Urteil
Keine Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine Übernahme der Mietkosten für den Bewegungstrainer vom Typ Innowalk® small

Gericht:

LSG Sachsen 9. Senat


Aktenzeichen:

L 9 KR 351/18 B ER


Urteil vom:

09.05.2019


Tenor:

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. August 2018 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die vorläufige Übernahme der Mietkosten für den Bewegungstrainer vom Typ Innowalk® small für einen Zeitraum von sechs Monaten.

Der 2012 geborene Antragsteller ist im Rahmen der Familienversicherung bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Ausweislich des Entlassungsberichts des Z ...-Klinikums Y ... vom 15.04.2015 liegen/lagen bei ihm eine spastische diplegische Zerebralparese (G80.1), kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen (F83), eine Hypermetropie beidseits (H52.0), ein Strabismus concomitans convergens links (H50.0) sowie Kleinwuchs (E34.3) vor. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H festgestellt. Jedenfalls seit Juni 2013 nimmt er an Fördermaßnahmen des Rehabilitations- und Therapiezentrums "X ... Reha" in W ... teil, zunächst in Form von dreimal wöchentlich durchgeführten physiotherapeutischen Behandlungen. Er besucht eine integrative Kindertagesstätte und nutzt dort u. a. den ihm von der Antragsgegnerin im Mai 2015 zur Verfügung gestellten NF-Walker, einen (vornehmlich für den Innenbereich konzipierten) schienengeführten Gehwagen (GKV-Hilfsmittelnummer 10.46.02.3007).

Am 01.03.2017 beantragte er - unter Vorlage einer Hilfsmittel-Verordnung der Fachärztin für Orthopädie V ... vom 24.02.2017 und eines Kostenvoranschlags der U ... GmbH vom 02.03.2017 - bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit dem Bewegungstrainer Innowalk® small für sechs Monate zur Miete zu einem Gesamtpreis (Miete, Zurüstungen, Anpassungs-/Dokumentationspauschale etc.) von 3.504,35 EUR. Dem Antrag beigefügt war der Bericht über eine am 24.02.2017 erfolgte 20-minütige Erprobung, in welchem die (langfristigen) Versorgungsziele aufgeführt und die Einschätzungen enthalten waren, dass ein Stehtraining ohne gleichzeitige Bewegung der Beine ebenso wenig wie ein Training in sitzender Position jeweils für sich genommen ausreichend/zielorientiert seien.

Nachdem die Antragsgegnerin eine sozialmedizinische Stellungnahme vom Sachverständigen im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) T ... Dr. S ... vom 16.03.2017 beigezogen hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 20.03.2017 die begehrte Versorgung mit der Begründung ab, mit Blick auf die bereits erfolgte Versorgung mit einem NF-Walker handele es sich um eine - nicht geschuldete - Doppelversorgung. Dr. S ... hatte ferner ausgeführt, anstelle des passiven Trainings mit dem Innowalk® small werde ein Aktivtraining, eventuell mit einem Physiotherapeuten, empfohlen.

