I. Die Klage gegen den Bescheid vom 23. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2012 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Streitig ist die Kostenübernahme für einen Freistehbarren in einem Pflegeheim.
Die 1959 geborene Klägerin ist nach einer im Juli 2010 aufgetretenen Subarachnoidalblutung schwerstbehindert. Mit Pflegegutachten vom 18.01.2011 wurde die Pflegestufe III festgestellt. Zum damaligen Zeitpunkt war die Klägerin überwiegend bettlägerig bei kompletter spastischer Parese der unteren Extremitäten beidseitig. Sie saß tagsüber etwa ein bis zwei Stunden im Rollstuhl, der nicht selbstständig fortbewegt werden konnte. Eine Rumpfstabilität bestand nicht. Die Klägerin lebt im D. Seniorenheim A-Stadt im Pflegebereich. Am 10.02.2012 verordnete der Hausarzt
Dr. C. eine "Stehbettversorgung zur dringenden Mobilisation". Bei der Beklagten ging ein Kostenvoranschlag vom 22.02.2012 für einen Freistehbarren inklusive elektrischer Gurtaufrollvorrichtung, Fernbedienung, druckentlastendem Aufrichtgurt, Gesäßpelotte, Rückenpelotte mit Seitenführung und Kopfstütze sowie Fußfixierung in Höhe von 4.107,25
EUR ein. Die Beklagte schaltete zur Beurteilung den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Bayern ein. Der MDK-Gutachter
Dr. L. vertrat am 19.04.2012 die Auffassung, dass die medizinische Indikation für einen Stehbarren vorliege. Das Hilfsmittel diene der Sicherung der Krankenbehandlung. Inwiefern hierfür das Heim zuständig sei, sei leistungsrechtlich zu beurteilen. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23.02.2012 eine Kostenübernahme ab und verwies darauf, dass Stehübungsgeräte, sofern sie zur Mobilisierung erforderlich seien, unter die Vorhaltepflicht des Heimträgers fallen würden. Die Klägerin solle sich an die Heimleitung wenden
Dagegen hat die Betreuerin der Klägerin am 14.03.2012 Widerspruch eingelegt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Versorgung mit einem Stehbarren notwendig sei wegen einer Inaktivitätsosteoporose, zur Vermeidung von Gelenkfehlbildungen und Weichteilschrumpfungen (Kontrakturen). Außerdem würden das Herz-Kreislauf-System angeregt und die Verdauung. Bei der Klägerin werde auch die Aktivität der Rumpfmuskulatur sowie die Kopfkontrolle verbessert. Auch sei es wichtig, die soziale Integration nicht zu vergessen, da die Klägerin so auf Augenhöhe mit ihren Mitmenschen komme. Beigefügt war eine gleichlautende Stellungnahme des Sanitätshauses. Die Beklagte wies darauf hin, dass es sich bei einem Stehübungsgerät um kein maßangepasstes Hilfsmittel handle, sondern eine konfektionierte Geräteausstattung vorliege, die durch verschiedenes Zubehör und unterschiedliche Einstellmöglichkeiten von mehreren Personen genutzt werden könne. Das Gerät sei daher von der stationären Einrichtung zur Verfügung zu stellen. Demgegenüber wandte die Betreuerin ein, dass das Hilfsmittel nur für die Klägerin verwendbar sei. Die Beklagte vertrat dagegen die Auffassung, dass Stehübungsgeräte auf unterschiedliche Bewohner einstellbar seien, durch verschiedene Verstellmöglichkeiten der Pelotten, da diese Geräte ansonsten in Krankenhäusern/Reha-Einrichtungen und Behinderteneinrichtungen mit wechselnden Nutzern nicht verwendbar wären. Die Beklagte wies den Widerspruch dann mit Bescheid vom 24.05.2012 zurück.
