Der Kläger begehrt die Versorgung mit einem Bewegungstrainer "Innowalk".
Der am 05.11.2009 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich gegen Krankheit versichert. Am 24.11.2010 erlitt der Kläger eine Kleinhirninfarkt, aufgrund dessen seine geistige und körperliche Entwicklung stark verzögert ist. Die Fähigkeit zu laufen wurde bisher nicht entwickelt. Im Dezember 2014 erlitt der Kläger zerebrale Krampfanfälle und der gesundheitliche Zustand verschlechterte sich weiter. Der Kläger ist vollständig immobil, willkürliche Bewegungen vom Hals abwärts sind nicht möglich. Nach Behindertenrecht sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, B und H festgestellt worden.
Am 31.08.2015 verordnete das Sozialpädiatrische Zentrum der Universität Erlangen-Nürnberg (SPZ) einen "Innowalk im Austausch gegen verh. Motomed". Am 26.09.2015 ging der Kostenvoranschlag der Firma Made for Movement vom 24.09.2015 ein, wonach Kosten für eine sechsmonatige Miete des Hilfsmittels Innowalk inklusive Anpassungspauschale und Dokumentationspauschale insgesamt 3.504,35 Euro betragen sollten.
Der von der Beklagten eingeschaltete Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam in einer Beurteilung vom 30.09.2015 zu dem Ergebnis, dass ein Motomed ausreichend und zweckmäßig sei, für Innowalk sei kein Nutzen mit Evidenz zur Anbahnung des Stehens und Gehens nachgewiesen. Zur Anbahnung des Stehens werde ein "Schrägliegebrett" empfohlen.
Mit Bescheid vom 01.10.2015 lehnte die Beklagte den "Kostenvoranschlag über Innowalk" ab. Nach der Beurteilung des MDK sei die Versorgung aus sozialmedizinischer Sicht nicht erforderlich. Ein Motomed sei ausreichend und zweckmäßig.
Dagegen erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 21.10.2015 Widerspruch und begründeten am 29.01.2016 den Widerspruch unter Vorlage umfangreicher medizinischer Unterlagen. U.a. wurde eine Stellungnahme des SPZ vom 14.01.2016 vorgelegt, wonach die dynamische Aufrichtung in den Stand mittels eines Innowalks medizinisch indiziert sei. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2016 den Widerspruch des Klägers wegen Kostenübernahme für sechs Monatsmieten eines Bewegungstrainers Innowalk zurück.
Hiergegen erhob der Kläger durch Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21.04.2016 Klage, die beim Sozialgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen S 5 KR 220/16 registriert wurde.
In diesem Verfahren wurde ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten durch durch
Dr. Hiemeyer eingeholt.
Dieser führte unter dem 05.12.2017 aus, das
Dr. Lorenz vom SPZ in einer Stellungnahme vom 10.05.2016 die Vorteile des Hilfsmittels für den Kläger sehr gut zusammenfasse und auch betone, dass es ohne dieses Hilfsmittel zu irreversiblen Folgeerscheinungen kommen könne:
"A. wird aufgrund seiner schweren Cerebralparese in unserem SPZ behandelt. Er ist vollständig immobil, willkürliche Bewegungen sind ihm vom Hals abwärts nicht möglich. Es ist unbedingt erforderlich, dass er regelmäßig bewegt wird, damit Kontrakturen vorgebeugt werden kann. Hierbei ist eine geführte, möglichst physiologische Bewegung erforderlich. Dies kann durch einen elektronischen Bewegungstrainer erreicht werden. Die gleichmäßige Bewegung dient zudem der Tonusregulation und reduziert muskuläre Spastik. Auch Stehen ist ein wichtiges Behandlungsziel. Durch eine achsgerechte Belastung im Stehen kann weiteren Kontrakturen, der Entwicklung einer fixierten Skoliose und einer Hüftluxation vorgebeugt werden. Zudem wird die Knochenmineralisation gefördert und damit einer Immobilisationsosteoporose wirksam entgegengewirkt. Weitere wichtige Behandlungsziele sind die Verbesserung der Körperwahrnehmung und der extrem positive Effekt aufrechter Bewegung auf Kognition und Psyche, Verdauung, Atmung, Durchblutung und Wohlbefinden. Durch regelmäßiges "bewegtes Stehen" ist eine erhebliche Verbesserung der gesamten körperlichen Funktionen zu erwarten. Es gibt keinen Zweifel an der Notwendigkeit eines Bewegungstrainers für A.. Ein weiteres Hinauszögern der Hilfsmittelversorgung führt definitiv zu einer Verschlechterung mit irreversiblen Folgeerscheinungen.
