Urteil
Leistungen der Postbeamtenkrankenkasse für ein Liegerad

Gericht:

VG Stuttgart 12. Kammer


Aktenzeichen:

12 K 5471/14


Urteil vom:

21.04.2015


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger ist bei der Beklagten als B1-Mitglied versichert. Er begehrt von ihr die Gewährung von Kassenleistungen zur Anschaffung eines Liegedreirads des Modells "Scorpion fs FX Pedelec 20".

Der Kläger leidet unter anderem an einer Halbseitenlähmung (links). Am 07.07.2014 wurde ihm eine "elektrisch betriebene Fahrhilfe, z.B. Liegefahrrad/elektrischer Rollstuhl" ärztlich verordnet. Mit Schreiben vom 08.07.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Genehmigung zur Anschaffung eines Liegedreirads unter Vorlage der ärztlichen Anordnung sowie des Kostenvoranschlags der Firma V. bezüglich eines Liegedreirads des Modells "Scorpion fs FX Pedelec 20" mit dem Gesamtpreis von insgesamt 7.100 EUR.

Mit Bescheid vom 04.08.2014 wurde der Antrag des Klägers von der Beklagten abgelehnt. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, ein solches Liegedreirad gehöre nicht zu den erstattungsfähigen Hilfsmitteln.

Mit Schreiben vom 12.08.2014 erhob der Kläger gegen hiergegen Widerspruch. Er trug u.a. vor, dass das Liegedreirad mit einem elektrischen Rollstuhl vergleichbar sei, weil es ebenso die Fortbewegung ermögliche. Die abweichende äußere Form des Liegedreirad widerspreche nicht dem therapeutischen Nutzen und der Erforderlichkeit, weshalb dieses zu den erstattungsfähigen Hilfsmitteln zähle. Demnach seien jedenfalls die Aufwendungen in der Höhe der Kosten eines vergleichbaren elektrischen Rollstuhles erstattungsfähig.

Nach Schriftwechsel zwischen den Beteiligten wurde der Widerspruch von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2014 zurückgewiesen. Dieser wurde dem Kläger am 20.11.2014 zugestellt.

Am 04.12.2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben. Er vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren, das begehrte Liegedreirad sei ein erstattungsfähiges Hilfsmittel, auf das er Anspruch habe. Die Beklagte habe im Übrigen zunächst die Bezuschussung eines Behindertendreirades vorgeschlagen und ohne sein Einverständnis medizinische Daten an den Dienstherrn weitergeleitet. Auch fehle ein von der Beklagten erwähntes Gutachten in den Akten. Aufgrund seiner Erkrankung lägen die medizinischen Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeihilfeverordnung vor. Ohne elektrisch betriebene Fahrhilfe könne er größere Wegstrecken nicht bewältigen. Das beantragte Liegedreirad fördere zudem Muskulatur und Herz und sei deshalb hier medizinisch besonders sinnvoll und förderlich für die Behandlung nach dem Schlaganfall. Auch liege ein "Hilfsmittel" im Sinne der Vorschriften vor, denn es sei kein Gegenstand der "allgemeinen Lebenshaltung" gegeben. Das begehrte Liegedreirad sei ein spezifisch an die Belange Behinderter angepasstes Hilfsmittel, das so nicht von Gesunden genutzt werde. Das ausgewählte Modell "Scorpion fs FX Pedelec 20" vereinfache dem behinderten Kläger insbesondere das Ein- und Aussteigen. Mithin liege ein behindertengerechtes Fahrrad vor, das nicht mit handelsüblichen Liegefahrrädern verglichen werden könne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei auch auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abzustellen. Erst mit dem begehrten Liegedreirad sei es dem Kläger möglich, Verwandte und Freunde zu besuchen. Ihm könne deshalb nicht entgegengehalten werden, das Liegedreirad diene im Vergleich zum Rollstuhl einer schnelleren, bequemeren, sportlicheren und weiträumigeren Fortbewegung. Vielmehr diene es primär dem Ausgleich seiner Behinderungen und entspreche den Grundbedürfnissen seines täglichen Lebens. Jedenfalls sei das begehrte Liegedreirad unter Nr. 2.5 der Anlage 11 zu § 25 Abs. 1 und 4 Bundesbeihilfeverordnung zu subsumieren, wobei diese Anlage ohnehin nicht abschließend sei. Auch über Anlage 12 sei sein Anspruch nicht ausgeschlossen; insbesondere liege kein "Elektrofahrzeug" im Sinne von deren Nr. 5.6 vor, weil das begehrte Liegedreirad nur optional mit einem elektrischen Hilfsantrieb ausgestattet werden könne. Schließlich könne sich der Anspruch des Klägers auf entsprechende Kassenleistungen auch auf § 25 Abs. 4 Satz 1 Bundesbeihilfeverordnung stützen.

