Urteil
Aufnahme von CPM-Motorbewegungsschienen ins Hilfsmittelverzeichnis der GKV

Gericht:

SG Freiburg 1. Kammer


Aktenzeichen:

S 1 KR 2700/05


Urteil vom:

29.04.2009


Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 10.12.2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.06.2005 verurteilt, die von der Klägerin hergestellten CPM-Motorbewegungsschienen, Marke ARTROMOT®-S2PRO und Marke ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Aufnahme der CPM-Motorschulterbewegungsschienen Marke ARTORMOT®-S2PRO und Marke ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE in das Hilfsmittelverzeichnis.

Die Klägerin ist Herstellerin der o.g. motorisierten CPM-Schulterbewegungsschienen. Die Schienen werden im stationären und ambulanten häuslichen Bereich im Rahmen der Nachbehandlung von operativen Eingriffen und Verletzungen im Schulterbereich zur Gelenkmobilisation eingesetzt. Die ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE ist seit 20 Jahren auf dem Markt. Die ARTROMOT®-S2PRO ist die Fortentwicklung der ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE. Mit Konformitätserklärungen vom 08.01.1996 und 22.06.2003 gemäß den Bestimmungen der EG-Richtlinie über Medizinprodukte 93/42/EWG vom 14.06.1993 wurde der Klägerin das Recht zur CE-Kennzeichnung bei beiden CPM-Schienen eingeräumt.

Am 27.10.1999 beantragte die Klägerin unter Vorlage verschiedener Studien bei den damals noch zuständigen Spitzverbänden der Krankenkassen bei dem federführenden Bundesverband der IKK die Aufnahme der ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE in das Hilfsmittelverzeichnis.

Mit Bescheid vom 10.12.2003 wurde der Antrag durch den IKK-Bundesverband abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE nicht den Qualitätsstandards der Produktuntergruppe 32.09.01."Fremdkraftbetriebene Schulterbewegungsschienen" des Hilfsmittelverzeichnis entspreche, da u.a. eine Zeitvorwahl für die Gesamttrainingsdauer und die Pausen zwischen den einzelnen Bewegungsabläufen, eine Sicherungseinrichtung gegen unbefugte Verstellung der Bewegungsparameter sowie eine feinstufige oder stufenlose Einstellbarkeit von Zeit, Geschwindigkeit und Kraft nicht vorhanden sei.

Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, die Funktionstauglichkeit der ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE sei gemäß den Bestimmungen der EG-Richtlinie über Medizinprodukte 93/42/EWG vom 14.06.1993 nachgewiesen. Auch würden hinreichende Erfahrung im stationären und ambulanten Bereich vorliegen, die die Funktionstauglichkeit und Anwendbarkeit der Schulterbewegungsschiene ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE bestätigen. Daneben sei unklar, welche Mindestanforderungen und technischen Grundlagen für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis durch die Beklagten aufgestellt würden. Die ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE sei in Deutschland und Europa Standart in der CPM-Therapie für das Schultergelenk. Die Bewegungsschiene werde in Deutschland in etwas 95 % aller Versorgungsfälle eingesetzt.

Am 17.07.2001 beantragte die Klägerin die Aufnahme ARTROMOT®-S2PRO in das Hilfsmittelverzeichnis.

Mit den Berichten vom 10.07.2002 und 06.10.2003 nahm der Medizinische Dienst der Spitzenverbände (MDS) zur Funktionstauglichkeit, dem therapeutischen Nutzen und der Qualität der CPM-Schulterbewegungsschiene ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE und ARTROMOT®-S2PRO Stellung. Zusammenfassend vertritt der MDS die Auffassung, dass zur Aufnahme der beiden Produkte die Klägerin keine ausreichenden medizinischen Unterlagen zum Nachweis der Funktionstauglichkeit sowie des therapeutischen Nutzens nach § 139 Abs. 2 SGB V vorgelegt hätte. Die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis seien daher nicht erfüllt.

Mit Bescheid vom 10.12.2003 lehnten die Spitzenverbände der Krankenkassen auch die Aufnahme der CPM-Schulterbewegungsschiene ARTROMOT®-S2PRO in das Hilfsmittelverzeichnis ab. Zum einen sei der therapeutische Nutzen des Produktes im ambulanten häuslichen Bereich nicht belegt. zum anderen sei der Nachweis für die Einhaltung der folgenden Qualitätsstandards für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht geführt worden: Ausschluss von Verletzungsmöglichkeiten und Fehlbewegungen im betroffenen Gelenk, keine Verletzungsmöglichkeit bei sachgemäßem Gebrauch durch die Konstruktion selbst und während der Anwendung für Anwender und Personen im Umfeld.

