Urteil
Zuschuss zur Anschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs

Gericht:

SG Düsseldorf 42. Kammer


Aktenzeichen:

S 42 (29,44) SO 27/06


Urteil vom:

15.12.2009


Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2006 verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs, in das der Rollstuhl der Klägerin hineingeschoben werden kann, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Der Beklagte trägt die außergerichtliche Kosten der Klägerin.

Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Kraftfahrzeug, in das der nicht zusammenklappbare Rollstuhl der Klägerin hineingeschoben werden kann.

Die Klägerin wurde am 00.00.1996 geboren. Sie lebt zusammen mit ihrer jüngeren Schwester (geb. 00.00.1998) und ihren Eltern in W. Sie ist erheblich körperlich und geistig behindert. Die Klägerin kann sich nicht selbstständig bewegen, sondern muss getragen bzw. mittlerweile aufgrund ihres Alters und Gewichts gefahren werden. Sie ist darüber hinaus blind, harninkontinent und kann nicht nicht sprechen. Sie leidet unter einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten sowie cerebralen Krampfanfällen. Sie erhält mittlerweile Leistungen der Pflegestufe III. Zudem wurden ein GdB von 100 sowie die Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G", "B", "Bl", "H" und "RF" festgestellt. Nach den Angaben der Mutter der Klägerin wurde das Merkzeichen "aG" nicht beantragt, da sie schon aufgrund des Merkzeichens "Bl" dazu berechtigt sei, auf einem Behindertenparkplatz zu parken. Die Mutter der Klägerin ist Hausfrau und Hauptbezugsperson für die Klägerin; der Vater der Klägerin arbeitet als Metallarbeiter im Schichtdienst. Die Klägerin besucht montags bis donnerstags von 8.15 h bis 15.15 h und freitags von 8.15 h bis 12.15 h die Schule für Geistig- und Köperbehinderte am U in W. Aktuell erhält die Klägerin eine Einzelbetreuung. Wenn die Einzelbetreuerin krank oder sonst verhindert ist, nimmt die Klägerin am Gruppenunterricht teil. Sobald dann aber Krampf- und Schreianfälle auftreten, so dass die Klägerin nicht mehr innerhalb der Gruppe unterrichtet werden kann, ist mit der Schule vereinbart, dass die Mutter der Klägerin die Klägerin vorzeitig von der Schule abholt. Auch im Rahmen der Einzelbetreuung kommt es vor, dass die Mutter der Klägerin diese aufgrund ihrer Krampf- und Schreianfälle vorzeitig von der Schule abholen muss.

Unter dem 14.12.2004 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses für die Anschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs im Rahmen der Eingliederungshilfe. Sie begehre eine Beihilfe zur Anschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs, in das sie ihren Rollstuhl problemlos hineinbekomme.

Dazu legte die Klägerin ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß dem Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) vom 06.12.2002 vor. In dem Gutachten wird u.a. ausgeführt, dass die Klägerin unter regelmäßigen Krampfanfällen von ca. 10 bis 12 Minuten leide. Circa alle 6 Wochen stelle sie sich beim Kinderarzt vor, Kontrolluntersuchungen an der Uni F und Besuche der Zahnklinik in I fänden ca. alle drei Monate statt. Die Klägerin werde durch Angehörige rund um die Uhr gepflegt.

In einer Stellungnahme des Sozialdienstes Katholischer Männer und Frauen W e.V. vom 15.04.2005 wurde ausgeführt, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen mittlerweile über einen Rollstuhl verfüge dessen Rückenlehne sich zurückstellen lasse, damit die Klägerin zwischendurch eine andere Körperhaltung einnehmen könne. Dieser Rollstuhl sei jedoch nicht zusammenklappbar, so dass er nicht in ein normales Fahrzeug hineinpasse. Die Klägerin sitze derzeit in einem normalen Kindersitz im Auto und werde von ihrer Mutter dort hineingehievt. Die Klägerin sei nicht in der Lage zu stehen. Aufgrund des zunehmenden Gewichts der Klägerin sei es der Mutter der Klägerin nicht mehr zumutbar, die Klägerin ins Auto zu tragen. Außerdem sei auch der Kindersitz nicht weiter geeignet, da die Klägerin zur Seite rutsche und keinen richtigen Halt habe. Die Kostenübernahme werde daher befürwortet. Sie sei sinnvoll in Bezug auf die Eingliederung in das gesellschaftliche Leben und notwendig in Bezug auf eine sichere, behindertengerechte Ausstattung im Straßenverkehr. Es gehe um die Teilnahme der Klägerin am alltäglichen Leben - bei Einkäufen, Besuchen bei Bekannten und Verwandten - und Unternehmungen, die die ganze Familie betreffen. Aber auch die vielen Arzttermine (u.a. 8x jährlich Uniklinik Essen, 4 x jährlich Zahnklinik Witten, 2 x wöchentlich zur Krankengymnastik und diverse Kinderarzt- und Augenarztbesuche) würden ein behindertengerechtes Kfz nötig machen.

