1. Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2004 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 410,- Euro zu zahlen.
3. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden der Beklagten auferlegt.
4. Gegen das Urteil wird die Berufung zugelassen.
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Kosten, welche die Klägerin über den von der Beklagten gewährten Festbetrag hinaus für die Versorgung mit einem Hörgerät aufgewendet hat.
Die im Jahre 1969 geborene Klägerin leidet an einer mittelgradigen kombinierten (sowohl schallleitungs- als auch schallempfangsbedingten) Schwerhörigkeit links und an einer leichtgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts.
Ihre behandelnde HNO-Ärztin
Dipl.-Med. T verordnete ihr am 17.04.2003 als Vertragsärztin auf dem dafür vorgesehenen Vordruck die Versorgung mit einer Hörhilfe für das linke Ohr. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der audiometrischen Befunde, wird auf das Original der Verordnung, Bl. 115 der Akten, Bezug genommen.
Die Klägerin stellte sich daraufhin bei dem zugelassenen Hörgeräte-Akustiker,
Fa. Hörtechnik R (nachfolgend: Akustiker), vor, der im Rahmen einer vergleichenden Anpassung insgesamt fünf verschiedene Hörgerät-Typen testete. Unter Störschallbedingungen (Störgeräusch 60
dB, Nutzschall 65
dB) erreichte die Klägerin ein Einsilberverstehen ohne Hörgerät von 10%. Mit den beiden getesteten Geräten, die der Akustiker zum Festbetrag abzugeben bereit gewesen wäre, erzielte die Klägerin eine Verstehensquote von 20%, welche mit dem besten der getesteten Hörgeräte, einem zweikanaligen, digital programmierbaren Gerät (Typ Widex Bravo B2, Hilfsmittelverzeichnis
Nr. 13.20.03.0051) auf 40% verbessert werden konnte. Da dieses Gerät nach den Angaben des Akustikers auf der Rückseite der Verordnung auch im Klang und "beim Toleranztest" für die Klägerin das angenehmste war, entschied sie sich für dieses HdO-Gerät, welches vom Akustiker einschließlich der Schallführungshalterung (Secret Ear) für 1.039,70 Euro angeboten wurde. Zwei weitere, ebenfalls digital programmierbare Geräte, die ebenfalls nicht mehr zum Festbetrag hätten angeboten werden können, erzielten eine Verstehensquote von jeweils 30%. Auf dem Verordnungsvordruck wurden vom Akustiker nur die Ergebnisse der drei digital programmierbaren, nicht jedoch diejenigen der Festbetrags-Geräte eingetragen. Wegen der Anpassergebnisse sämtlicher getesteter Geräte wird insoweit ergänzend auf das Schreiben des Akustikers vom 25.07.2007, Bl. 122 der Akten, Bezug genommen.
Nachdem sich die HNO-Ärztin am 09.10.2003 davon überzeugt hatte, dass diese vom Akustiker vorgeschlagene Versorgung zweckmäßig ist und zu einer ausreichenden Hörverbesserung führt, sowie dies auf dem Vordruck bestätigt hatte, wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 09.10.2003 am 30.10.2003 an die Beklagte und bat um Übernahme der vollen, vom Akustiker veranschlagten Kosten. Bei ihr liege ein Hörkurvenverlauf mit stark eingeengtem Dynamikbereich vor, weshalb sie eine technisch hochwertige Versorgung mit automatischer Regelungsfunktion benötige.
Mit Bescheid vom 04.11.2003 lehnte es die Beklagte ab, Kosten über einen Betrag in Höhe von 529,70 Euro hinaus für die Hörgeräteversorgung zu übernehmen. Nach den geltenden Festbeträgen sei eine wirtschaftliche, zweckmäßige und ausreichende Versorgung nur bis zu dieser Höhe möglich. Sollte die Klägerin eine hochwertige Versorgung zur besseren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben benötigen, sei hierfür laut
SGB IX das Sozialamt zuständig.
Hiergegen erhob die Klägerin am 24.11.2003 Widerspruch mit der Begründung, dass in ihrem Fall eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag nicht möglich gewesen sei. Ausreichend sei in Bezug auf die Versorgung mit Hörhilfen dasjenige, was im Rahmen der technischen Möglichkeiten dem Hörvermögen eines Normalhörenden am nächsten komme, was aus der überragenden Bedeutung des Hörvermögens folge. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2002 folge, dass zunächst zu prüfen sei, ob die festgesetzten Festbeträge der Höhe nach geeignet seien, eine ausreichende Versorgung zuzahlungsfrei zu erreichen.
Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 23.01.2004 ein, wegen deren näheren Inhalts auf Bl. 17-20 der Verwaltungsakten Bezug genommen wird. Zusammenfassend heißt es hierin, dass im Falle der Klägerin eine schwierig zu versorgende, seitenungleiche Hörminderung vorliege, dass mit dem streitigen, hochwertigen, volldigitalen Gerät eine optimale Versorgung erzielt worden sei, dass jedoch keine vergleichsweise Anpassung mit einem zum Festbetrag erhältlichen oder nahe am Festbetrag liegenden Gerät erfolgt sei, weshalb die komplette Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne.
Auf die nach Auffassung des MDK nicht durchgeführte Anpassung mit Festbetragsgeräten wies die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 04.02.2004 hin. Dem trat die Klägerin mit Schreiben vom 12.02.2004 entgegen. Zuzahlungsfreie Geräte seien durchaus getestet worden. Die Beklagte möge sich bei ihrem Akustiker erkundigen. Zugleich wies die Klägerin darauf hin, dass nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (
B 3 KR 7/02 R) der Festbetrag dann nicht maßgeblich sei, wenn er im Einzelfall eine ausreichende Versorgung nicht ermögliche. Nachdem die Klägerin das MDK-Gutachten eingesehen hatte, wiederholte sie diese Einwände mit Telefax-Schreiben vom 01.03.2004.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.04.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nach dem Gutachten des MDK im Falle der Klägerin auch eine Versorgung zum Festbetrag ausreichend gewesen sei. Das von der Klägerin zitierte Urteil des
BSG finde mithin keine Anwendung. Die über den Festbetrag hinausgehenden Kosten der Versorgung fielen daher in den eigenverantwortlichen Beriech der Klägerin.
Hiergegen erhob die Klägerin am 28.04.2004 die vorliegende Klage, mit welcher sie ihr bisheriges Begehren weiter verfolgt.
Zur Begründung wiederholt sie im wesentlichen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Auf Nachfrage des Gerichts hat sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2008 erklärt, dass sie den von ihrem Akustiker nach langem Zuwarten unter dem 07.06.2006 in Rechnung (Bl. 121 der Akten) gestellten ermäßigten Betrag in Höhe von 410 (nach Abzug des von der Beklagten gezahlten Betrages in Höhe von insgesamt 529,70 ) zwischenzeitlich beglichen habe.
Die Klägerin beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2004 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 410,- Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Sie nimmt zur Begründung zum einen Bezug auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden. Zum anderen führt sie aus, dass die mit ihr vertraglich verbundenen Akustiker verpflichtet seien, zum jeweils gültigen Festbetrag mindestens zwei Systeme anzubieten, die geeignet sein müssen, den jeweiligen individuellen Hörverlust auszugleichen. Entscheide der Versicherte sich gleichwohl für eine technisch höherwertige und kostenaufwändigere Versorgung, habe er die entstehenden Mehrkosten (für die eigentliche Versorgung wie für spätere Reparaturen) selbst privat zu tragen. Die Beklagte habe mit der Gewährung des Festbetrages ihren Ermessensspielraum zugunsten der Klägerin ausgeschöpft. Die Vorschriften über das Zustandekommen der Festbeträge seien vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform bestätigt worden.
