Tatbestand.
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit dem Hilfsmittel Innowalk.
Der am 24. Juli 2008 geborene Kläger leidet an einer bilateralen plastischen Zerebralparese. Der Kläger ist allein nicht in der Lage zu gehen oder zu stehen. In den Jahren 2012 und 2013 fanden Hüftgelenksoperationen des Klägers zur Korrektur der Hüftgelenksstellungen statt. In der im Jahr 2013 durchgeführten Intensivrehabilitation wurde das Hilfsmittel Innowalk der Firma Made for Movement für den Kläger erprobt. Einen Antrag auf Versorgung des Klägers mit dem vorgenannten Hilfsmittel lehnte die Beklagte ab. Auf den Widerspruch des Klägers bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2016 im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Versorgung des Klägers mit einem Innowalk medium zur Miete für einen Zeitraum von 6 Monaten. Seit dem 13. September 2016 trainierte der Kläger wieder regelmäßig mit dem vorgenannten Gerät.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2017 übersandten die Eltern des Klägers für diese die von dessen behandelndem Arzt ausgestellte Folgeverordnung vom 30. Januar 2017 für die Versorgung des Klägers mit dem Innowalk medium für weitere sechs Monate und beantragten dessen Folgeversorgung. Sie fügten diesem Antrag befürwortende Stellungnahmen der behandelnden Ärzte des Helios Klinikums Emil von Behring, des sozialpädiatrischen Dienstes der Lebenshilfe Berlin und der behandelnden Logopädin bei.
Mit Bescheid vom 14. Februar 2017 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für das vorgenannte Hilfsmittel ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der medizische-therapeutische Nutzen des beantragten Hilfsmittels bisher noch nicht nachgewiesen sei.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 28. Februar 2017 legte der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung der Beklagten Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass durch das sechs Monate andauernde Training des Klägers mit dem Innowalk sehr positive Effekte zu erzielen waren, weshalb die weitere Nutzung des Hilfsmittels von den behandelnden Medizinern und Therapeuten befürwortet werden. Der Kläger habe nach § 33
Abs. 1
S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) einen Anspruch auf die Versorgung mit einem Innowalk, da es sich um ein medizinisches Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich handele, welches kein Alltagsgegenstand sei. Durch den Innowalk werden die Muskulatur des Klägers trainiert, so dass eine hilfsmittelunterstützende Fortbewegung erreicht werden könne. Auch werde durch die Stärkung der Rumpfmuskulatur die Fähigkeit zum Sitzen gefördert. Durch die regelmäßigen, intermittierenden Bewegungen würden die Spastiken des Klägers gemindert. Durch die passiv eingeleitete Bewegung erfolge eine aktive Stimulation der Bein-, Becken- und Rumpfmuskulatur. Mittelfristig solle durch die Rumpfaufrichtung, das Training unter Eigengewicht und das aktive Mitbewegen der Beine die Gehfähigkeit gefördert werden. Hierdurch werde die gleichbereichtigte Teilnahme des Klägers am gesellschaftlichen Leben wesentlich gefördert. Das Gerät verfüge über eine individuell einstellbare Spastikkontrolle, so dass die Verletzungsgefahr während der Bewegung ausgeschlossen werden könne. Der nicht steh- und gehbereite Kläger sei auf die Versorgung mit dem vorgenannten Hilfsmittel angewiesen.
