Urteil
Anspruch auf Versorgung mit einem Schwenksitz einschließlich der Montage in den Pkw durch die Krankenversicherung

Gericht:

LSG Thüringen 6. Senat


Aktenzeichen:

L 6 KR 616/08


Urteil vom:

26.06.2012


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. Februar 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Schwenksitz einschließlich der Montage des Sitzes in den Pkw ihrer Eltern.

Die 1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an spastischer Tetraplegie, mol. Aphasie und einem hirnorganischen Psychosyndrom. Die Klägerin verfügt über einen GdB von 100; anerkannt sind die Merkzeichen "B", "G", "aG", "H", "RF". Sie ist auf ständige Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Im Juli 2005 beantragte sie vertreten durch ihre Eltern unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 7. Juli 2005 und eines Kostenvoranschlages einer Reha-Technik-Werkstatt die Versorgung mit einer Hubvorrichtung für Be- und Entladen einer behinderten Person in den Pkw (Schwenksitz "Turny 300"). Laut Kostenvoranschlag verursacht dies Kosten in Höhe von 8.585,16 EUR einschließlich Einbau und TÜV-Abnahme.

Mit Bescheid vom 2. August 2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass Schwenksitze zum Umbau eines Pkw keine Hilfsmittel seien.

Einen hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2005 zurück. Die Klägerin sei mit einem Scalamobil, einem Elektrorollstuhl, einem Aktivrollstuhl, einem Zimmerrollstuhl sowie einem Liftersystem ausreichend versorgt.

Hiergegen hat die Klägerin am 26. Januar 2006 Klage erhoben. Mit dem begehrten Hilfsmittel sollten nicht der persönliche Freiraum für den Gebrauch eines Pkw erweitert, sondern ausschließlich die Auswirkungen der Behinderung gemildert werden. Insbesondere gehe es um die Ermöglichung der erforderlichen Arzt- bzw. Therapeutenbesuche. Sie befinde sich in ständiger hausärztlicher und orthopädischer Betreuung. Es seien regelmäßig Physiotherapeuten, Hausarzt, Augenarzt und Optiker aufzusuchen. Mit Hilfe des Schwenksitzes könne sie ohne fremde körperliche Hilfe das Kraftfahrzeug besteigen und verlassen. Aufgrund unkontrollierter spastischer Bewegungen der Hände könne sie mit dem Elektrorollstuhl außerhalb der Wohnung nicht allein unterwegs sein. Das Sozialgericht (SG) hat Auskünfte der behandelnden Ärzte und Therapeuten über die Behandlungshäufigkeit eingeholt. Im sozialgerichtlichen Verfahren wurde ein weiterer Kostenvoranschlag über einen Schwenksitz "Turny 300" vom 2. März 2007 über einen Gesamtpreis in Höhe von 5.916,50 EUR vorgelegt.

Mit Urteil vom 26. Februar 2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2005 verurteilt, die Klägerin mit einem Autoschwenksitz zu versorgen. Es bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten im erforderlichen Umfang aufzusuchen. Mit den vorhandenen Rollstühlen könnten nicht alle Ärzte und Therapeuten aufgesucht werden. Der Weg zu den Therapeuten werde durch die Benutzung des Pkw erheblich erleichtert. Der schwenkbare Sitz ermögliche es der Klägerin, das elterliche Fahrzeug zu besteigen und dort sicher transportiert zu werden. Ein kostengünstigeres Hilfsmittel sei nicht ersichtlich. Es sei davon auszugehen, dass sich der Schwenksitz im Laufe von spätestens vier Jahren im Hinblick auf die Kosten für ansonsten erforderliche Krankentransporte amortisiere.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Mai 2008 zugestellte Urteil am 10. Juni 2008 Berufung eingelegt. Das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, werde in aller Regel durch die Erschließung des Nahbereichs mit einem Rollstuhl erfüllt. Durch die bestehende Hilfsmittelversorgung sei die Klägerin in der Lage, die erforderlichen Behandlungen wahrzunehmen. Die Hausarztpraxis sei z.B. zirka 500 Meter von ihrem Wohnort entfernt. Sie erhalte ferner Leistungen der Pflegestufe 2. Damit sei die Unterstützung durch eine Pflegeperson sichergestellt. Unabhängig davon seien Hausbesuche und Krankentransporte im Einzelfall bei medizinischem Erfordernis möglich. Zudem würden Beförderungskosten übernommen, solange hierfür ärztliche Verordnungen vorgelegt würden und die Notwendigkeit nicht streitig sei. Seit Juni 2010 seien Fahrtkosten in einer Höhe von 2.880,98 EUR übernommen worden. Eine Abwägung zwischen den entstehenden Taxi- oder Beförderungskosten und den Kosten für das Hilfsmittel sei nach der Rechtsprechung nicht möglich. Der Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten entfalle nicht nach Versorgung mit dem begehrten Schwenksitz.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. Februar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Berufung unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen entgegengetreten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Gotha Urteil vom 26. Februar 2008 - S 3 KR 257/06