Hiergegen legte der Antragsteller am 29.03.2017 Widerspruch ein und führte aus, das selbstständige Laufen sei für ihn ein wichtiger Entwicklungsfortschritt. Darauf sowie auf die notwendige Fortsetzung der Förderung im motorischen Bereich sei bereits im Abschlussbericht der Interdisziplinären Frühförderstelle der X ...-Reha vom 29.07.2015 hingewiesen worden. In der Kindertagesstätte nutze er täglich den NF-Walker und die vorhandenen Orthesen. Nach ärztlicher Empfehlung sei die Fortsetzung des Bewegungstrainings im häuslichen Bereich sehr wichtig. Ein Training mit dem NF-Walker sei zu Hause nicht möglich, da seine Mutter seit Mitte 2017 kein eigenes Kfz mehr zur Verfügung habe und den Gehwagen daher nicht transportieren könne. Ohnehin wäre der NF-Walker für die eigene Wohnung zu groß, so dass auch eine Zweitversorgung hiermit keine sinnvolle Alternative sei. Seit Januar 2018 erhalte er zusätzlich im Rahmen einer ambulanten Rehabilitation regelmäßig dreimal wöchentlich sensomotorisches Training mit einem Vibrationstrainer und Physiotherapie. Die behandelnde Fachärztin V ... habe ausweislich der Arztbriefe vom 15.08.2017 und 22.12.2017 den Bewegungstrainer Innowalk® small zur Unterstützung der bestehenden Therapien verordnet, um das Gangbild weiter zu stabilisieren und die Kraftminderung und die pathologischen Bewegungsmuster (Innenrotationsgang) zu reduzieren. Bei dem verordneten Bewegungstrainer handele es sich um ein motorbetriebenes, multifunktionelles und aktivierendes Hilfsmittel mit einer Sitz- und Stehfunktion. Dadurch werde eine vertikale und achsengerechte Beübung und Belastung der Hüft-, Knie- und Fußgelenke gewährleistet. Ferner beruhe der Bewegungstrainer auf dem Prinzip des Lokomat-Trainings. Dieses besage, dass gerade beim Erlernen hoch automatisierter Bewegungsabläufe eine hohe Wiederholungsrate der gewünschten Bewegung notwendig und zielführend sei, initial auch durch passive Schreitbewegungen. Dies führe zu einer Kräftigung der Beinmuskulatur, die mit keinem anderen Hilfsmittel erreicht werden könne. Es existierten bereits Studien, die den Therapieerfolg mit dem Innowalk® belegten, was sich etwa aus den vom Hilfsmittelhersteller zur Verfügung gestellten Unterlagen (Auszug aus einer laufenden Studie in Norwegen nebst Erfahrungsberichten der Kinder; wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 28 bis 36 der Verwaltungsakte Bezug genommen) entnehmen lasse. Der Innowalk® small sei zum (un-)mittelbaren Behinderungsausgleich und zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung erforderlich. Die für Anfang 2018 angedachte Durchführung einer Hüftkorrektur-Operation werde vom Therapieerfolg der ambulanten Rehabilitation und des Innowalk® small abhängig gemacht.

Am 19.03.2018 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Chemnitz (SG) die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihn mit einem Bewegungstrainer Innowalk® small als Leihgerät für sechs Monate zu versorgen. Sein Gangbild sei weiterhin unsicher mit Sturzneigung. Die zeitnahe Versorgung mit dem begehrten Bewegungstrainer sei daher dringlich, um eine weitere Progredienz der Gehbeeinträchtigung zu verhindern. In Ergänzung seiner bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragenen weiteren Argumente hat er angeführt, der begehrte Bewegungstrainer vereine die Funktion und die Wirkungsweise mehrerer Hilfsmittel, insbesondere von Stehhilfen und therapeutischen Bewegungsgeräten (Produktgruppen 28 und 32 des Hilfsmittelverzeichnisses). Für letztgenannte Produktgruppe laufe derzeit ein Antrag auf Aufnahme des Innowalk®.

Die Antragsgegnerin hat weitere gutachterliche Stellungnahmen von Dr. R ..., Arzt im MDK, vom 17.07.2017 und 12.01.2018 beigezogen. Darin hat dieser ausgeführt, ein passiv motorisierter Bewegungstrainer sei medizinisch nicht erforderlich und für die Bewegungsentwicklung nicht förderlich. Der Innowalk® sei nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet. Ein Behandlungsvorteil gegenüber bisher durchgeführten Maßnahmen sei nicht ausreichend belegt. Studien und Empfehlungen nach § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen nicht vor. Empfohlen werde die Fortführung der aktiven Trainingstherapie mit Orthesen und NF-Walker. Gestützt hierauf hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2018 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller am 18.04.2018 Klage zum SG erhoben (S 23 KR 243/18).