Das Gesundheitsamt des Kreises N führte in seiner Stellungnahme vom 19.05.2005 aus, dass die Klägerin aufgrund einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten auf die Benutzung des Rollstuhls angewiesen sei. Sie könne weder frei sitzen noch stehen; auch könne sie sich in waagerechter Lageposition nicht selbstständig fortbewegen. Für die Mutter der Klägerin sei es aufgrund des Gewichts und der körperlichen Behinderung der Klägerin nicht mehr möglich, die Klägerin aus dem Rollstuhl ins Auto zu heben. Die Eltern benötigten deshalb ein Fahrzeug, in welches sie die Klägerin - im Rollstuhl sitzend - rein- und rausschieben können. Der Besuch der Arztpraxen zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen und für physiotherapeutische Maßnahmen sei durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich. Eine Unterstützung zur Anschaffung eines behindertengerechten Fahrzeuges im Rahmen der Eingliederungshilfe werde daher befürwortet.

Mit Schreiben vom 25.11.2005 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Kraftfahrzeug abzulehnen. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs gemäß § 54 Sozialgesetzbuch, Zwölfte Buch (SGB XII) in Verbindung mit § 8 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHVO) lägen nicht vor. Danach gelte die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Voraussetzung sei, dass der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kfz angewiesen sei. Die Teilhabe am Arbeitsleben sei gleichzusetzen mit dem Besuch der Schule. Hier sei jedoch der Schulträger nach der Schülerfahrkosten-Verordnung vorrangig zur Übernahme der Fahrtkosten verpflichtet. Des Weiteren könne für Fahrten zum Arzt oder ärztlich verordneten Maßnahmen die Notwendigkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich nicht anerkannt werden; insoweit sei die Krankenkasse für die Übernahme etwaiger Fahrtkosten zuständig. Die Notwendigkeit eines Kraftfahrzeugs zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft könne nur dann anerkannt werden, wenn die Fahrten hierfür vergleichbar wichtig und regelmäßig wie Fahrten zur Arbeitsstelle seien. Aus den bisher eingereichten Unterlagen gehe nicht hervor, wie die Teilnahme der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft aussehe. Für gelegentliche Besuche von Freunden und Veranstaltungen müsse auf die Möglichkeit von Fahrten mit dem Taxi oder dem Behindertenfahrdienst verwiesen werden. Soziale Kontakte fänden in erster Linie in der Schule statt und könnten auch durch Telefonate aufrecht erhalten werden. Sofern die Klägerin keine weiteren Gründe vortrage, sei beabsichtigt, den Antrag abzulehnen.

Der Beklagte lehnte sodann den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 02.03.2006 ab. Zur Begründung nahm er Bezug auf sein Schreiben vom 25.11.2005; eine Reaktion der Klägerin sei darauf nicht erfolgt.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2006 zurückwies. Die Notwendigkeit der Benutzung des Kraftfahrzeugs müsse ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich bestehen. Insbesondere für die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft - z.B. Verwandtenbesuche, Tagesausflüge, Urlaubsreisen - sei ein Kraftfahrzeug nicht ständig und regelmäßig erforderlich. Diese Fahrten seien nicht ständig - tagtäglich - erforderlich. Zudem bestehe am Wohnort der Klägerin ein Behindertenfahrdienst.