Hiergegen hat die Betreuerin am 26.06.2012 beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben und zur Begründung auf Stellungnahmen von Orthopädietechniker und Ergotherapeut verwiesen. Das Gericht hat einen Befundbericht des Hausarztes eingeholt, der unter dem 25.09.2012 berichtet hat, dass in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht worden seien. Bei der bisher bettlägerigen Klägerin sei im Verlauf eine zunehmende Mobilisation durchführbar. Durch die verordneten Schienen könne die Beugekontraktur der Beine redressiert werden, womit die Voraussetzungen für eine weitere Mobilisation geschaffen seien. Die Klägerin werde derzeit im Stehstuhl mobilisiert. Eine parenterale Ernährung durch PEG finde nicht mehr statt. Ein verbaler Kontakt könne jetzt flüssig hergestellt werden, das Verständnis der Kommunikation gelte als sicher. Die Betreuerin hat auf Nachfrage erklärt, dass der Klägerin ein Stehständer/Freistehbarren im Heim nicht zur Verfügung stehe. Sie werde in einen Mobilisationsrollstuhl gesetzt
bzw. an der Bettkante mobilisiert. Beigefügt war eine Bestätigung des Pflegeheims vom 05.03.2013, wonach die Klägerin einen Mobilisationsrollstuhl mit Schalensitz, speziell für sie angepasst, habe. In diesem werde sie mobilisiert. Die Einrichtung verfüge nicht über einen Stehständer/Freistehbarren. In der mündlichen Verhandlung hat die Betreuerin erklärt, dass sie nicht wirklich wisse, wie viel ihre Schwester verstehe. Sie könne nicht sprechen. Ein Stehständer sei im Heim nicht vorhanden. Sie wisse auch nicht genau, wie ihre Schwester von den Pflegekräften zum Stehen gebracht werde. Sie werde an der Bettkante mobilisiert und liege im Bett
bzw. sitze im Rollstuhl.
Die Betreuerin der Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2012 zu verurteilen, die Klägerin mit einem Freistehbarren laut Kostenvoranschlag vom 22.02.2012 (Hilfsmittel-
Nr. 28.29.01.1048) zu versorgen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57
Abs. 1, 51
Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 23.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2012 erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für den begehrten Freistehbarren.
Nach
§ 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.
Unstreitig ist, dass eine medizinische Indikation für die Versorgung der Klägerin mit einem Freistehbarren vorliegt. Dies hat der MDK bestätigt. Die Klägerin hat jedoch keinen Versorgungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, da nach Überzeugung des Gerichts das Pflegeheim, in dem die Klägerin lebt, von Gesetzes wegen zur Vorhaltung eines Freistehbarrens verpflichtet wäre.
Grundsätzlich sind die Krankenkassen für die Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln unabhängig davon verpflichtet, ob sie in einer eigenen Wohnung oder in einem Heim leben. Dieser Grundsatz erfährt jedoch, wie das Bundessozialgericht (
BSG) in seinem Urteil vom 10.02.2000 - Az.
B 3 KR 17/99 R - ausgeführt hat, bei vollstationärer Pflegebedürftigkeit, "also bei der vollstationären Pflege in einem zugelassenen Pflegeheim (§ 71
Abs. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB XI) weiterhin eine Einschränkung. Die Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln endet nach der gesetzlichen Konzeption des
SGB V und des
SGB XI dort, wo bei vollstationärer Pflege die Pflicht des Heimträgers auf Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetzt. Bei vollstationärer Pflege hat der Träger des Heimes für die im Rahmen des üblichen Pflegebetriebs notwendigen Hilfsmittel zu sorgen, weil er verpflichtet ist, die Pflegebedürftigen ausreichend und angemessen zu pflegen, sozial zu betreuen und mit medizinischer Behandlungspflege zu versorgen (§ 43
Abs. 1, 2 und § 43a
SGB XI). Nach § 11
Abs. 1
SGB XI hat die Pflege in Pflegeeinrichtungen nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu erfolgen (Satz 1). Inhalt und Organisation der Leistung haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten (Satz 2). Die Pflegeheime haben auch für die soziale Betreuung der Bewohner zu sorgen (§§ 43
Abs. 2 Satz 1 und 82
Abs. 1 Satz 2
SGB XI). Die die Zulassung bewirkenden Versorgungsverträge dürfen nur mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die den Anforderungen des § 71
SGB XI genügen und die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten (§ 72
Abs. 3 Satz 1
SGB XI). Die Heime müssen daher das für die vollstationäre Pflege notwendige Inventar bereithalten. Einen geeigneten Anhaltspunkt für die von den zugelassenen Pflegeheimen vorzuhaltenden Hilfsmittel bietet - ohne dass hier eine abschließende Beurteilung jedes einzelnen Hilfsmittels vorzunehmen ist - zum Beispiel die "Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen/Pflegekassen zur Ausstattung von Pflegeheimen mit Hilfsmitteln" vom 26.05.1997 - solange Rechtsverordnungen über die Ausstattung von Pflegeheimen mit Hilfsmitteln fehlen (§ 83
Abs. 1
Nr. 1 und 2
SGB XI). Hierzu zählen zum Beispiel alle Hilfsmittel, die bei Verwirrtheitszuständen, Lähmungen und sonstigen Funktionseinschränkungen üblicher Art
(z. B. bei Altersdemenz, Morbus Alzheimer, Folgen eines Schlaganfalls, Multipler Sklerose und Querschnittslähmungen) benötigt werden. Die gesetzliche Krankenversicherung hat darüber hinaus nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die nicht der "Sphäre" der vollstationären Pflege zuzurechnen sind. Das sind im Wesentlichen (1) individuell angepasste Hilfsmittel, die ihrer Natur nach nur für den einzelnen Versicherten bestimmt und grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind
(z. B. Brillen, Hörgeräte, sonstige Prothesen) sowie (2) Hilfsmittel, die der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses
(z. B. Kommunikation oder Mobilität) außerhalb des Pflegeheimes dienen."
