Urteil
Kostenfreistellungsanspruch für die Mietkosten eines Paresestimulationsgerätes

Gericht:

LSG Hamburg 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 KR 15/10


Urteil vom:

18.07.2012


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1966 geborene Kläger leidet unter einer fortschreitenden amyotrophen Lateralsklerose, die sich anfangs in einer rechtsseitigen Fußheberschwäche zeigte und mittlerweile zu einer ausgeprägten Gehbehinderung mit Rollstuhlpflicht geführt hat.

Sein behandelnder Arzt, der Facharzt für Innere Medizin O.M., verordnete ihm erstmals für die Zeit vom 15. Januar bis 14. April 2008 ein Paresestimulationsgerät, welches ihm von der K. GmbH zur Verfügung gestellt wurde. Die Mietkosten für diesen Zeitraum wurden von der Beklagten übernommen.

Aufgrund einer weiteren Verordnung des Arztes M. vom 22. August 2008 übersandte die K. GmbH der Beklagten einen Kostenvoranschlag über die Mietkosten für die Zeit vom 15. April bis 14. Juli 2008 in Höhe von EUR 353,43. Nachdem der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) in seiner Stellungnahme vom 27. Juni 2008 die medizinische Notwendigkeit der Versorgung mit einem Paresestimulationsgerät verneint hatte, lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 8. Juli 2008 gegenüber dem Kläger ab. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und berief sich darauf, dass die Kosten für den ersten Verordnungszeitraum genehmigt worden seien.

Aufgrund weiterer ärztlicher Verordnungen vom 18. August 2008 und 7. Oktober 2008 übersandte die K. GmbH der Beklagten Kostenvoranschläge über die Mietkosten für die Zeit vom 26. August bis 25. November 2008 sowie vom 15. Oktober 2008 bis 14. Januar 2009 in Höhe von jeweils EUR 353,43. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2008 fragte sie bei der Beklagten an, wann mit einer Kostenübernahme zu rechnen sei.

Nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 15. Oktober 2008 daran festhielt, dass ein relevanter Therapieeffekt durch das verordnete Hilfsmittel nicht zu erwarten sei, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2008 zurück.

Mit der dagegen gerichteten Klage hat der Kläger vorgetragen, dass das Gerät der Verschlimmerung seiner Erkrankung entgegenwirke. Es gehe ihm um einen Freistellungsanspruch, da er bisher keine Kosten verauslagt habe. Da die K. GmbH ein kundenfreundliches Unternehmen sei, bestehe sie bis zum Ausgang des Rechtsstreits nicht auf eine Bezahlung. Sie habe auch noch keine Rechnung erstellt, da sonst eine automatische Kontrolle des Zahlungseingangs mit nachfolgendem Mahnvorgang unvermeidlich wäre. Der Kläger habe aber natürlich als Empfänger des Gerätes eine Zahlungsverpflichtung gegenüber der K. GmbH. Er habe das Gerät am 25. November 2008 zurückgegeben, sodass die Freistellung von Mietkosten für die Zeit vom 15. April bis 25. November 2008 in Höhe von insgesamt EUR 879,64 begehrt werde. Der Kläger hat hierzu eine Kostenaufstellung der K. GmbH vom 2. Juli 2009 eingereicht, in der bescheinigt wird, dass für die Nutzung des Elektrotherapiegerätes in der Zeit vom 15. Januar bis 25. November 2008 Mietkosten in Höhe von EUR 1.240,93 entstanden seien.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 14. Januar 2010 - dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 21. Januar 2010 - abgewiesen und ausgeführt, der geltend gemachte Freistellungsanspruch scheitere daran, dass der Kläger den erforderlichen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Er habe nämlich das Gerät über den 14. April 2008 hinaus genutzt, ohne rechtzeitig vorher eine neue Verordnung einzureichen und die Entscheidung der Beklagten abzuwarten.

Der Kläger hat dagegen am Montag, den 22. Februar 2010 Berufung eingelegt und trägt vor, die Beklagte habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, indem sie das Gerät für den ersten Verordnungszeitraum genehmigt habe. Insofern habe er erwarten dürfen, dass die Bewilligung auch für Folgezeiträume erfolgen werde, sodass ihm nicht vorgehalten werde könne, die Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet zu haben. Für die Zeit nach der Erteilung des Ablehnungsbescheides komme es darauf an, ob die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe, was durch medizinische Ermittlungen zu klären sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 zu verurteilen, den Kläger von den Zahlungsansprüchen der Firma K. wegen der Miete des Paresestimulationsgerätes in der Zeit vom 15. April bis 25. November 2008 in Höhe von EUR 879,64 freizuhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass sie die Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt habe, weil bei der vorliegenden Diagnose ein Wirksamkeitsnachweis der Therapie nicht erbracht sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Hamburg Urteil vom 14.01.2012 - S 23 KR 356/09

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist nicht begründet, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Kostenfreistellungsanspruch nicht zu.

Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) besteht ein Kostenerstattungsanspruch, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Die Erstattung von Kosten nach § 13 Abs. 3 SGB V setzt sowohl begrifflich als auch nach Sinn und Zweck der Regelung voraus, dass dem Versicherten Kosten auch entstanden sind. Da der Anspruch nicht von einer tatsächlich geleisteten Zahlung abhängig ist, reicht es allerdings aus, wenn der Versicherte einer Forderung des Leistungserbringers ausgesetzt ist; insoweit umfasst § 13 Abs. 3 SGB V auch den entsprechenden Freistellungsanspruch (BSG, Urteil vom 23.07.1998 - B 1 KR 3/97; BSG Urteil vom 28.03.2000 - B 1 KR 21/99 R; beide Juris).

Die Voraussetzungen eines solchen Freistellungsanspruchs sind vorliegend nicht erfüllt, denn es fehlt an einer schuldrechtlichen Zahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber der K. GmbH.

Nach dem System der gesetzlichen Krankenversicherung stellen die Krankenkassen ihren Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sachleistungen kostenfrei zur Verfügung (§ 2 SGB V). Sie bedienen sich dabei zugelassener Leistungserbringer, mit denen sie entsprechende Verträge schließen. Die Versicherten erhalten die Leistungen unentgeltlich und die Vergütung erfolgt im Verhältnis zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer. Vor diesem Hintergrund kommt ein Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch aus § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V ausschließlich in Fällen in Betracht, in denen sich der Versicherte bewusst außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln lässt und einen entsprechenden schuldrechtlichen Vertrag mit dem Leistungserbringer abgeschlossen hat. Er scheidet dagegen aus, wenn sowohl der Versicherte als auch der Leistungserbringer im Zeitpunkt der Leistung davon ausgingen, dass eine Sachleistung auf Kosten der Krankenkasse erbracht werden sollte. In diesem Fall muss der Leistungserbringer einen etwaigen Streit über die Leistungspflicht der Krankenkasse unmittelbar mit dieser austragen (BSG, Beschluss vom 01.12.2011 - B 3 KR 17/11 B; BSG, Urteil vom 09.10.2001 - B 1 KR 6/01; beide Juris; Helbig in jurisPK-SGB V § 13 Rn. 46).

So liegt der Fall hier. Eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung über eine Zahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber der K. GmbH ist nicht geschlossen worden. Der Kläger trägt vielmehr selbst vor, dass er aufgrund der Bewilligung des ersten Verordnungszeitraumes davon ausgegangen ist, das Gerät weiterhin auf Kosten der Beklagten - also im Wege der Sachleistung - nutzen zu können. Dementsprechend waren alle vorliegenden Kostenvoranschläge sowie auch die Zahlungserinnerung vom 21. Oktober 2008 nicht an den Kläger, sondern an die Beklagte adressiert und wurden von dem Leistungserbringer direkt an diese geschickt. Eine Rechnung hat der Kläger vom Leistungserbringer nie erhalten, vielmehr wurde er jeweils nach dem Ende eines Versorgungszeitraums von ihm aufgefordert, eine neue Verordnung einzureichen. Auch die Bescheinigung des Leistungserbringers vom 2. Juli 2009 ist nicht als Rechnung, sondern lediglich als Kostenaufstellung überschrieben. Entgegen seiner Auffassung ist durch die bloße Entgegennahme und Nutzung des Hilfsmittels eine Zahlungsverpflichtung des Klägers nicht begründet worden. Denn ein Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten scheidet gerade aus, wenn Leistungserbringer und Versicherter davon ausgingen, dass es sich bei der Leistung um eine Sachleistung der Krankenkasse gehandelt hat (BSG, Urteil vom 09.10.2001, a.a.O.).

Schließlich kommt auch eine Zahlungsverpflichtung des Klägers aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) nicht in Betracht, da eine Zurverfügungstellung des Hilfsmittels auf eigene Kosten weder dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Klägers noch seinem Interesse entsprach. Ein Bereicherungsanspruch (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB) scheitert daran, dass zwischen dem Kläger und der K. GmbH kein Leistungsverhältnis bestand (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.2001, a.a.O.).

Auf die Frage, ob der Kläger den von § 13 Abs. 3 SGB V vorausgesetzten Beschaffungsweg eingehalten hat, kommt es daher nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision gegen das Urteil ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. SGG nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R5214


Informationsstand: 14.12.2012