Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger mit einem kombinierten Steh- und Bewegungstrainer vom Typ Innowalk Medium (nachfolgend Innowalk) des Herstellers Made for Movement
GmbH auszustatten und hierzu die Miete für sechs Monate in Höhe von 5.173,55 Euro zu übernehmen.
Der 2007 geborene Kläger (Bl. 41) leidet (Bl. 2, 254) an einer infantilen Cerebralparese nach Frühgeburtlichkeit in der 24. SSW (G80.0), muskulärer Verkürzung im Bereich der Arme und Beine beidseits (M62.40), einer neuromuskulären Thorakolumbalskoliose (M41.45) sowie einer kombinierten Entwicklungsverzögerung (F83.0). Er ist mit einem Grad von 100 schwerbehindert (Bl. 41).
Dem Kläger stehen folgende Hilfsmittel zur Verfügung (Bl. 5): Rollstuhl, Posteriorwalker, Therapiefahrrad, Stehständer, E-Rollstuhl, WC-Stuhl, US-Orthesen beidseits, Brille, Daumen-Handgelenk-Softorthese links sowie ein Spio-Anzug.
Mit dem Posteriorwalker kann der Kläger eine Strecke von 50 m zurücklegen (Bl. 169 Rs).
Den Antrag des Klägers (Bl. 2 f. VA) auf Bewilligung des Innowalks lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2019 mit der alleinigen Begründung ab, dass alle Therapieziele mit den vorhandenen Hilfsmitteln erreicht werden könnten und eine zusätzliche Versorgung mit dem beantragten Innowalk nicht erforderlich sei (Bl. 5 VA).
Den gegen die Ablehnung eingereichten Widerspruch vom 27.05.2019 (Bl. 8 f.) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.1962 zurück (Bl. 131
ff. VA). Zur Begründung gab die Beklagte nunmehr auch an, dass es sich beim Innowalk um eine neuen Behandlungsmethode handele, weshalb
§ 135 Abs. 1 SGB V einer Leistungsgewährung entgegenstünde (Bl. 130 VA).
Der Kläger ist der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Bewilligung lägen vor. Der Innowalk diene dem Behinderungsausgleich und sei deshalb unabhängig von der Frage bewilligungsfähig, ob es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele (Bl. 10
ff., 28
ff.).
Nach Einschätzung des Klägers (Bl. 22
ff.) handele es sich beim Innowalk nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB), so dass ein Ausschluss gemäß § 135
Abs. 1 Satz 1
SGB V nicht vorliege. Der Einsatz des Innowalk sei nicht mit einer neuen und unkonventionellen Behandlungsmethode verbunden, da er Trainingsmethoden schlicht in einem Gerät vereine. Er nutze kein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept. Er unterscheide sich von anderen Therapieverfahren nur dadurch, dass eine Kombination verschiedener - für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zum Tragen komme. Der Innowalk diene zum einen der Vertikalisierung, vergleichbar mit einem Stehtrainer. Zum anderen sei er aber auch ein aktivierendes Hilfsmittel, das mittels Training unter Eigengewicht eine aktive Stimulation der Bein-, Becken- und Rumpfmuskulatur zur Folge habe. Ferner würde beim Training mit dem Innowalk das Prinzip des Lokomat-Trainings genutzt. Dies besage, dass gerade beim Erlernen hoch automatisierter Bewegungsabläufe eine hohe Wiederholungsrate der gewünschten Bewegung eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung des Ziels ist. Bei diesem Lernprozess seien zu Beginn auch passive Schreitbewegungen sinnvoll und erforderlich. Durch die Schienenführung der Beine würde ein physiologisches Gangbild eingeübt und Schäden des Körpers durch eine nicht achsengerechte Belastung würden vermieden. Auf diese Weise würde die Muskulatur der Beine so gekräftigt, dass später eine selbständige Fortbewegung im Idealfall möglich sei. Diese Behandlungsprozesse seien für sich allein jeweils anerkannt und zugelassen. Durch den Innowalk würden diese Konzepte in einem Gerät vereint.
Es komme hinzu, dass der Kläger den Innowalk als ortsfestes Gerät zu Hause nutzen könne und damit ein regelmäßiges Training unabhängig von Witterungsbedingungen und Benutzeroberflächen möglich sei (Bl. 261 Rs).
Der Kläger hat beantragt (Bl. 1, 262):
Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2019 (A 1067-WS2-322412019 C kö) Wird aufgehoben und die Beklagte dazu verurteilt, den Kläger mit dem Hilfsmittel "Innowalk medium" der Firma Made for Movement zur Miete von sechs Monaten zu einem Preis in Höhe von 5.173,55 Euro zu versorgen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen (Bl. 262).