Das Gericht hat im Juni 2004 zu den seinerzeitigen Festbeträgen für Hörhilfen und zur Frage des Anteils der mit Hörgeräten versorgten gesetzlich Krankenversicherten in der Bundesrepublik, bei denen eine Versorgung mit Festbetragsgeräten ohne Zuzahlung möglich
bzw. tatsächlich erfolgt ist, Auskünfte eingeholt bei der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (biha), dem Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, dem Deutschen Schwerhörigenbund e.V. (DSB), dem
AOK Bundesverband, dem IKK Bundesverband, dem
BKK Bundesverband und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. / Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (VdAK/AEV).
Die vorgenannten Institutionen haben jeweils mit Schreiben aus Juli 2004 unter Beifügung des ihnen vorliegenden statistischen Materials mit unterschiedlichem Umfang Auskünfte erteilt, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 31-106 der Akten und die als Beiakten geführten, in Broschürenform veröffentlichten Studien ("Analyse wettbewerblicher Versorgungswege im Hörhilfenbereich - Ergebnisbericht einer bundesweiten Versichertenbefragung im
BKK-System/Kooperationsprojekt zwischen
BKK Bundesverband und Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V." sowie "Hörgeräte im Wettbewerb - Versorgungswege im Vergleich" des Wissenschaftlichen Instituts der
AOK - WIdO) Bezug genommen wird.
Hiernach ist zusammenfassend festzuhalten, dass bei den um Auskunft gebetenen Institutionen keine umfassenden Daten zu der Frage existieren, wie hoch der Anteil der mit Hörgeräten versorgten Versicherten ist, bei denen eine zuzahlungsfreie Versorgung zu einer technisch optimalen oder anderweitig definiert "ausreichenden" Hörverbesserung geführt hat.
Der erstgenannten Studie lässt sich entnehmen, dass von den 1640 im ersten Quartal 2001 Befragten, die insoweit Angaben gemacht haben, 1373 (83,7%) eine Zuzahlung geleistet haben, während 267 (16,3%) zum Festbetrag versorgt worden sind. Während diese Anteile nicht wesentlich davon abhängen, ob eine Erst- oder Folgeversorgung vorlag, wie hoch der Hörverlust ist und ob eine ein- oder beidseitige Versorgung erfolgte, liegt der Anteil der zuzahlungsfreien Versorgung bei den im sog. direkten oder verkürzten Versorgungsweg (Abgabe des Hörgeräts direkt durch den HNO-Arzt) versorgten Befragten mit 43,8 % (56 von 128 Versicherten) deutlich höher, jedoch noch immer bei weniger als der Hälfte. Der durchschnittliche Zuzahlungsbetrag habe
ca. 1500 DM betragen (bei einohriger Versorgung knapp 1000 DM, bei beidseitiger Versorgung gut 2000 DM), wobei bei den Befragten, die direkt durch den HNO-Arzt versorgt wurden, der Zuzahlungsbetrag durchschnittlich nur etwa halb so hoch lag.
Nach der zweitgenannten Studie, die auf Daten (Befragung von 400 Versicherten) aus dem Jahr 2000 beruht und die hinsichtlich des Anteils der zuzahlungsfreien Versorgungen durch den Akustiker einerseits und bei Online- und Versandhandelversorgung andererseits zu ähnlichen Ergebnissen gelangte (
ca. 15% gegenüber
ca. 80% und
ca. 50%), betrug der durchschnittliche Zuzahlungsbetrag je Hörgerät im Versandhandel
ca. 340 DM, bei Online-Versorgung
ca. 380 DM und bei Versorgung durch den Akustiker
ca. 1200 DM. Abhängig von der Bauart des Geräts (analog, digital programmierbar, volldigital) ergaben sich durchschnittliche Zuzahlungen von
ca. 500 DM,
ca. 1000 DM und
ca. 2700 DM je Gerät. Von allen Befragten habe etwa ein Drittel Zuzahlungen von mehr als 1000 DM pro Gerät geleistet.
Die subjektive Zufriedenheit der Versicherten mit ihrer jeweiligen Versorgung lässt nach den Ergebnissen dieser Studie keinen eindeutigen Bezug weder zur Bauart noch zum Versorgungsweg erkennen. Schließlich lässt sich der Studie entnehmen, dass die Preisspanne für einzelne Hörgerät-Typen im Vergleich des günstigsten zum höchsten Preis um
ca. 25% bis
ca. 100% schwankte, sodass Geräte im unteren Preissegment abhängig vom Anbieter teils zuzahlungsfrei, teils mit Zuzahlungen von bis zu 860 DM abgegeben wurden, während für teurere Geräte die Zuzahlungen zwischen 1000 und 3000 DM variierten. In Form eines Zitats aus der Süddeutschen Zeitung vom 28.04.1999 wird schließlich angegeben, dass jährlich von gesetzlich Versicherten für die Hörgeräteversorgung
ca. 300 Millionen DM Zuzahlungen geleistet würden. An gleicher Stelle (
S. 67f der Studie) findet sich ferner eine, teilweise ebenfalls mit Literaturstellen unterlegte, Kritik an der Undurchschaubarkeit des Hörgerätemarktes und den erheblichen Preisspannen für einzelne Geräte.
Beide Studien enthalten keine Angaben dazu, nach welchen Kriterien die HNO-Ärzte ihre Patienten für den üblichen oder den verkürzten Versorgungsweg ausgewählt haben, insbesondere also, ob beispielsweise nur oder überwiegend solche Patienten im verkürzten Versorgungsweg versorgt worden sind, die an einer Schallleitungsschwerhörigkeit leiden, und welche Vorteile (Provisionen?) die Ärzte im Falle einer solchen Vermittlung von Hörgeräten erhielten.
Die biha verwies in ihrer Stellungnahme auf die ihrer Meinung nach unbefriedigende Situation bei der Hörgeräteversorgung aufgrund der Festbetragsfestsetzung hin. Teilweise seien die Festbeträge im zeitlichen Verlauf noch abgesenkt worden. Die Festbeträge berücksichtigten nicht den besonderen technischen und zeitlichen Aufwand bei der Versorgung, insbesondere in Abhängigkeit von den Altersgruppen und die besonderen Anforderungen bei Mehrfachbehinderungen und hochbetagten Patienten.
Seitens des VdAK/AEV wurde lediglich auf die oben zitierte WIdO-Studie verwiesen, aus welcher hervorgehe, dass eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich sei.
Der
AOK-Bundesverband verwies auf die gleiche Studie, insbesondere darauf, dass der erzielte Hörgewinn bei digitaler Versorgung nicht wesentlich höher liege als bei analoger, dass bei vielen Versorgten keine Vergleichsgeräte angepasst worden seien und dass die finanzielle Belastung der Versicherten stark vom gewählten Versorgungsweg abhänge.
Der
BKK Bundesverband beschränkte sich auf die Übersendung der Studie aus dem oben genannten Kooperationsprojekt mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V.