Die Behandlungsziele "Stehen" und "passive Bewegung im Bewegungstrainer" können durch unterschiedliche Hilfsmittel erreicht werden. Der Innowalk ermöglicht es jedoch beide Ziele mit einem Hilfsmittel zu erreichen."
Die derzeitige Versorgung des Klägers bestehe aus intermittierender Physiotherapie unter Anleitung und Übungen, die die Mutter mit ihrem Sohn durchführe, vor allem auch im Stehapparat. Das regelmäßige Training im aktiven Bewegungstrainer könne die Versorgung erheblich verbessern. Die Mutter könne auch mit dem Gerät zuhause selbständig umgehen. Das Gerät sei deutlich hochpreisig. Würde zweimal täglich je 120 Minuten akive Krankengymnastik durchgeführt, wäre möglicherweise ein ähnliches Ergebnis zu erreichen. Insgesamt sei die Anschaffung des Hilfsmittels mit täglicher Anwendung die wirtschaftlichere Alternative.
Der aktive Bewegungstrainer Innowalk sei für den Kläger ein ideales Hilfsmittel, um mehrere Ziele zu erreichen, die nur mit diesem Hilfsmittel erreicht werden könnten. Durch regelmäßoiges "bewegtes Stehen" sei eine erhebliche Verbesserung der gesamten körperlichen Funktionen zu erwarten. Es gebe keinen Zweifel an der Notwendigkeit eines Bewegungstrainers. Ein weiteres Hinauszögern der Hilfsmittelversorgung führe definitiv zu einer Verschlechterung mit irreversiblen Folgeerscheinungen.
Die Behandlungsziele "Stehen" und "passive Bewegung im Bewegungstrainer" könnten durch unterschiedliche Hilfsmittel erreicht werden. Der Innowalk ermögliche es jedoch beide Ziele mit einem Hilfsmittel zu erreichen, er sei für die Familie gut zu bedienen und insgesamt kostengünstiger als eine regelmäßig täglich durchgeführte Krankengymnastik.
In der Folgezeit gab die Beklagte folgende Erklärung ab: "... auf Ihr Schreiben vom 12.12.2017 und das gerichtliche Sachverständigengutachten vom 05.12.2017 nimmt die Beklagte Bezug und erklärt sich bereit, die Kosten der beantragten Innowalk-Versorgung für 6 Monate zu bewilligen.
(...)
Im Antragsverfahren ist es üblich, dass zunächst der Innowalk für 6 Monate bewilligt wird und zum Ende der Mietlaufzeit eine Besichtigung durch den Hersteller (Firma Movement) erfolgt. Bei erfolgreichem Einsatz der Versorgung wird eine Genehmigung auf Dauer durch die Beklagte ausgestellt.
Sollte die Testung nach einem halben Jahr für den Kläger erfolgreich sein, erklärt sich diese bereit, einer Versorgung auf Dauer für den Kläger ohne weitere Prüfung zuzustimmen."
Die Bevollmächtigten des Klägers nahmen das Angebot der Beklagten an, wodurch das Verfahren S 5 KR 220/16 beendet wurde.
