Urteil
Gesetzliche Krankenversicherung - Kosten für eine motorbetriebene Schulterbewegungsschiene

Gericht:

LSG Bayern


Aktenzeichen:

L 4 KR 20/06


Urteil vom:

08.03.2007


Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14. November 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte an die Klägerin 159,89 Euro bezahlen muss.

Der bei der Klägerin versicherten Beigeladenen wurde am 04.08.2004 von der Gemeinschaftspraxis Chirurgie K.B./Dr.med. L./W. W. vertragsärztlich eine CPM-Schiene für passive Bewegungstherapie drei- bis viermal täglich für drei Wochen wegen Bewegungsdefizit bei der Diagnose Zustand nach Schulterarthroskopie links verordnet. Am 11.08.2004 wurde das Therapiegerät der Beigeladenen von der Klägerin zur Verfügung gestellt. Am 19.08.2004 ging bei der Beklagten ein Kostenvoranschlag über Verleih einer A mot. Schultergelenksbewegungsmaschine inklusive Stuhl für die Dauer von drei Wochen (11.08.2004 bis 01.09. 2004) in Höhe von 415,28 Euro ein. Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin mit Schreiben vom 24.08.2004 mit, fremdkraftbetriebene Schulterbewegungsmaschinen seien nicht mehr als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar. Nachdem der therapeutische Nutzen bei häuslich durchgeführter Behandlung nicht belegt sei und aussagefähige Studien völlig fehlten, seien sämtliche Indikationen der fremdkraftbetriebenen Bewegungsmaschinen ersatzlos gestrichen. Die Produkte seien aus dem Hilfsmittelverzeichnis entfernt, die Hersteller darüber informiert worden. Außerdem seien Details im Bundesanzeiger veröffentlicht worden. Mit Schreiben vom 27.08.2004 bat die Klägerin die Beklagte erneut um Genehmigung des Kostenvoranschlags. Am 19.08. 2004 wurde die entsprechende Rechnung vorgelegt. Der von der Beklagten gehörte medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden- Württemberg kam im sozialmedizinischen Gutachten vom 06.09.2004 zu dem Ergebnis, bei einem Zustand nach Schulterarthroskopie bestehe keine Indikation für den häuslichen Einsatz einer CPM-Schiene.

Am 08. Oktober 2004 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 415,28 Euro an die Klägerin zu verurteilen. Sie begründeten diesen Antrag damit, die Klägerin sei eine gemäß § 126 SGB V zugelassene Hilfsmittellieferantin und Mitglied im Fachverband für Orthopädietechnik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V ... Zwischen der AOK Bayern und diesem Verband existiere eine Vereinbarung gemäß § 127 SGB V vom 23.10.2003, wonach der Mietzins für das in Rede stehende Hilfsmittel bezahlt werde. Bei grenzüberschreitender Hilfsmittellieferung sei der oben angesprochene Rahmenvertrag mit der AOK Bayern anzuwenden. Das Sozialgericht lud die Versicherte bei und holte Befundberichte ihrer behandelnden Ärzte ein. Der dann zum Gutachter ernannte Chirurg und Sportmediziner Dr.N. befragte die Klägerin sowie deren behandelnden Orthopäden und Physiotherapeuten telefonisch und kam dann im Gutachten nach Aktenlage zusammengefasst zu dem Ergebnis, etwaige Funktionsstörungen der Beigeladenen im Zeitraum vom 10.08.2004 bis 01.09.2004 im Bereich der linken Schulter seien objektiv medizinisch nicht belegt. Im Zeitraum vom 11.08.2004 bis 19.08.2004 sei der Einsatz einer motorgetriebenen Schulterbewegungsschiene medizinisch notwendig gewesen. Es seien keine Gesichtspunkte erkennbar, die einer Versorgung mit einer motorgetriebenen Schulterbewegungsschiene für eine Woche entgegengestanden haben.