Mit Beschluss vom 27.08.2018 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung u. a. ausgeführt:

"Die Frage, ob die Versorgung mit einem "Innowalk Small" zu der von der Antragsgegnerin eingewandten (und nicht erforderlichen) "Mehrfachversorgung" führt, muss hier nicht abschließend entschieden werden. Denn unabhängig von der Frage der "Mehrfachversorgung" ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Tatbestandsvoraussetzungen von § 33 Abs. 1 SGB V nicht vorliegen. Der Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden. Entgegen der Auffassung der Verfahrensbevollmächtigten ist der "Innowalk-Small" nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Diese Tatbestandsalternative bezieht sich auf den unmittelbaren oder mittelbaren Ausgleich von ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktionen (vgl. dazu: Becker / Kingreen, SGB V, 8. Auflage, 2017, § 33 RN 18 ff m. w. N.). Hier geht es um das Gehen und (nach dem Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten auch um) das Stehen. Anders als ein Rollstuhl, Gehhilfen oder Orthesen ermöglicht oder unterstützt der "Innowalk Small" nicht die Fortbewegung "von einer Stelle zur anderen", sondern es handelt sich um ein "stationäres" Trainings-Gerät. Bei der Nutzung erfolgt ein "Treten auf der Stelle" und keine Fortbewegung im Sinne einer Ortsveränderung (vgl. dazu auch das gerichtliche Schreiben vom 24. April 2018). Der "Innowalk Small" ist hier für den Behinderungsausgleich betreffend der Körperfunktion "Gehen" jedenfalls nicht erforderlich, denn der Antragsteller ist ausweislich der oben zitierten Epikrisen (jedenfalls mit den vorhandenen Orthesen) in der Lage, sich selbstständig "von einer Stelle zur anderen" zu bewegen. Dass sein Gangbild nicht dem eines gesunden Kindes entspricht, ändert daran nichts. Der Antragsteller kann - zumindest kurzzeitig - selbstständig stehen. Ein längeres Stehen kann (wenn dafür überhaupt "Bedarf" besteht) mit "reinen" Stehhilfen (im Sinne der Produktgruppe 28 des HMV) ermöglicht werden. Es ist insoweit jedenfalls kein Anordnungsgrund für die Versorgung mit dem "Innowalk Small" im Eilverfahren ersichtlich, zumal die Stehhilfen der Produktgruppe 28 wirtschaftlicher sein dürften als die Versorgung mit dem "Innowalk Small".

§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst auch Hilfsmittel, die erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Die Voraussetzungen dieser Tatbestandsalternative liegen nach Maßgabe der Rechtsprechung des BSG nicht vor (vgl. z. B. das Urteil vom 11. Mai 2017, Az.: B 3 KR 6/16 R, m. w. N., [Kopforthese], sowie den das gerichtliche Schreiben vom 1. Juni 2018). Wenn ein Hilfsmittel im Rahmen einer "neuen Behandlungsmethode" eingesetzt wird, besteht ein Anspruch auf Versorgung nur dann, wenn die "neue Methode" bzw. der Einsatz des Hilfsmittels entsprechend § 135 SGB V vom Gemeinsamen Bundessauschuss (GBA) empfohlen worden ist. In den MDK-Gutachten vom 17. Juli 2017 und vom 12. Januar 2018 wird von einer neuen Behandlungsmethode ausgegangen. Das Gericht folgt dieser Auffassung. Dafür spricht auch, dass der "Innowalk Small" nach den Angaben des Herstellers "mehr bietet" als die bereits in das HMV aufgenommenen "Therapeutische Bewegungsgeräte". Eine Empfehlung des GBA für den Innowalk Small liegt bislang nicht vor. Diese Empfehlung ist - entgegen der Auffassung der Verfahrensbevollmächtigten - auch nicht wegen der S2e-Leitlinie "Rehabilitation der Mobilität nach Schlaganfall (ReMoS)" und wegen der "eigenen" Studien des Herstellers entbehrlich. Bei den zu Seite 13 unten ff der Antragsschrift mitgeteilten positiven "Erfahrungsberichten aus Norwegen" handelt es sich letztlich um "Werbung" des Herstellers, die auch im Internet abgerufen werden kann (www. madeformovement.de). Weiter ist die im HMV für "Therapeutische Bewegungsgeräte" (Produktgruppe 32) vorgesehene vierwöchige Erprobungsphase (vgl. dazu auch die Ausführungen oben zum NF-Walker) nach Aktenlage nicht erfolgt. Das Gericht geht davon aus, dass (abgesehen von der Empfehlung nach § 135 SGB V jedenfalls) wegen § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine solche Erprobung notwendig ist und dass eine solche Erprobung nicht durch das (im Kostenvoranschlag genannte) "Rückgaberecht" in den ersten vier Wochen der Mietzeit ersetzt werden kann. Aus den ärztlichen Verordnungen und der Stellungnahme vom 22. Dezember 2017 ist ferner nicht ersichtlich, ob Frau Fachärztin V ... die vom Hersteller genannten "Gegen-Indikationen" (z. B.: schwerwiegende Deformitäten und Kontrakturen sowie Gelenkinstabilitäten) ausreichend ausgewertet und abgewogen hat. Schließlich kann der Anordnungsanspruch auch nicht auf § 23 SGB V gestützt werden (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, a. a. O.).

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass der "Innowalk Small" im Einzelfall erforderlich ist, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Nach Aktenlage ist nicht in absehbarer Zukunft und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Verschlechterung des Gangbildes zu erwarten, wenn der Antragsteller nicht "sofort" mit dem Innowalk-Training beginnt (vgl. zu dieser Tatbestandsalternative BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, Az.: B 3 KR 5/10 R, zitiert nach Juris). Im Übrigen wird die in der Antragsschrift angekündigte Hüft-Operation wohl (doch) nicht zeitnah erfolgen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Folgenabwägung" nicht in Betracht. Nach Auffassung des Gerichts ist nach Maßgabe der vorgelegten Unterlagen die "sofortige" Versorgung mit dem "Innowalk Small" nicht existentiell dringlich. Jedenfalls im Rahmen der "Folgenabwägung" ist das von der Antragsgegnerin vorgetragene Argument der "Mehrfachversorgung" zu berücksichtigen: Die Gesundheitsstörungen des Antragsstellers werden behandelt - und zwar insbesondere durch Physiotherapie sowie durch das Training mit dem NF-Walker und dem Vibrationstrainer. Der (nachvollziehbare) Wunsch nach "mehr" Behandlung und Training rechtfertigt hier in der Gesamtschau aller Umstände nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung."

Mit seiner am 10.09.2018 eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehr weiter. Das SG habe verkannt, dass das begehrte Hilfsmittel vordringlich bzw. ausschließlich dem (mittelbaren) Behinderungsausgleich in Bezug auf die Grundbedürfnisse des Stehens und Gehens bzw. der Vorbeugung einer drohenden Behinderung diene. Diese beiden Tatbestandsvarianten des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderten keine positive Beschlussfassung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Selbst wenn man mit dem SG davon ausginge, der Bewegungstrainer solle zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung i. S. v. § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V eingesetzt werden, handele es sich bei der Therapie mit dem Innowalk® nicht um eine neue Behandlungsmethode i. S. v. § 135 SGB V. Der Innowalk® vereine lediglich bereits anerkannte Behandlungsmethoden der unter den Produktgruppen 28 und 32 im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Hilfsmittel, ohne dass diese Methoden wesentlich verändert oder erweitert würden; dem Innowalk® liege auch kein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zu Grunde. Auch unter dem Gesichtspunkt des von § 135 SGB V verfolgten Schutzzwecks der Vermeidung von Gefahren bei der Selbstanwendung einer Behandlungsmethode sei eine Beschlussfassung des GBA nicht erforderlich, da derartige Gefahren nicht bestünden bzw. bei der Einweisung in die Bedienung des Innowalk® sowie der erforderlichen Beaufsichtigung während der Nutzung durch einen Erwachsenen diesbezüglich ausreichende Vorkehrungen getroffen würden. Auch der GBA vertrete ausweislich seiner gegenüber dem Sozialgericht Hannover am 17.08.2018 und 13.12.2018 abgegebenen Stellungnahmen erkennbar die Auffassung, dass hinsichtlich der Behandlung mit dem Innowalk® kein Beratungsverfahren mit Beschlussfassung nach § 135 SGB V durchzuführen sei. Diese Auffassung bzw. allgemein die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bzgl. des Innowalk® werde auch durch zahlreiche erstinstanzliche Entscheidungen verschiedener Sozialgerichte bestätigt (u. a. SG Hannover, Beschluss vom 31.08.2018 - S 89 KR 895/18 ER; Gerichtsbescheid vom 07.08.2018 - S 50 KR 458/18; SG Hamburg, Urteil vom 27.05.2013 - S 18 KR 1202/11; SG Nürnberg, Urteil vom 20.10.2017 - S 21 KR 613/16; SG Magdeburg, Beschluss vom 27.04.2017 - S 13 KR 70/17 ER; SG Münster, Beschluss vom 14.01.2019 - S 16 KR 330/18 ER). Soweit das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 20.08.2018 (L 5 KR 127/18 B ER) abweichend hiervon das Vorliegen einer neuen Behandlungsmethode angenommen und gestützt darauf den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt habe, vermöge dies nicht zu überzeugen. Zumindest hätte es insoweit im Rahmen der Amtsermittlungspflicht weiterer Ermittlungen, z. B. der Einholung einer Stellungnahme des GBA sowie des Hilfsmittelherstellers sowie ggf. der Einholung eines Sachverständigengutachtens, bedurft. Die Versorgung mit dem begehrten Bewegungstrainer sei auch dringlich. Zum einen sei der Antragsteller aktuell - nicht zuletzt wegen der für 2019 anstehenden Einschulung und der damit einhergehenden Maßnahmen der Vorschule - stärker als zuvor in die Veranstaltungen der Kindertageseinrichtung eingebunden, so dass sich die Trainingsmöglichkeiten mit dem NF-Walker auf zweimal wöchentlich reduziert hätten. Zum anderen habe die Fachärztin V ... mit Attest vom 24.10.2018 bestätigt, dass ohne die Therapieunterstützung durch den Innowalk® eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit zu erwarten sei.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. August 2018 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn mit einem Bewegungstrainer Innowalk® small als Leihgerät für sechs Monate zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.

Rechtsweg:

SG Chemnitz, Urteil vom 27.08.2018 - S 23 KR 190/18

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf vorläufige Übernahme der Kosten für die mietweise Überlassung eines Innowalk® small.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - sofern es sich, wie hier, bei dieser nicht um eine Anfechtungssache im Sinne des § 86 b Abs. 1 SGG handelt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). In beiden Fällen ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Dabei bezieht sich der Anordnungsanspruch auf den im Hauptsacheverfahren streitigen Anspruch und damit auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit und stellt damit den Grund für den einstweiligen Rechtsschutz dar. Als Anordnungsgrund verlangt das Gesetz für die Sicherungsanordnung eine Gefahr für die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG) und für die Regelungsanordnung die Abwendung wesentlicher Nachteile (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Es muss ein gewichtiges Interesse des Antragstellers vorliegen, aufgrund dessen es ihm nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Tatsachen, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen über den vorläufigen Rechtsschutz sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere desjenigen aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, 14; Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69, 74). Dies gilt sowohl für Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803, 806; Kammerbeschluss vom 27. Mai 1998 - 2 BvR 378/98 - NVwZ-RR 1999, 217, 218). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 86 b Rn. 31).

Des Weiteren stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. In solchen Fällen sind die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, gehalten, die Sach- und Rechtslage eingehend zu prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675; Kammerbeschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04 - NZS 2004, 527, 528). Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 - NVwZ 1997, 479, 480). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675; Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365, 366; Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803, 806 f.). das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Beschluss des SG rechtlich nicht zu beanstanden. Für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sind weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anordnungsanspruch kommen allein §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V in Betracht. Danach haben Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung u. a. Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation sind dann Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn sie spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Eine unmittelbare Bedienung des Hilfsmittels durch den Arzt selbst ist dabei nicht zwingend erforderlich; ausreichend kann im Einzelfall auch die praktische Anwendung durch den Versicherten selbst sein. Ein derartiger spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung i. S. v. § 27 Abs. 1 SGB V kommt solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung i. S. der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010 - B 3 KR 5/10 R - juris Rn. 21 - Therapiedreirad; Urteil vom 8. Juli 2015 - B 3 KR 6/14 R - juris Rn. 11 - CAM-Schiene; zur Eingliederung in einen ärztlichen Therapieplansiehe auch: Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 17/16 R - juris Rn. 27 - Helmtherapie; Urteil vom 8. Juli 2015 - B 3 KR 5/14 R - juris Rn. 20 - Continuous Glucose Monitoring System [CGMS]).

So liegt es hier beim Einsatz des begehrten Bewegungstrainers Innowalk®. Diesen hat die behandelnde Fachärztin für Orthopädie V ... nach eigenen Worten "zur Unterstützung bestehender Therapien" verordnet. Da eine häusliche Therapie mit dem NF-Walker nicht (mehr) möglich ist, soll der verordnete Bewegungstrainer diese Lücke im Therapieplan ausfüllen und zusammen mit der im Rahmen der ambulanten Rehabilitation durchgeführten Physiotherapie zur Stabilisierung/Verbesserung des Gangbildes und zur Kräftigung der Beinmuskulatur beim Antragsteller beitragen. Soweit die ärztlich verantwortete und geleitete Eingliederung des Innowalk® in den Therapieplan zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung letztlich auch geeignet sein sollte, einer drohenden Behinderung vorzubeugen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 SGB V), vermag dies an der hier vorgenommenen Zuordnung des vorrangigen Hilfsmittelzwecks nichts zu ändern. Ebenso scheidet die vom Antragsteller favorisierte Einordnung als sächliches Mittel zum (mittelbaren) Behinderungsausgleich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 SGB V) aus. Bei Hilfsmitteln, die - wie der Innowalk® - nicht unmittelbar eine körperliche Funktion ersetzen, sondern im Sinne eines mittelbaren Behinderungsausgleichs lediglich die direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen, kann von medizinischer Rehabilitation nur dann die Rede sein, wenn der Zweck des Hilfsmitteleinsatzes einem Grundbedürfnis des täglichen Lebens dient. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Es sind dabei nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die dem Grundbedürfnis dienen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und diese zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG, Urteil vom 07. Oktober 2010 - B 3 KR 5/10 R - juris Rn. 14; Urteil vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 3/02 R - juris Rn. 11). Das Grundbedürfnis des Gehens und Stehens steht vorliegend nicht im Vordergrund. Der Antragsteller kann stehen und - wenn auch mit erkrankungsbedingten Defiziten - gehen. Der Innowalk® ist für den Antragsteller auch nicht verordnet worden, um ihm aktuell das Stehen oder Gehen (im Sinne der Ortsveränderung) zu ermöglichen oder zu erleichtern (hierfür ist der Innowalk® konstruktionsbedingt weder geeignet noch konzipiert), sondern vielmehr, um ihm perspektivisch durch nachhaltigen therapeutischen Einsatz ein besseres/physiologischeres Gehen und ggf. auch Stehen zu ermöglichen. Dieser Sachverhalt wird von § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V abschließend umfasst.