Nach diesen Grundsätzen gehört ein Freistehbarren zur Überzeugung des Gerichts zu denjenigen Hilfsmitteln, die grundsätzlich von einem Pflegeheim, das bettlägerige Pflegebedürftige mit Pflegestufe III aufnimmt, vorzuhalten sind. Nach dem Abgrenzungskatalog zur Finanzierungszuständigkeit für Hilfsmittel bei stationärer Pflege (Anlage 1 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung -
GKV-WSG - im Hilfsmittelbereich - Abgrenzungskatalog der Spitzenverbände der Krankenkassen - zugleich handelnd als Spitzenverbände der Pflegekassen - zur Hilfsmittelversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen (Pflegeheimen) vom 26.03.2007 - Beschlussfassung vom 07.05.2007 -), der die gemeinsame Verlautbarung vom 26.05.1997 ersetzt hat, sind Stehhilfen (Produktgruppe 28 des
GKV-Hilfsmittelverzeichnisses) der Sphäre des Pflegeheimes zuzurechnen. Zur Begründung wird dabei ausgeführt, dass es sich bei der fachgerechten Positionierung zur Vermeidung von Sekundärerkrankungen um eine primäre Verrichtung im Rahmen der aktivierenden Pflege
bzw. der allgemeinen Prophylaxe handle. Sie komme daher als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (
GKV) grundsätzlich nicht in Betracht. Dem schließt sich das Gericht an. Denn zur fachgerechten Pflege von mobilitätseingeschränkten Personen, insbesondere von Bettlägerigen, gehört eine Aktivierung und Mobilisierung aus dem Bett heraus, wobei die zu pflegende Person auch nach Möglichkeit zum Stehen zu bringen ist. Die Einnahme der Stehhaltung
bzw. das Training (Stehübungen) ist bei begründeter Aussicht auf Wiedererlangung einer Gehfähigkeit therapeutisch erforderlich. Darüber hinaus hat sich sowohl das Stehtraining als auch die Stehhaltung in der Langzeitbehandlung von Lähmungserscheinungen, auch hinsichtlich der Gleichgewichtsschulung, der Kreislaufkonditionierung, der Dekubitusprophylaxe, des Blasentrainings und der Kontrakturprophylaxe bewährt (
vgl. GKV-Hilfsmittelverzeichnis, Produktgruppe 28 Stehhilfen - Information/Definition). Stehhilfen ermöglichen dabei den Verbleib in einer senkrechten (oder annähernd senkrechten) Körperhaltung über ein eventuell mögliches kurzzeitiges Aufrichten in den Stand hinaus. Grundsätzlich bleibt es dem Pflegeheim überlassen, ob das zur Pflege gehörende zum Stehen bringen einer bettlägerigen Person mittels Pflegepersonal oder mit Hilfe von Geräten erfolgt. Diese Hilfsmittel sind jedoch entsprechend des Pflegeauftrags des Heimes grundsätzlich vom Pflegeheim bereitzuhalten. Bei dem begehrten Freistehbarren Modell Vision handelt es sich auch nicht um ein individuell an die Bedürfnisse der Klägerin angepasstes Hilfsmittel. Nach der Gerätebeschreibung/Gebrauchsanweisung bestehen zwar individuelle Einstellmöglichkeiten durch Anpassung der Gurte und Pelotten an die Bedürfnisse des Nutzers. Da die Gurte und Pelotten wegen der Hilfebedürftigkeit der Nutzer jedoch durch Dritte (hier: Pflegekräfte) angelegt werden, muss keine Grundeinstellung auf die Klägerin beibehalten werden. Vielmehr kann das Gerät auch für andere Personen genutzt und die Einstellung jeweils auf diese Personen abgestimmt werden. Freistehbarren werden auch in der Physiotherapie eingesetzt, woraus sich zwanglos ergibt, dass eine Einstellung auf verschiedene Nutzer möglich sein muss.
Da somit das beantragte Hilfsmittel der Heimausstattung zuzurechnen ist, besteht kein Versorgungsanspruch gegenüber der Beklagten. Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
SGG.