Urteil
Krankenversicherung - Kostenerstattung - Genehmigungsfiktion - Zuordnung von Hilfsmitteln zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation - Anspruch auf Versorgung mit einem Fußhebersystem

Gericht:

SG Berlin 89. Kammer


Aktenzeichen:

S 89 KR 2036/15


Urteil vom:

19.10.2016


Grundlage:

Leitsatz:

Hilfsmittel nach § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB 5) gehören nicht bereits deshalb zu den Leistungen der "medizinischen Rehabilitation" i.S. des § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB 5, weil sie (auch) dem Behinderungsausgleich dienen und nach dem Verständnis des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB 9) Leistungen der medizinischen Rehabilitation sein können.

Allein aus der Erwähnung der Hilfsmittel als Leistung der medizinischen Rehabilitation in § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB 9 folgt kein deckungsgleiches Verständnis im SGB 5, speziell des § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB 5. In systematischer und funktionsadäquater Auslegung erfasst der Begriff in Abs. 3a Satz 9 vielmehr die spezifisch krankenversicherungsrechtlichen Leistungen zur Rehabilitation der § 40 ff. SGB 5 und dabei auch solche Einzelleistungen, die das SGB 5 als ambulante Leistungen kennt, die aber als Bestandteil oder im Zusammenhang mit der Leistung nach § 40 ff. SGB 5 erbracht werden.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einem Hilfsmittel des Typs Ness L300 Plus gemäß Kostenvoranschlag vom 26.03.2015 des Sanitätshauses O.GmbH zu versorgen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung eines Fußhebersystems mit Oberschenkelsystem.

Der am 1946 geborene Kläger leidet seit einem Schlaganfall (1988) an einer Fußhebeschwäche. Er beantragte am 26.3.2015 unter Übersendung einer ärztlichen Verordnung über Bio Ness 300 Plus Fußhebersystem mit Oberschenkelsystem (10.3.2015) mit Kostenvoranschlag die Bewilligung desselbigen.

Die Beklagte schickt Antrag und Akte am 2.4.2015 an den MDK zur Erstellung eines Gutachtens m.d.B. um eine körperliche Untersuchung und Prüfung, ob die Versorgung medizinisch nachvollziehbar sei.

Der MDK bat die Beklagte am 13.4.2015 um Übersendung ergänzender Unterlagen in Gestalt u.a. einer Videodokumentation über die Testversorgung des Klägers mit Bio Ness Plus 300 Fußhebersystem. Am 17.4.2015 erstattet der Gutachter ein Gutachten (nach Aktenlage).

Am 18.5.2015 lehnte die Beklagte die Versorgung ab, sie sei nach Auffassung des MDK medizinisch nicht indiziert, empfohlen werde eine Versorgung mit einer dynamischen Fußhebeorthese Carbon

Am 14. Juli 2015 hat der Kläger Klage erhoben.

Es handele sich um ein Medizinprodukt und versetze ihn in die Lage, wieder besser laufen zu können, das Hilfsmittel sei von der Rechtsprechung bereits als kostenübernahmefähig anerkannt worden. Eine Entscheidung oder Mitteilung eines erheblichen Grundes, warum über den Leistungsantrag nicht entschieden werden könne, sei nicht erfolgt. Die Ablehnung der Leistung erfolgte am 18.5.2015, die Dreiwochenfrist des § 13 Abs. 3a SGB V sei am 16.6.2015 (gemeint wohl der 16.4.2015) abgelaufen, die Fünfwochenfrist am 30.4.2015.

Gegen den ablehnenden Bescheid vom 18.5.2015 habe der Kläger Widerspruch erhoben. Über den Widerspruch vom 3.6.2015 habe die Beklagte nicht entschieden, mittlerweile sei die Untätigkeitsklage statthaft (3.2.2016). Hilfsmittel seien keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Sinne der Genehmigungsvorschrift


Er beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einem Hilfsmittel des Typs Ness L300 Plus gemäß Kostenvoranschlag vom 26.03.2015 des Sanitätshauses O.GmbH zu versorgen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Widerspruch sei gegen die ablehnende Entscheidung nicht erhoben worden. Soweit er vom Kläger vorgetragen werde, sei er bei ihr nicht eingegangen.