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 SGG). Die Berufung ist begründet, denn die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit dem begehrten Autoschwenksitz.

Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 2. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage des Leistungsanspruchs ist § 33 SGB V in der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung gelten auch hier die Grundsätze der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nach §§ 2 Abs. 1, 4 und 12 Abs. 1 SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken und Krankenkassen nicht bewilligen.

In Anwendung dieser Grundsätze besteht ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Versorgung mit einem Autoschwenksitz als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung weder unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs noch der Vorbeugung einer drohenden Behinderung, noch der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung.

Der von § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. SGB V beabsichtigte Behinderungsausgleich hat zwei Zielrichtungen: Gegenstand des Behinderungsausgleiches sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen. Bei diesem sogenannten unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen und technischen Forschung. In diesem Zusammenhang ist es nicht möglich, die Versorgung mit einem fortschrittlicheren Hilfsmittel mit der Begründung abzulehnen, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nichtbehinderten Menschen erreicht ist. Ebenso entfällt die Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht.

Der mit § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V verfolgte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst ferner solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Im Rahmen dieses sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleichs geht es nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nichtbehinderten Menschen. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der GKV nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2011 - Az.: B 3 KR 9/10 R, zitiert nach Juris). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen, sowie das Erschließen eines körperlichen Freiraums im Nahbereich der Wohnung und das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 2004 - Az.: B 3 KR 19/03 R = BSGE 93,176-182). Weiterhin zählt hierzu die Erschließung eines gewissen geistigen Freiraums sowie die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grund- bzw. Schulwissens.

Entsprechend diesen Grundsätzen ist hier der mittelbare Behinderungsausgleich einschlägig, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine ausgeglichen werden sollen.