Der IKK Bundesverband wies zum einen darauf hin, dass zur Zeit (Juli 2004) bundeseinheitliche Festbeträge erarbeitet würden, die ebenso wie die bisherigen landesbezogenen Festbeträge so zu bemessen seien, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet sei. Die bereits zitierten Studien belegten, dass eine zuzahlungsfreie Versorgung in einer signifikant hohen Zahl an Versorgungsfällen unabhängig vom Grad der Schwerhörigkeit zu einer hohen Zufriedenheit bei den Versicherten führe. Die Ursachen für Zuzahlungen seien vielschichtig. So werde von den Versicherten teilweise eine Versorgung gewünscht, die medizinisch nicht indiziert sei, was wohl auch auf das Verkaufsverhalten der Akustiker zurückzuführen sei, die wirtschaftlich an der Abgabe von kostenaufwändigen volldigitalen Geräten interessiert seien. Auch sei der Wettbewerb im Bereich der Hörhilfenversorgung unzureichend. Für einen Vorteil digitaler im Vergleich zu analogen Geräten existiere kein wissenschaftlicher Beleg. Vielmehr belegten die vorliegenden Studien, dass gerade hochgradige und an Taubheit grenzende Schwerhörigkeiten überproportional häufig mit Festbetragsgeräten versorgt würden
Der DSB verwies in seiner Stellungnahme auf nach seiner Auffassung bestehende methodische Mängel der vorliegenden Studien, die gleichwohl den eindeutigen Schluss zuließen, dass die bestehenden Festbeträge zu niedrig seien, da selbst im Falle des verkürzten Versorgungsweges, bei dem es regelmäßig an einer vergleichenden Anpassung fehlen dürfte, nur weniger als die Hälfte der Versorgungsfälle zum Festbetrag erfolge.
Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte hat mit Schreiben vom 13.07.2004 einen Auszug einer Stellungnahme seines ehemaligen 1. Vorsitzenden,
Prof. Dr. med. Klaus
S., im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem
BVerfG am 19. März 2002 im Verfahren 1 BvL 29/95 (Abdruck in HNO-Mitteilungen 2003, 44f) zu den Akten gereicht. Hierin wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Versorgung von Schallempfindungs-
bzw. Innenohrschwerhörigkeiten (IOS) im Gegensatz zur Versorgung von Schallleitungsschwerhörigkeiten nicht durch bloße lineare Verstärkung des Eingangssignals erfolgen könne, sondern zum einen den frequenzabhängigen Hörverlust berücksichtigen, zum anderen eine Überverstärkung vermeiden müsse. Auch mit den leistungsfähigsten modernen Geräten lasse sich, anders als etwa eine Fehlsichtigkeit durch Sehhilfen, eine IOS niemals vollständig ausgleichen, also bis zu einem Zustand, wie er bei Gesunden vorliege.
Das Gericht hat schließlich Auszüge aus einem Gutachten des Herrn
Prof. Dr. rer. nat. Jürgen K., Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Abteilung Audiologie, der Justus-Liebig-Universität Gießen, ("Mögliche Instrumente zur Steuerung der Hörgeräteversorgung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung bei Lärmschwerhörigkeit - BK 2301") durch Übersendung an die Parteien in das Verfahren eingeführt. Hierin wird ausgeführt, dass zur bestmöglichen Versorgung eines Lärmschwerhörigen (IOS) nach dem aktuellen Stand der Technik durchschnittliche Kosten je Ohr von etwa 1200 aufzuwenden seien. Wegen des näheren Inhalts wird auf Bl. 127-130 der Akten Bezug genommen.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Klägerin mit einem Hörgerät des Typs Widex Bravo B2 (im Folgenden: streitiges Hörgerät) zu versorgen. Die von der Klägerin zur Selbstbeschaffung des Hörgerätes aufgewendeten Kosten in Höhe von 410,00 Euro sind ihr von der Beklagten daher gemäß § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V), § 15 Abs 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) zu erstatten.
Nach der erstgenannten Vorschrift sind dem Versicherten von der Krankenkasse diejenigen Kosten zu erstatten, die ihm dadurch entstehen, dass er sich eine Leistung selbstbeschafft, die die Krankenkasse (zuvor) zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war.
§ 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX regelt einen inhaltlich gleichen Anspruch gegen den Rehabilitationsträger für den Fall der medizinischen Rehabilitation. Da Hörgeräte als Hilfsmittel zu den Rehaleistungen des
SGB IX gehören,
§ 26 SGB IX, findet hier auch die zweitgenante Vorschrift Anwendung, ohne dass zu entscheiden wäre, ob eine der Vorschriften die jeweils andere für ihren Anwendungsbereich ausschließen könnte.
Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Versorgung mit dem streitigen Hörgerät, da es sich um eine Hörhilfe im Sinne von
§ 33 Abs 1 SGB V handelt, welche im Einzelfall erforderlich ist, um die Hörbehinderung der Klägerin auszugleichen.
Es bedarf keiner näheren Erläuterungen, dass das streitige Hörgerät weder einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstellt, noch nach
§ 34 Abs 4 SGB V als Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis ausgeschlossen ist.
Auch die grundsätzliche Indikation für eine (einseitige) Hörhilfenversorgung gemäß
§ 33 Abs 1 Satz 3 i.V.m. § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6
SGB V i.V.m. Abschnitt F der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (,Hilfsmittel-Richtlinien") ist ausweislich der vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung gegeben. Hiernach beträgt der Hörverlust auf dem linken Ohr bei allen Prüffrequenzen zwischen 40 und 70
dB (Ziffer 62.2 Satz 2 der Hilfsmittel-Richtlinien). Mit dem Gerät wird das Sprachverstehen im Störgeräusch um 30 Prozentpunkte gesteigert (40% Einsilberserstehen statt 10% ohne Hörgerät), sodass auch die Anforderungen gemäß Ziffer 63.2 Satz 3 der Hilfsmittel-Richtlinien erfüllt werden.
Die von der Klägerin im Ergebnis selbst getragenen Kosten waren auch der Höhe nach notwendig. Eine kostengünstigere Versorgungsmöglichkeit ist weder von der Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich.
Gemäß § 33 Abs 1 Satz 5
SGB V (in der Fassung des Gesetzes vom 26.03.2007) haben Versicherte die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen, wenn sie Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen wählen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen. An einer derart deutlichen Regelung fehlte es zwar in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes (vom 19.06.2001). Im Ergebnis nichts anderes ergab sich aber bereits seinerzeit aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot des
§ 12 Abs 1 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen, Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, Versicherte nicht beanspruchen können, die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen dürfen.
Ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot ist im vorliegenden Erstattungsstreit nicht ersichtlich.
Nach
§ 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind die Kosten "in der entstandenen Höhe" zu erstatten, wenn die Leistung notwendig war. Es kommt auf die Notwendigkeit der Sachleistung an, für die die Kosten aufgewandt worden sind, nicht auf die Unvermeidlichkeit der Kosten auch der Höhe nach. Der Versicherte ist zwar nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12
SGB V gehalten, keine unnötigen Kosten zu verursachen. Er genügt insoweit aber bereits seiner Pflicht, wenn er den Kostenaufwand für angemessen halten durfte. Das ist der Fall, wenn die Krankenkasse gegen einen ihr übersandten Kostenvoranschlag der Höhe nach keine Einwendungen erhebt,
BSG vom 3.8.2006,
B 3 KR 25/05 R.
Gleiches gilt nach Auffassung der Kammer auch für den Einwand der Krankenkasse, eine gleich wirksame Versorgung sei auch mit einem anderen, aber preisgünstigeren Hilfsmittel möglich gewesen, wenn sie diesen Einwand nicht hinreichend substantiiert bereits zu einem Zeitpunkt erhebt, in welchem dem Versicherten noch eine anderweitige Versorgungsmöglichkeit offensteht, mithin ebenfalls binnen angemessener Frist nach Vorlage des Kostenvoranschlags. Dieser Möglichkeit begibt sich die Krankenkasse indes, wenn sie die Versorgung außerhalb des Festbetrages insgesamt ablehnt, ohne konkrete Versorgungsalternativen (im Rahmen des Festbetrages oder gegen einen geringeren Zuzahlungsbetrag) vorzuschlagen und den Versicherten so auf den Weg der Kostenerstattung zwingt. Insoweit kann auch der häufig gehörte Einwand der Krankenkassen, die konkrete Versorgung sei durch den jeweiligen Akustiker aufgrund dessen wirtschaftlicher Interessen nicht zum mindestens erforderlichen Preis, sondern zu einem überhöhten
bzw. mit einem teueren, medizinisch nicht indizierten Gerät vorgenommen worden, gegenüber dem Versicherten nicht gehört werden. Das gilt erst Recht dann, wenn wie vorliegend die Krankenkasse trotz gegenteiliger Beteuerungen des Versicherten ihre Ablehnung der Übernahme des Mehrbetrages maßgeblich auf die unzutreffende Begründung stützt, dass eine Versorgung zum Festbetrag erst gar nicht versucht worden sei.