Die Klägerin hat bereits am 13.04.2006 Klage erhoben. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr aufgrund ihrer Behinderung nicht möglich; im Übrigen seien die sonstigen Verwandten in ganz Nordrhein-Westfalen verstreut.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2006 zur verurteilen, den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs, in das der Rollstuhl der Klägerin hineingeschoben werden kann,unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig und weist ergänzend darauf hin, dass es im Rahmen der Gewährung von Sozialhilfe darum gehe, ein Mindestmaß an Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu gewährleisten und nicht ein ideales oder wünschenswertes Maß an Teilnahme zu ermöglichen.

Das Gericht hat am 25.03.2009 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Im Nachgang dazu hat der Beklagte nach richterlichem Hinweis mitgeteilt, dass zwar keine rechtliche Möglichkeit gesehen werden, einen Teil der Anschaffungskosten eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs nach § 8 EinglHVO zu übernehmen, grundsätzlich aber die Kosten für den behindertengerechten Umbau eines von der Klägerin selbst angeschafften Kraftfahrzeugs übernommen werden können. Dieses Angebot hat die Klägerin nicht angenommen. Sie hat geltend gemacht, dass der ursprünglich vorhandene Renault Twingo mittlerweile verschrottet worden sei. Sowohl dieser Wagen als auch der nunmehr vorhandene VW Polo seien nicht umbaufähig. Finanziell sei sie nicht dazu in der Lage, ein umbaufähiges Fahrzeug anzuschaffen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidung.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 02.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2006 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung einer Hilfe zur Beschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs, in das der Rollstuhl der Klägerin hineingeschoben werden kann.

Anspruchsgrundlage sind die §§ 53, 53 SGB XII in Verbindung mit § 8 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung - EinglHVO).

Der Beklagte ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs sachlich zuständig. Insoweit wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26.05.2006 Bezug genommen.

Die Klägerin gehört - unstreitig - gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII zum anspruchsberechtigten Personenkreis.

Die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs gilt nach § 8 Abs. 1 S. 1 EinglHVO als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII in Verbindung mit den §§ 33 und 55 des SGB IX. Sie wird nach § 8 Abs. 1 S. 2 EinglHVO in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass andere Eingliederungsziele damit ausgeschlossen sind; sie müssen aber vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehört auch, dass die Notwendigkeit der Benutzung eines eigenen Kfz ständig - bzw. genauer "regelmäßig" (vgl. § 10 Abs. 6 EinglHVO - und nicht nur vereinzelt bzw. gelegentlich besteht (vgl. BVerwG Urt. v. 20.07.2000 - 5 C 43/99, juris). "Regelmäßig" bedeutet hingegen nicht, dass das Fahrzeug gleichsam täglich benötigt wird oder der Bedarf sich ausnahmsweise jede Woche mindestens zweimal täglich stellt und entsprechend befriedigt wird. Entscheidend ist allein, ob der Behinderte mit Blick auf das Ziel der Eingliederungshilfe auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen ist, wobei zum einen maßgeblich auf die Art und Schwere der Behinderung einerseits und zum anderen auf die gesamten Lebensumstände und -verhältnisse des Behinderten abzustellen ist (vgl. OVG Sachsen-Anhalt Beschl. v. 28.09.2007 - 3 L 231/05, juris).