Auf den Hinweis der Beklagten, dass es sich bei dem Innowalk um ein Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung handele, welches unmittelbar mit einer neuen, noch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (
G-BA) positiv bewerteten Behandlungsmethode in Verbindung stehe, erwiderte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass der Innowalk nicht Bestandteil einer bisher nicht anerkannten und abrechnungsfähigen Behandlungsmethode sei. Als Stehtrainer diene er der Vertikalisierung. Zum anderen sei das Gerät ein aktivierendes Hilfsmittel, das mittels Training unter Eigengewicht eine aktive Stimulation der Bein-, Becken- und Rumpfmuskulatur zur Folge habe. Schließlich werde das anerkannte Prinzip des Lokomat-Trainings genutzt. Diese Behandlungskonzepte seien jeweils anerkannt und zugelassen. Eine wesentliche Änderung der Wirkungsweise dieser Konzepte gehe mit deren Verbindung in einem Gerät nicht einher, so dass nach der einschlägigen Rechtsprechung keine neue Behandlungsmethode vorliege.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass es sich bei dem Innowalk um eine unkonventionelle Behandlungsmethode handele, für die der GBA noch keine Empfehlung ausgesprochen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handele es sich bereits dann um eine neue Behandlungsmethode, wenn eine herkömmliche Therapie zu Hause in Eigenregie durchgeführt werde. Der Innowalk diene auch nicht dem mittelbaren Behinderungsausgleich. Er diene nicht dem Sitzen, zur Fortbewegung oder zur Erschließung eines geistigen Freiraumes, sondern dem Training im Rahmen einer häuslichen Therapie.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 6. August 2018 hat der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung der Beklagten Klage erhoben. Die in mehreren Schriftsätzen unter Beifügung weiterer Behandlungsberichte, Sachunterlagen zum Innowalk, Stellungnahmen der Verwaltung des GBA und Gerichtsentscheidungen umfangreiche vorgetragene Klagebegründung entspricht inhaltlich im Wesentlichen dem Sachvortrag im Widerspruchsverfahren. Die Prozessbevollmächtigte ist der Auffassung, dass der Innowalk mit einer Sitz- und Stehfunktion als motorbetriebenes Hilfsmittel primär dem unmittelbaren und dem mittelbaren Behinderungsausglich diene, da dieser nicht nur die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wesentlich fördere, sondern das Gehen in stehender Position ermögliche und damit das Bewegungsdefizit des Klägers ausgleiche. Im Übrigen handele es sich nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2018 zu verurteilen, ihn mit dem Bewegungstrainer "Innowalk" der Firma Made for Movement zu versorgen (Folgeversorgung).
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass das rein passive Durchbewegen und die Stärkung der Muskulatur keinen Behinderungsausgleich darstellten. Es sei ferner nicht auszuschließen, dass die Kombination aus Stehtrainer und Bewegungstrainer zu einer wesentlichen Veränderung des medizinischen Nutzens und der medizinischen Risiken führe, so dass von einer neuen Behandlungsmethode auszugehen sei. Die Beklagte nahm insoweit auf von ihr zitierte Rechtspechung Bezug. Die Beklagte übersandte ferner eine Auskunft des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse e.V. (
MDS) vom 18. Oktober 2018, welche sich mit den Gründen auseinandersetzte, aus welchen die Aufnahme des Innowalk in das Hilfsmittelverzeichnis als Stehtrainer abgelehnt wurde.
Am 27. Januar 2020 hat der Facharzt für Neurologie
Prof. Dr. W. ein Gutachten auf seinem Fachgebiet erstellt.
Prof. Dr. W. stellte fest, dass der Kläger an
- Infantiler dykinetischer Zerebralparese (Arme stärker als Beine)
- Spastischer Tetraparese (rechts betont, Beine stärker als Arme)
- Spastischen Kontrakturen der Beine, Zustand nach Sehnen-Muskeloperationen
- Koordinationsstörungen der Extremitäten mit Rumpfinstabilität
- Periventrikulärer Leukomalazie
- Kombinierte Entwicklungsstörung (Sprache und Sehen)
- Sprechstörung und Sprachstörung i.R. der Entwicklungsstörung
- Symptomatische Epilepsie mit Absencen (medikamentös behandelt)
- Knick-Plattfüßen, mit Hilfsmitteln versorgt
- Zustand nach Operation von Hüftdysplasien
- Dilatativer Kardiomyopathie bei Mitralklappeninsuffizienz
- Zustand nach Zwillingsfrühgeburt, 2. Zwilling, 32. SSW (Kaiserschnitt)
leidet.
Durch diese Gesundheitsstörungen ist der Kläger in allen Aktivitäten und Fähigkeiten des Alltags erheblich beeinträchtigt. Eine selbstbestimmte Fortbewegung ist in sitzender Körperhaltung nur auf ebener Fläche mit einem entsprechend ausgerüsteten Therapierollstuhl oder Therapiedreirad möglich.