Im Verhältnis zum Versicherten rechnet das Gericht den Akustiker als Leistungserbringer grundsätzlich dem Lager der Krankenkasse zu,
vgl. LSG Celle-Bremen vom 24.06.2005,
L 4 KR 147/03. Die Krankenkasse ist gegenüber dem Versicherten zur Sachleistung (Versorgung mit Hörgeräten) verpflichtet. Sie stellt diese Sachleistungen allerdings nicht selbst zur Verfügung, obschon das rechtlich wohl zulässig wäre, sondern bedient sich insoweit eines vertraglich gebundenen Leistungserbringers. Ist dieser - wie hier - nicht in der Lage, eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag zu erbringen, kann es nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichen, wenn sich die Krankenkasse pauschal auf die Festbetragsregelung zurückzieht, ohne konkrete anderweitige und preisgünstigere Versorgungsmöglichkeiten vorzuschlagen.
Im Übrigen ist der Akustiker vorliegend nach seinen detaillierten Angaben auf der Rückseite der vertragsärztlichen Verordnung und im Schreiben vom 25.07.2007 seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten durchaus nachgekommen. Gemäß § 3 Abs 1 des Vertrages zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der biha und dem VdAK/AEV erhält der Versicherte mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsangebote entsprechend dem festgestellten Hörverlust. Das ist hier erfolgt, ohne dass jedoch durch die eigenanteilsfreien Versorgungsangebote ein ausreichender Hörgewinn erzielt worden wäre.
Selbst wenn man aber den vorstehenden Ausführungen nicht folgte, lässt sich vorliegend auch positiv feststellen, dass eine ausreichende Versorgung zu einem geringeren Preis nicht möglich war. Der Akustiker hat zwei zuzahlungsfreie Vergleichsgeräte mit deutlich schlechterem Ergebnis als mit dem streitigen Gerät angepasst (Sprachverstehen von 20% im Störgeräusch im Vergleich zu 40% bei der Versorgung mit dem streitigen Gerät), obschon es sich zumindest bei einem dieser Vergleichsgeräte (Positionsnummer 13.20.03.2060, Siemens SWING S3) laut Angaben im Hilfsmittelverzeichnis um ein digital programmierbares, zweikanaliges Gerät handelte. Unter den Testbedingungen (Störgeräusch 60
dB, Nutzschall 65
dB) hat sich der Anteil der verstandenen Wörter durch Verwendung des streitigen Geräts im Vergleich zum Festbetragsgerät verdoppelt. Es ist daher ohne weiteres davon auszugehen, dass durch das streitige Hilfsmittel ein im täglichen Leben erheblicher Gebrauchsvorteil bewirkt wird. Da die Beklagte auch nach zahlreichen Hinweisen des Gerichts ebensowenig wie der MDK in seiner Stellungnahme in der Lage war, ein konkretes Gerät zu benennen, das im Versorgungszeitraum (Ende 2003) zum Festbetrag oder zumindestens günstiger als das streitige Gerät durch einen zugelassenen Leistungserbringer hätte abgegeben werden können, oder einen anderen Leistungserbringer zu benennen, der das streitige Gerät zum Festbetrag abgegeben hätte, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der dokumentierte Hörgewinn (insbesondere im Störschall) zu einem geringeren Preis nicht erzielbar war. Eine aktuelle Internet-Recherche (Preisliste des Online-Versenders www.hoergeraete-jahnecke.de) bestätigt, dass selbst heute das streitige Gerät (ohne Passstücke) nicht zum Festbetrag erhältlich ist. Das streitige Gerät ist derzeit mit 590 gelistet, obschon sich nach den Erfahrungen der Kammer die Preise für Digitalgeräte in den vergangenen Jahre nach unten entwickelt haben.
Es bedarf schließlich auch keiner sachverständigen Hilfe, um festzustellen, dass die mit dem streitigen Gerät erzielte Verbesserung des Hörvermögens einen ganz wesentlichen Alltagsvorteil darstellt, da die Fähigkeit, menschliche Sprache auch unter ungünstigen Umgebungsbedingungen (
z.B. im Straßenverkehr, in Menschengruppen, bei Windgeräuschen, bei der heute allgegenwärtigen Hintergrundsbeschallung) zu verstehen, zu den Grundfähigkeiten des Menschen gehört, welche im Rahmen des von der Krankenversicherung abzudeckenden Basisausgleichs so weit wie möglich mit den Mitteln der Krankenversicherung auszugleichen sind.
Der Begriff des Basisausgleichs ist dabei keineswegs missverständlich dahingehend zu verstehen, dass das Maß des zu beanspruchenden Behinderungsausgleichs im Hinblick auf die technischen Möglichkeiten beschränkt würde. Vielmehr wird durch diesen Begriff lediglich klargestellt, welche im Falle einer Behinderung durch Hilfsmittel ausgleichbaren Fähigkeiten eines Gesunden durch die gesetzliche Krankenversicherung auszugleichen sind. In ständiger Rechtsprechung zählt das
BSG hierzu insbesondere die sogenannten Grundbedürfnisse, nämlich die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke und behinderte Mensch mit Hilfe des Hilfsmittels wieder aufschließen soll, Urteil vom 06.08.1998,
B 3 KR 3/97 R,
m.w.N.Einschränkend wirkt sich der Begriff des Basisausgleichs auf den Leistungsanspruch des Versicherten daher erst dann aus, wenn durch das Hilfsmittel Bedürfnisse befriedigt werden sollen, die außerhalb dieses Basisausgleichs liegen, weil sie keine Grundbedürfnisse mehr darstellen, so etwa die Fähigkeit, einen Pkw zu nutzen (
BSG a.a.O.), die Erschließung eines Bewegungsradius, den auch Gesunde regelmäßig nicht mehr zu Fuß zurücklegen (Urteil vom 16.09.1999,
B 3 KR 8/98 R), oder die Fähigkeit, ein Hochschulstudium zu absolvieren (Urteil vom 30.01.2001,
B 3 KR 10/00 R).
Ist jedoch die Fähigkeit (das Grundbedürfnis) zu hören betroffen, geht es also insbesondere darum, die Fähigkeit zur Kommunikation mit anderen Menschen sicherzustellen oder wesentlich zu erleichtern, fällt dies eindeutig in den Bereich des von der gesetzlichen Krankenversicherung abzusichernden Basisausgleichs.
Eine Einschränkung des zu beanspruchenden Behinderungsausgleichs ergibt sich im Rahmen der Grundbedürfnisse auch nicht etwa in quantitativer Hinsicht aufgrund der vom Gesetz weitgehend synonym verwendeten Begriffe "ausreichend", "notwendig", "zweckmäßig" und "wirtschaftlich".