Die Benutzung eines Kraftfahrzeugs kann für die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bereits dann regelmäßig notwendig sein, wenn es für jede Fortbewegung, die den Fahrbereich des Rollstuhls überschreitet, notwendig ist, ein Kraftfahrzeug zu benutzen (OVG Münster Urt. v. 25.03.1991 - 24 A 123/88, juris). Auch ist zu berücksichtigen, dass ein Kraftfahrzeug typischerweise ein der Eingliederung eines Behinderten dienendes Hilfsmittel ist. Ist hieran gemessen die erforderliche Mobilität in zumutbarer Weise durch andere Hilfen (z.B. durch die Benutzung eines Rollstuhls oder öffentlicher Verkehrsmittel) oder in sonstiger Weise wie Krankentransport, Mietauto, Taxi sichergestellt, ist der Behinderte nicht auf die Benutzung eines (eigenen) Kraftfahrzeugs ständig angewiesen. Vor diesem Hintergrund hat insbesondere eine zu 100% schwerbehinderte Schülerin, die bewegungsunfähig ist, dem Grunde nach einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Kraftfahrzeughilfe (vgl. VG Potsdam Beschl. v.17.01.2002 - 7 L 1018/01, juris; SG Gotha Urt. v. 02.06.2008 - S 14 SO 1391/06, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Kraftfahrzeug, in das ihr Rollstuhl - mit der Klägerin in dem Rollstuhl sitzend - hineingeschoben werden kann. Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Anschaffung eines Kraftfahrzeugs kommt zunächst insbesondere zu Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Die Teilhabe am Arbeitsleben ist auch betroffen, wenn der Behinderte das Kraftfahrzeug für den Schulbesuch benötigt (vgl. OVG Niedersachsen Urt. v. 11.06.1981 - 4 A 152/80, juris (LS)). Zwar benutzt die Klägerin zum Schulbesuch grundsätzlich einen Behindertenfahrdienst. Nach den Angaben der Mutter musste die Klägerin - trotz nunmehr grundsätzlicher Einzelbetreuung - mehrfach vorzeitig von der Schule nach Hause geholt werden, weil sie einen Krampfanfall hatte bzw. geschrien hat. Dies kommt nach den Angaben der Mutter im Verhandlungstermin bis zu zwei- bis dreimal im Monat, manchmal auch weniger vor. Um der Klägerin den Schulbesuch weiterhin zu ermöglichen und den Schulbesuch nicht weiter zu gefährden, ist die Klägerin insoweit nach Überzeugung der Kammer auf ein Kraftfahrzeug angewiesen.

Darüber hinaus ist die Klägerin auch im privaten Bereich auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Maßnahmen der Eingliederungshilfe sind nach §§ 53, 54 SGB XII auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX. Im Vordergrund der Eingliederungshilfe stehen also auch die persönlichen und menschlichen Begegnungen; hierzu gehört auch, dem Behinderten die Begegnung und den Umgang mit nicht behinderten Personen zu ermöglichen, zu erleichtern oder vorzubereiten sowie die Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen. Die gewünschte Eingliederung kann dabei - entgegen der Ansicht der Beklagten, wonach soziale Kontakte in erster Linie in der Schule stattfinden - keinesfalls auf die Schule reduziert werden (vgl. VG Potsdam Beschl. v. 17.01.2002 - 7 L 1018/07, juris). Nach Ansicht des Gerichts ist die Klägerin auch und gerade als Schwerstmehrfachbehinderte auf die Begegnung mit Dritten angewiesen; sie braucht die Nähe zu anderen Menschen und fühlt sich nach den Angaben ihrer Mutter insbesondere bei ihrem Großvater, den sie jede Woche besucht, sehr wohl. Soweit der Beklagte weiter meint, dass soziale Kontakte auch durch Telefonate aufrecht erhalten werden können, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht sprechen kann und im Übrigen Telefonate auch eine räumliche Nähe nicht ersetzen. Auch der Umstand, dass andere Verwandtenbesuche derzeit nicht so häufig stattfinden, wie die Klägerin bzw. ihre Familie sich das wünscht, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn dies liegt allein daran, dass Besuche aufgrund der derzeit vorhandenen Transportmöglichkeiten faktisch unmöglich sind. Um diesen Zustand zu beenden, ist die Klägerin gerade auf das Kraftfahrzeug angewiesen.

Im vorliegenden Fall ist zudem weiter zu berücksichtigen, dass es für jede Fortbewegung, die den Fahrbereich des Rollstuhls überschreitet, aufgrund der Behinderungen der Klägerin notwendig ist, ein Kraftfahrzeug zu benutzen. Deshalb ist die Benutzung eines Kraftfahrzeugs für die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bereits deshalb regelmäßig notwendig. Die Klägerin kann sich nicht selbstständig bewegen, sondern muss getragen bzw. gefahren werden. Sie leidet unter einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten sowie cerebralen Krampfanfällen. Nach Ansicht der Kammer kann von der Mutter der Klägerin insoweit unter keinen Umständen mehr verlangt werden, die Klägerin, die mittlerweile ca. 52 kg wiegt, zu tragen. Auch ist die Klägerin nicht auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verweisen, da sie unter häufigen Krampf- und Schreianfällen leidet. Die Schwierigkeiten bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel hat die Mutter der Klägerin im Erörterungstermin nachvollziehbar geschildert. Auch die Benutzung eines Mietwagens oder eines Taxis ist für die Klägerin nicht zumutbar. Zum einen ist insoweit zu berücksichtigen, dass genaue Termine in Anbetracht der Krampf- und Schreianfälle der Klägerin nur schwer einzuhalten sein dürften. Im Übrigen benötigt die Klägerin - da ein Tragen aus dem Rollstuhl auf einen anderen Sitz wegen des Gewichts der Klägerin nicht mehr in Betracht kommt - gerade ein Kraftfahrzeug, in das der Rollstuhl hineingeschoben werden kann. In der Zusammenschau mit den Krampf- und Schreianfällen erscheint es der Kammer unzumutbar, die Klägerin für jede Fortbewegung und damit für jeden Kontakt mit der Außenwelt, der über die Reichweite des von einem Dritten zu schiebenden Rollstuhls hinausreicht, auf die Suche und vorherige Bestellung eines geeigneten Mietautos oder Taxis zu verweisen.

