Urteil
Krankenversicherung - Hilfsmittel - kein Anspruch auf Versorgung mit einem UV-Therapiessystem zur Eigenbehandlung der sogenannten Weißfleckenkrankheit

Gericht:

LSG Baden-Württemberg 11. Senat


Aktenzeichen:

L 11 KR 3941/11 ER-B


Urteil vom:

09.10.2011


Leitsätze:

Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung haben keinen Anspruch auf Versorgung mit einem UV-Therapiessystem (hier: Ganzkörperbestrahlungsgerät UV 100L mit Schmalband UVB-Lampenbestückung [311nm] zur Bestrahlung in Heimbehandlung.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4-...

Rechtsweg:

SG Konstanz Urteil vom 05.08.2011 - S 2 KR 1421/11 ER

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 05.08.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig. Das Beschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (§ 202 Sozialgerichtsgesetz - SGG - iVm § 572 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Im vorliegenden Fall geht der Senat davon aus, dass die Beschwerde nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 Hs 1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung von Art 6 Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl I S 1127) ausgeschlossen ist. Im Übrigen ist die Beschwerde gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet; das Sozialgericht Konstanz (SG) hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf (vorläufige) Überlassung eines UV-Therapiesystems für den Heimbereich UV 100L mit Schmalband UVB-Lampenbestückung (311 nm) zur Eigenbehandlung ihrer Vitiligo (sog Weissfleckenkrankheit).

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242).

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sind nicht erfüllt; es fehlt sowohl an einem Anordnungsgrund als auch an einem Anordnungsanspruch.

Eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ist schon deshalb nicht gegeben, weil die Antragsgegnerin der Antragstellerin die medizinisch notwendige Behandlung und insoweit auch die UV-Bestrahlung in einer Facharztpraxis im Wege der Sachleistung zur Verfügung stellt. Der Antragstellerin ist es auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie ein zweijähriges Kind zu betreuen hat, ohne Weiteres zuzumuten, drei Mal in der Woche oder erforderlichenfalls auch werktäglich die in 19.2 km Entfernung befindliche dermatologische Arztpraxis aufzusuchen.

Es besteht aber auch kein Anordnungsanspruch. In der Hauptsache begehrt die Antragstellerin die Kostenübernahme für ein UV-Therapiesystem, Ganzkörperbestrahlungsgerät UV 100L mit Schmalband UVB-Lampenbestückung (311 nm) der Firma W. Medizintechnik, V.-S. bzw die Versorgung mit einem diesem Gerät entsprechenden Therapiesystem. Ein solcher Anspruch ist nicht gegeben. Die Antragstellerin hat weder einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit einem UV-Therapiesystem zur Heimbehandlung noch einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das von ihr ausgewählte Gerät der Firma W. Medizintechnik.

Rechtsgrundlage für dieses Klagebegehren ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der ab 01.04.2007 geltenden Fassung des Art 1 Nr 17 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.03.2007 (BGBl I S 378). Danach haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen (BSG 10.03.2011, B 3 KR 9/10 R, juris). Der Versorgungsanspruch nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V besteht weder allein aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung (§ 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V) des UV-Therapiesystems der Firma W. Medizintechnik, H. W. GmbH & Co KG, V.-S., UV 100L, Schmalband UVB (311nm), vom 31.08.2010 noch ist der Anspruch schon deshalb ausgeschlossen, weil das konkrete Gerät im Hilfsmittelverzeichnis nicht gelistet ist. Das vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf der Grundlage von § 139 SGB V erstellte Hilfsmittelverzeichnis legt die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber den Versicherten nicht verbindlich und abschließend fest. Es schließt weder Hilfsmittel von der Versorgung der Versicherten aus, die den gesetzlichen Anforderungen des § 33 SGB V genügen (BSG SozR 4-2500 § 127 Nr 2 RdNr 10), noch besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die zwar im Hilfsmittelverzeichnis verzeichnet, für die aber nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt sind. Den Krankenkassen steht vielmehr ein eigenes Entscheidungsrecht zu, ob ein Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V zur medizinischen Rehabilitation, also zur Sicherung des Erfolges der Krankenhausbehandlung, zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung, im Einzelfall erforderlich ist; dabei können die Krankenkassen zur Klärung medizinisch-therapeutischer Fragen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nach § 275 Abs 3 SGB V einschalten (BSG 10.03.2011, aaO, unter Hinweis auf BSG Urteil vom 07.10.2010, B 3 KR 13/09 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 31).

Die Heimbehandlung mit dem beantragten Bestrahlungsgerät ist weder notwendig noch zweckmäßig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Heimbehandlung mit Bestrahlungsgerät der ambulanten Behandlung in der ärztlichen Praxis nicht überlegen ist und lediglich Erleichterungen für den Versicherten bei der Koordinierung seiner Krankenbehandlung mit seinen beruflichen und sonstigen (Alltags-)Pflichten bringt. Dieser Gesichtspunkt kann aber die Notwendigkeit eines solchen Geräts zur Heimtherapie nicht begründen. Denn die Notwendigkeit einer Leistung kann nur bejaht werden, wenn hierfür medizinisch-wissenschaftliche Gründe sprechen. Betriebliche bzw berufliche Erfordernisse können in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden. Die Substitution einer möglichen ambulanten ärztlichen Behandlung durch die Gewährung des Gerätes, welches die Eigenbehandlung ermöglicht, kommt allenfalls in Betracht, wenn dem Versicherten das Aufsuchen einer Arztpraxis nicht möglich ist (so zu einem vergleichbaren Fall Urteil des erkennenden Senats vom 15.05.2007, L 11 KR 4808/06, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dies ist hier nicht der Fall.

Der von der Antragstellerin geforderte Einsatz eines Bestrahlungsgerätes zur Heimbehandlung ist auch deshalb nicht zweckmäßig, da die Wirkung der Bestrahlung und deren Auswirkung auf das Behandlungsziel nicht durch einen Arzt kontrolliert wird. Bei unsachgemäßer Anwendung kann es zu erheblichen akuten ("Sonnenbrand"), aber auch chronischen Schäden (Hautkrebs) kommen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des MDK vom 10.01.2011. Es ist daher gerade bei einer schweren und hartnäckigen Erkrankung die Gefahr einer übermäßigen Anwendung gegeben und daher erforderlich, dass ein Arzt erreichbar oder für Rückfragen und Kontrollen zur Verfügung stehe. Zum Schutze der Patienten muss die intensive UV-Bestrahlung unter ärztlicher Aufsicht erfolgen (Urteil des Senats vom 15.05.2007, aaO). Auch der die Antragstellerin behandelnde Hautarzt Dr R. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 07.07.2011 in einer für den Senat überzeugenden Weise darauf hingewiesen, dass im häuslichen Bereich eine sichere Anwendung durch das begehrte Bestrahlungsgerät ohne gesundheitliche Gefahren für die Antragstellerin nicht gewährleistet ist. Im Hinblick darauf treten die von der Antragstellerin beklagten organisatorischen und monetären Gesichtspunkte in den Hintergrund. Ausreichend und zweckmäßig ist daher die von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellte ambulante Behandlung in einer Facharztpraxis.

Schließlich folgt zugunsten der Antragstellerin auch nichts aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891), denn das BVerfG hat eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass aus dem Grundgesetz keine konkreten krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche hergeleitet werden können, nur für lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen, für die eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe, gemacht. Um einen vergleichbaren Sachverhalt geht es bei der Antragstellerin nicht. Sie leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Außerdem gewährt ihr die Antragsgegnerin die notwendige Behandlung in einer Arztpraxis als Sachleistung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R3936


Informationsstand: 27.06.2012