Mit den Widerspruchsbescheiden vom 13.06.2005 wiesen die Spitzenverbände der Krankenkasse die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 10.12.2003 zurück. Zur Begründung wurden hinsichtlich der streitbefangenen CPM-Bewegungsschienen ausgeführt, dass auf Grund der vorliegenden Unterlagen der therapeutische Nutzen der Produkte nicht nachgewiesen habe werden können. Zu den Zielvorstellungen einer Verbesserung des Behandlungsergebnisses sowie der Erreichung des Behandlungszieles unter der Bedingung, dass CPM-Bewegungsschienen substitutiv zu Maßnahmen der physikalischen Therapie eingesetzt werden, sowie einer schnelleren Erreichung des Behandlungszieles würden keine indikationsbezogenen wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse vorliegen, die den Einsatz von CPM-Bewegungsschienen im häuslichen Bereich aus medizinischer Sicht rechtfertigen würde.

Am 04.07.2005 hat die Klägerin gegen die Bescheide vom 10.12.2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.06.2005 Klagen beim Sozialgericht Freiburg erhoben. Die zunächst getrennt unter den Aktenzeichen S 1 KR 2700/05 und S 1 KR 2701/5 geführten Rechtsstreitigkeiten wurden durch den Beschluss der Kammer vom 13. 02.2008 unter dem Aktenzeichen S 1 KR 2007/05 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen, die Nachweise der Funktionstauglichkeit und der Sicherheit seien für die beiden streitbefangenen CPM-Bewegungsschienen durch die vorliegenden CE-Kennzeichnungen als erbracht anzusehen. Auch die weitere Voraussetzung für eine Eintragung der Bewegungsschiene in das Hilfsmittelverzeichnis, der medizinischen Nutzen, liege nachweislich vor. Dies sei unter Verweis auf zahlreiche Studien dargelegt worden und sei durch das vom Gericht eingeholte Gutachten eindrucksvoll bestätigt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten fordere das Gesetz für die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis weder eine Beschleunigung des Heilerfolges, noch einen medizinischen Zusatznutzen durch das Hilfsmittel.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 10.12.2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.06.2005 zu verurteilen, die von ihr hergestellten CPM-Motorbewegungsschienen, Marke ARTROMOT®-S2PRO und ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der medizinische Nutzen der streitbefangenen Bewegungsschienen sei auch nach Einholung des Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. Jerosch vom 02.06.2008 nicht nachgewiesen. Dem Gutachten würden keine neuen Erkenntnisse zu Grunde liegen. Der medizinische Nutzen bei Anwendung der streitbefangenen Bewegungsschienen im ambulanten häuslichen Bereich sei nicht nachgewiesen. Nur eine Studie würde Nutzen der zusätzlichen Behandlung mit CPM-Schienen nach operativen Schultereingriffen allein im häuslichen Bereich im Vergleich zur allein krankengymnastischen Behandlung vorliegen. Nach dieser zeige sich zwölf Monate nach der Operation weder hinsichtlich der Beweglichkeit noch hinsichtlich der Kraft zwischen den beiden Behandlungsvarianten ein signifikanter Unterschied. Auch könne auf Grund der vorliegenden Studien nicht davon ausgegangen werden, dass bei zusätzlichem Einsatz von CPM-Schienen die Arbeitsunfähigkeit sich verkürze. Auch eine Beschleunigung des Heilerfolgs sei nicht nachgewiesen und auch ein medizinischer Zusatznutzen sei nicht erkennbar. Mithin sei der medizinische Nutzen der Geräte für den häuslichen Bereich nicht nachgewiesen, weshalb eine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht möglich sei.

Im Auftrag des Gerichts hat Prof. Dr. Jerosch das Sachverständigengutachten vom 02.06.2008 erstattet. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 124 bis 167 d. A. S 1 KR 2700/05 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Akten des Gerichts und des Beklagten.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

DJO

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet.

Die angefochtenen Bescheide vom 10.12.2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.06.2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen den beklagten als Funktionsnachfolger der früher beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen einen Anspruch auf Aufnahme der von ihr hergestellten CPM-Motorbewegungsschienen, Marke ARTROMOT®-S2PRO und ARTROMOT®-S mit Zusatzmodul RE in das Hilfsmittelverzeichnis.

Nach § 139 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erstellt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ein systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis, in dem die von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel aufzuführen sind. Gemäß § 139 Abs. 3 SGB V erfolgt die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis auf Antrag des Herstellers. Über die Aufnahme entscheidet der Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Gemäß § 139 Abs. 4 SGB V ist das Hilfsmittel aufzunehmen, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderung nach § 139 Abs. 2 SGB V und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung der erforderlichen Informationen in deutscher Sprache versehen ist. Für Medizinprodukte im Sinne des § 3 Nr. 1 des Medizinproduktegesetzes gilt der Nachweis der Funktionstauglichkeit und der Sicherheit durch die CE-Kennzeichnung grundsätzlich als erbracht (§ 139 Abs. 5 Satz 1 SGB V).