Abschließend bleibt anzumerken, dass zur Aufgabe der Eingliederungshilfe - wie sich aus §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 SGB IX ergibt - die medizinische Rehabilitation gehört, insbesondere ärztliche bzw. ärztlich verordnete Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung der Behinderung. Hier sind nach den schlüssigen Angaben der Mutter der Klägerin vielfältige Arzt- bzw. Zahnarztbesuche sowie Krankengymnastik- und Ergotherapietermine - sofern diese aufgrund der Schulferien bzw. eines vorzeitigen Schulendes der Klägerin bei einem Krampf- bzw. Schreianfall nicht im Rahmen des Schulbesuchs absolviert werden - durchzuführen. Es erscheint fraglich, ob die hierdurch bedingten Mobilitätsbedarfe und ihre Deckung davon abzutrennen sind, soweit es die Frage des Angewiesenseins auf ein Kraftfahrzeug und die Frage der Kostenübernahme betrifft (SG Gotha Urt. v. 02.06.2008 - S 14 SO 1391/06, juris). Selbst wenn man diese Frage jedoch verneint (vgl. SG Lüneburg Urt. v. 04.10.2007 - S 22 SO 48/07, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; VG Stade Urt. v. 28.08.2002 - 4 A 1044/01, juris), ergibt sich hier insgesamt keine andere Beurteilung. Die Klägerin ist - wie oben ausgeführt - neben ihrem Schulbesuch auch noch im Übrigen im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auf das Kraftfahrzeug angewiesen.

Ein Anspruch der Klägerin auf eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs ist hier auch nicht gemäß § 8 Abs. 3 EinglHVO ausgeschlossen. Danach ist die Hilfe in der Regel davon abhängig, dass der Behinderte das Kraftfahrzeug selbst bedienen kann. In besonderen Fällen kann die Hilfe jedoch auch dann gewährt werden, wenn der Behinderte durch Dritte gefahren werden muss. Insbesondere für ein Kind ist ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe nicht nach § 8 Abs. 3 EinglHVO ausgeschlossen, wenn - wie hier - sichergestellt ist, dass jederzeit ein Elternteil zur Verfügung steht, um das Kraftfahrzeug zu führen.

Rechtsfolge des § 8 Abs. 1 S. 2 EinglHVO ist ein Anspruch auf Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs in angemessenem Umfang. Was angemessen ist, entscheidet der Träger der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Grundsätze der EinglHVO. Auf die Leistung sind das nach §§ 87, 88 SGB XII einzusetzende Einkommen und das nach § 90 SGB XII einzusetzende Vermögen der Klägerin und ihrer Eltern anzurechnen. § 8 Abs. 2 EinglHVO sieht die Möglichkeit der darlehensweisen Hilfegewährung vor und räumt dem Sozialhilfeträger auch insoweit Ermessen ein. Eine Leistung als Darlehn wäre aber nur statthaft, wenn die Möglichkeit der Rückzahlung besteht (vgl. SG Lüneburg Urt. v. 04.10.2007 - S 22 SO 48/07, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin aufgrund Ihrer Behinderungen pflegebedürftig ist und nicht erwerbstätig sein kann. Somit ist das Ermessen hinsichtlich einer zuschussmäßigen Gewährung auf Null reduziert.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Referenznummer:

R/R3243


Informationsstand: 13.01.2010