Mit dieser Ablehnung durch Bescheid sei die fingierte Genehmigung des Antrags auf Übernahme der Kosten ermessensfehlerfrei konkludent aufgehoben worden. Die Aufhebung habe nicht ausdrücklich erklärt werden müssen, sie könne auch durch einen konkludenten Verwaltungsakt erfolgen. Es sei zwar kein Ermessen ausgeübt worden, dieses werde aber hiermit nachgeholt; ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers in den Erhalt der Leistung sei nicht gegeben, dies könne nicht durch den Ablauf der Frist für die Genehmigungsfiktion entstehen.

Das BSG habe betont, dass Leistungen der medizinischen Rehabilitation ausgenommen seien, das SGB IX beziehe Hilfsmittel als Leistungen der medizinischen Rehabilitation ausdrücklich ein. Da es sich bei dem Antrag auf ein Fußhebersystem um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation handele, finde § 13 Abs. 3a SGB V keine Anwendung

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel Bio Ness L300 Plus gemäß dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses O.GmbH.

I. Anspruchsgrundlage für den Kläger ist § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der ab dem 26.2.2013 geltenden Fassung vom 20.2.2013 (BGBl. I, 277).

Nach dessen Abs. 3a Satz 1 - 3 hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten.

Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6).

II. Die Voraussetzungen der genehmigten Leistung nach Satz 6 und damit des daraus folgenden Leistungsanspruchs sind für den Kläger erfüllt. Der (sachliche) Anwendungsbereich der Vorschrift ist eröffnet (1.), die von dem Kläger beantragte Leistung, konkret das benannte Hilfsmittel, gilt als genehmigt (2.). Ein (weiterer) Verwaltungsakt hat nicht zu ergehen (3.).

1. § 13 Abs. 3a SGB V ist sachlich anwendbar.

Abs. 3a Satz 9 bestimmt dazu:

"Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen."

Der Kläger verlangt mit der Klage keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Der mit Satz 9 im Gesetz angelegte Anwendungsausschluss oder positiv formuliert begrenzte Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion des Abs. 3a Satz 6 und der Vorrang der §§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) erfasst das vom Kläger begehrte Hilfsmittel nicht.

Dieses stellt eine Leistung der Krankenbehandlung i.S. des SGB V dar. Das folgt aus Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck.

a. Der klägerische Verweis auf die Reha-Richtlinien des G-BA, die nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 SGB V trägt dagegen nicht. Als untergesetzliches Recht können die Richtlinien nicht selbst Gesetzesbegriffe konkretisieren.

b. Demgegenüber hat das BSG in der jüngsten (ersten) Entscheidung zur Regelung des Satz 9 darauf hingewiesen, dass die Vorgaben und das Fristenregime der §§ 14, 15 SGB IX für Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht zur Mechanik des § 13 Abs. 3a SGB V passen und so die Notwendigkeit der Bestimmung erklärt (BSG, Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R Rn. 15).

Weiter weist das BSG zum Inhalt des Begriffs darauf hin:

"Der Begriff der Leistungen zur medizinischen Reha ist funktionsadäquat auszulegen: Einerseits umfasst er in einem weiten Sinne Leistungen, die eine KK als erstangegangener Reha-Träger nach dem Recht des eigentlich zuständigen Trägers zu erbringen hat, wenn sie den Antrag nicht weiterleitet und deshalb im Außenverhältnis zum zuständigen Träger wird. Die in § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich in diesem Falle im Außenverhältnis (behinderter Mensch/Reha-Träger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4 RdNr 14 mwN). Einbezogen sind zB Adaptionsmaßnahmen, die eine KK allein nach dem Recht des SGB V nicht leisten müsste (vgl zB BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 16 ff). Dieser Schutzmechanismus darf nicht durch ein zu enges Begriffsverständnis der "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" ausgehebelt werden. Der Entscheidungszeitpunkt der KK spielt hierbei keine Rolle.