Der Kläger beantragt - sachdienlich ausgelegt -,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 04.08.2014 und ihres Widerspruchsbescheids vom 18.11.2014 zu verpflichten, ihm zur Anschaffung des beantragten Liegedreirads Kassenleistungen in Höhe von 2.130 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die ergangenen Bescheide.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die dem Gericht vorliegenden Akten der Beklagten verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er keinen Anspruch auf die begehrten Kassenleistungen hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Ob Mitglieder der Beklagten von dieser Kassenleistungen zum Ersatz ihrer medizinischen Aufwendungen erhalten, richtet sich nach deren Satzung. Maßgeblich ist dabei die zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltende Fassung; hier: 01.01.2015 (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.09.2011 - 2 S 1972/11 - juris). Nach § 30 Abs. 1 dieser Satzung haben Mitglieder Anspruch auf die in den §§ 31 bis 48 festgelegten Leistungen, soweit diese Aufwendungen erstattungsfähig sind. Weitere Voraussetzung ist nach § 30 Abs. 2 Satz 1 und 2 der Satzung die medizinische Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit der Aufwendungen.

§ 35 Abs. 1 der Satzung bestimmt im vorliegenden Zusammenhang hierzu, dass Aufwendungen für die Anschaffung der von der Ärztin bzw. dem Arzt schriftlich verordneten Hilfsmittel in dem für die Anwendung der Bundesbeihilfeverordnung in der jeweils gültigen Fassung geltenden Rahmen erstattungsfähig sind. Gemäß § 35 Abs. 2 der Satzung ist die vorherige Genehmigung der Anschaffung durch die Beklagte Voraussetzung für Aufwendungen für nicht zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und zur Selbstkontrolle sowie für Köperersatzstücke. Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn in der Leistungsordnung hierfür Höchstbeträge vorgesehen sind oder der Anschaffungspreis geringer als 150 EUR ist.
Eine Genehmigung ist demnach zu erteilen, wenn dem Mitglied ein Anspruch auf Kassenleistungen nach den §§ 30 Abs. 1, 35 Abs. 1 der Satzung für das anzuschaffenden Hilfsmittel zusteht. Gemäß § 25 Abs. 1 der Bundesbeihilfeverordnung sind Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle sowie Körperersatzstücke beihilfefähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Beihilfefähig sind vorbehaltlich des Absatzes 4 der Norm die Aufwendungen für u.a. die Anschaffung der in Anlage 11 genannten Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle und Körperersatzstücke unter den dort genannten Voraussetzungen. Gemäß § 25 Abs. 2 Bundesbeihilfeverordnung sind Aufwendungen für Hilfsmittel und Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle, die einen geringen oder umstrittenen therapeutischen Nutzen haben (Nr. 1), einen niedrigen Abgabepreis haben (Nr. 2), der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen sind (Nr. 3) oder in Anlage 12 genannt sind (Nr. 4) hingegen nicht beihilfefähig.

Nach diesen Grundsätzen ist das vom Kläger begehrte Liegedreirad nicht genehmigungsfähig; hierfür kann er mithin nicht die begehrten Kassenleistungen beanspruchen. Denn das Liegedreirad kann nicht den in § 25 Abs. 1 Bundesbeihilfeverordnung genannten Behinderungsausgleich herstellen. Dieser hat grundsätzlich zwei Zielrichtungen: Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem sogenannten unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen. Im Rahmen dieses sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleichs geht es nicht um einen Ausgleich im Sinne eines vollständigen Gleichziehens mit den vielfältigen Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen, sondern nur um die möglichst weitgehenden Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines körperlichen Freiraums (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 28.07.2014 - 2 S 1176/14).