Das hier in Rede stehende Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und den umliegenden Nahbereich (vgl. BSG Urteil vom 7. Oktober 2010 - Az.: B 3 KR 13/09 R, zitiert nach Juris). Angeknüpft wird dabei an den Bewegungsradius den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurück legen kann. Dies entspricht dem Umkreis, der mit einem von behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann. Für die Bestimmung des Nahbereiches gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab (ständige Rechtsprechung des BSG vgl. nur BSG, Urteil vom 19. April 2007 - Az.: B 3 KR 9/06 R = BSGE 98,213/219 und zuletzt BSG, Urteil vom 18. Mai 2011- Az.: B 3 KR 12/10 R, zitiert nach Juris). Dem kann weder entgegen gehalten werden, dass § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Gewährung von Hilfsmitteln anordnet, wenn sie "im Einzelfall" erforderlich sind, noch dass nach § 33 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) bei der Ausgestaltung von Rechten nach dem SGB "die persönlichen Verhältnisse" des Berechtigten berücksichtigt werden müssen. Ob ein Hilfsmittel der Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse dient, betrifft dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungsziele. Diese Eignung und Erforderlichkeit zählt zu den objektiven, dass heißt unabhängig vom konkreten Einzelfall zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen. In diesem Zusammenhang ist allein die Zielsetzung des § 33 SGB V und somit die Abgrenzung der Leistungspflicht der GKV von der anderer Träger nach einem abstrakt aufgabenbezogenen Maßstab ausschlaggebend. Die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung "im Einzelfall" ist dagegen ebenso wie deren Wirtschaftlichkeit eine subjektbezogene Anspruchsvoraussetzung, die nach einem konkret individuellen Maßstab zu beurteilen ist. Der in § 33 SGB I enthaltene Individualisierungsgrundsatz ist für den die Anspruchsvoraussetzungen des § 33 SGB V betreffenden Nahbereich bereits deshalb ohne Bedeutung, weil er ausschließlich für die Ausgestaltung sozialer Rechte gilt, seine Anwendung mithin auf die Rechtsfolgenseite einer im SGB geregelten Anspruchsgrundlage beschränkt ist (vgl. BSG Urteile vom 18. Mai 2011 - Az.: B 3 KR 7/10 R und Az.: B 3 KR 12/10 R, zitiert nach Juris).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG wurde der Nahbereich nicht im Sinne einer Mindestwegstrecke, sondern beispielhaft dahin gehend konkretisiert, dass der Versicherte in der Lage sein muss, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Der zu gewährleistende Basisausgleich erfasst hingegen nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken, vergleichbar einem Radfahrer oder Wanderer, zu bewältigen. Für die Bestimmung des zu erschließenden Nahbereichs ist allein der Zweck des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausschlaggebend. Dieser besteht in der Sicherstellung der in Satz 1 formulierten Versorgungsziele. Zweck des Behinderungsausgleiches nach § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. SGB V ist es grundsätzlich eine Gleichstellung des behinderten Menschen mit Nichtbehinderten zu erreichen. Im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs ist dabei allerdings kein Gleichziehen mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen zu gewährleisten. Ausgehend von dieser Zielsetzung sind dem Nahbereich beim mittelbaren Behinderungsausgleich solche Wege zuzuordnen, die räumlich einen Bezug zur Wohnung und sachlich einen Bezug zu den Grundbedürfnissen der physischen und psychischen Gesundheit bzw. einer selbständigen Lebensführung aufweisen. In räumlicher Hinsicht ist der Nahbereich des Weiteren auf den unmittelbaren Umkreis der Wohnung des Versicherten beschränkt. Diese ist Ausgangs- und Endpunkt der zum Nahbereich zählenden Wege, sodass die Mobilität für den Hin- und Rückweg durch Leistungen der GKV sicher zu stellen ist. Hierfür sind allerdings nicht die konkreten Wohnverhältnisse des behinderten Menschen maßgebend, weil der Nahbereich ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens konkretisiert und somit die Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels als objektive Anspruchsvoraussetzung betrifft (vgl. BSG, Urteile vom 18. Mai 2011 - Az.: B 3 KR 7/10 R und B 3 KR 12/10 R, jeweils zitiert nach Juris). Der Sache nach unterteilt der Nahbereich sich nach der genannten Rechtsprechung des BSG in gesundheitserhaltende Wege, Versorgungswege sowie elementare Freizeitwege. Zu den gesundheitserhaltenden Wegen zählen Entfernungen, die zur Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Existenz, wie zum Beispiel den notwendigen Arztbesuch, erforderlich sind. Der Versorgungsweg meint dagegen die Fähigkeit, die Wohnung zu verlassen, um die für die Grundbedürfnisse einer selbständigen Existenz und des selbständigen Wohnens notwendigen Verrichtungen vornehmen und Geschäfte aufsuchen zu können. Die Mobilität für Freizeitwege ist in Abgrenzung zu anderen Leistungsträgern, deren Aufgabe es ist, die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sicherzustellen, nur in dem Umfang von der GKV sicherzustellen, soweit diese Wege von besonderer Bedeutung für die physische und psychische Gesundheit sind. Daher sind unter Freizeitwege nur diejenigen Entfernungen zu messen, die bewältigt werden, um die körperlichen Vitalfunktionen aufrecht zu erhalten, wie zum Beispiel ein kurzer Spaziergang an der frischen Luft, und um einen für die seelische Gesundheit elementaren geistigen Freiraum zu erschließen, wie zum Beispiel der Gang zum Nachbarn zwecks Führung zwischenmenschlicher Kommunikation.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Klägerin mit einem Aktiv-, einem Elektro- und einem Zimmerrollstuhl ausreichend zur Erschließung des Nahbereichs versorgt. Dies gilt auch für das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Dieses Bedürfnis wird regelmäßig durch die Erschließung des Nahbereichs ausreichend erfüllt. Da die Beklagte rechtlich gemäß den Vorgaben des § 60 SGB V in Verbindung mit der Krankentransport-Richtlinie verpflichtet ist, die Kosten für Fahrten zu übernehmen, die aus medizinischen Gründen notwendig sind, kann es nicht darauf ankommen, ob die Klägerin die sie behandelnden Ärzte und Therapeuten mit Hilfe ihrer Eltern und den vorhandenen Hilfsmitteln zumutbar erreichen kann oder ob sie möglicherweise wegen ihres komplexen Krankheitsbildes spezialisierte Fachärzte und Therapeuten aufsuchen muss und ob hierfür die Erschließung des Nahbereiches ausreicht. Nach § 60 Abs.1 S.3 SGB V i.V.m. § 8 Abs.3 der Krankentransport-Richtlinie kann die Fahrt zur ambulanten Behandlung für Versicherte verordnet und genehmigt werden, die einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "aG", "BI" oder "H" oder ein Einstufungsbescheid nach SGB XI in die Pflegestufe 2 oder 3 bei der Verordnung vorlegen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin verfügt über einen über Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen "aG" und "H". Eine Einstufung in die Pflegestufe 2 nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) liegt ebenfalls vor.