Andererseits erstreckt sich dieser Leistungsbegriff in der Regelung des § 13 Abs 3a S 9 SGB V - bei einem Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem engeren Sinne - nur auf die Leistungen zur medizinischen Reha im Sinne des SGB V. Das sind insbesondere die dort als solche bezeichneten Leistungen (§ 40 SGB V), aber auch zB teilweise Arbeitstherapie (vgl zB BSGE 109, 122 = SozR 4-2500 § 42 Nr 1, RdNr 21 ff, 26 mwN). Versicherte der GKV - wie der Kläger - haben gemäß § 11 Abs 2 S 1 SGB V ua Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Reha, die "notwendig sind, um eine Behinderung (...) abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern". Diese Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs 2 S 3 SGB V). Die KKn - gemäß § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX mögliche Träger von Leistungen zur medizinischen Reha - sind nach den Vorschriften des SGB V zur Erbringung medizinischer Reha-Leistungen indes nur unter den dort genannten Voraussetzungen verpflichtet (vgl § 11 Abs 2, § 40 SGB V; BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 18)."

(BSG, Urteil vom 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 16/17)

c. Ausgehend von diesen Grundsätzen und der gebotenen funktionsadäquaten Auslegung des Gesetzesbegriffs ist das vom Kläger begehrte Hilfsmittel keine Leistung der medizinischen Rehabilitation, sondern ein Hilfsmittel im Bereich der Krankenbehandlung. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind Hilfsmittel neben den explizit auch in Abgrenzung zu den Heilmitteln genannten wie Hörhilfen, Körperersatzstücken solche, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen.

Sie sind damit nicht per se auch Leistungen der medizinischen Rehabilitation i.S. des § 13 Abs. 3 Satz 9 SGB V. Das gilt sowohl in Anbetracht der Tatsache, dass im Fall des Klägers nach eigenen Angaben das Hilfsmittel nicht der Therapie, sondern dem Behinderungsausgleich dient als auch der Tatsache, dass auch Hilfsmittel nach dem Verständnis des SGB IX Leistungen der medizinischen Rehabilitation sein können oder Teil einer solchen Leistung.

Das BSG hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen: Der Begriff der medizinischen Rehabilitation ist i.S. des SGB IX weit auszulegen und erstreckt sich "auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in der Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind" (BSG, aaO, Rn. 16). Reha-Träger i.S. des SGB IX können damit alle Träger sein, in deren ursprünglicher Zuständigkeit Reha-Leistungen, auch als solche benannt, vorgesehen sind.

Dazu gehört auch die gesetzliche Krankenkasse. Das SGB V kennt den Begriff der medizinischen Rehabilitation in § 40, § 41 und § 43 SGB V. Als Reha-Träger (i.S. des SGB V) kann damit die Krankenkasse die Norm des § 14 SGB IX und seine Geltung für bestimmte beantragte Leistungen im Verhältnis zum Versicherten nicht damit abwehren, sie könne für diese konkreten Leistungen (nach ihrem angestammten Rechtsregime) kein Reha-Träger sein (vgl. das BSG und seine Feststellung: "Die in § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich in diesem Falle im Außenverhältnis (behinderter Mensch/Reha-Träger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind.").

Damit ist aber nicht gesagt, alle Leistungen der medizinischen Rehabilitation i.S. des SGB IX, speziell des § 26 SGB IX, sind auch solche i.S. des SGB V und speziell des § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V. Allein aus der Erwähnung der Hilfsmittel als Leistung der medizinischen Rehabilitation i.S. von § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX folgt kein deckungsgleiches Verständnis i.S. des SGB V, speziell des § 13 Abs. 3a Satz 9. Wäre das so, wären sämtliche Hilfsmittel des § 33 SGB V bereits deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausgeschlossen. Das BSG hat demgegenüber darauf hingewiesen, der in Satz 9 verwendete Begriff der medizinischen Rehabilitation sei ein engerer (als derjenige des SGB IX).

Dies deckt sich mit der Gesetzesbegründung zu Abs. 3a. Daraus ergibt sich insoweit ein begrenzter Anhalt, das nicht alle in § 26 SGB IX genannten Leistungen solche der medizinischen Rehabilitation i.S. des § 13 SGB V sind.

Sie formuliert:

"Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen. Dies wird ausdrücklich klargestellt. Spezialregelungen im SGB V wie § 32 Absatz 1a sind vorrangig anzuwenden."