Ausreichend ist grundsätzlich diejenige Versorgung, die den Fähigkeiten eines Gesunden am nächsten kommt. Ein Ausschluss aus Wirtschaftlichkeitsgründen kommt solange nicht in Betracht, wie das jeweilige Hilfsmittel im Vergleich zur preisgünstigeren Alternative im Alltagsleben zu einem deutlichen Gebrauchsvorteil führt,
BSG vom 06.06.2002,
B 3 KR 68/01 R. Eine zusätzliche Kosten-Nutzen-Erwägung kann nach dieser zutreffenden Entscheidung allenfalls dann geboten sein, wenn der zusätzliche Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels im Alltagsleben eher gering ist, die dafür anfallenden Kosten hingegen als unverhältnismäßig hoch einzuschätzen sind.
Im Einklang mit den beiden Hauptkriterien, anhand derer die Hilfsmittel-Richtlinien den Versorgungserfolg von Hörhilfen bemessen, und entgegen
LSG Stuttgart,
L 11 KR 1913/04 vom 08.03.2005, ist daher jedes Mehr an Sprachverstehen und Richtungsgehör (oberhalb der Messfehlergrenze) als wesentlicher Gebrauchsvorteil in dem o.g. Sinne anzusehen. Der in der erwähnten Entscheidung enthaltene Hinweis an den Versicherten, er könne sich schließlich zwecks besseren Verstehens der "Schallquelle zuwenden" und benötige die begehrte, nicht zwingend notwendige Mehrmikrofontechnik daher nicht, erscheint vor diesem Hintergrund zumindest grenzwertig. Er ist jedenfalls dann verfehlt, wenn dieses "Zuwenden" ein bei eingeschränktem Richtungshören nur unter Schwierigkeiten und nicht unerheblichem Zeitaufwand mögliches "Suchen" nach der Schallquelle beinhaltet, denn nach erfolgreicher "Ortung" und Hinwendung hat der Hörgeschädigte den Inhalt des Gesagten bereits verpasst.
Im Falle einer Hörhilfenversorgung wird nach Auffassung der Kammer die Grenze des nicht mehr Notwendigen vielmehr erst durch das Normalgehör gezogen, wenn also etwa die Hörschwelle durch das Hilfsmittel über die dem Normalgehör eines jungen Menschen entsprechende Schwelle von 0
dB hinaus angehoben werden soll. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kann deshalb keine Versorgung begehrt werden, die Fähigkeiten eines besonders scharfen, geschulten oder gar absoluten Gehörs vermittelt. Wegen eher geringen Alltagsnutzens ausgeschlossen und zugleich nicht mehr vom Basisausgleich umfasst wäre daher etwa die Fähigkeit eines Dirigenten eines Sinfonieorchesters, die achte von der neunten Zweiten Geige unterscheiden zu können. Solange sich jedoch das Sprachverstehen und/oder das Richtungsgehör steigern lassen, auch solange sich Klangverzerrungen, Rückkopplungen und andere den natürlichen Höreindruck nachteilig verändernde Verstärkungsfolgen merklich reduzieren lassen, so lange bleibt die gesetzliche Krankenversicherung nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen auch zur Versorgung mit dem jeweils besseren Hilfsmittel verpflichtet.
Die Einschätzung der Kammer, dass die vom Akustiker vorgenommene Versorgung seinerzeit ausreichend und wirtschaftlich war, wird durch die Stellungnahme des MDK vom 23.01.2004 nicht nicht in Frage gestellt, da diese auf einer falschen Tatsachengrundlage (keine Festbetragsgeräte getestet) basierte, im Übrigen aber bestätigte, dass die Hörbehinderung der Klägerin schwierig zu versorgen ist und dass durch das streitige Gerät eine optimale Versorgung erzielt wurde.
Der von der Klägerin letztlich aufgewendete Betrag für die Selbstbeschaffung des streitigen Hörgeräts ist auch nicht etwa um einen Zuzahlungsbetrag zu kürzen. Die Pflicht zur Zuzahlung in Höhe von 10 je Hilfsmittel wurde erst mit der Neufassung des
§ 61 SGB V durch das
GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) zum 01.01.2004 eingeführt und kann auf den vorliegenden Fall, in welchem die Versorgung bereits im Jahre 2003 erfolgt ist keine Anwendung finden. Auf den Zeitpunkt der Zahlung des Mehrbetrages durch die Klägerin kommt es insofern nicht an. Im Falle einer zeitlich gestreckten Hilfsmittelversorgung, wie sie die Hilfsmittel-Richtlinien gerade für Hörhilfen vorsehen, ist grundsätzlich maßgeblich, in welchem Zeitpunkt der Versicherte sein Wahlrecht (§ 33
SGB I,
§ 9 SGB IX) verbindlich ausgeübt und sich damit der Versorgungsanspruch als Rahmenrecht auf ein ganz bestimmtes Hilfsmittel konkretisiert hat,
BSG vom 06.09.2007,
B 3 KR 20/06 R. Weil sich der Versorgungsanspruch der Klägerin bereits vor dem 01.01.2004 auf ein ganz bestimmtes Hilfsmittel konkretisiert hatte, ist die Gesetzesänderung zum 01.01.2004 nicht zu berücksichtigen.
Die allein streitigen, den von der Beklagten an den Akustiker gezahlten Festbetrag übersteigenden, Mehrkosten können schließlich auch nicht aufgrund der Festbetragsregelung des § 33 Abs 2 Satz 1
i.V.m. §§ 35,
36 SGB V der Klägerin aufgebürdet werden.
Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass nach den Feststellungen des Gerichts der seinerzeit maßgebliche, von der Beklagten auch an den Akustiker gezahlte Festbetrag in Höhe von 529,70 für den Ausgleich der bei der Klägerin konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreichte. Die Erwägung des
BSG, der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenze die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreiche (Urteil vom 23.01.2003,
B 3 KR 7/02 R), hält die Kammer nicht für zutreffend. Gemäß
§ 12 Abs 2 SGB V erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag, wenn für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist. Eine über den (wirksam festgesetzten) Festbetrag hinausgehende Leistungspflicht der Krankenkasse soll also nach dem Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht bestehen, auch wenn im Einzelfall die Leistung durch den Festbetrag nicht bewirkt werden kann,
vgl. BT-Drucks 11/2237 (Regierungsentwurf zum Gesundheitsreformgesetz), Seite 164. Anderenfalls verlöre der Festbetrag seine Funktion und stellte nicht mehr als eine bloße Empfehlung oder Richtgröße dar. Da die erwähnten Ausführungen des
BSG für seine Entscheidung nicht tragend waren (der dortige Kläger hatte sich das Hilfsmittel tatsächlich zum Festbetrag verschafft), es sich mithin um ein bloßes obiter dictum handelte, erübrigen sich insoweit allerdings weitere Ausführungen.
Die Verbindlichkeit eines (wirksamen) Festbetrages auch im Ausnahmefall wird durch die Entscheidung des
BVerfG vom 17.12.2002, 1 BvL 29/95, Rdz. 144-147, bestätigt. Indem sich der Erste Senat gehalten sieht, einerseits darauf hinzuweisen, dass mit den gesetzlichen Festbetragsregelungen keine Abkehr vom Sachleitungsprinzip verbunden sei, und andererseits darauf, dass eine gesetzeskonforme Festbetragsfestsetzung dann nicht mehr vorliege, wenn die Versicherten die ihnen zustehenden Sachleistungen nur noch ausnahmsweise ohne Eigenbeteiligung erhalten könnten, und schließlich die Bedeutung der (fach)gerichtlichen Kontrolle der Festbetragsfestsetzung betont, wird deutlich, dass nicht die Anwendbarkeit der Festbeträge im Einzelfall sondern die Wirksamkeit der jeweiligen Festbetragsfestsetzung als solche der gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden soll.
Ein Leistungsausschluss hinsichtlich des von der Klägerin gezahlten "Eigenanteils" ergibt sich trotz der grundsätzlichen und ausnahmslosen Verbindlichkeit von Festbeträgen aber vorliegend deshalb nicht, weil die von der Beklagten angewendeten Festbeträge unwirksam sind.