Durch die Verpflichtung der Beklagten, sowohl die medizinisch notwendigen Transporte sicherzustellen als auch für eine entsprechende Rollstuhlbeschaffenheit zwecks Ermöglichung dieser Transporte aufzukommen, stehen für das Bedürfnis, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, hinreichende Leistungen zur Verfügung (vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Februar 2010 - Az: L 10 KR 47/07, zitiert nach Juris, Rn. 25). Die Beklagte und nicht die Eltern der Klägerin sind rechtlich verpflichtet, ihr das Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten durch die Übernahme der Transportkosten der entsprechenden Fahrdienste zu ermöglichen. Durch den Einbau eines Hubschwenksitzes in den Pkw der Eltern wird daher ein Transport zu Ärzten und Therapeuten im Rechtssinne nicht sichergestellt. Auch in diesem Fall hätte sie weiterhin einen Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenübernahme, soweit dies aus medizinischen Gründen notwendig ist. Die Klägerin ist auch mit den zur Verfügung gestellten schwenkbaren Autositz nicht in der Lage, selbständig Ärzte oder Therapeuten aufzusuchen. Sie bleibt diesbezüglich auf fremde Hilfe angewiesen, da sie einen Pkw nicht ohne fremde Hilfe nutzen kann. Besondere qualitative Momente, welche im Einzelfall der Klägerin die Versorgung mit einem Hubschwenksitz zu Lasten der GKV rechtfertigen könnten, sind daher nicht ersichtlich. Insbesondere ist ihr Fall nicht mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall der Wachkomapatientin (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 2004 - Az.: B 3 KR 19/03 R = BSGE 93,176 - 182) vergleichbar. Im Fall der Wachkomapatientin verhielt es sich so, dass der Weg zu Ärzten und Therapeuten erst durch die Benutzung des Pkw ermöglicht wurde. Nur durch den Transport im vertrauten Fahrzeug und in Gegenwart der Eltern wurden der Wachkomapatientin Angstzustände genommen und spastische Anfälle vermieden. Die Möglichkeit der Durchführung professioneller Krankentransporte hat das BSG in diesem Fall aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht als Alternative angesehen. Daher waren in diesem Fall ausnahmsweise die Möglichkeiten für einen Pkw-Transport der Patientin zu schaffen.

Vorliegend verhält sich die Situation jedoch anders. Der Klägerin ist ein Transport in einem Taxi oder mittels Krankentransport zumutbar. Sie hat dies in der Vergangenheit bereits regelmäßig in Anspruch genommen. Ausweislich einer Aufstellung der Beklagten hat sie im Zeitraum Juni 2010 bis März 2012 Taxikosten für Fahrten überwiegend zur Physiotherapie, aber vereinzelt auch zu Ärzten in Höhe von 2.880,98 EUR übernommen. Daher ist es der Klägerin zumutbar, Taxifahrten weiterhin in Anspruch zu nehmen. Eine Gegenüberstellung dieser Fahrtkosten und der Kosten für einen Schwenksitz ist nicht zulässig. Die Versorgung mit einem Schwenksitz lässt den Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten nicht entfallen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Zurverfügungstellung des schwenkbaren Autositzes der Vorbeugung einer drohenden Behinderung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V dienen könnte, liegen nicht vor.

Es besteht auch kein Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz unter dem Gesichtspunkt der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB V. Dies setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass das Hilfsmittel spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden muss, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Voraussetzung ist daher, dass mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).

Referenznummer:

R/R5864


Informationsstand: 05.08.2013