Mit Schreiben vom 25.01.2018 teilte die Beklagte mit, dass dem Kläger das Hilfsmittel für die Zeit vom 25.01.2018 bis 24.07.2019 (gemeint wohl 2018) leihweise überlassen würde.
Die von der Beklagten angesprochene Besichtigung durch den Hersteller fand augenscheinlich am 05.06.2018 statt. Es wurde im Erprobungsbericht aufgeführt, dass bei der Zielüberprüfung eine Verbesserung folgender Bereiche erzielt habe werden können:
- Regulierung des Muskeltonus
- Reduzierung der Spastik
- Aktivierung und Erhalt der Muskelkraft
- Anregung/Verbesserung der Vitalfunktion
- Anregung der Darmfunktion
- Verbesserung der Körperkoordination und -kontrolle
- Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit
- Verbesserung der Kopf- und Rumpfstabilität
- Korrektur pathologischer Bewegungsmuster
- Verbesserung der Ausdauer
- Verbesserung des Schlafverhaltens
- Rechts-Links-Defizite reduzieren
- Prävention von Sekundärschäden wie
z.B. Osteoporose
- Verbesserung der Aufmerksamkeit und Orientierung im Raum
- Ermöglichung einer aktiven, sicheren und Stehposition
- Steigerung der Teilhabe am familiären Leben
- Möglichkeit zum passiven/assistiven Durchbewegen
- Möglichkeit zum Training mit eigener Muskelkraft
- Erleichterung bei Lagewechsel
- Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens
- Sauerstoffsättigung
Die Mutter des Klägers führte aus, dass der Kläger vom ersten Augenblick an sehr große Freude bei der Bewegung gezeigt habe. Wenn man ihn frage "Möchtest du laufen, A.?", dann erwidere er mit Lautieren, Lachen und Freude. Das sei das Erste gewesen, was sie bei der Nutzung des Innowalk bemerkt habe. Der Kläger freue sich, dass er wie andere Kinder "laufen" könne, er spüre seinen Körper viel mehr, er stehe auf eigenen Füßen und spüre sein eigenes Gewicht, was für ihn etwas ganz Neues sei.
Was sie nach 2-3 Wochen bemerkt habe, sei die deutliche Reduzierung der Spastik, besonders in den Beinen. Diese seien leichter zu bewegen und zu strecken. Sie habe auch bemerkt, dass die Verdauung und das Schlafen sich deutlich verbessert hätten, der Kläger schlafe ruhig und tief und wache sehr selten über die Nacht auf.
Die wichtigste und beeindruckendste Auswirkung des Bewegungstrainers sei jedoch die deutliche Verbesserung/Erhöhung der Sauerstoffsättigung. Seit seiner 2. Herzoperation sei die normale Sauerstoffsättigung des Klägers zwischen 78 udn 80%. Oft habe er in der Nacht Sauerstoff gebraucht (wenn die Sättigung unter 77% falle). Seitdem der Kläger aktiv das Innowalk nutze, sei seine Sauerstoffsättigung bis zu 83% gestiegen und bleibe relativ stabil und hoch, was bei seiner Herzsituation fast ein Wunder und bis jetzt niemals passiert sei. Während des Trainings strenge der Kläger sich an, richte sich auf und versuche, seinen Kopf zu halten. Immer nach längerer Übungszeit atme er viel besser, die Pumpfunktion der Kammer verbessere sich und das habe Auswirkungen auch auf die Sättigung.
Für die endgültige Versorgung mit dem Innowalk veranschlagte die Firma Made for Movement unter dem 21.06.2018 Kosten in Höhe von 15.081,75 Euro.
Die Beklagte beteiligte den MDK. Hier wurde unter dem 04.07.2018 ausgeführt, dass nach 6-monatiger Erprobung jetzt zur Anbahnung des Gehens die Erprobung mit einem Gehwagen empfohlen werde. Sollten keine eigenständigen Gehbewegungen möglich sein, dann seien Stehständer und Bewegungstrainer ausreichend.