Es kann dabei dahinstehen, ob die hier nach Auffassung der Beklagten anwendbaren Festbeträge (Festsetzung vom 21. Januar 1997, bekanntgemacht in
BAnz.
Nr. 41,
S. 2335 vom 28.02.1997) bereits aus formalen Gründen rechtswidrig und daher nicht anwendbar sind, etwa weil es in der Bekanntmachung an einem Hinweis fehlte, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können,
vgl. den Hinweis des
BSG in der Termin-Vorschau
Nr. 12/06 zur mündlichen Verhandlung des 3. Senats am 23.03.2006 zum später aufgehobenen Verhandlungstermin in dem Verfahren B 3 KR 10/05 R. Ob angesichts von § 35 Abs 2 Nr 5
SGB X tatsächlich allein aus dem Fehlen eines derartigen Hinweises auf die Unwirksamkeit der Festbetragsfestsetzung geschlossen werden kann, ist hier nicht zu entscheiden.
Die Unwirksamkeit der Festbetragsfestsetzung ergibt sich jedenfalls daraus, dass die festgesetzten Beträge zur Überzeugung des Gerichts der Höhe nach nicht geeignet waren, im allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung der Versicherten mit Hörhilfen zu gewährleisten.
Das Gericht gewinnt diese Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Die insgesamt zur Verfügung stehenden Informationen lassen den Schluss zu, dass für eine ausreichende Versorgung eines Schwerhörigen mit Hörgeräten pro Ohr durchschnittlich ein Betrag in Höhe von mindestens 1000 Euro erforderlich ist und dass nur im relativ seltenen Ausnahmefall einer reinen Mittelohrschwerhörigkeit eine ausreichende Versorgung zu dem hier maßgeblichen Festbetrag von 492,89 Euro (für mehrkanalige Geräte, ohne Ohrpassstück), oder erst Recht zu dem zwischenzeitlich bundeseinheitlichen Festbetrag von 421,28 Euro (für alle drei Gruppen) möglich ist.
Die Ergebnisse der Studien des WIdO und des IKK-Bundesverbandes, wonach sich die Summe der von den Kassen übernommenen Festbeträge und der durchschnittlichen Zuzahlungen der Versicherten je Ohr in etwa in der genannten Höhe von 1000 Euro bewegt, decken sich mit der Einschätzung im Gutachten K., der Kosten pro Gerät von 1000 bis 1200 Euro veranschlagt. Dass er hierbei eine bestimmte Art der Schwerhörigkeit, die Lärmschwerhörigkeit, mithin eine IOS, zugrundelegt, ändert nichts an der Verwertbarkeit seiner sachverständigen Einschätzung, da auch der weit überwiegende Teil der Allgemeinbevölkerung, der ohne Nachweis einer beruflichen Verursachung an einer Schwerhörigkeit leidet, von einer ausschließlichen oder überwiegenden IOS betroffen ist, wie sich den überzeugenden Ausführungen des Herrn
Prof. Dr. med.
S. entnehmen lässt, der den Anteil der Schallleitungsschwerhörigkeiten auf unter 5% beziffert.
Auch die Tatsache, dass im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung die Rehabilitation des Versicherten "mit allen geeigneten Mitteln" zu betreiben ist, ohne dass wie in der gesetzlichen Krankenversicherung das Gebot der Wirtschaftlichkeit ausdrücklich normiert wäre, führt zu keinem anderen Bewertungsmaßstab. Wie oben bereits gezeigt, schuldet auch die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der Erfüllung von Grundbedürfnissen den bestmöglichen Behinderungsausgleich, ohne dass eine Abwägung des Fähigkeitsgewinns gegen die hierfür aufzuwendenden Kosten zulässig wäre. Ausreichend im Sinne von § 36 Abs 3
i.V.m. § 35 Abs 5 Satz 1
SGB V ist diejenige Versorgung, die den Fähigkeiten eines (Hör)Gesunden am nächsten kommt. Da auch im Bereich der Unfallversicherung kein Anspruch auf eine nicht notwendige Versorgung (überflüssige sogenannte Gimmicks, rein optische Verbesserungen o.ä.) besteht, lassen sich die Ergebnisse aus diesem Rechtsgebiet auch insoweit auf die gesetzliche Krankenversicherung übertragen.
Das gefundene Ergebnis wird schließlich auch durch einen internationalen Vergleich unterstützt: In der Schweiz gelten seit 2006 Hörgeräte-Tarife, die je nach Indikation Gesamtkosten (incl. Dienstleistung des Akustikers) bei einseitiger Versorgung von umgerechnet
ca. 1000 bis 1550 Euro, bei beidseitiger Versorgung von
ca. 1600 bis 2600 Euro vorsehen. Der entsprechende "Tarifvertrag" ist auf der Internetseite der Zentralstelle für Medizinaltarife in Luzern (www.zmt.ch) veröffentlicht und kann zumindest als zusätzliches Argument als allgemeinkundige Tatsache bei der Entscheidung berücksichtigt werden..
Wenngleich es demnach möglich erscheint, dass im Einzelfall auch einmal ein Schwerhöriger zu den hier anwendbaren Festbeträgen ausreichend versorgt werden kann, insbesondere dann, wenn er an einer reinen Schallleitungsschwerhörigkeit leidet, lässt sich doch einwandfrei feststellen, dass innerhalb der Festbeträge im Regelfall eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag nicht möglich ist, sodass eine nähere Definition der Bedeutung des Begriffs "im Allgemeinen", die das
BVerfG, a.a.O., Rdz. 145, den (Fach)Gerichten überlässt, im Hinblick auf das festgestellt "umgekehrte Regel-Ausnahme-Verhältnis" entbehrlich erscheint.
Die Kammer ist der Überzeugung, dass jedenfalls bei der vorgenommenen statistischen Betrachtung das Ergebnis der beiden vorliegenden Studien den zwingenden Schluss zulässt, dass eine ausreichende Versorgung mit Hörhilfen tatsächlich im Allgemeinen nur gegen erhebliche Eigenbeteiligung möglich war und ist. Zwar mag es im Einzelfall nicht auszuschließen sein, dass ein Versicherter trotz objektiv fehlender Notwendigkeit eine wesentlich teuerere Versorgungsvariante, etwa aus bloßen ästhetischen Erwägungen oder aus reiner Technikbegeisterung heraus wählt. Dass aber weit über 80% der Versorgungsfälle aus derartigen objektiv nicht nachvollziehbaren Erwägungen heraus zu erheblichen Eigenbeteiligungen der Versicherten führen, ist völlig fernliegend.