Hilfsmittel, die - wie der vorliegend verordnete Bewegungstrainer - zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung eingesetzt werden und untrennbar mit einer neuen Behandlungsmethode verbunden sind, sind erst nach einer positiven Empfehlung des GBA von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst (BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 - B 3 KR 6/14 R - juris Rn. 11). Die Behandlung mit dem zur Selbstanwendung den Patienten überlassenen Innowalk® ist nach der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung eine bisher nicht vom GBA bewertete "neue" Behandlungsmethode i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V, zu der noch keine Richtlinienempfehlung des GBA vorliegt.

Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. "Neu" ist eine Behandlungsmethode grundsätzlich dann, wenn sie bislang nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist. Setzt sich eine Behandlungsmethode aus einer Kombination verschiedener - für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammen, kann es sich um eine neue Behandlungsmethode handeln, wenn das zugrunde liegende theoretisch-wissenschaftliche Konzept gerade in der neuartigen Kombination verschiedener Einzelleistungen liegt. Es kommt dann darauf an, ob die im EBM-Ä bereits enthaltenen ärztlichen Einzelleistungen oder bereits zugelassene Behandlungsmethoden eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren (BSG, Urteil vom 08. Juli 2015 - B 3 KR 6/14 R - juris Rn. 20 - CAM-Schiene).

So liegt es nach summarischer Prüfung hier. Vom Hilfsmittelhersteller wird der Innowalk® in einem Informationsheft als "einzigartiger motorisierter Steh- und Gehtrainer" beworben; es werden zahlreiche Merkmale hervorgehoben und als "Alleinstellungsmerkmale" bezeichnet (Blatt 121 und 129 der Gerichtsakte). Bestätigt wird dies durch die vom Hilfsmittelhersteller initiierten Studien. In den auszugsweise vorgelegten Unterlagen wird insoweit von einem Pilot- bzw. Versuchsprojekt mit dem Innowalk® gesprochen. Wörtlich heißt es: "Die Dauer des Versuchsprojektes betrug 4 Wochen. Wie festgestellt werden konnte, ist die Bewegungshilfe durch den Innowalk vertretbar. Zusätzlich konnte man bei allen 5 Kindern eine positive Wirkung durch mehr Bewegung verzeichnen. Trotzdem ist es notwendig, den Innowalk bei weiteren Probanden über einen längeren Zeitraum auszuprobieren, um mehr über die Wirkungen des Innowalk bei Kindern mit Bewegungsstörungen zu erfahren." Bereits dies spricht nach summarischer Prüfung dafür, dass die Therapie mittels des Innowalk® auf einer noch nicht erprobten Wirkungsweise basiert und damit als neue Behandlungsmethode im Rechtssinne zu qualifizieren sein dürfte. Nur so erschließt sich auch, warum der Antragsteller nachdrücklich und mit eingehender Argumentation ausschließlich die Versorgung mit dem streitgegenständlichen Bewegungstrainer verfolgt, da dieser, nach seinen eigenen Worten, zu einer Kräftigung der Beinmuskulatur führt "die mit keinem anderen Hilfsmittel erreicht werden kann".

Die Überlassung eines (noch nicht ausreichend erprobten) Bewegungstrainers an Patienten zur selbstständigen Durchführung der Therapie dürfte bei Beachtung des Schutzzwecks des § 135 Abs. 1 SGB V regelmäßig als "neue" Behandlungsmethode einzustufen sein, die erst nach einer positiven Empfehlung des GBA zu Lasten der GKV in der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden darf. Denn im Vergleich zu herkömmlicher physikalischer Therapie durch Physiotherapeuten kommt es bei der selbstständigen Durchführung der Therapie durch die Patienten unter Anwendung entsprechender Geräte zu wesentlichen Änderungen hinsichtlich des medizinischen Nutzens, möglicher Risiken (in der Gebrauchsanweisung für den Innowalk® findet sich ein eigenständiges Kapitel mit der Überschrift "Warnhinweise"; durchweg wird der Nutzer durch ein entsprechendes Symbol darauf hingewiesen, dass "der folgende Text mit großer Aufmerksamkeit gelesen werden muss") sowie in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit der Behandlung (die Mietkosten belaufen sich auf überschlägig 500,00 EUR monatlich) und damit im Hinblick auf alle für die Bewertung einer Behandlungsmethode durch den GBA zentralen Gesichtspunkte (vgl. (BSG, Urteil vom 08. Juli 2015 - B 3 KR 6/14 R - juris Rn. 26 f. - CAM-Schiene; siehe auch den Beschluss des GBA vom 18. August 2016 über die Einleitung eines Beratungsverfahrens nach § 135 Abs. 1 Satz 2 SGB V zur Bewertung des häuslichen Einsatzes von motorbetriebenen Bewegungsschienen [CPM], zitiert nach www.g-ba.de).

