I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Kraftfahrzeug(
Kfz)-Hilfe zur Beschaffung von Ersatz für seinen alten Pkw sowie einer Ausstattung mit Automatikgetriebe und orthopädischem Sitz.
Der 1961 geborene, bei der Antragsgegnerin gesetzlich rentenversicherte Antragsteller, leidet an den Folgen mehrerer Herzinfarkte bei koronarer Herzerkrankung sowie einer Wirbelsäulenerkrankung (Versteifung der Hals- und Lendenwirbelsäule). Seit dem 30. November 2007 ist ein Grad der Behinderung (
GdB) von 60 (mit Merkzeichen "G"), seit dem 22. Oktober 2018 von 80 (mit Merkzeichen "G") festgestellt. Der Antragsteller ist gelernter Stahlbauschlosser und war anschließend jahrelang als angelernter Raumausstatter berufstätig. Nachdem er diese Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte, wurde er 2011/2012 von der Antragsgegnerin für eine Vertriebstätigkeit qualifiziert. Seit dem 1. Mai 2012 ist der Antragsteller unbefristet als "Verkäufer im Außendienst" bei der
Fa. T.
GmbH beschäftigt. Mit Bescheid vom 24. April 2012 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller
Kfz-Hilfe in Form eines zinslosen Darlehens in Höhe von 731,70
EUR.
Nach im Januar 2013 eingetretener Arbeitsunfähigkeit wurde seiner Arbeitgeberin für die Wiedereingliederung des Antragstellers für den Zeitraum März 2015 bis Mai 2016 ein Eingliederungszuschuss gewährt. Nach erneuter Arbeitsunfähigkeit ab 2. August 2017 befand sich der Antragsteller vom 27. Dezember 2017 bis zum 17. Januar 2018 in einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der C. Klinik K. in B.-B., aus welcher er arbeitsunfähig, wenn auch mit der Prognose, dass Arbeitsfähigkeit wieder eintreten werde, entlassen worden war. Am 6. Dezember 2018 stellte er sich - wie von der Reha-Klinik vor einer Arbeitsaufnahme empfohlen - im Herzzentrum L. vor. Dort wurde eine Stabilisierung des Allgemeinzustandes festgestellt und ein Arbeitsversuch (Wiedereingliederung mit reduzierter Stundenzahl) für möglich erachtet. Vom 28. Januar 2019 bis 27. Januar 2020 erfolgte unter Gewährung eines Eingliederungszuschusses daher eine Wiedereingliederung des Antragstellers mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Wochenstunden (Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 12. Februar 2019).
Der Antragsteller stellte in der Vergangenheit bereits mehrfach Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von
Kfz-Hilfen, zuletzt am 15. März 2018, welcher mit Bescheid vom 8. Juni 2018 mit der Begründung abgelehnt wurde, Defizite der unteren Extremitäten lägen nicht vor, sodass ein Schaltgetriebe ausreichend sei. Am 22. Oktober 2018 stellte der Antragsteller diesbezüglich einen Überprüfungsantrag, welcher mit Bescheid vom 12. Dezember 2018 abgelehnt wurde. Aufgrund des hiergegen eingelegten Widerspruchs wurden dem Antragsteller mit Bescheid vom 17. Januar 2019 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach in Aussicht gestellt. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2019 mit der Begründung zurückgewiesen, die ausgeübte Beschäftigung als Vertriebsmitarbeiter entspreche nach Auffassung der beratenden Ärzte nicht dem verbliebenen Restleistungsvermögen des Antragstellers. Es würden daher Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zur Erlangung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes vorgeschlagen. Der sodann am 6. Mai 2019 beim Sozialgericht Mannheim (SG) gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde mit Beschluss vom 5. Juni 2019 abgelehnt (S 14 R 1345/19 ER), die hiergegen zum Landessozialgericht (
LSG) B.-Württemberg erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 16. Juli 2019 zurückgewiesen (L 10 R 2249/19 ER-B). Die Antragsgegnerin habe die
Kfz-Hilfe zu Recht abgelehnt, weil zum damaligen Zeitpunkt (vor Vorstellung im Herzzentrum L.) noch nicht festgestanden habe, ob tatsächlich die volle Leistungsfähigkeit für seinen Arbeitsplatz wieder eintreten werde.