Der diesbezügliche Einwand des IKK Bundesverbandes, von den Versicherten werde teilweise eine Versorgung gewünscht, die medizinisch nicht indiziert sei, vermag daher ebensowenig zu tragen, wie die Feststellung, die Studien belegten, dass eine zuzahlungsfreie Versorgung in einer signifikant hohen Zahl an Versorgungsfällen unabhängig vom Grad der Schwerhörigkeit zu einer hohen Zufriedenheit bei den Versicherten führe. Zwar ist auch ein Anteil von 12,8% der Befragten (204 von 1596 Befragten der Tabelle auf Seite 174 der Studie), die mit der Hörgeräteversorgung sehr zufrieden
bzw. zufrieden waren, ohne eine Zuzahlung geleistet zu haben, als signifikant zu bezeichnen. Den Beleg dafür, dass mit den geltenden Festbeträgen im allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet ist, vermag diese Zahl aber beileibe nicht zu liefern. Zudem sagt die subjektive Zufriedenheit der Befragten, deren Auswahl nicht überprüfbar ist, nichts darüber aus, woher diese Zufriedenheit rührt, ob etwa daher, dass die im Befragungszeitraum getragenen Geräte lediglich besser waren als die noch schlechteren, zuvor getragenen (oder in der Schublade verwahrten) Geräte. Erst Recht lässt diese Angabe keine Aussage dazu zu, ob die jeweilige Versorgung ausreichend in dem o.g. Sinne ist, was zugleich eine Bewertung des Umstands unmöglich macht, dass der Grad der Zufriedenheit offenbar weder maßgeblich vom Grad der Schwerhörigkeit noch von der Höhe des Zuzahlungsbetrages noch von der Bauart der Geräte abhängig ist. Gänzlich unwahrscheinlich erscheint es jedenfalls der Kammer, die bereits eine Vielzahl von Hörgeräte-Versorgungen zu beurteilen hatte, die jeweils das Gegenteil belegten, dass auch die Qualität der Versorgung und das Maß des erzielbaren Hörgewinns von den vorgenannten Faktoren (Schwerhörigkeitsgrad, Preis und Bauart) unabhängig sein sollen.
Auch der Hinweis auf das Verkaufsverhalten der Akustiker und den unzureichenden Wettbewerb im Bereich der Hörhilfenversorgung vermag das gefundene Ergebnis jedenfalls bezogen auf den Leistungsanspruch der Versicherten gegenüber ihrer Krankenkasse nicht zu entkräften. Wenn es den Kassen nicht gelingt, ihre Vertragspartner wirksam dazu zu verpflichten, annähernd jeden Versicherten mit einer jeweils geeigneten und ausreichenden Hörhilfe zu versorgen und nicht lediglich ein zuzahlungsfreies aber unzureichendes Versorgungsangebot (
bzw. deren zwei) zu machen, wird der gesetzliche Leistungsanspruch der Versicherten nicht erfüllt. Da nach den Angaben in der WIdO-Studie zudem jedenfalls bei leistungsfähigen modernen Hörgeräten bereits der Einkaufspreis des Akustikers den Festbetrag bei weitem übersteigt, liegt es auf der Hand, dass diese Nichterfüllung der Ansprüche der Versicherten auch nicht etwa auf einem übertriebenen, unangemessenen Gewinnstreben der Akustiker sondern auf der zu geringen Höhe der Festbeträge beruht. Dies gilt letztlich auch für die im Einstandspreis günstigeren Geräte, der in der genannten Studie (Festbetragsgruppe 3) mit 540
bzw. 545 DM angegeben wird. Die dem Akustiker bei Abgabe zum Festbetrag verbleibende Marge von gut 400 DM mag zwar ausreichen, um bei einfach gelagerten Fällen (Schallleitungsschwerhörigkeiten ohne Besonderheiten) den mehrstündigen Dienstleistungsaufwand abzudecken und zudem einen (kleinen) Gewinn für den Inhaber zu erwirtschaften. Keineswegs wird der Akustiker hierdurch aber in die Lage versetzt, die Vielzahl der schwierigeren Versorgungsfälle gleichsam im Sinne einer Mischkalkulation ausreichend mitzuversorgen und noch immer am Markt existieren zu können.
Insoweit der IKK Bundesverband vorträgt, für einen Vorteil digitaler im Vergleich zu analogen Geräten existiere kein wissenschaftlicher Beleg; vielmehr belegten die vorliegenden Studien, dass gerade hochgradige und an Taubheit grenzende Schwerhörigkeiten überproportional häufig mit Festbetragsgeräten versorgt würden, vermag auch dies die Feststellungen der Kammer nicht in Frage zu stellen. Zum einen stellen auch die sachverständigen Äußerungen des Herrn
Prof. K. und des Herrn
Prof. S., da aus berufenem Munde, wissenschaftliche Belege, wenn auch niedriger Evidenz (Expertenmeinungen) dar. Zudem besagt der Umstand, dass derart hochgradige Schwerhörigkeiten in der Praxis oftmals mit einfachen "Kassengeräten" versorgt werden, keineswegs, dass hierdurch eine ausreichende Versorgung erzielt wird. Im Gegenteil ist die Vermutung gerechtfertigt, dass in derart schwer zu versorgenden Fällen oftmals hochbetagter Versicherter der Versuch einer den technischen Möglichkeiten nach optimale Versorgung mit Hochleistungsgeräten wegen der zu erwartenden Zuzahlungen in vierstelliger Höhe erst gar nicht unternommen wird und stattdessen preiswerte "Schubladengeräte" abgegeben werden, was die denkbar unwirtschaftlichste Versorgungsvariante darstellt.
Zum anderen ist das Fehlen umfangreicherer Studien von höherer wissenschaftlicher Aussagekraft als denjenigen der von den Kassenverbänden vorgelegten ganz wesentlich dem Unterlassen der Spitzenverbände der Krankenkassen anzulasten. Die den Spitzenverbänden gemäß § 36 Abs 3
i.V.m. § 35 Abs 5 Satz 3
SGB V obliegende, mindestens jährliche Überprüfung der Festbeträge findet augenscheinlich nicht statt, da anderenfalls auf die alarmierenden Ergebnisse der beiden vorliegenden Studien hin nähere Ermittlungen zum Versorgungsstand im Hörhilfenbereich angestellt und deren Ergebnisse auf die gerichtliche Anfrage hin vorgelegt worden wären.
Schließlich ergibt sich auch aus dem erklärten Ziel der Studien, die Vorteile der einzelnen Versorgungswege (insbesondere des "verkürzten") zu untersuchen, kein für die Wirksamkeit der Festbeträge sprechender Aspekt. Zwar lässt sich in der Tat feststellen, dass der Abgabepreis für Hörgeräte bei Online-Bestellungen regelmäßig deutlich niedriger ausfällt. Zum einen ändert dies aber nichts daran, dass auch diese Versorgungsvariante überwiegend nur gegen Eigenbeteiligung erfolgt. Zum anderen lässt dies völlig außer acht, dass die vom Akustiker zu erbringende, für den erzielten Hörerfolg wesentliche Dienstleistung der Anpassung bei diesem Versorgungsweg entfällt, da weder der Versicherte selbst, noch der Online-Händler (mangels Anwesenheit) noch der HNO-Arzt (mangels entsprechender Ausbildung) die Anpassung vornehmen kann. Erst Recht entfällt die von den Kassenverbänden vertraglich von den Akustikern geforderte vergleichende Anpassung, sodass hier im Regelfall keine qualitativ sinnvolle Alternative aufgezeigt wird. Ausnahmsweise mag eine derartige Direktversorgung sinnvoll sein, wenn bei gleichgebliebenem Hörbefund eine Neuversorgung mit identischem Gerät ansteht.
Auch die in der WIdO-Studie genannte Summe der jährlich von gesetzlich Versicherten für die Hörgeräteversorgung erbrachten Zuzahlungen von
ca. 300 Millionen DM bestätigt, dass das Sachleistungsprinzip im Bereich der Versorgung mit Hörhilfen de facto längst nicht mehr gilt. Das vom
BVerfG betonte Festhalten am Sachleistungsgrundsatz, was den Regelfall erheblicher Eigenanteile gerade ausschließt, entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers, sodass letztlich dahinstehen kann, ob ein Abgehen von diesem Prinzip durch eine allein vom Gesetzgeber zu treffende Entscheidung mit dem Pflichtversicherungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung, das wegen seiner Beitragslast eine daneben privat finanzierte Zusatzversicherung im Regelfall unmöglich macht (
BVerfG vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98), verfassungsrechtlich überhaupt möglich wäre. Jedenfalls eine im Ergebnis gleich wirkende Entscheidung durch die Spitzenverbände im Wege einer unzureichenden Festbetragsfestsetzung ist mit höherrangigem Recht nicht vereinbar.