Das Sozialgericht hat am 14.11.2005 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 159,89 Euro zu zahlen. Die Klage erweise sich als begründet, der Höhe nach sei die Forderung allerdings auf 159,89 Euro zu begrenzen gewesen. Die Beklagte sei passiv legitimiert. Die Klägerin habe sich wegen ihrer Forderung zutreffend an die Beklagte und nicht an die Beigeladene gewandt. Insofern entfalte die Vereinbarung zwischen der AOK Bayern und dem Fachverband für Orthopädietechnik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. über die Lieferung von Rollstühlen und Rehabilitationsmitteln vom 23.10.2003 einen Rechtsreflex zu Gunsten der Klägerin. Bei grenzüberschreitender Hilfsmittellieferung sei der Rahmenvertrag mit der AOK Bayern entsprechend anzuwenden. Es sei von Bedeutung, dass entsprechend der Veröffentlichung im Bundesanzeiger Nr. 147 vom 07.08.2004 die fremdkraftbetriebenen Bewegungsschienen für Sprunggelenk, Knie, Hüfte, Ellenbogen und Schulter aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen worden seien. Hier sei die Beigeladene am 10.08.2004 ambulant operiert worden. Die Verordnung von Dr.L. sei jedoch bereits am 04.08.2004 erfolgt, die Beigeladene habe die Schulterbewegungsmaschine am 11.08. 2004 erhalten. Aus der Sicht des erkennenden Gerichts könne die Problematik der sich hier zeitlich überschneidenden Vorgänge offen gelassen werden. Denn in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.11.1999 sei grundsätzlich eine Genehmigung durch die gesetzliche Krankenkasse vorab einzuholen. Dies gelte jedoch nicht, wenn in Fällen wie dem vorliegenden anstelle einer stationären Versorgung eine ambulante Versorgung durchgeführt werde und sich aus der Natur der Sache heraus die Notwendigkeit einer Bewegungstherapie ergebe. Auch der Gerichtsgutachter habe festgestellt, dass wegen der wundschmerzbedingten Bewegungseinschränkung der Einsatz einer motorbetriebenen Schulterbewegungsmaschine medizinisch notwendig gewesen sei. Der Nachweis des therapeutischen Nutzens sei in der Vergangenheit bereits erbracht worden. Die Klage erweise sich jedoch nur in Höhe von 159,89 Euro als begründet. Dies entspreche der vom Gutachter für notwendig gehaltenen Zeit vom 11.08.2004 bis 19.08.2004 (9/22 der Gesamtforderung). Der Mietzins sei auch angemessen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 27.01.2006 beim LSG eingegangene Berufung der Beklagten. Die Berufung wird damit begründet, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts die Vereinbarung zwischen der AOK Bayern und dem Fachverband keinen Rechtsreflex zu Gunsten der Klägerin entfalte. Das vom Sozialgericht zitierte Urteil des BSG (B 3 KR 7/02 R, 23.01.2003) treffe lediglich die Aussage, dass