Mit Bescheid vom 05.07.2018 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab.
Hiergegen erhob die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 19.07.2018 Widerspruch.
Die Beklagte beteiligte nochmals den MDK. Unter dem 30.07.2018 führt dieser aus, dass eine Videodokumentation mit Auszügen der Erprobungsphase vorgelegt worden sei. Anhand der Videodokumentation, in der Gehbewegungen im Stehen zu erkennen gewesen seien, sei die Erprobung mit einem Gehwagen zur Anbahnung des Gehens empfohlen worden. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei die Anbahnung des Gehens bei dem Versicherten nicht sicher auszuschließen und somit sei eine Versorgung mit einem Gehwagen zur Erprobung für mehrere Monate aus medizinischer Sicht begründet. Ein therapeutischer Vorteil des beantragten Stehgeräts "Innowalk" im Vergleich zum vorhandenen Schrägliegebrett zuzüglich eines Bewegungstrainers der Produktgruppe 32 sei anhand der vorliegenden Unterlagen nicht belegt und die beantragte Versorgung sei in Bezug auf die von der Mutter subjektiven Therapieziele unverhältnismäßig.
Seitens der Bevollmächtigten wird ausgeführt, dass der Kläger durch die Versorgung mit dem Innowalk deutliche profitiert habe. Die Bewegung habe die Spastik gelindert und es sei zu einer Kräftigung der Rumpf- und Beinmuskulatur gekommen. Der Kreislauf sei gefördert worden, die Verdauung angeregt und die Durchblutung gefördert. Der Infektanfälligkeit des schwerst herzkranken Klägers sowie einer Verschlimmerung des Hüftschadens und der Skoliose sei entgegengewirkt worden.
Durch die Aufrichtung des Körpers werde auch das Lungenvolumen und die Atmung verbessert und der früheren Infekthäufigkeit in Bezug auf Lungenentzündungen entgegengewirkt.
Alle behandelnden Ärzte und Therapeuten würden unbedingt die Dauerversorgung mit dem Innowalk befürworten.
Auf die ausführliche Beschreibung der Funktionsweise und der Vorteile des Hilfsmittels im Allgemeinen und bezogen auf die Person des Klägers wird verwiesen.
Die Beklagte beteiligt nochmals den MDK. Dieser führte im Gutachten vom 22.01.2019 aus, dass der therapeutische Nutzen des Innowalk im ambulanten Umfeld weitgehend ungesichert sei. Letztlich sei ein therapeutischer Nutzen, der über den regelmäßigen Stehtrainings mit dem vorhandenen Stehgerät, den durchzuführenden Lagerungsübungen und daran angepasster neurophysiologischer Therapie (Mobilisationsübungen, Dehnungsübungen, Gangschulung) hinausgehe, lasse sich nicht bestätigen. Bei Belastbarkeit und trainierbarem Gehvermögen wäre an einen herkömmlichen Gehwagen mit Abduktions-, Sitz- und Halterungsunterstützung zu denken. Bei spastischer Parese könne ein passiver Beinbewegungstrainer zur Verfügung gestellt werden. Auf das ausführliche Gutachten wird verwiesen.
Mit Bescheid vom 26.06.2019 wies die Beklagte unter Bezugnahme auf die Beurteilung des MDK den Widerspruch des Klägers zurück.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 31.07.2019 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg.
Im Wesentlichen wird ausgeführt, dass mit den vom MDK vorgeschlagenen Hilfsmitteln "Motomed" und Stehständer erheblicher weniger Körperfunktionen und Strukturen angeregt würden als beim Innowalk. Auf die ausführliche Klageschrift kann verwiesen werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 05.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger mit dem Hilfsmittel "Innowalk" der Firma Made for Movement zu einem Preis von 15.081,75 Euro zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht holte zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers ein.