Am 26. August 2019 stellte der Antragssteller bei der Antragsgegnerin erneut einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe in Form einer
Kfz-Hilfe für die Anschaffungskosten eines
Kfz sowie den Kosten von behinderungsbedingten Zusatzausstattungen (Automatikgetriebe, orthopädischer Fahrersitz). Er besitze zwar einen Opel Omega Caravan (Baujahr 2001, Kilometerstand 253.000), bei diesem sei jedoch der Servoblock kaputt. Die Reparaturkosten hierfür beliefen sich auf
ca. 2.000,00
EUR.
Auf Nachfrage der Antragsgegnerin teilte die Arbeitgeberin des Antragstellers am 18. Oktober 2019 mit, dass eine Beschäftigung des Antragstellers wirtschaftlich keinen Sinn mache. Die Ergebnisse seiner Arbeit seien sehr schlecht, es würden kein vernünftiger Kundenaufbau und keine Gebietsentwicklung betrieben. Der Antragsteller habe viele Nulltage und schaffe es nicht, zusätzliche Kunden zu erarbeiten. Eine Verbesserung der Arbeitsleistung sei leider nicht erkennbar.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag des Antragstellers auf
Kfz-Hilfe mit Bescheid vom 25. Oktober 2019 ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Kraftfahrzeughilfe lägen nicht vor. Der Antragsteller sei nicht aus behinderungsbedingten Gründen auf ein
Kfz angewiesen, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Für behinderte Menschen, die das
Kfz zur Berufsausübung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses benötigen, kämen
Kfz-Hilfen in Betracht, wenn allein auf diese Weise eine dauerhafte berufliche Eingliederung erzielt werden könne. Eine Förderung scheide aus, wenn die dauerhafte berufliche Eingliederung auch anderweitig – etwa durch Vermittlung in ein Beschäftigungsverhältnis, das kein eigenes
Kfz erfordere – erreicht werden könne. Die Regelung sei nicht dazu bestimmt, die jeweiligen Arbeitgeber zu entlasten. Es sei vielmehr erforderlich, dass entsprechende Leistungen des Arbeitgebers, wie die Stellung eines Firmenfahrzeugs, nicht üblich oder zumutbar seien. Eine übliche und zumutbare Kostenübernahme durch den Arbeitgeber könne auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer für die berufliche Nutzung des privaten
Kfz eine angemessene Abgeltung (Kilometerpauschale) erhalte. Als angemessen sei ein Abgeltungsbetrag mindestens in Höhe der Sätze des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) anzusehen. In solchen Fällen wären für die Anschaffung des
Kfz keine Hilfen durch den Rentenversicherungsträger zu leisten. Eine Kostenübernahme für behinderungsbedingte Zusatzausstattungen sei jedoch möglich. Der Antragsteller erhalte von seiner Arbeitgeberin steuer- und sozialversicherungsfreie Fahrtkosten zwischen 450,00
EUR und 480,00
EUR monatlich erstattet. Zudem sei unklar, ob das Beschäftigungsverhältnis über den Januar 2020 unbefristet auf Dauer fortbestehen werde.
Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 23. November 2019 Widerspruch bei der Antragsgegnerin ein und führte zur Begründung aus, sein Arbeitsplatz sei bei Nichtbewilligung gefährdet. In der Vertriebsbranche sei es nicht üblich, dass Arbeitgeber ihren Außendienstmitarbeitern ein
Kfz mit behindertengerechter Ausstattung zur Verfügung stellten. Da sein Einkommen in dem Monat vor der Antragstellung weniger als 40% der Bezugsgröße betragen habe, stünde ihm der derzeitige Höchstsatz für die Beschaffung eines
Kfz gemäß der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (
KfzHV) zu.