Der Innowalk sei nach Auffassung von
Prof. Dr. W. geeignet, den Therapieerfolg des Klägers abzusichern und eine potentiell zunehmende Bewegungseinschränkung durch weiterbestehende spastische Bewegungsstörungen in den unteren Extremitäten bei ICP zu verhindern. Da der Kläger nicht eigenständig steh- und gehfähig sei, sei er auf eine Vertikalisierung und Mobilisierung in den Stand angewiesen, um die bestmögliche Mobilität in der Vertikalisierung zu erhalten. Die fremdkraftbetriebene Bewegung der Beine verbessere die Muskelaktivierung der Becken- und Rumpfmuskulatur und damit die Stabilität des Rumpfes und ermögliche zum Beispiel eine verbesserte Kommunikation in der Vertikalisierung auf Augenhöhe mit Gleichaltrigen.
Nach Auffassung des Gutachters
Prof. Dr. W. ist der Innowalk keine unkonventionelle Behandlungsmethode, da er bereits anerkannte und zugelassene andere Therapieverfahren (Stehbrett und fremdkraftbetriebene Beintrainer) in einem Gerät zusammenführe sowie sein Einsatz in kein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept eingebettet sei. Der Innowalk ermögliche dem Nutzer das gesicherte Stehen sowie die Durchbewegung der Beine in stehender Körperhaltung. Eine reale Wegstrecke könne mit diesem Gerät nicht zurückgelegt werden. Das Gerät sei für den Kläger auf Grund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nur mit Hilfe und unter Aufsicht einer eingewiesenen Person nutzbar. Das Gerät sei für die Nutzung durch den Kläger indiziert. Es erlaube ihm eine verbesserte Kommunikation auf Augenhöhe, einer verbesserte Motorikentwicklung insbesondere im Bereich des Rumpfes und das Ausleben seines Bewegungsdranges. Außerdem könne der Innowalk Sekundärkomplikationen durch die spastische Bewegungsstörung verhindern und das operativ erreichte Ergebnis der Hüften beziehungsweise der Beweglichkeit der Hüften erhalten helfen. Hierfür gebe es kein weiteres erprobtes und CE-zertifiziertes Gerät.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Kammer zur Entscheidung vorlagen. Der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. September 2020 samt Unterlagen lag der Kammer nicht vor und war nicht Teil der Entscheidungsfindung.
Die Kammer durfte gemäß § 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt hatten.
I.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54
Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in zulässiger Weise erhoben worden. Die Kammer legt dem Klageantrag, der durch das Wort "Folgeversorgung" auf die Folgeverordnung des behandelnden Arztes des Klägers Bezug nimmt, hierbei dahingehend aus, dass der Kläger, entsprechend der ihm ausgestellten Folgeverordnung eine erneute leihweise Versorgung mit dem ihm bereits zuvor zu Lasten der Beklagten leihweise zur Verfügung gestellten Gerät Innowalk medium der Firma Made for Movement für den verordneten Zeitraum von sechs Monaten als Hilfsmittel begehrt.
II.
1.
Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat es mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2018 zu Unrecht abgelehnt, den Kläger mit dem Bewegungstrainer Innowalk medium der Firma Made for Movement entsprechend der streitgegenständlichen Verordnung zur Folgeversorgung als Leihgerät für einen Zeitraum von sechs Monaten zu versorgen. Da der Kläger nach wie vor einen Anspruch auf die Versorgung mit dem vorgenannten Hilfsmittel hat und die rechtswidrige Ablehnung der Versorgung ih in seinen Rechten verletzt, war die Beklagte unter Aufhebung der vorgenannten Entscheidung zu der vorgenannten Sachleistungserbringung zu verurteilen.
Der Kläger hat gestützt auf
§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und
§ 33 Abs. 1 S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einen Anspruch auf eine leihweise Versorgung mit dem Hilfsmittel Innowalk medium der Firma Made for Movement.