Die streitbefangenen CPM-Schulterbewegungsschienen sind ein „anderes Hilfsmittel“ im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V, das im Einzelfall erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Beide CPM-Bewegungsschienen sind nach Beantragung der Klägerin von dem Beklagten als Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen, weil sämtliche Voraussetzungen des § 139 Abs. 4 SGB V hierfür erfüllt sind.

Der Nachweis der Funktionstauglichkeit und der Sicherheit der streibefangenen CPM-Schulterbewegungsschienen ist durch Vorlage der Konformitätserklärungen vom 08.01.1996 und 22.06.2003 gemäß den Bestimmungen der EG-Richtlinie über Medizinprodukte 93/42/EWG vom 14.06.1993 nach § 139 Abs. 5 SGB V erbracht. Qualitätserklärungen nach § 139 Abs. 2 SGB V sind hinsichtlich CPM- Schulterbewegungsschienen im Hilfsmittelverzeichnis nicht festgelegt. Dies wird von dem Beklagten inzwischen nicht mehr bestritten.

Ersichtlich ist zwischen den Beteiligten allein noch streitig, ob der für die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis der streitbefangenen CPM-Schulterbewegungsschienen erforderliche medizinische Nutzen nachgewiesen ist.

Der medizinische Nutzen eines Medienprodukts ist jedenfalls dann gegeben, wenn es im Rahmen einer medizinischen Behandlung zur Verbesserung des Gesundheitszustandes indiziert ist. Darüber hinaus ist nicht erforderlich, dass das Produkt gegenüber anderen Behandlungsweisen - hier etwa einer physiotherapeutischen Heilbehandlung - einen zusätzlichen Nutzen oder einen Vorteil aufweist (vgl. insoweit BSG a.a.O. zum therapeutischen Nutzen in § 139 Abs. 2 SGB V a. F.).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Maßstäbe und Grundsätze ist für die Kammer aufgrund des im Klageverfahren erstatteten Sachverständigungsgutachtens von Prof. Dr. Jerosch vom 02.06.2008 ein medizinischer Nutzen der streitbefangenen CPM-Schulterbewegungsschienen auch bei Einsatz im ambulanten häuslichen Bereich nachgewiesen. Prof. Dr. Jerosch hat in seinem Gutachten unter Auswertung der vorliegenden klinischen Studien nachvollziehbar ausgeführt, dass CPM-Bewegungsschienen im Rahmen der Nachbehandlungen nach operativen Eingriffen und Verletzungen zur Gelenkmobilisation generell eingesetzt werden. Ihr Einsatz dient allgemein zur Frühmobilisation des Gelenkes im schmerzfreien Bereich bei einer durch innere oder äußere Störungen hervorgerufenen Einschränkungen des Bewegungsumfangs. Im unfallchirurgischen/orthopädischen Alltag wird die CPM-Behandlung verletzter/operierter Gelenke in Kombination mit Krankengymnastik und unmittel postoperativ im Rahmen des stationären Aufenthaltes eingesetzt. Die vorliegende Studie über den Einsatz von CPM-Schulterbewegungsschienen nach Abschluss der stationären Behandlung alleinig im ambulanten häuslichen Umfeld zeigt, dass die mit CPM-Bewegungsschienen behandelten Personen in den ersten postoperativen Wochen signifikant weniger Schmerzen aufwiesen. Unter Auswertung der weiteren vorliegenden Studien hat Prof. Dr. Jerosch in seinem Sachverständigungsgutachten nachvollziehbar dargelegt, dass aus naturwissenschaftlicher medizinischer Einschätzung ein medizinischer Nutzen der streitbefangenen CPM-Schulterbewegungsschienen in der frühen Rehabilitation im ambulanten häuslichen Bereich gegeben ist, wobei sogar für Einzelkriterien signifikante Überlegenheiten bestehen. Dabei ist ein solche Überlegenheit der Behandlung entgegen der Auffassung des Beklagten gerade nicht Vorraussetzung für die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis. § 139 Abs. 4 SGB V verlangt allein einen medizinischen Nutzen bei Behandlung durch das Medizinprodukt für die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis und nicht etwas einen gegenüber bereits eingetragenen Hilfsmitteln oder Heilmittels überlegenen medizinischen Nutzen.

Eine Gesundheitsgefährdung durch den ambulanten häuslichen Einsatz der streitbefangenen CPM-Bewegungsschienen ist nach den vorliegende Erkenntnissen und Erfahrungen nach der Einschätzung des Sachverständigen bei entsprechender Einweisung des Patienten nicht zu erwarten. Auf Grund der vorliegenden Studien teilt die Kammer diese Einschätzung des Sachverständigen, zumal der Beklagte für diese von ihm vorgetragene Befürchtung auch keinen substantiierten Vortrag erbracht hat.

Mithin war die Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. 154 Abs. 1 VwGO.

Referenznummer:

R/R4460


Informationsstand: 09.02.2010