Auf Nachfrage der Antragsgegnerin teilte die Arbeitgeberin des Antragstellers am 2. Dezember 2019 telefonisch mit, dass sich die Leistungen des Antragstellers im November 2019 leicht verbessert hätten. Es sei beabsichtigt, ihn zukünftig durch mehr Begleitungen durch einen Vorgesetzten und konkrete Anweisungen enger zu führen. Die Antragsgegnerin erklärte sich daraufhin mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 dazu bereit, den Eingliederungszuschuss über den 31. Januar 2020 hinaus um weitere sechs Monate (in Höhe von 50%) zu verlängern.
Während des laufenden Widerspruchsverfahrens hat der Antragsteller am 3. Dezember 2019 beim SG Mannheim einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und zur Begründung vorgetragen, er habe seine derzeitige Tätigkeit 2012 nur aufgrund der ihm damals bewilligten
Kfz-Hilfe aufnehmen können. Dieser Pkw sei mittlerweile 18 Jahre alt,
ca. 240.000
km gelaufen und eigentlich reparaturbedürftig. Eine solche sei aber wirtschaftlich und technisch nicht mehr sinnvoll. Sein Kundengebiet erstrecke sich von Mannheim bis in den Odenwaldkreis. Er sei zwischen 7:00 Uhr und 16:30 Uhr täglich mit seinem Pkw-Kombi bei durchschnittlich 10 bis 15 Kunden mit seinem gesamten Vorführmaterial unterwegs. Das Auto sei sein Arbeitsplatz. Daher benötige er dringend ein fahrtüchtiges und zuverlässiges Kraftfahrzeug mit der genannten behindertengerechten Zusatzausstattung. Die Sache sei eilbedürftig, da sein Fahrzeug jederzeit komplett seinen Dienst versagen könne. Der Verlust seines Arbeitsplatzes würde für ihn eine besondere Härte darstellen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 7. Januar 2020 abgelehnt. Der Antragsteller habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Derzeit sei offen, ob er die Voraussetzungen des
§ 49 Abs. 8 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3
Abs. 3
KfzHV erfülle. Nach der Einschätzung des sozialmedizinischen Dienstes der Antragsgegnerin sei der Antragsteller dauerhaft nicht mehr in der Lage, seine derzeit ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter vollwertig auszuüben. Zudem habe seine Arbeitgeberin im Oktober 2019 geäußert, dass eine Weiterbeschäftigung wegen schlechter Arbeitsergebnisse und keiner erkennbaren Verbesserung keinen Sinn mehr mache. Daher sei völlig offen, ob das aktuelle Beschäftigungsverhältnis Bestand habe. Die Antragsgegnerin habe dies in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen dürfen, genau wie den Umstand, dass ihm von seiner Arbeitgeberin für die berufliche Nutzung seines Privatfahrzeugs monatlich ein Betrag in der Größenordnung von 450,00
EUR gezahlt werde. Darüber hinaus seien alternative Eingliederungsmöglichkeiten zu prüfen. Diese blieben jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Zudem bestünde keine besondere Eilbedürftigkeit, da das Fahrzeug des Antragstellers noch fahrtüchtig sei.