Die vorgenannte Rechtsgrundlage ist einschlägig, da es sich bei dem Bewegungs- und Stehtrainer Innowalk zumindest im ganz Wesentlichen um ein Hilfsmittel zur Krankenbehandlung und Sicherung des Therapieerfolges und nur nachrangig beziehungsweise bei Gelegenheit um ein Hilfsmittel des mittelbaren Behinderungsausgleiches handelt. Wesentlicher Gegenstand des vorgenannten Gerätes ist das fremdkraftunterstützte beziehungsweise fremdkraftbetriebene Durchbewegen der unteren Extremitäten, wobei Gehbewegungen auf der Stelle und damit eine physiologische Belastung nachgeahmt werden. Hierdurch kommt es nach den Feststellungen des Sachverständigen
Prof. Dr. W zum Erhalt und zur Kräftigung der Muskulatur im Bereich der unteren Extremitäten und insbesondere auch des Rumpfes. Im Fall des Klägers hat das vorgenannte Therapiegerät aber auch ganz zentral die Aufgabe, durch das regelmäßige physiologische Durchbewegen der unteren Extremitäten das Ergebnis der in den Jahren 2012 und 2013 durchgeführten Hüftoperationen zu sichern und den Kläger vor Folgeschäden der Spastiken in der Form von Muskelkontraktionen / Muskelverkürzungen im Bereich der unteren Extremitäten zu bewahren. Die Möglichkeit der Ausübung des natürlichen Bewegungsdranges eines jungen heranwachsenden Menschen, das während des Trainings erreichte halbstündige Stehen und die damit verbundene Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen auf Augenhöhe zu begegnen und entsprechend zu kommunizieren als zumindest mittelbarer Behinderungsausgleich, ist zur Überzeugung der Kammer nur ein wichtiger Beieffekt des therapeutischen Einsatzes des Innowalk, zumal das vorgenannte Grundbedürfnis zu Stehen und stehend, also auf Augenhöhe, an der Umgebung teilzuhaben, wohl auch durch einen - ausreichend großen und funktionell vernünftig aufgebauten - Stehtrainer kostengünstiger erreicht werden könnte (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 31. Juli 2019, Aktenzeichen
L 4 KR 635/19 ER-B unter Punkt II 3a Beschluss, der den Beteiligten bekannt ist).
Nach
§ 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 in Verbindung mit
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung unter anderem Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Erforderlich im vorgenannten Sinne sind therapeutische Hilfsmittel mit Rücksicht auf das in
§ 12 Abs. 1 SGB V festgehaltene Wirtschaftlichkeitsgebot nur dann, wenn sie für den therapeutisch bedingten Zweck ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind.
Bei Hilfsmitteln im Sinne des § 33
Abs. 1
S. 1 1. Fall
SGB V die den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern sollen und die untrennbar im Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode stehen, ist ferner zu beachten, dass diese nach
§ 135 Abs. 1 SGB V zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden dürfen, wenn diese Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zuvor vom
G-BA anerkannt worden ist.
Einer positiven Bewertung des Innowalk durch den
G-BA bedarf es indes nicht, da der Innowalk nicht untrennbar mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode in Verbindung steht, sondern vielmehr bekannte und bereits anerkannte Behandlungsmethoden in einem Gerät verbindet und die Verbindung dieser Behandlungsmethoden auch nicht zu so wesentlichen Änderungen in der Funktionsweise des Geräts und den Auswirkungen auf den Körper des Patienten führt, als dass eine Kontrolle des GBA im Sinne des § 135
SGB V geboten wäre. In Anschluss an die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen
Prof. Dr. W, der auf dem Gebiet der Rehabilitation im neurologischen Bereich spezialisiert ist, liegt dem Innowalk kein eigenständiges wissenschaftliches Konzept zu Grunde, da er nur die bereits anerkannten Behandlungskonzepte eines Stehtrainers und eines fremdkraftbetriebenen Bewegungstrainers miteinander verbindet. Der Umstand, dass hierdurch Muskelgruppen insbesondere im Bereich des Rumpfes effektiver erreicht und trainiert werden können, als dieses bei einem im Liegen oder Sitzen betriebenen Bewegungstrainer der Fall ist, führt aus Sicht der Kammer noch nicht dazu, dass das ein grundlegend neues Behandlungskonzept im Sinne des § 135 vorliegt, auch wenn dieses gerade das Alleinstellungsmerkmal des Innowalk ausmacht. Diese Einschätzung entspricht der Auffassung der 36. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz, welches in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2020 vor Erlass seines Urteils vom gleichen Tag, den Innowalk in seinen Funktionen persönlich in Augenschein genommen und sich vorführen gelassen hat. Die vorgenannte Kammer kam dabei zur Überzeugung, dass durch die vorgenannte Verbindung von Steh- und fremdkraftbetriebenen Bewegungstrainer grade kein neues Behandlungskonzept im Sinne des
§ 135 Abs. 1 SGB V begründet wurde (
vgl. SG Chemnitz, Urteil vom 30. Juni 2020, Aktenzeichen
S 36 KR 662/19, zu recherchieren unter wws.juris.de). Die Kammer schließt sich im Übrigen auch in Kenntnis der Rechtsprechung, welche im Rahmen einer summarischen Prüfung (
z.B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2019, Aktenzeichen
L 9 KR 410/18 B ER; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 9. Mai 2019, Aktenzeichen
L 9 KR 351/18 B ER, Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. August 2018, Aktenzeichen
L 5 KR 127/18 B ER) oder auch im Endurteil (
vgl. z.B. SG Darmstadt, Urteil vom 26. April 2019, Aktenzeichen
S 8 KR 116/18) vom Vorliegen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode ausgeht, der bereits zitierten Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, das dem nicht so ist, an. Das zuletzt genannte Gericht legt unter dem Unterpunkt II 3b ausführlich die Rechtslage und die dazu ergangene Rechtsprechung dar, wenn eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vorliget und subsummiert danach für die Kammer nachvollziehbar und ausführlich, aus welchen Gründen dem Innowalk keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode zu Grunde liegt. Die Kammer mach sich diese Ausführungen aus eigener Überzeugung zu eigen und nimmt auf diese vollumfänglich Bezug. Insbesondere führt das Landessozialgericht Baden-Württemberg überzeugend aus, dass der Innowalk auch im Hausgebrauch im Vergliche zu den bisher durch den
G-BA bewerteten Hilfsmitteln keine erhöhten Risiken für den Anwender mit sich bringt. Das Gerät ist als Medizinprodukt CE zertifiziert und genügt damit den Mindestanforderungen, um auf dem Europäischen Markt als sicher vertrieben zu werden. Es verfügt über eine Spasmus-Kontrolle und eine Notabschaltung, so dass das Gerät, genauso wie die herkömmlichen Beintrainer, bei Auftreten einer Spastik automatisch abschaltet. Das Innowalk wird vom Fachpersonal der Herstellerfirma voreingestellt, was Teil des Services im Mietpreis ist. Die Aufgabe der angelernten Hilfspersonen im Haushalt dürfte sich entsprechend den im Internet frei zugänglichen Werbevideos daher im Wesentlichen darauf beschränken, den Versicherten in den Innowalk zu setzen, die Verschlüsse festzuziehen und das Gerät in Gang zu setzen sowie den Versicherten nach Beendigung der Übungseinheit wieder aus dem Innowalk zu lösen und herauszuheben. Der von der Gegenauffassung in der Rechtsprechung zum Teil zitierte Umstand, dass die Gebrauchsanweisung des Innowalk ein eigenes Kapitel für Warnhinweise hat, überzeugt die Kammer nicht, da es auch bei normalen Bewegungstrainern nicht unüblich ist, auf mögliche Gefahren bei Fehlgebrauch des Gerätes hinzuweisen, was das Gerät aber nicht per se gefährlich macht.
Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass selbst wenn der Gegenauffassung gefolgt würde und der Innowalk untrennbar mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des
§ 135 Abs. 1 SGB V in Verbindung stehen würde, ein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem vorgenannten Hilfsmittel auf den Grundsätzen des Systemversagens in Frage käme. Seit mehreren Jahren bemüht sich die Herstellerfirma um die Aufnahme des Innowalk in das Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes des Bundes der Krankenkassen, erst als Stehtrainer, seit 2018 als therapeutisches Hilfsmittel. Der vom Spitzenverband beauftragte
MDS stufte den Innowalk entsprechend der von der Beklagten übersandten Stellungnahme vom 19. Oktober 2018 als neuartiges Produkt ein, welches weder der Produktart Stehtrainer noch der Produktart fremdkraftbetriebene Beintrainer entspreche. Ferner wurde moniert, dass die maximale Drehzahl des Geräts höher sei als bei den bisher zugelassenen fremdkraftbetriebenen Bewegungstrainern und dass die Gebrauchsanweisung in Teilen nicht hinreichend klar genug formuliert sei. Davon ausgehend, dass der Spitzenverband des Bundes der Krankenkassen dieser Einschätzung bisher folgt, wäre er nach Auffassung der Kammer gehalten gewesen, ein Verfahren nach
§ 139 Abs. 3 S. 3 SGB V durchzuführen und den für die Einschätzung, ob der Innowalk untrennbar mit einer neuen Behandlungsmethode in Verbindung steht, zuständigen
G-BA, in das Verfahren einzubeziehen (
vgl. hierzu Lilian Krohn-Aicher in Rechtsdienst der Lebenshilfe 2019, Seite 60 f., als Auszug zu recherchieren unter www.juris.de). Eine Nichtanrufung des
G-BA in einer solchen Konstellation kann durchaus als Systemversagen gewertet werden, da die Herstellerfirma im Unterschied zum Spitzenverband des Bundes der Krankenkassen hierzu nach § 135
Abs. 1
SGB V nicht berechtigt ist und der Spitzenverband es damit in der Hand hätte, bei außer Acht lassen der Vorgabe des § 139
Abs. 3
S. 3
SGB V, den Zugang eines Hilfsmittels in das Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenkassen zumindest faktisch zu vereiteln. Der Innowalk medium konnte dem Kläger daher von dessen Behandler auch ohne positive Bewertung durch den
G-BA verordnet werden. Der Umstand, dass der Innowalk derzeit nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, schließt eine Verordnungsfähigkeit und eine Bewilligung nicht aus, da dem Hilfsmittelverzeichnis nur die Bedeutung einer Auslegungs- und Orientierungshilfe zukommt (
vgl. Lungstras in Becker/Kingreen,
SGB V, 6. Aufl., § 139, Rn. 3).
Die Versorgung des Klägers mit dem Innowalk medium ist im Sinne des
§ 33 SGB V erforderlich und im Sinne des
§ 12 SGB V wirtschaftlich. Diesbezüglich schließt sich die Kammer wiederum den überzeugenden Ausführungen von
Prof. Dr. W. an, welche mit den umfassenden positiven Ausführungen der behandelnden Ärzte und Ergotherapeuten des Klägers übereinstimmt. Der Innowalk ist ohne jeden Zweifel und soweit auch unwidersprochen, geeignet, den Kläger in eine stehende Position zu bringen und dabei gleichzeitig die Muskelgruppen der unteren Extremitäten und des Rumpfes zu trainieren. Hierbei wird bei dem nicht selbständig geh- und stehfähigen Kläger die ansonsten nicht oder zumindest nicht ausreichend genutzte Muskulatur erhalten und gestärkt. Das Gerät ist durch die regelmäßige Nutzung auch geeignet, Folgeschäden von Spastiken in Form von anhaltenden Muskelkontraktionen und Muskelverkürzungen vorzubeugen. Ferner ermöglicht das Gerät dem Kläger, seinen jugendlichen Bewegungsdrang in einer natürlichen Stellung auszuüben und auf Augenhöhe mit Kontaktpersonen seiner Umgebung zu kommunizieren. Der Innowalk wurde in der Vergangenheit bereits erfolgreich über mehrere Monate zur Therapie des Klägers eingesetzt. Ohne dieses Gerät erleidet der Kläger nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Klägerbevollmächtigten nachhaltige Rückschläge im Therapieerfolg, da er nicht ausreichend beübt werden kann. Insbesondere die suffiziente Beübung der Rumpfmuskulatur ist nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters
Prof. Dr. W. nur durch den Innowalk möglich. Das ist durchaus schlüssig, da es bisher kein anderes Therapiegerät gibt, welches die Beübung des Klägers durch einen Gehtrainer im Stehen ermöglicht und das Üben des Gehens des zunehmend größer und schwerer werdenden Klägers in stehender Körperhaltung ohne Hilfsmittel durch zwei Personen mit erheblicher Kraftanstrengung durchgeführt werden muss und nicht vergleichbar effektiv sein kann, wie die Beübung des Klägers durch den Innowalk. Die Verordnung ist daher bereits aus diesem Grunde im Sinne des
§ 12 SGB V wirtschaftlich.
2.
Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 193
SGG und folgt dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens.