Urteil
Einstweilige Anordnung - Übergangsfrist - Versorgung von Versicherten mit Elektrostimulationsgeräten (TENS- und EMS Geräten)

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 5. Senat


Aktenzeichen:

L 5 B 49/08 KR ER


Urteil vom:

13.08.2008


Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.05.2008 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragstellerin berechtigt ist, die Versicherten der Antragsgegnerin weiterhin bis zum 31.12.2008 mit TENS- und EMS-Geräten zu beliefern.

Zwischen der zur Leistungserbringung im Bereich von Elektrostimulationsgeräten zugelassenen Antragstellerin und der Antragsgegnerin bestand ein Rahmenvertrag zur Lieferung von TENS- und EMS-Geräten. Diesen Rahmenvertrag kündigte die Antragsgegnerin unter dem 26.09.2006 zum 31.12.2006. Die Antragsgegnerin setzte die Antragstellerin ferner darüber in Kenntnis, dass ab 01.01.2007 sämtliche Verordnungen für TENS- und EMS-Geräte auf einem internetgestützten Marktplatz ausgeschrieben werden (Schreiben vom 06.12.2006). Die Antragstellerin wandte sich zunächst nicht gegen die Kündigung des Rahmenvertrages.

Für die Zeit ab 01.01.2008 führte die Antragsgegnerin ein förmliches Vergabeverfahren für TENS- und EMS-Geräte durch. Die Ausschreibung sah die Belieferung bis zum 31.12.2008 mit einer einmaligen Verlängerungsoption um weitere 12 Monate vor. Den Zuschlag erhielt ein Mitbewerber der Antragstellerin. Die Antragstellerin wandte sich mit Schreiben vom 02.04.2008 an die Antragsgegnerin und teilte unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Sozialgerichts (SG) Frankfurt/Oder und des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg mit, dass nach § 126 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I 2007, S. 378 - (SGB V n.F.)) Leistungserbringer mit bestehender Zulassung bis zum 31.12.2008 lieferberechtigt seien. Vor diesem Hintergrund werde sie - die Antragstellerin - ab sofort wieder die Versorgung der Versicherten aufnehmen. Mit Schreiben vom 17.04.2008 vertrat die Antragsgegnerin die Auffassung, dass sich aus § 126 Abs. 2 SGB V n.F. jedenfalls dann kein Lieferanspruch ergebe, wenn eine Krankenkasse ihre Hilfsmittelversorgung mittels Ausschreibung vergeben habe.

Auf den am 29.04.2008 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG festgestellt, dass die Antragstellerin bis zum 31.12.2008 berechtigt sei, die bei der Antragsgegnerin gesetzlich versicherten Patienten mit Hilfsmitteln zur Elektrostimulation der Muskulatur (TNS-Geräte) zu versorgen. Es hat maßgeblich auf die Übergangsregelung des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. abgestellt (Beschluss vom 26.05.2008). Hiergegen wendet sich die am 09.06.2008 erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin, die daran festhält, dass für die Anwendung der Übergangsregelung des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. nach erteiltem Zuschlag kein Raum verbleibe.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4-...

Rechtsweg:

SG Düsseldorf Urteil vom 26.05.2008 - S 8 KR 142/08 ER -

Quelle:

Bundessozialgericht

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Denn sie ist nicht berechtigt, Versicherte der Antragsgegnerin bis zum 31. 12.2008 mit TENS- und EMS-Geräten zu beliefern. Angesichts dessen war der angefochtene Beschluss des SG Düsseldorf zu ändern und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind mithin grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Hauptsache (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b, Rn. 27 ff.). Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer gegenwärtigen Notlage, die eine unverzügliche Entscheidung erforderlich macht.

Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft dargetan worden. Denn es spricht nach Auffassung des Senats mehr gegen als für die vom SG vorgenommene Auslegung des § 126 Abs. 2 SGB V n.F., dass bis zum Ablauf der Übergangsfrist (31.12.2008) sämtliche nach altem Recht zugelassenen Leistungserbringer zur Belieferung von Versicherten trotz Durchführung eines Vergabeverfahrens und Ermittlung eines Ausschreibungsgewinners (§ 127 Abs. 1 SGB V n.F.) berechtigt sind.

Zum 01.04.2007 hat der Gesetzgeber durch das GKV-WSG folgende - hier relevante - Änderungen bei der Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln und in den Beziehungen zu Leistungserbringern vorgenommen: Die bis zum 31.03.2007 erforderliche Zulassung von Leistungserbringern durch Verwaltungsakt (§ 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F.) ist im Bereich der Hilfsmittel entfallen. Nach § 126 Abs. 1 SGB V n.F. dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 SGB V n.F. - in ihrer Priorität nach den Absätzen gestaffelt - abgegeben werden. Gemäß § 127 Abs. 1 SGB V n.F. sollen die Krankenkassen, ihre Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, im Wege der Ausschreibung Verträge mit Leistungserbringern oder zu diesem Zweck gebildeten Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln, die Durchführung einer bestimmten Anzahl von Versorgungen oder die Versorgung für einen bestimmten Zeitraum schließen.

Soweit Ausschreibungen nach Abs. 1 nicht zweckmäßig sind, schließen die Krankenkassen, ihre Verbände oder Arbeitsgemeinschaften nach § 127 Abs. 2 Satz 1 SGB V n.F. Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringender Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung.

Soweit für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge der Krankenkasse nach Abs. 1 und Abs. 2 mit Leistungserbringern bestehen oder durch Vertragspartner eine Versorgung der Versicherten in einer für sie zumutbaren Weise nicht möglich ist, trifft die Krankenkasse gemäß § 127 Abs. 3 SGB V n.F. eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer. Die Krankenkassen haben ihre Versicherten nach § 127 Abs. 5 Satz 1 SGB V n.F. über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und auf Nachfrage über die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. Sie können auch den Vertragsärzten entsprechende Informationen zur Verfügung stellen. Abweichend von § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V n.F. bleiben nach dem Wortlaut des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. Leistungserbringer, die am 31.03.2007 über eine Zulassung nach § 126 SGB V a. F. verfügen, bis zum 31.12.2008 zur Versorgung der Versicherten berechtigt.

Nach der bis zum 31.03.2007 geltenden Rechtslage war es den gesetzlichen Krankenkassen nicht gestattet, die Versorgung auf ausgewählte Leistungserbringer zu konzentrieren und das Wahlrecht der Versicherten unter allen zugelassenen Leistungserbringern einzuschränken. Gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V n.F. können die Versicherten ab dem 01.04.2007 alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse oder nach § 126 Abs. 2 SGB V versorgungsberechtigt sind. Allerdings wird dieses Wahlrecht der Versicherten eingeschränkt: Hat die Krankenkasse Verträge gemäß § 127 Abs. 1 SGB V n.F. über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln geschlossen, erfolgt die Versorgung nach § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V n.F. durch einen Vertragspartner, der den Versicherten von der Krankenkasse zu benennen ist. Hierbei dürfte auch kein Wahlrecht zwischen den Ausschreibungsgewinnern bestehen (Knispel, GesR 2008, 273 (273)). Ausnahmsweise können Versicherte gemäß § 33 Abs. 6 Satz 3 1. Hs. SGB V n.F. einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht; dadurch entstehende Mehrkosten haben sie jedoch selbst zu tragen (§ 33 Abs. 6 Satz 3 2. Hs. SGB V n.F.). Diese Regelung ist damit begründet worden, dass das vorrangig gemäß § 127 Abs. 1 SGB V n.F. einzusetzende Instrument der Ausschreibung wirkungsvoll genutzt werden solle. Dies ist nach Ansicht des Gesetzgebers nur möglich, wenn die gesetzliche Krankenkasse auch die vertraglich gegenüber dem Ausschreibungsgewinner begründete Abnahmeverpflichtung erfüllen kann (BT-Drs. 3100, S. 103 zu § 33).

Die Umstellung des Leistungserbringerrechts ab dem 01.04.2007 durch das GKV-WSG im Bereich der Hilfsmittel von einem breiten Spektrum, aufgrund Zulassungserteilung versorgungsberechtigter Leistungserbringer auf wenige Lieferanten, zu denen vertragliche Beziehungen bestehen, hat der Gesetzgeber mit einer Stärkung des Vertrags- und Preiswettbewerbs begründet (16/3100 S. 141 zu § 127) und daran die Hoffnung auf die wirtschaftlich günstigste Versorgung der Versicherten geknüpft. In der in § 127 Abs. 1 (Ausschreibung), Abs. 2 (Rahmenverträge) und Abs. 3 SGB V n.F. (Einzelvereinbarungen) vorgesehenen "Hierarchie der Vertragsgestaltungen" (Knispel, a.a.O., 273) kommt diese Zielrichtung deutlich zum Ausdruck. Um den bisher an der Versorgung der gesetzlich Versicherten beteiligten zugelassenen Leistungserbringern zu ermöglichen, sich auf die geänderten Marktbedingungen einzustellen (BT-Drs 16/3100 S. 141 zu § 126) hat der Gesetzgeber die Übergangsfrist des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. geschaffen. Diese Regelung wird allerdings durch die faktische Aufhebung des Wahlrechts der Versicherten in § 36 Abs. 6 SGB V wieder relativiert. Hätte der Gesetzgeber über § 33 Abs. 6 SGB V n.F. nicht die Einschränkung des Wahlrechts der Versicherten normiert, so wäre das Erreichen des dem Ausschreibungsgewinner in Aussicht gestellten Umsatzes - und damit der Sinn und Zweck des gesamten Ausschreibungsverfahrens - gefährdet (Knispel, a.a. O., 274).

Mit dem SG ist davon auszugehen, dass sich allein aus dem Wortlaut des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. keine Einschränkung der am Stichtag (31.03.2007) zugelassen Leistungserbringer, bis zum Ablauf der Übergangsfrist weiterhin an der Versorgung der Versicherten beteiligt zu sein, ergibt. Bei systematischer Auslegung unter Einbeziehung der Regelung des § 33 Abs. 6 SGB V n.F. spricht jedoch mehr dafür, dass die Rechte der zugelassenen Leistungserbringer nach Abschluss und Maßgabe des Ausschreibungsverfahrens gemäß § 127 Abs. 1 SGB V n.F. zugunsten des Ausschreibungsgewinners einzuschränken sind (Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.04.2008 - Az.: L 1 B 207/08 KR ER, Juris; LSG NRW, Beschluss vom 21.07.2008 - Az.: L 16 B 10/08 KR ER, sozialgerichtsbarkeit.de; Knispel, a.a.O., 274; a.A.: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.02.2008 - Az.: L 1 B 41/08 KR ER, GesR 2008, 272; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.06.2008 - Az.: L 11 KR 2438/08 ER, sozialgerichtsbarkeit.de). Der Gesetzgeber hätte kaum ab dem 01.04.2007 den Vertragsvarianten gemäß § 127 Abs. 1, 2 und 3 SGB V n.F. den Vorrang vor der Zulassungsvariante des § 126 Abs. 1 SGB V a.F. eingeräumt, wenn über die uneingeschränkte Anwendung der Übergangsfrist des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. eine Umstellung beim Leistungserbringerrecht auf Verträge erst zum 01.01.2009 erfolgen könnte (Knispel, a. a. O., S. 274).

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es bei dieser Betrachtungsweise Krankenkassen in der Hand haben, durch kurzfristig durchgeführte Vergabeverfahren die Übergangsregelung des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. zu unterlaufen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass § 126 Abs. 2 SGB V n.F. nach der gesetzlichen Konzeption von vornherein nur unter dem "Vorbehalt" des abgeschlossenen Vergabeverfahrens steht. Auch unter Berücksichtigung der oben skizzierten Grundsätze garantiert § 126 Abs. 2 SGB V n.F. auch in der Umstellungsphase von Zulassung auf Vertrag eine uneingeschränkte Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln durch geeignete Leistungserbringer. Denn während der Übergangszeit müssen sich zugelassene Leistungserbringer nicht um den Abschluss neuer Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V bemühen. Sie haben die Möglichkeit, ggf. auf der Basis des niedrigsten Preises, der für eine vergleichbare Leistung mit anderen Leistungserbringern vereinbart wurde (§ 33 Abs. 7 SGB V), mit den Krankenkassen abzurechnen (Knispel, a.a.O., 274).

Nach alledem ist die Antragstellerin seit Erteilung des Zuschlages an die Firma schwa-medico - vom Ausnahmefall des § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V abgesehen - nicht mehr berechtigt, Versicherte der Antragsgegnerin mit TENS- und EMS-Geräten zu beliefern. Auf die Übergangsregelung des § 126 Abs. 2 SGB V kann sie sich nicht mit Erfolg berufen.

Da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist, kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG. Der Senat folgt insoweit den Erwägungen des SG in dem Streitwertbeschluss vom 26.05.2008.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG). Die Zulassung einer weiteren bzw. außerordentlichen Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) entgegen dem Wortlaut des § 177 SGG kam auch vor dem Hintergrund der divergierenden Auffassungen in der Rechtsprechung zur Auslegung des § 126 Abs. 2 SGB V n.F. und deren Auswirkungen in der Praxis nicht in Betracht (vgl. BSG, Beschluss vom 24.01.2008 - Az.: B 3 SF 1/08, Rn. 11 a.E., Juris, m.w.N.; Keller, jurisPR-SozR 15/2008, Anm. 5, m.w.N.).

Referenznummer:

R/R3075


Informationsstand: 27.10.2008