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Antragsteller angeführten Stellungnahmen des GBA im Rahmen sozialgerichtlicher Verfahren. Zum einen ist eine schriftliche Äußerung der Verwaltung des GBA nicht verbindlich (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 17/16 R - juris Rn. 41). Zum anderen ist den angeführten Stellungnahmen des GBA gerade nicht zu entnehmen, dass ein Beratungsverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V nicht für erforderlich gehalten wird, weil es sich bei der Therapie mit dem Innowalk® nicht um eine "neue" Behandlungsmethode handele. Seiner Stellungnahme vom 13.12.2018 hat der GBA folgende Ausführungen vorangestellt: " Die vorgenannte Frage in Bezug auf eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode können weder in der Kürze der Zeit noch durch die Geschäftsführung des G-BA allein beantwortet werden. Entscheidungen zur Neuheit einer Methode in der vertragsärztlichen Versorgung trifft der G-BA auf der Grundlage der nachfolgend aufgeführten gesetzlichen Regelungen ". Die bereits in seiner Stellungnahme vom 17.08.2018 enthaltene Formulierung "Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass hinsichtlich der gegenständlichen Therapieform die in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung angenommenen Voraussetzungen einer Antragspflicht vorliegen würden" basiert auf der Rechtsprechung des BSG, nach welcher sich die Antragsbefugnis aus § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu einer Antragspflicht verdichtet "sobald nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse eine positive Abschätzung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode i. S von § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch den GBA wahrscheinlich ist und im Übrigen eine positive Bewertung der Methode nicht aus anderen Gründen - etwa der fehlenden Wirtschaftlichkeit - ausgeschlossen erscheint" (BSG, Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 10/07 R - juris Rn. 26). Für den vorliegenden Zusammenhang ergibt sich daraus nicht die vom Antragsteller angeführte Lesart. Da die Frage/Abgrenzung, wann eine Methode "neu" ist, im Einzelfall schwierig sein kann, hat der Gesetzgeber in § 87 Abs. 3e Satz 4 ff. SGB V den Bewertungsausschuss verpflichtet, hierüber im Einvernehmen mit dem GBA Auskunft zu erteilen. Jedenfalls das gerichtliche Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht der geeignete Ort, die notwendige Abgrenzung eingehend zu prüfen und hierüber abschließend zu befinden. Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren daher insoweit nicht veranlasst.

Der geltend gemachte Sachleistungs- und damit Anordnungsanspruch lässt sich auch nicht aus einem Systemversagen oder der Regelung in § 2 Abs. 1a SGB V herleiten (ebenso: Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20. August 2018 - L 5 KR 127/18 B ER - juris Rn. 16 f.). Das SG hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass auch - angesichts der konkret beim Antragsteller vorliegenden Beeinträchtigung der Gehfunktion - im Rahmen der Folgenabwägung kein Raum für den Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass vorliegend auch eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V nicht eingreift, da die Antragsgegnerin binnen drei Wochen und damit fristgerecht über den Sachleistungsantrag des Antragstellers entschieden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R8450


Informationsstand: 02.07.2020