Gegen den ihm am 10. Januar 2020 zugstellten Beschluss hat der Antragsteller am 5. Februar 2020 Beschwerde beim
LSG B.-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, er widerspreche der Behauptung, er könne seine bisherige berufliche Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb von Schweiß- und Werkstattzubehör nicht mehr dauerhaft ausüben. Eine persönliche Begutachtung seiner Person und seines Arbeitsplatzes habe nicht stattgefunden. Seine behandelnden Ärzte im M. Herzzentrum L. hätten eine Wiedereingliederung in den bisher ausgeübten Beruf befürwortet. Die Äußerung seiner Arbeitgeberin beruhe allein auf der Hoffnung, noch länger den Eingliederungszuschuss zu bekommen. Seine Weiterbeschäftigung sei durch den unbefristeten Arbeitsvertrag gesichert. Er sei im Rahmen seiner Berufsausübung zwingend auf ein zuverlässiges Fahrzeug angewiesen, denn nur so sei auch sein Arbeitsverhältnis für die nächsten Jahre gesichert. Sein im Jahr 2012 gekaufter Pkw sei nicht mehr verkehrssicher, eine Reparatur seines 20 Jahre alten Pkws wäre nicht mehr wirtschaftlich. Eine Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes stelle eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte als schwerbehinderter Mensch dar. Auf Nachfrage des Senats hat der Antragsteller mitgeteilt, von seinem Arbeitgeber pro Arbeitstag unabhängig von den gefahrenen Kilometern eine Benzinkostenpauschale von 30,00
EUR zu erhalten. Seine monatliche Kilometerleistung variiere zwischen 1.400 und 2.500 Kilometern. Zudem hat er die Verdienstbescheinigungen sowie die dazugehörigen internen Provisions- und Gehaltsabrechnungen der Monate Dezember 2019, Januar 2020 und Februar 2020 vorgelegt.
Der Antragssteller beantragt (sachdienlich gefasst),
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Januar 2020 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Kraftfahrzeughilfe in Höhe von 9.500,00
EUR für die Beschaffung eines Pkws zuzüglich der Mehrkosten für ein Automatikgetriebe und den Einbau eines orthopädischen Fahrersitzes zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochtenen Beschluss verwiesen. Zudem hat sie mitgeteilt, dass die bei der Arbeitgeberin am 5. März 2020 erfragten Auskünfte noch nicht vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
1. Die gemäß § 173 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft. Die Beschwerde ist nicht nach § 172
Abs. 3
Nr. 1
SGG ausgeschlossen, weil die Berufung in der Hauptsache nicht der Zulassung bedürfte. Der Antragsteller begehrt vorliegend die Gewährung einer
Kfz-Hilfe in Höhe von 9.500,00
EUR für die Beschaffung eines Pkws zuzüglich der Mehrkosten für ein Automatikgetriebe und den Einbau eines orthopädischen Fahrersitzes. Der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00
EUR (§ 144
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
SGG) ist damit überschritten.
2. Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Vorliegend sind weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung ist offen, ob und ggfs. in welcher Höhe ein Anspruch auf die begehrte
Kfz-Hilfe zur Anschaffung eines Pkw besteht. Eilbedürftigkeit ist ebenfalls nicht gegeben.
a) Nach § 86b
Abs. 2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris, Rn. 64;
BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris, Rn. 9).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit
bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (
vgl. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2017 - L 4 R 4622/16 ER-B;
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18;
LSG B.-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris, Rn. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches
LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4).
Die einstweilige Anordnung dient lediglich der Sicherung von Rechten des Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf deshalb grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden. Wegen des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (
vgl. Art. 19
Abs. 4 Grundgesetz (
GG)) ist vom Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später möglicherweise nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung nicht mehr in der Lage wäre (
vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 – juris, Rn. 17). Im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen den Zweck verfolgen, zu verhindern, dass Rechte des Betroffenen durch Zeitablauf vereitelt werden, ist eine Anordnung mit Rücksicht auf die eintretenden wesentlichen Nachteile nur dann erforderlich, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls für den Antragsteller unzumutbar ist, ihn auf eine Entscheidung in einem Hauptsachverfahren zu verweisen. Dagegen dient eine einstweilige Anordnung nicht dazu, zu Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen (
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. November 2019 – L 7 AL 83/19 B ER – juris, Rn. 23).
Der hier streitgegenständliche Anspruch auf
Kfz-Hilfe gehört nicht zu den existenziell bedeutsamen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Dass schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, ist nicht ersichtlich. Geboten und ausreichend ist damit eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (
LSG B.-Württemberg, Beschluss vom 17. Februar 2010 –
L 11 R 5304/09 ER-B – juris, Rn. 26).
Die Prüfung nach den oben dargelegten Grundsätzen ergibt, dass bereits ein Anordnungsgrund fehlt. Eine Eilbedürftigkeit besteht schon deswegen nicht, weil der Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen noch über ein fahrtüchtiges Fahrzeug verfügt, welches über eine behindertengerechte Zusatzausstattung (Sitzhöhenverstellung, Lordosenstütze) verfügt. Der Senat sieht es auch nicht als glaubhaft gemacht an, dass der Antragsteller dieses
Kfz nicht noch für eine gewisse Zeit nutzen könnte. Zwar hat er hierzu ausgeführt, sein bisheriges
Kfz sei nunmehr 19 Jahre alt und weise erhebliche Mängel auf. Allerdings hat er nicht behauptet oder gar belegt, dass das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit sei.
Auch ein Anordnungsanspruch wurde vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Ob und in welcher Höhe dem Antragsteller ggfs. ein Zuschuss zur Anschaffung eines
Kfz mit behindertengerechter Zusatzausstattung zu gewähren ist, ist derzeit völlig offen.
Ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 9, 10, 11 und 16 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI)
i.V.m. § 49 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX i.V.m. § 3
Abs. 3
KfzHV setzt neben den hier erfüllten allgemeinen persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen voraus, dass der behinderte Mensch nicht nur vorübergehend zur Berufsausübung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist, infolge seiner Behinderung nur auf diese Weise die Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft gesichert werden kann und die Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber nicht üblich oder nicht zumutbar ist.
Derzeit kann nicht abschließend beurteilt werden, ob durch die Gewährung einer
Kfz-Hilfe die Teilhabe des Antragstellers am Arbeitsleben dauerhaft gesichert werden kann. So hat die Arbeitgeberin des Antragstellers auf Nachfrage der Antragsgegnerin am 18. Oktober 2019 mitgeteilt, dass eine Beschäftigung des Antragstellers wirtschaftlich keinen Sinn mache, die Ergebnisse seiner Arbeit sehr schlecht seien und eine Verbesserung der Arbeitsleistung nicht erkennbar sei. Auch wenn auf erneute Nachfrage im Dezember 2019 nunmehr eine leichte Verbesserung der Arbeitsleistung im November 2019 mitgeteilt wurde, reicht dies nicht aus, um diese Frage final beurteilen zu können, zumal sich aus den vorgelegten internen Provisions- und Gehaltsabrechnungen für die Monate Dezember 2019 und Januar 2020 im Vergleich wieder ein deutlich schlechteres Ergebnis zeigt, insbesondere eine Zielerfüllungsprämie jeweils nicht gezahlt werden konnte. Die hierzu erforderlichen, ggfs. auch medizinischen Ermittlungen bleiben dem Widerspruchs- und einem sich ggfs. anschließenden Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Auch die Frage, ob nur durch die Beschaffung eines neuen
Kfz die Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft gesichert werden kann, ob andere Teilhabeleistungen in Betracht kommen (
z.B. eine Vertriebstätigkeit im Innendienst) oder der Arbeitgeberin die Stellung eines Firmenwagens zuzumuten wäre, bedarf ebenfalls einer weitergehenden Prüfung.
Selbst wenn man die spezifischen Voraussetzungen des Anspruchs auf
Kfz-Hilfe gemäß § 3
Abs. 3
KfzHV bejahen würde, stünde der Antragsgegnerin hinsichtlich der Höhe der Leistung ein Ermessensspielraum nach Maßgabe der §§ 5 und 6
KfzHV zu. Das nach § 13
SGB VI bei Teilhabeleistungen auszuübende pflichtgemäße Ermessen erstreckt sich nach der Rechtsprechung des
BSG nicht auf das "Ob" einer Leistung, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, sondern auf das "Wie" der Leistung, zu der auch deren Umfang gehört (Kreikebohm in ders.,
SGB VI, § 13, Rn. 7 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des
BSG). Hierbei wäre zu berücksichtigen, dass bislang keine Anhaltspunkte für die medizinische Notwendigkeit eines Automatikgetriebes vorgetragen wurden, zumal der Antragsteller seit 2012 ein
Kfz fährt, welches nicht über ein solches verfügt (
vgl. u.a. Antrag oder Widerspruchsschreiben vom 31. Dezember 2018). Allein die Zuerkennung des Merkzeichens "G" dürfte hierfür nicht genügen.
Darüber hinaus wären auch die von der Arbeitgeberin bereits monatlich geleisteten, steuer- und sozialversicherungsfreien Fahrtkosten für die betriebliche Nutzung des Privatfahrzeugs des Antragstellers zu berücksichtigen. § 3
Abs. 3
KfzHV darf nicht zu einer Entlastung des Arbeitgebers führen. Eine Kostenübernahme im Sinne des § 3
Abs. 3
KfzHV liegt bereits dann vor, wenn für die berufliche Nutzung des
Kfz eine Kilometerpauschale gezahlt wird, die mindestens den Sätzen des BRKG entspricht (Karmanski, in: Brand,
SGB III, 8. Aufl. 2018,
KfzHV § 3 Rn. 11). Dabei kommt nur die sog. "große Wegstreckenentschädigung" als Vergleichsmaßstab in Frage, denn nur insoweit sind die im Rahmen der
Kfz-Hilfe relevanten Anschaffungskosten sowie die Abnutzung des Pkw berücksichtigt (
BSG, Urteil vom 9. Dezember 2010 – B 13 R 83/09 R – juris, Rn. 29
m.w.N.). Diese beträgt derzeit 0,30 Euro/Kilometer (§ 5
Abs. 2 Satz 1 BRKG) und unterscheidet sich somit nicht von dem im Steuerrecht für eine
Kfz-Nutzung maßgeblichen Pauschalbetrag (
vgl. § 3
Nr. 16
i.V.m. § 9
Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 und
Nr. 5 Einkommenssteuergesetz (EStG)). Aus den vorgelegten Verdienstabrechnungen ergibt sich, dass der Antragsteller für im November 2019 dienstlich zurückgelegte 1.707
km Fahrtkosten in Höhe von 442,00
EUR (Verdienstabrechnung Dezember 2019), für im Dezember 2019 zurückgelegte 586
km Fahrtkosten in Höhe von 150,00
EUR (Verdienstabrechnung Januar 2020) und für im Januar 2019 dienstlich zurückgelegte 522
km Fahrtkosten in Höhe von 150,00
EUR (Verdienstabrechnung Februar 2020) erhalten hat. Unter Zugrundlegung der sog. "großen Wegstreckenentschädigung" wäre eine angemessene - und den Anspruch gemäß § 3
Abs. 3
KfzHV dann völlig ausschließende - Abgeltung zwar etwas höher (für November 2019 bei 512,10
EUR, für Dezember 2010 bei 175,80
EUR und für Januar 2020 bei 156,60
EUR), dennoch sind auch die dem Antragsteller gewährten Beträge geeignet, Kosten für Reparaturen
bzw. für die Neuanschaffung eines
Kfz anzusparen und wären bei der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe einer ggfs. zu gewährenden
Kfz-Hilfe zu berücksichtigten.
Die Klärung der aufgeworfenen Fragen bleibt jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Ein Anordnungsanspruch besteht aus den genannten Gründen nicht. Die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des SG war daher zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.
4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177
SGG).