Nach diesen Grundsätzen kann das vom Kläger beantragte Liegedreirad nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienen, weil die Folgen einer lähmungsbedingten körperlichen Funktionsbeeinträchtigung ausgeglichen werden sollen. Das Liegedreirad ist jedoch im Rechtssinne nicht als geeignet anzusehen, insbesondere die Auswirkungen der Gehunfähigkeit im täglichen Leben zu beseitigen oder zu mildern, weil es im Wesentlichen dazu dient, die Mobilität des Klägers im sozialen Bereich zu erweitern. Zentrale Aufgabe des Liegedreirads ist es hingegen nicht, die Anforderungen des Alltags zu meistern und ein alltägliches Leben führen zu können.

Dies ergibt sich unter anderem auch aus allgemein zugänglichen Quellen, in denen das beantragte Modell "Scorpion fs FX 20" als ein Fahrzeug "mit der komfortablen Vollfederung moderne Fahrwerkstechnik aus dem Automobilbereich" sowie "mit sportlichem Anspruch" bei "maximalem Fahrvergnügen" beschrieben wird (vgl. http://www.hpvelotechnik.com/produkte/scorpionfs/index_d.html). Damit entspricht das vom Kläger begehrte Liegedreirad aber ganz überwiegend einem Freizeit- bzw. Sportfahrzeug und erfüllt nicht primär den therapeutischen Zweck der angeordneten elektrischen (Behinderten-)Fahrhilfe. Zudem kann das beantragte Liegedreirad selbst in der vom Kläger begehrten Sonderausstattung von einem Gesunden im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung benutzt werden; es fällt auch aus diesem Grund nicht unter die Hilfsmittel im Sinne der Satzung der Beklagten (vgl. hierzu: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.04.1996 - 4 S 3208/94 - juris Rn. 21). Mithin handelt es sich bei dem vorliegend beantragten Liegedreirad auch nicht um ein grundsätzlich beihilfefähiges "Behinderten-Dreirad" im Sinne von Nr. 2.5 der Anlage 11 zur Bundesbeihilfeverordnung. Stattdessen liegt ein Hilfsmittel vergleichbar der grundsätzlich nicht beihilfefähigen Gegenstände vor, die in Anlage 12 zur Bundesbeihilfeverordnung aufgelistet sind. Schließlich müssen die begehrten Kassenleistungen für das Liegedreirad von der Beklagten auch nicht über § 25 Abs. 4 Satz 1 Bundesbeihilfeverordnung "ausnahmsweise" gewährt werden, weil dies bei einem solchen Freizeit- bzw. Sportfahrzeug nicht der Fürsorgepflicht entspricht. Für die Eigenschaft eines beihilferechtlich relevanten Hilfsmittels kommt es im Übrigen wesentlich auf dessen objektive Beschaffenheit an und nicht auf die subjektive Verwendungsmöglichkeit (vgl. BayVGH, Urteil vom 26.11.1992 - 3 B 91.2339 - juris Rn. 23). Der Vortrag des Klägers hat mithin keine entscheidungserhebliche Relevanz, dass das Liegedreirad bei ihm konkret auch einen medizinisch sinnvollen Trainingseffekt für Muskulatur und Herz erzeugen könnte.

Die begehrten Aufwendungen für das beantrage Liegedreirad sind somit der "allgemeinen Lebenshaltung" im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 3 der Bundesbeihilfeverordnung zuzuordnen, d.h. nicht über Kassenleistungen erstattungsfähig.

Nach alledem hat die Beklagte die begehrte Genehmigung zur Anschaffung des Liegedreirads bzw. die Gewährung von Kassenleistungen hierfür zu Recht abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R7073


Informationsstand: 18.11.2016