Die Beklagte ist der Auffassung, dass einer Bewilligung § 135
Abs. 1 Satz 1
SGB V entgegenstehe (Bl. 134) und darüber hinaus der Kläger mit den aktuellen Hilfsmitteln ausreichend versorgt sei (
vgl. MDK-Gutachten vom 27.05.2020 [Bl. 252
ff.]).
Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2020 verwiesen.
1. Die zulässige Klage ist begründet. Im Ergebnis der Aussagen der Zeugen und des persönlichen Eindrucks der Kammer während der mündlichen Verhandlung von der Benutzung der dem Kläger aktuell zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sowie des Innowalk handelt es sich beim Innowalk nicht um eine NUB, die bisherige Ausstattung des Klägers mit Hilfsmitteln ist nicht ausreichend und eine Bewilligung des Innowalk ist erforderlich.
a) Beim Innowalk handelt es sich nicht um eine NUB im Sinne von
§ 135 Abs. 1 SGB V.
Eine Behandlungsmethode ist dann neu, wenn sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik und Therapieverfahren abgrenzt und sich darüber hinaus auf nicht weitgehend einhellig anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse berufe, die gerade deshalb der Prüfung auf Qualitätssicherung unterzogen werden sollen (Becker/Kingreen,
SGB V, 6. Aufl., § 135, Rn. 7).
Die Kammer hat sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein unmittelbares Bild vom Innowalk selbst und von seiner Benutzung sowie seiner Wirkungsweise gemacht. Der Innowalk ist ein Gerät, das anerkannte Behandlungsformen miteinander verbindet. Diese Überzeugung der Kammer wurde durch die Hinweise der Zeugin St. bestärkt, welche anderen Hilfsmittel aus ihrer Sicht für die jeweiligen Körperbereiche geeignet seien.
Die Inaugenscheinnahme des Innowalk während der Benutzung durch den Kläger hat zur Überzeugung der Kammer verdeutlicht, dass durch die Kombination der einzelnen Komponenten keine Konstruktion entsteht, die ein in sich geschlossenes und erst aus der Kombination heraus sich ergebendes eigenständiges und neues Konzept darstellt.
b) Der Kläger hat einen Anspruch auf Bewilligung des Innowalk als Hilfsmittel.
Nach
§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3,
33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung u.a. Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern.
So liegt der Fall hier.
(1) Das der Innowalk derzeit (
vgl. Bl. 152) nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, schließt eine Bewilligung nicht aus (Becker/Kingreen,
SGB V, 6. Aufl., § 139, Rn. 3).
(2) Die Ausstattung des Klägers mit dem Innowalk ist erforderlich.
Im Ergebnis der Inaugenscheinnahme durch die Kammer wurde im Vergleich zur Nutzung der vorhandenen Hilfsmittel in Form eines Rollators, eines Therapiedreirades und des Stehtrainers (Bl. 261) deutlich, dass sich der Kläger mit dem Innowalk in einer erheblich besseren Körperhaltung und gleichförmiger bewegen kann. Nach dem unmittelbaren Eindruck der Kammer waren die mit dem Innowalk erzielten Bewegungsabläufe der einer Schrittbewegung, die der Kläger trainieren soll, ganz erheblich näher. Körperhaltung, Bewegungsabläufe und auch das emotionale Verhalten des Klägers bei der Benutzung des Innowalk haben der Kammer anschaulich verdeutlicht, welcher Therapieerfolg mit dem Innowalk erzielbar scheint, und der Innowalk deshalb zur Erreichung der Therapieziele geeignet ist.
Entgegen der Einschätzung der Beklagten, die sich zuletzt im Gutachten des MDK vom 27.05.2020 dokumentierte (Bl. 252
ff.), ist die bisherige Ausstattung des Klägers mit dem Stehtrainer, dem Gehtrainer und Therapiefahrrad nicht ausreichend. Dies belegen bereits die Aussagen der Zeugin St. im Rahmen der mündlichen Verhandlung, soweit andere Hilfsmittel thematisiert werden und speziell der Gehtrainer (Rollator) als aktuell nur bedingt geeignet eingestuft wird (Bl. 261 Rs). Nach dem Gesamteindruck der mündlichen Verhandlung konnte sich die Kammer auch nicht die Überzeugung bilden, dass die Beklagte in der Lage ist, eine ausreichende und mit dem Innowalk auch nur annähernd gleichwertige Ausstattung des Klägers zu ermöglichen, so dass die Bewilligung des Innowalk notwendig ist.
Anhaltspunkte dafür, dass eine Bewilligung des Innowalk unwirtschaftlich wäre, hat die Kammer nicht.
c) Ob der Innowalk (auch) dem Behinderungsausgleich dient, kann dahingestellt bleiben (ablehnend: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2019,
L 9 KR 410/18 B ER).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193
Abs. 1 Satz 1
SGG und folgt dem Ausgang der Hauptsache.