Danach erhob es Beweis durch ein weiteres sozialmedizinisches Sachverständigengutachten durch
Dr. Hiemeyer.
Dieser führte nach persönlicher Untersuchung des Klägers unter dem 28.01.2020 aus, dass der Erfolg der Testphase eindeutig bestätigt werden könne. Es gehe hier nicht ausschließlich um die positiven Folgen auf den Bewegungsapparat, die Prophylaxe von Kontrakturen, bessere passive Beweglichkeit und Prophylaxe von Osteoporose. Wichtig seien auch die positiven Auswirkungen auf die inneren Organe, zum Beispiel bessere Sauerstoffsättigung, seltenere Infektionen, besserer Schlaf und Ausbleiben der epileptischen Anfälle.
Von der Uniklinik Erlangen werde folgendes ausgeführt:
- "Dadurch kam es zu sehr positiver Entwicklung des Patienten, er ist wacher geworden, Verdauung funktioniert besser, die Sauerstoffsättigung hat sich durch die Übungen deutlich verbessert, verbesserte Aufrichtung passiv fixiert, verbesserte Mobilität und Beweglichkeit der Gelenke der unteren Extremitäten sowie Reduktion der Spastik."
- "hat die Anwendung des Innowalk zu deutlichen Entwicklungsfortschritten geführt, weshalb die Dauerversorgung beantragt wurde"
- "Mit der ausschließlichen Versorgung eines statischen Stehständers lassen sich solche Behandlungserfolge nicht erzielen. Dies zeigt sich auch dahingehend, dass sich seit Beendigung des Innowalk-Trainings der klinische Zustand von A. wieder verschlechtert hat."
Die Mutter habe dem Gutachter bei seinem Besuch berichtet, dass während der Testphase mit dem Bewegungstrainer keine stationären Aufenthalte wegen Lungenentzündung oder eines anderen Infektes nötig gewesen seien. Seit 1,5 Jahren (nach der Testphase und ohne Innowalk) seien fast monatlich stationäre Aufenthalte wegen eines exazerbierten Infektes nötig gewesen. Auch sei während der Testphase kein epileptischer Anfall aufgetreten - jetzt ohne den Bewegungstrainer wieder fast wöchentlich. Wegen dieser häufigen Infekte und Krankenhausaufenthalte liege A. auch die meiste Zeit und könne die Schule nur selten besuchen.
Der Gutachter sei fest davon überzeugt, dass die beschriebene Besserung auch angehalten hätte, wenn das Hilfsmittel in der Folge täglich eingesetzt worden wäre. Auch die wieder gehäuft aufgetretenen Atemwegsinfektionen mit daraus folgenden stationären Behandlungen wären zu vermeiden gewesen.
Die Testphase könne als erfolgreich angesehen werden. Es erschließe sich dem Gutachten nicht, warum die Beklagte die in Aussicht gestellte Versorgung auf Dauer nicht gewähre.
Seitens der Beklagten wurde darauf hingewiesen, dass der vor dem Sozialgericht Nürnberg geschlossene Vergleich vorgesehen habe, dass der Innowalk für sechs Monate bewilligt und dann geprüft werden sollte, ob tatsächlich eine Verbesserung beim Kläger eingetreten sei.
Mittlerweile gebe es bereits Entscheidungen von Landessozialgerichten, wonach der Innowalk als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode anzusehen sei. Zu dieser Thematik seien bereits unterschiedliche Urteile ergangen. Das Ziel des Innowalk sei die Krankenbehandlung und nicht der Behinderungsausgleich. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen sei deshalb nicht vorgesehen. Diese Auffassung sei in einem anderen Verfahren der Beklagten seitens des Bayerischen
LSG kommuniziert worden.
