar. Zum einen ist insoweit zu berücksichtigen, dass genaue Termine in Anbetracht der Krampf- und Schreianfälle der Klägerin nur schwer einzuhalten sein dürften. Im Übrigen benötigt die Klägerin - da ein Tragen aus dem Rollstuhl auf einen anderen Sitz wegen des Gewichts der Klägerin nicht mehr in Betracht kommt - gerade ein Kraftfahrzeug, in das der Rollstuhl hineingeschoben werden kann. In der Zusammenschau mit den Krampf- und Schreianfällen erscheint es der Kammer unzumutbar, die Klägerin für jede Fortbewegung und damit für jeden Kontakt mit der Außenwelt, der über die Reichweite des von einem Dritten zu schiebenden Rollstuhls hinausreicht, auf die Suche und vorherige Bestellung eines geeigneten Mietautos oder Taxis zu verweisen.
Abschließend bleibt anzumerken, dass zur Aufgabe der Eingliederungshilfe - wie sich aus
§§ 4 Abs. 1 Nr. 1,
5 Nr. 1 SGB IX ergibt - die medizinische Rehabilitation gehört, insbesondere ärztliche
bzw. ärztlich verordnete Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung der Behinderung. Hier sind nach den schlüssigen Angaben der Mutter der Klägerin vielfältige Arzt-
bzw. Zahnarztbesuche sowie Krankengymnastik- und Ergotherapietermine - sofern diese aufgrund der Schulferien
bzw. eines vorzeitigen Schulendes der Klägerin bei einem Krampf-
bzw. Schreianfall nicht im Rahmen des Schulbesuchs absolviert werden - durchzuführen. Es erscheint fraglich, ob die hierdurch bedingten Mobilitätsbedarfe und ihre Deckung davon abzutrennen sind, soweit es die Frage des Angewiesenseins auf ein Kraftfahrzeug und die Frage der Kostenübernahme betrifft (SG Gotha Urt. v. 02.06.2008 - S 14 SO 1391/06, juris). Selbst wenn man diese Frage jedoch verneint (
vgl. SG Lüneburg Urt. v. 04.10.2007 - S 22 SO 48/07, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de;
VG Stade Urt. v. 28.08.2002 - 4 A 1044/01, juris), ergibt sich hier insgesamt keine andere Beurteilung. Die Klägerin ist - wie oben ausgeführt - neben ihrem Schulbesuch auch noch im Übrigen im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auf das Kraftfahrzeug angewiesen.
Ein Anspruch der Klägerin auf eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs ist hier auch nicht gemäß § 8
Abs. 3
EinglHVO ausgeschlossen. Danach ist die Hilfe in der Regel davon abhängig, dass der Behinderte das Kraftfahrzeug selbst bedienen kann. In besonderen Fällen kann die Hilfe jedoch auch dann gewährt werden, wenn der Behinderte durch Dritte gefahren werden muss. Insbesondere für ein Kind ist ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe nicht nach § 8
Abs. 3
EinglHVO ausgeschlossen, wenn - wie hier - sichergestellt ist, dass jederzeit ein Elternteil zur Verfügung steht, um das Kraftfahrzeug zu führen.
Rechtsfolge des § 8
Abs. 1
S. 2
EinglHVO ist ein Anspruch auf Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs in angemessenem Umfang. Was angemessen ist, entscheidet der Träger der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Grundsätze der
EinglHVO. Auf die Leistung sind das nach §§ 87, 88
SGB XII einzusetzende Einkommen und das nach § 90
SGB XII einzusetzende Vermögen der Klägerin und ihrer Eltern anzurechnen. § 8
Abs. 2
EinglHVO sieht die Möglichkeit der darlehensweisen Hilfegewährung vor und räumt dem Sozialhilfeträger auch insoweit Ermessen ein. Eine Leistung als Darlehn wäre aber nur statthaft, wenn die Möglichkeit der Rückzahlung besteht (
vgl. SG Lüneburg Urt. v. 04.10.2007 - S 22 SO 48/07, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin aufgrund Ihrer Behinderungen pflegebedürftig ist und nicht erwerbstätig sein kann. Somit ist das Ermessen hinsichtlich einer zuschussmäßigen Gewährung auf Null reduziert.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
Abs. 1
S. 1
SGG.