(BT-Drucks. 17/10488 S. 32 zu Artikel 2 Nummer 1 - § 13)

Jedenfalls gibt der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf den Vorrang des § 32 Abs. 1a SGB V zu erkennen, dass er Heilmittel grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V zuordnet. Auch diese werden aber in § 26 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX als Leistungen der medizinischen Rehabilitation aufgezählt. Für Hilfsmittel dürfte Entsprechendes gelten.

Mit der Aufforderung, den Begriff der "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" funktionsadäquat auszulegen, weist das BSG den Weg. In einer funktionsbezogenen Betrachtungsweise ist das Fußhebersystem keine Leistung der medizinischen Reha. Funktionsadäquat i. S. des BSG kann in einem doppelten Sinne verstanden werden.

Geht es mit der Verwendung des Begriffs in § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V speziell darum, dem Rechtsregime des §§ 14, 15 SGB IX nur für bestimmte Reha-Leistungen den Vorrang zu gewähren, wäre die Funktion des Satz 9 als eine abgrenzende zum SGB IX angesprochen. Gäbe es diese Kollisionsbestimmung im § 13 SGB V nicht, käme u.U. § 13 Abs. 3a SGB V mit seinen Fristen neben §§ 14, 15 SGB IX nur Anwendung. Fristen und Handlungspflichten der Beteiligten sind aber in beiden Regimen unterschiedlich und nicht kompatibel. Den Grund für die konkret ausgenommenen Leistungen der medizinischen Rehabilitation nennt der Gesetzgeber nicht. Sinn und Zweck des § 13 Abs. 3a SGB V, Patientenrechte zu stärken, sprechen dafür, die Bestimmung eher eng auszulegen und nicht alle Leistungen des § 26 SGB IX darunter zu fassen. Der Anwendungsbereich des Abs. 3a wäre ansonsten ein sehr schmaler, denn § 26 SG IX nennt auch die ärztliche Behandlung, Heilmittel, Arzneimittel als Teil der medizinischen Rehabilitation.

Näher liegender erscheint es, auf die jeweilige Funktion der medizinischen Leistung abzustellen, um sie als eine medizinische Reha-Leistung i.S. des Abs. 3a Satz 9 zu definieren. So bestimmt das SGB V im § 11 Abs. 2, dass Versicherte auch Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen haben, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.

§ 11 Abs. 2 SGB V bestimmt damit zwar die Funktion der Reha-Leistungen, die an eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit anzuknüpfen scheinen. Neben dem darin angelegten Behinderungsausgleich wird aber auch die Abwendung von Behinderung und Pflegebedürftigkeit, damit vorsorgende Leistungen in den Blick genommen. Letztlich ergibt sich zumindest aus der Bestimmung mit ihrem Verweis auch auf unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen, dass die Bestimmung gerade die Leistungen der §§ 40 - 43 SGB V als (typische) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation qualifiziert, denn diese weisen solche ergänzenden Neben-Leistungen klassischerweise auf. Für Hilfsmittel nach § 33 SGB V gilt das dagegen nicht.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind medizinische Rehabilitationsleistungen in § 13 Abs. 3a Satz 9 die spezifisch krankenversicherungsrechtlichen Rehabilitationsleistungen der § 40 ff. SGB V sowie solche Einzelleistungen, die das SGB B als ambulante Leistungen kennt und die als Bestandteil oder im Zusammenhang damit erbracht werden.

Dies wird bestätigt durch das auch sonst gebräuchliche krankenversicherungsrechtliche Verständnis von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

"Leistungen med. Reha und ergänzende Leistungen setzen sich regelmäßig aus unterschiedlichen koordinierten Einzelleistungen zu einer Komplexleistung zusammen (Waßer in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 27 Rn. 27unter Berufung auf BSG, B 1 KR 50/12 Rn. 9)

Soweit das BSG in der Entscheidung vom 8.3.2016 auch die Arbeitstherapie den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuordnet, folgt daraus nichts anderes. In einer früheren Entscheidung führt das Gericht dazu aus:

"§ 42 SGB V definiert den Begriff der Arbeitstherapie nicht näher. Er ergibt sich aus einer Auslegung des Wortlauts in Einklang mit der Gesetzgebungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und -zweck. Danach verfolgt die Arbeitstherapie, regelmäßig ein Mittel der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im SGB V, in erster Linie einen medizinischen Zweck. Sie nutzt den Erwerb und die Verbesserung von Grundarbeitsfähigkeiten, um Krankheiten in einem umfassenden Sinne zu behandeln (vgl § 27 Abs 1; § 11 Abs 1 Nr 4; § 11 Abs 2 SGB V). Die Arbeitstherapie soll neben Grundfertigkeiten - Handfertigkeiten und nicht konkret berufsbezogene handwerkliche Fähigkeiten (vgl dazu BSG SozR 4100 § 101 Nr 7 S 25 f; vgl auch Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten (Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutengesetz - BeArbThG), BT-Drucks 7/3113 S 6) - insbesondere Grundfähigkeiten des Rehabilitanden verbessern, die allgemeine Voraussetzungen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sind (namentlich Motivation, Konzentrationsfähigkeit, Beständigkeit, Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit, Durchsetzungs- und Kooperationsfähigkeit, vgl dazu Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2011, § 42 RdNr 16; Höfler in Kasseler Komm, Stand Juli 2011, § 42 SGB V RdNr 6; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand März 2011, § 42 SGB V RdNr 22). Indem sie Grundarbeitsfähigkeiten fördert, soll Arbeitstherapie gerade durch den Fähigkeitserwerb gezielt Krankheit - im dargelegten umfassenden Sinne - behandeln, insbesondere die Persönlichkeit in einem sich wechselseitig mit dem Fähigkeitserwerb bedingenden Prozess stabilisieren

(BSG, Urteil vom 13. September 2011 - B 1 KR 25/10 R -, BSGE 109, 122-133, SozR 4-2500 § 42 Nr 1, SozR 4-2600 § 15 Nr 4, SozR 4-3250 § 26 Nr 2, Rn. 21)

Daraus wird deutlich, dass in Abgrenzung zu Leistungen nach anderen Rehabilitations-Grundlagen, wie das SGB VI und SGB IX aus Sicht des SGB V der medizinische Zweck im Vordergrund steht, damit eine Krankheitsbehandlung in einem umfassenden Sinne. Gehört dazu seit jeher auch der Behinderungsausgleich (vgl. § 33 SGB V), führt allein da nicht dazu, diesen als Leistungen der medizinischen Rehabilitation i.S. des § 13 Abs. 3a Satz 9 zu qualifizieren.

Gleiches gilt, soweit das BSG z.B. Hörgeräte als Hilfsmittel der GKV auch dem Regime des § 14 SGB IX unterstellt. In der Entscheidung vom 24.1.2013 bezeichnet das Gericht diese als Teilhabeleistungen iS von § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (B 3 KR 5/12 R - BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, Rn. 20/21). Diese Sichtweise ist jedoch dem speziellen weiten Verständnis des § 14 SGB IX geschuldet, welcher im Außenverhältnis zum Versicherten eine Zuständigkeitskonzentration für Teilhabeleistungen bewirkt (dazu bereits oben II. 1., vgl. zu diesem weiten Verständnis im Gegensatz zum engeren des § 13 Abs. 3 Satz 9 SGB V, BSG, Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 16/17).

Hilfsmittel i.S. des SGB V wie das begehrte Fußhebersystem können danach zwar Gegenstand von solchen medizinischen Reha-Leistungen i.S. des SGB V sein, sind es aber nicht unabhängig von ihrem konkreten Einsatz. Dafür spricht auch die Begründung des BSG vom 8.3.2016 für die von ihm zu prüfende Leistung der (ambulanten) Psychotherapie. Dazu führt es aus:

"Speziell für Psychotherapie unterscheidet das SGB V zwischen ärztlicher Behandlung einschließlich Psychotherapie (vgl § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V) als einem Teilbereich ambulanter Krankenbehandlung einerseits (vgl zu diesem Begriff in Abgrenzung zur ambulanten Reha § 40 Abs 1 S 1 SGB V) und Leistungen zur medizinischen Reha, zu deren Bestandteilen auch Psychotherapie gehören kann, und ergänzenden Leistungen andererseits (vgl § 27 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V)."

(BSG, Urteil vom 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 18)

Dies wird bestätigt durch die Kommentarliteratur: "Kann eine Leistung, wie beispielsweise Psychotherapie, der Art nach sowohl medizinische Rehabilitation als auch Krankenbehandlung sein, geben die konkreten Behandlungsumstände den Ausschlag."

(Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 76.1)

Ausgehend davon handelt es sich bei dem vom Kläger begehrten Hilfsmittel um eine Leistung der Krankenbehandlung und nicht um einen Bestandteil einer (krankenversicherungsrechtlichen) Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach §§ 40 - 43 SGB V. Der Kläger hat - auch in der mündlichen Verhandlung - ausgeführt, diese anstatt der vorhandenen Orthesen laufend tragen zu wollen, um seine Gehfähigkeit im Alltag zu verbessern. Therapeutische Effekte erwartet er nicht. Sie werden auch vom Hersteller selbst in seinem solchen Fall nicht behauptet. Eine Leistung nach § 40 - 43 SGB V ist damit nicht verknüpft. Damit handelt es sich um ein Hilfsmittel, welches dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient.

2. Das beantragte Hilfsmittel gilt als genehmigt, denn die Voraussetzungen liegen vor.

a. Die Beklagte hat die hier einschlägige 5-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V - was im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht eingehalten und dem Kläger die Gründe hierfür nicht vor Ablauf der Frist und damit rechtzeitig mitgeteilt.

Die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V SGB X i. V. m. §§187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB beginnt am auf den Antragseingang folgenden Tag und endet mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs entspricht. Der Antrag des Klägers ist am 26.03.2013 bei der Beklagten eingegangen. Die Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers erfolgte aber erst am 18.5.2016 und damit außerhalb der fünfwöchigen Frist, ausgehend vom 27.3.2016, dem Tag nach dem Antragseingang.

Eine den Eintritt der Genehmigungsfiktion verhindernde schriftliche Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V erfolgte gegenüber dem Kläger nicht.

b. Der Antrag des Klägers betraf eine Leistung, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Das Hilfsmittel wurde als solches, worauf der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, bereits von Gerichten in Klageverfahren Versicherten zugesprochen. Auf seinen (nachgewiesenen) therapeutischen Nutzen oder die Frage der Tauglichkeit zum Behinderungsausgleich speziell für den Kläger, die der MDK in seinen Stellungnahmen begründet in Abrede gestellt hat, kommt es nicht an (BSG, Urteil vom 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 25)

c. Die fingierte Genehmigung bestand und besteht fort. Sie wurde nicht durch die von der Beklagten am 18.5.2016 erfolgte Ablehnungsentscheidung über das beantragte Hilfsmittel aufgehoben oder sonst berührt.

Das BSG führt dazu aus, dass eine fingierte Genehmigung - wie jene des Klägers - wirksam bleibt, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl § 39 Abs 2 SGB X; vgl hierzu bei nicht fingierter Genehmigung zB BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 24; rechtsähnlich BVerwGE 48, 87, 90, 92 ff zu § 19 Abs 4 S 3 BBauG vom 23.6.1960, BGBl I 341; vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 31)

Konkret weist das BSG auf folgendes hin:

"Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§ 13 Abs 3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die spätere Mitteilung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und die Information der Therapeutin über das Gutachten lassen die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion unberührt; die Ablehnung der Leistung regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl hierzu §§ 45, 47 SGB X)."

(BSG, Urteil vom 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 32)

Damit steht die spätere Ablehnung der Beklagten, die keine Aufhebungsentscheidung enthält, selbständig neben der Genehmigungsfiktion, berührt diese nicht. Damit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger gegen die ablehnende Entscheidung Widerspruch erhoben hat, wofür das eingereichte Fax spricht.

3. Aus der fingierten Genehmigung hat der Kläger einen Anspruch auf Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel. Als fingierter Verwaltungsakt ist sie Grundlage des Anspruchs auf Versorgung, das BSG verweist insoweit auf § 42a VwVfG. Ein weiterer Bewilligungsbescheid hat demzufolge nicht zu ergehen. Der Anspruch erwächst aus der fingierten Genehmigung der Leistung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen des Klägers.

Referenznummer:

R/R7235


Informationsstand: 26.04.2017