Seitens des Klägers wurde darauf hingewiesen, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss in einer Stellungnahme vom 13.12.2018 eindeutig dahingehend geäußert habe, dass das streitgegenständliche Hilfsmittel keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode sei und es deshalb keines Antrags nach
§ 135 SGB V bedürfe.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Vorverfahrens S 5 KR 220/16 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2019 ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Dem Kläger steht ein Anspruch auf dauerhafte Versorgung mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel "Innowalk" zu.
Dies ergibt sich nach Ansicht der Kammer bereits aus der im Vorverfahren S 5 KR 220/16 abgegebenen Prozesserklärung der Beklagten.
Das Verfahren S 5 KR 220/16 wurde durch Annahme des Vergleichsangebots der Beklagten vom 22.12.2017 (Bl. 186 der Verfahrensakte) beendet.
Die Kammer ist der Überzeugung, dass Teil dieses Vergleichsangebots eine Zusicherung der Beklagten war, den Kläger nach erfolgreicher Testphase dauerhaft mit dem Innowalk zu versorgen.
Ein Vergleich ist ein wechselseitiger Vertrag und kommt gemäß §§ 145
ff. BGB durch Angebot (Antrag) und Annahme zustande. Gegenstand und Inhalt des Vertrags müssen im Antrag so bestimmt oder bestimmbar werden, dass die Annahme durch ein einfaches "Ja" erfolgen kann. Haben sich die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, ist der Vertrag nach § 155
BGB grundsätzlich nicht geschlossen, es sei denn, der Vertrag wäre auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen worden. Ein versteckter Einigungsmangel
i.S.v. § 155
BGB liegt vor, wenn sich die Erklärung der Parteien trotz gleicher Wortwahl ihrem Inhalt nach gerade nicht decken. Für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist maßgebend, wie diese vom Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte verstanden werden mussten. In diese Würdigung sind auch außerhalb der Erklärung liegende Begleitumstände einzubeziehen, soweit sie für den Erklärungsempfänger erkennbar waren und einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
Die Erklärung der Beklagten vom 22.12.2017 lautet im Wortlaut wie folgt: "Im Antragsverfahren ist es üblich, dass zunächst der Innowalk für 6 Monate bewilligt wird und zum Ende der Mitlaufzeit eine Besichtigung durch den Hersteller (Firma Movement) erfolgt. Bei erfolgreichem Einsatz der Versorgung wird eine Genehmigung auf Dauer durch die Beklagte ausgestellt.
Sollte die Testung nach einem halben Jahr für den Kläger erfolgreich sein, erklärt sich diese bereit, einer Versorgung auf Dauer für den Kläger ohne weitere Prüfung zuzustimmen."
Legt man diese Erklärung aus, so ergibt sich nach Ansicht der Kammer folgender Bedeutungsgehalt: Die Beklagte führt aus, dass das Hilfsmittel zunächst probehalber für sechs Monate bewilligt und dann eine Begutachtung durch den Hersteller durchgeführt werde. Bei erfolgreichem Einsatz der Versorgung werde eine Genehmigung auf Dauer durch die Beklagte ausgestellt. Bei der Schilderung des Ablaufs des Genehmigungsprozesses setzt die Beklagte als die Bewertung des Tatbestandsmerkmals "erfolgreicher Einsatz" in Zusammenhang mit der Begutachtung durch den Hersteller. Nur so macht dann auch der folgende Satz Sinn: Nach erfolgreicher Testung erklärt sich die Beklagte bereit, einer Versorgung auf Dauer ohne weitere Prüfung zuzustimmen. Dies impliziert letztlich, dass der Erfolg der Probeversorgung von einem nicht dem Genehmigungsprozess befassten Dritten festgestellt werden solle. Denn wer hätte ohne weitere Prüfung durch die Krankenkasse sonst einen Erfolg feststellen können?