die Zulassung eines Hilfsmittelerbringers durch die für die Betriebsstätte örtlich zuständigen Landesverbände der Krankenkassen bundesweit wirke. Im Hinblick auf die Geltung von Rahmenverträgen habe das BSG in dem vorgezeichnten Urteil hingegegen festgestellt, dass die §§ 125 Abs.1 Satz 1 und 127 Abs. 1 SGB V bezüglich der nach der Zulassung zu schließenden Preisvereinbarungen ausdrücklich regeln, dass diese - im Gegensatz zu den Regelungen über die Zulassung in den §§ 124 und 126 SGB V - nur für die jeweiligen Mitgliedskassen der vertragsschließenden Landesverbände gelten. Anders als bei den Heilmitteln sei in § 127 SGB V die Möglichkeit der Vereinbarung von Rahmenverträgen auf Bundesebene nicht geregelt. Außerdem bestehe im Hilfsmittelbereich keine zwingende Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung, wie dies im Bereich der Arzneimittel gemäß § 129 Abs. 7 SGB V gelte. Die den Landesverbänden der Krankenkassen eingeräumte Abschlusskompetenz würde unterlaufen, wenn eine für ein Bundesland getroffene Rahmenvereinbarung normative Wirkung für die übrigen Bundesländer entfalten würde ( Verträge zu Lasten Dritter). Da es also an einer wirksamen vertraglichen Abrede zwischen der Klägerin und der Beklagten fehle und die Klägerin als Hilfsmittellieferantin auch keine unmittelbaren gesetzlichen Zahlungsansprüche herleiten könne, bestehe bereits aus diesem Grund kein Anspruch auf Zahlung der Vergütung für die Vermietung der Bewegungsschiene gegen die Beklagte. Auch die Ansicht des Sozialgerichts, eine vorherige Genehmigung der Abgabe des Hilfsmittels durch die Krankenkasse entfalle deshalb, weil sich bei einer ambulanten Operation die Notwendigkeit einer Bewegungstherapie aus der Natur der Sache ergebe, überzeuge nicht. Schließlich sei entgegen den Feststellungen des Sozialgerichts auch der Nachweis des therapeutischen Nutzens der Bewegungsschiene noch nicht erbracht worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.11.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führen ihre Bevollmächtigten aus, dass in Anwendung vielfacher Rechtsprechung auch bei grenzüberschreitenden Hilfsmittellieferungen ein Rahmenvertrag gelte. Nachdem die medizinischen Ermittlungen des Sozialgerichts Erforderlichkeit bzw. Wirtschaftlichkeit der streitgegenständlichen Hilfsmittelversorgung bestätigt hätten, komme es schon aus diesem Grund auf die fehlende Genehmigung nicht an. Die Diskussion über den therapeutischen Nutzen des in Rede stehenden Hilfsmittels könne nicht zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemacht werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Augsburg Urteil vom 14.11.2005 - S 10 KR 359/04
BSG Urteil vom 10.04.2008 - B 3 KR 8/07 R