Das Gericht kann und muss schließlich auch über die Wirksamkeit der Festbeträge entscheiden, da es hierauf für die Prüfung des Erstattungsanspruchs der Klägerin ankommt. Soweit das
LSG Berlin-Brandenburg,
L 4 KR 12/01, vom 28.11.2003, (ähnlich auch
LSG München vom 25.08.2005 -
L 4 KR 150/04) eine inzidente Prüfung der Festbeträge im Leistungsstreit für ausgeschlossen hält, ist dem entgegenzutreten.
Bereits der erste Schritt der Begründung der vorgenannten Entscheidung, bei der Festsetzung der Festbeträge handele es sich um eine Allgemeinverfügung (unter Hinweis auf KassKomm-Hess, § 35
SGB V, Rdz. 15), erscheint trotz der dies bestätigenden Gesetzesmaterialien und der Ausführungen des
BVerfG (Urteil vom 17.12.2002,
1 BvL 29/95, Rdz. 138f) jedenfalls im Verhältnis zu den Versicherten zweifelhaft. Der Festbetragsfestsetzung fehlt es nach Auffassung der Kammer insoweit an der für jeden Verwaltungsakt zwingend erforderlichen Einzelfallregelung, sodass sie (im Verhältnis zu den Versicherten) als Akt der Rechtsetzung zu qualifizieren ist, welcher Art (
Rechtsverordnung, Richtlinie, Satzungsrecht
etc.) kann dahinstehen.
Voraussetzung für die Qualifizierung eines Akts der öffentlichen Gewalt als Allgemeinverfügung ist stets, dass "die getroffene Regelung nicht in der Form eines Rechtssatzes erfolgt", Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 35, Rdz. 102,
m.w.N. Erfordert die Anwendung des zu betrachtenden Rechtsaktes zusätzliche eigenständige Prüfungsschritte, handelt es sich nicht um eine auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung,
BSG vom 04.10.1994, 7 KlAr 1/93. Da durch die Festbetragsfestsetzung jedoch, wie die gegenüber der Klägerin ergangenen Verwaltungsakte der Beklagten eindrucksvoll bestätigen, die Ansprüche einzelner Versicherter nicht unmittelbar geregelt werden, kann sie insoweit auch nicht als Allgemeinverfügung im Sinne von § 31 Satz 2
SGB X angesehen werden. Etwas anderes mag im Verhältnis zu den Leistungserbringern gelten, die infolge der Festbetragsfestsetzung für jeden Fall der Abgabe einer ärztlich verordneten Hörhilfe einen Zahlungsanspruch gegen die Krankenkasse maximal in Höhe des Festbetrages erwerben.
Dem steht nicht etwa entgegen, dass der Gesetzgeber für die Festbetragsfestsetzung eine Rechtsschutzmöglichkeit (§ 35 Abs 7
SGB V) vorgesehen hat, da hierdurch zwar eine abstrakte Prüfungsmöglichkeit aufgezeigt wird, ohne dass dies jedoch Einfluss auf die Rechtsqualität der Festbetragsfestsetzung haben kann. Auch diejenigen Rechtsvorschriften, die etwa der abstrakten Normenkontrolle nach § 47 Abs 1
VwGO unterworfen sind, werden hierdurch nicht etwa zum Verwaltungsakt; sie bleiben Rechtsnorm.
Gegen den Charakter der Festbetragsfestsetzung als Allgemeinverfügung spricht ferner, dass der von ihr betroffene Personenkreis, die Adressaten, jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe weder bestimmt noch bestimmbar ist. Der Personenkreis lässt sich weder danach bestimmen, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe gesetzlich krankenversichert ist, noch danach wer als Schwerhöriger zumindest potentiell zum Kreis der durch Hörhilfen zu Versorgenden gehört. Anderenfalls verfehlte die Festbetragsfestsetzung für diejenigen Personen ihren Zweck, die im Bekanntgabezeitpunkt nicht gesetzlich versichert und/oder nicht schwerhörig sind, es aber später werden.
Nach alledem mag der Festbetragsfestsetzung zwar gegenüber den betroffenen Leistungserbringern die Rechtsnatur einer Allgemeinverfügung zukommen, nicht jedoch im Verhältnis zu den im zeitlichen Geltungsbereich betroffenen Versicherten.
Jedenfalls aber der Schluss aus der unterstellten Rechtsnatur der Festbetragsfestsetzung als Allgemeinverfügung darauf, dass ihre Rechtmäßigkeit nicht im Leistungsstreit inzident, sondern ausschließlich im Verfahren gemäß § 36
Abs. 3
SGB V i.V.m. § 35
Abs. 7
SGB V überprüft werden könnte (
LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.), sodass dem Gericht die im Falle der Einordnung als untergesetzliche Rechtsnorm zustehende Verwerfungskompetenz genommen wäre, verbietet sich vor dem Hintergrund der Rechtsweggarantie des
Art. 19 Abs 4
GG bzw. des Gebots des effektiven Rechtsschutzes.
Da die Klage gemäß § 35 Abs 7
SGB V gegen den Verwaltungsakt (Allgemeinverfügung) Festbetragsfestsetzung als Anfechtungsklage im Sinne von § 78
SGG (
BSG vom 24.11.2004, B 3 KR 16/03 R) der einmonatigen Klagefrist des § 87
SGG unterfällt, träte auch dem Versicherten gegenüber mit Ablauf der Frist Bestandskraft ein, ohne dass er dies im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung absehen könnte, ja selbst für den Fall, dass er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gesetzlich krankenversichert (oder schwerhörig) und damit potentiell von der Allgemeinverfügung betroffen wäre, es ihm mithin an der Klagebefugnis fehlte.
Auch der Rechtsprechung des
BVerfG, a.a.O., lässt sich derartiges nicht entnehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die in § 35 Abs 7
SGB V vorgesehene Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle (in erster Linie den betroffenen Leistungserbringern) lediglich eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet, ohne die Möglichkeit der Inzident-Prüfung im Leistungsstreit zu verschließen. Anderenfalls wäre es nicht nachvollziehbar, dass das
BVerfG zwar einerseits ausführt, Verfassungsrecht gebiete es nicht, Festbeträge durch
Rechtsverordnung festzusetzen (Rdz. 105 a.a.O.), sich dann aber jeglicher Ausführung zu Fragen des Rechtsschutzes im Einzelfall (Leistungsfall) enthält. Derartige Ausführungen wären aber zu erwarten gewesen, wenn das
BVerfG eine derartige Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeit auf die Klage nach § 35 Abs 7
SGB V angenommen hätte.
Eine Rechtsvorschrift, die gegen höherrangiges Recht verstößt, ist regelmäßig nichtig, also von Anfang an unwirksam, und deshalb vom Richter bei der Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren unberücksichtigt zu lassen,
BSG vom 04.12.2007, B 2 U 36/06 R. Nähme man mit dem
LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. an, dass dem Gericht im Leistungsstreit hinsichtlich der Festbetragsfestsetzung keine derartige, für das Rechtsstaatsprinzip wesentliche Verwerfungskompetenz zukäme, ginge dies im Ergebnis mit einem Rechtsmittelausschluss jedenfalls für diejenigen Versicherten einher, die bis zur Bestandkraft der "Allgemeinverfügung" mangels eigener Betroffenheit nicht klagebefugt waren. Eine so weitreichende Schlussfolgerung aus der zitierten Entscheidung des
BVerfG zu ziehen, ist weder geboten noch zulässig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.
Die Kammer hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 144 Abs 2 Nr 1
SGG.