Hätte die Beklagte es sich vorbehalten, hinsichtlich der endgültigen Bewilligung nochmals ein vollständiges Genehmigungsverfahren durchzuführen, so hätte sie dies in ihrer Formulierung deutlicher machen müssen. Letztlich konnte die Klägerseite davon ausgehen, dass in dem Fall, dass sich zumindest der vom Gutachter avisierte Erfolg einstellen würde, eine endgültige Bewilligung des Hilfsmittels erfolgen würde, ohne dass das Genehmigungsverfahren nochmals mit dem vollen Prüfungsumfang zu durchlaufen sei. Dies stellt nach Ansicht der Kammer eine Zusicherung
i.S.d. § 34
Abs. 1
S. 1
SGB X dar.
Eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form (§ 34
Abs. 1
S. 1
SGB X).
Diese Zusicherung durfte
gem. § 32
Abs. 2
Nr. 2
SGB X auch unter die Bedingung eines erfolgreichen Verlaufs der Probeversorgung gestellt werden.
Die erforderliche Schriftform ist eingehalten.
Mit der Annahme des Vergleichsangebots durch seine Bevollmächtigte durch Schriftsatz vom 10.01.2018 erwarb der Kläger somit einen Anspruch auf Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes, sofern die entsprechende Bedingung eingetreten war.
Zu prüfen war demnach nur noch, ob die Bedingung "Erfolg der Probeversorgung" eingetreten war.
Dies ist zur vollsten Überzeugung der Kammer zu bejahen. Sowohl die Begutachtung durch den Hersteller als auch die Schilderung der behandelnden Ärzte des Klägers machen bereits den eingetretenen Behandlungserfolg deutlich. Beispielhaft ist hier auf die Universitätsklinik Erlangen zu verweisen: "Dadurch kam es zu sehr positiver Entwicklung des Patienten, er ist wacher geworden, Verdauung funktioniert besser, die Sauerstoffsättigung hat sich durch die Übungen deutlich verbessert, verbesserte Aufrichtung passiv fixiert, verbesserte Motorik und Beweglichkeit der Gelenke der unteren Extremitäten sowie Reduktion der Spastik."
Letztendlich wurde jedoch auch von
Dr. Hiemeyer, der den Kläger bereits im Vorverfahren begutachtet hatte und dessen Gutachten die Grundlage für das von der Beklagten abgegebene Vergleichsangebot war, der Erfolg bestätigt. Es gehe hier nicht ausschließlich um die positiven Folgen auf den Bewegungsapparat, die Prophylaxe von Kontrakturen, bessere passive Beweglichkeit und Prophylaxe von Osteoporose. Wichtig seien auch die positiven Auswirkungen auf die inneren Organe, zum Beispiel bessere Sauerstoffsättigung, seltenere Infektionen, besserer Schlaf und Ausbleiben der epileptischen Anfälle.
Die Kammer macht sich die nachvollziehbaren Aussagen des Gutachters in vollem Umfang zu eigen und legt diese ihrer Entscheidung zugrunde.
Ob die Beklagte im Hinblick auf den Wortlaut der von ihr abgegebenen Erklärung überhaupt noch einmal den MDK beteiligen durfte, kann dahinstehen. Denn der von der Beklagten beteiligte MDK hat - sofern man die Beklagte überhaupt zur nochmaligen Beteiligung berechtigt erachten würde ("ohne weitere Prüfung") - jedenfalls in seinem Gutachten vom 04.07.2018 und 22.01.2019 die Beurteilung über eine reine Erfolgskontrolle hinaus ausgedehnt. Die Kammer weist an dieser Stelle darauf hin, dass das erste "Gutachten" im Hinblick auf die medizinische Geschichte des Klägers die Kammer vor die Frage gestellt hat, ob der MDK überhaupt das Ergebnis des Vorverfahrens sowie die vorliegenden medizinischen Befunde zur Kenntnis genommen hatte. Letztlich hält der MDK hier bei einem schwerstbehinderten Kind, dass nach übereinstimmenden medizinischen Befunden niemals die Gehfähigkeit erreichen wird - und das ist auch für die Kammer, die mit nichtmedizinischem Personal besetzt ist, ohne Weiteres zu erkennen -, die Erprobung eines Gehwagens (!) zur Anbahnung der Gehfähigkeit (!) anstelle des Innowalk für zweckmäßig. Unabhängig davon steht die Zweckmäßigkeit der Versorgung jedoch nicht im Zusammenhang mit dem "Erfolg der Probeversorgung" und sprengt den Rahmen der getätigten Zusicherung.