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die das Sozialgericht zugelassen hat, ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bezahlung der von ihr in Rechnung gestellten Mietkosten für eine Schulterbewegungsschiene der bei der Beklagten versicherten Beigeladenen. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage. Dem Sozialgericht ist nicht zuzustimmen, wenn es meint, die Vereinbarung zwischen der AOK Bayern und dem Fachverband für Orthopädietechnik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. über der Lieferung von Rollstühlen und Rehabilitationsmitteln entfalte einen Rechtsreflex zu Gunsten der Klägerin.

Die Anwendung diese vom SG nicht näher erläuterten Rechtsinstitus (zur Abgrenzung zu tatsächlichen subjektiven öffentlichen Rechten vgl. BSG vom 05.09.2006 - B 4 71/06 R Die Beiträge, Beil. 2007 S.23, 30) widerspricht auch dem Wortlaut des § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach schließen über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln und deren Wiedereinsatz sowie über die Preise und deren Abrechnung die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit Verbänden der Leistungserbringer, soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können.

Das Gesetz regelt also eine Bindungswirkung nur für die Mitgliedskassen der Landesverbände. Etwas anderes hat auch das BSG, wieder entgegen der Auffassung des Sozialgerichts, im Urteil vom 23.01.2003 (B 3 KR 7/02 R SozR 4-2500 § 33 Nr.1) nicht ausgeführt. Es geht in dieser Entscheidung nicht um Verträge gemäß § 127 SGB V, sondern um die Zulassung zur Leistungserbringung gemäß § 126 SGB V, die bundesweit wirkt. Der Beklagten ist weiter dahingehend zu folgen, dass das BSG bereits mit Urteil vom 17.04.1996 entschieden hat, dass Rahmenverträge auf Landesebene nur für den Bereich eines Landes gelten. Sie sind revisionsrechtlich wie Landesrecht zu betrachten (BSG, SozR 3-2500 § 19 Nr.2). Dem Klägerbevollmächtigten ist auch nicht insoweit zu folgen, als er sich zwar keinesfalls auf eine normative Wirkung bundesweit beruft, vielmehr die Frage aufwirft, ob eine mit der AOK Bayern getroffene Rahmenvereinbarung auch in den benachbarten Bundesländern Anwendung finden müsse. Das (rechtskräftige) Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29.01.2004 ( Az.: L 4 KR 1/01) spricht eine solche Wirkung der Rahmenvereinbarungen auf benachbarte Bundesländer ausdrücklich nicht aus. Es stellt lediglich fest, dass viel dafür spreche, dass auch bei grenzüberschreitenden Hilfsmittellieferungen ein Rahmenvertrag gelte. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der Regelungsermächtigung für Landesverbände in § 127 Abs.1 SGB V in derartigen - nicht ungewöhnlichen - grenzüberschreitenden Fällen für den Aufgabenbereich eine kassenärztliche Abrechnung ausschließen oder dem Hilfsmittelerbringer das Risiko einer Vertragsannahme durch die zuständige Kasse erst nach Lieferung durch deren Genehmigung eine Geschäftsführung ohne Auftrag aufbürden wollte.

Das LSG Sachsen-Anhalt zieht hierzu die Argumentation des BSG im Urteil vom 17.01.1996 zu § 129 SGB V heran. Der Beklagten ist jedoch zuzustimmen, dass die in diesem Urteil aufgestellten Grundsätze, den Bereich der Arzneimittelversorgung betreffend, nicht auf die Hilfsmittelversorgung übertragbar sind, da zwischen der Arzneimittelversorgung und der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln ein wesentlicher Unterschied besteht. Zutreffend wird bei der Arzneimittelversorgung auf die hohe Mobilität der Bevölkerung hingewiesen, die nicht lediglich Apotheken ihres Bundeslandes, sondern auch solche in anderen Bundesländern in Anspruch nehmen würde. Dies gilt, was auch Auffassung des Senats ist, nicht für die Hilfsmittelversorgung, insbesondere mit Bewegungsschienen. Die Abgabe der Bewegungsschienen erfolgt in der Regel durch Anlieferung an den Wohnsitz der Versicherten. Die Mobilität der Bevölkerung und die damit möglicherweise zusammenhängenden Risiken einer ordnungsgemäßen Vertragsabwicklung stellen sich im Bereich der Hilfsmittelversorgung nicht. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die gesetzliche Regelung des § 127 Abs.1 Satz 1 SGB V eindeutig ist und auch keine Rechtsprechung vorliegt, die eine Wirkung der gemäß § 127 Abs.1 Satz 1 SGB V geschlossenen Verträge über die Mitgliedskassen der Landesverbände hinaus annimmt.

Die Klägerin kann auch keine Forderung aus abgetretenem Recht geltend machen. Abgesehen davon, dass eine solche Abtretung eines Anspruchs durch die Beigeladene an die Klägerin nicht vorgetragen wurde, sind der Beigeladenen keine Kosten entstanden. Ihr wurde die Bewegungsschiene als Sachleistung, die vertragsärztlich verordnet war, zur Verfügung gestellt. Die Beigeladene konnte von der Beklagten mangels Kostenentstehung keine Kostenerstattung verlangen, also auch keinen Anspruch abtreten.

Im Ergebnis sind damit die umfangreichen Ausführungen des Sozialgerichts zur Notwendigkeit der Bewegungsschiene und zur Angemessenheit des Mietzinses nicht entscheidungserheblich. Eine weitere Auseinandersetzung damit ist nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs.1 i.V.m. § 154 Abs.1, 2 VwGO.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wird die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 zugelassen.

Referenznummer:

R/R2854


Informationsstand: 08.01.2008