Das zweite Gutachten löst sich in der Folge dann völlig von den Ergebnissen des Vorverfahrens. Hier wird ausgeführt, dass der therapeutische Nutzen des Innowalk im ambulanten Umfeld weitgehend ungesichert sei. Letztlich lasse sich ein therapeutischer Nutzen, der über den regelmäßigen Stehtrainings mit dem vorhandenen Stehgerät, den durchzuführenden Lagerungsübungen und daran angepasster neurophysiologischer Therapie (Mobilisationsübungen, Dehnungsübungen, Gangschulung) hinausgehe, nicht bestätigen.
Würde diese Argumentation ausreichen, um zu einem Misserfolg der Testung zu gelangen, so wäre die Zusicherung der Beklagten eine inhaltsleere Phrase. Der grundsätzliche therapeutische Nutzen des Hilfsmittels und Abwägung gegenüber anderen Hilfsmitteln/Therapien war bereits Teil der Prüfung im Vorverfahren und kann nicht mehr zu einer Ablehnung im Folgeverfahren herangezogen werden.
Ein Wegfall der Bindung an eine Zusicherung kann nur unter den Voraussetzungen des § 34
Abs. 3
SGB X erfolgen:
Ändert sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen, ist die Behörde an die Zusicherung nicht mehr gebunden.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte verweist hier darauf, dass es mittlerweile bereits Entscheidungen von Landessozialgerichten gebe, wonach der Innowalk als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode anzusehen sei. Zu dieser Thematik seien bereits unterschiedliche Urteile ergangen. Das Ziel des Innowalk sei die Krankenbehandlung und nicht der Behinderungsausgleich. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen sei deshalb nicht vorgesehen. Diese Auffassung sei in einem anderen Verfahren der Beklagten seitens des Bayerischen
LSG kommuniziert worden.
Urteile von (Landes-)Sozialgerichten
bzw. mitgeteilte Rechtsansichten des Obergerichts stellen jedoch keine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage dar. Die Sachlage ist im Falle des Klägers noch dieselbe wie im Vorverfahren. Sein gesundheitlicher Zustand hat sich in der Zwischenzeit nicht in der Weise geändert, dass die Bewilligung des Innowalk nunmehr anders beurteilt werden müsste, als im Vorverfahren. Auch die Rechtslage ist im Verhältnis zum Vorverfahren gleich geblieben. Die gesetzlichen Regelungen entsprechen denen des Vorverfahrens. Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses sind ebenfalls nicht erfolgt. Sämtliche rechtlichen Beurteilungen konnten bereits im Vorverfahren erfolgen. Die Beklagte kann hier nur anführen, dass man die oben genannte Erklärung nicht abgegeben hätte, hätte man gewusst, dass man bei einem Vorverfahren in der Berufungsinstanz eventuell Erfolg gehabt hätte, weil das Berufungsgericht eine strittige Rechtsfrage zu Gunsten der Beklagten gelöst hätte. Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass eben kein zusprechendes Urteil ergangen ist, gegen das von der Beklagten Berufung eingelegt wurde. Vielmehr hat die Beklagte unter voller Kenntnis der Sach- und Rechtslage das Angebot zu einer unstreitigen Beendigung des Verfahrens abgegeben.
Im Ergebnis mag sie dies nunmehr zwar bereuen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie aufgrund der eingetretenen Bindungswirkung zur dauerhaften Bewilligung des Innowalk verpflichtet gewesen ist.
Die Klage hat daher Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.