Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, über die Festbetragsregelung hinaus Kosten der Hörgeräteversorgung der Klägerin zu übernehmen.
Die 1972 geborene Klägerin leidet an einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits. Im Jahre 2000 traten bei der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt Geschichte und Germanistik studierte und mit Hörgeräten versorgt war, massive Schwierigkeiten der Sprachdiskrimination auf. Am 11. August 2000 verordnete daher die behandelnde Fachärztin für HNO
Dr. S. aufgrund einer Empfehlung des Hörgeräteakustikers G. der Klägerin 2 Hörgeräte Phonak Power Zoom P4 AZ.
Ihrem Antrag auf Versorgung mit den genannten Hörgeräten fügte die Klägerin im August 2000 befürwortende Stellungnahmen der Ärztin und des Hörgeräteakustikers bei. Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung bestätigte am 05. September 2000 die hochgradige Schwerhörigkeit der Klägerin, sah jedoch eine medizinische Ausnahmesituation nicht als gegeben an und befürwortete im Sinne der Gleichstellung aller Versicherten die Kostenübernahme bis zum Festbetrag der Gruppe 3.
Mit Bescheid vom 11. September 2000 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen im Rahmen der Festbetragsgruppe 3 in Höhe von 1.930,20 DM, lehnte jedoch eine darüber hinaus gehende Kostenübernahme ab.
Der Widerspruch der Klägerin vom 12. Oktober 2000 blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 12. September 2001 ist im Wesentlichen ausgeführt, im Falle der Festsetzung eines Festbetrages für ein Hilfsmittel sei die Krankenkasse nur in Höhe dieses Betrages leistungsverpflichtet. Eine über den Festbetrag hinausgehende Leistungspflicht bestehe selbst dann nicht, wenn die Leistung im Einzelfall einen vollständigen Ausgleich des Leidens des Versicherten nicht gewährleiste.
Mit ihrer am 06. Juli 2001 erhobenen Klage begehrt die Klägerin eine vollständige Kostenübernahme für die zwischenzeitlich am 24. März 2001 selbstbeschafften Hörgeräte. Sie macht geltend, unabhängig von ihrer aktuellen Lebens- und Arbeitssituation gehöre die Kommunikation zu den elementaren Grundbedürfnissen eines Jeden. Die Versorgung mit einem Gerät, welches für den Festbetrag zu beschaffen sei, sei auch nicht wirtschaftlich, da mit einem solchen Gerät nicht zu der für Studium, Beruf und sonstigem öffentlichen Leben erforderlichen Kommunikation im Stande sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin weitere 2048,13 Euro (= 4005,80 DM) für zwei selbstbeschaffte Hörgeräte Phonak Power Zoom P 4 AZ zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf die Gründe des Widerspruchsbescheides.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigen Gutachtens sowie durch Einholung einer Freifeld-Hörprüfung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten des HNO- Arztes
Dr. G1 sowie des Hörgeräteakustikers H. Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 11. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf volle Kostenübernahme für die von ihr beschafften digital programmierbaren, mit Richtmikrophon versehenen Hörgeräte Phonak Power Zoom.
Nach
§ 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch-gesetzliche Krankenversicherung-(SGB V) sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe unter anderem zu erstatten, wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Eine solche unrechtmäßige Leistungsablehnung durch die Beklagte liegt vorliegend vor. Der Umfang der Kostenerstattung ist danach durch die Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten bestimmt.
Nach
§ 33 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, so weit Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Jedoch trägt nach § 33
Abs. 2
SGB V die Krankenkasse, sofern für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36
SGB V festgesetzt ist, die Kosten nur bis zur Höhe des Festbetrages. Zwar haben die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam einheitliche Festbeträge für Hörhilfe gemäß § 36
Abs. 2
SGB V festgesetzt. Jedoch ist diese Festsetzung vorliegend rechtswidrig, da zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Festbetragsfestsetzung nicht geeignet ist, Versicherte mit digital programmierbaren und mit Richtmikrofonen ausgestatteten Hörgeräten zu versorgen (I.), die Klägerin ein solches Hörgerät benötigt, um ausreichend versorgt zu sein (II.) und auch auf Grund der Festbetragsfestsetzung "im allgemeinen" eine ausreichende Versorgung nicht gewährleistet ist (III.).
I.
Die von der Klägerin gewählten Geräte sind der Festbetragsgruppennummer 13.20.03.2044 zugeordnet. Für Hörgeräte der Festbetragsgruppe III ist zum Zeitpunkt der Beschaffung der Hörgeräte ein Festbetrag von 989,00 DM pro Gerät vorgesehen, bei der hier erforderlichen Doppelversorgung also 1978 DM = 1011,34 Euro. Der Herstellerpreis pro Gerät betrug ausweislich der von der Beklagten im Termin vom 14.03.2002 vorgelegten, vom 12.03.2002 datierenden Liste 1195,00 Euro pro Gerät, bei erforderlicher Doppelversorgung also 2390,00 Euro. Die übrigen in der Liste aufgeführten digital programmierbaren Hörgeräte weisen einen noch höheren Preis auf. Damit ist die Festbetragsfestsetzung zur Überzeugung des Gerichts nicht geeignet, Versicherte mit den hier streitigen Hörgeräten zu versorgen. Der Kammer ist auch aus anderen Verfahren bekannt, dass derartig hochpreisige Hörgeräte nicht für den Festbetrag abgegeben werden. Dies ist auch nachvollziehbar, weil die Unterschiedsspanne zwischen Abgabepreis und Festbetrag auch bei niedrigpreisigen Hörgeräten nicht so hoch ist, dass ein solcher Verlust für den Hilfsmittellieferanten auffangbar wäre. Ein Festbetrag kann nach Auffassung des Gerichts immer nur relativ geringe Preisschwankungen ausgleichen und die Preise im eher unteren Preissegment stabil halten.
Ist der Festbetrag für die hier streitigen Hörgeräte aber keine realistische Größe, so ist weiter zu berücksichtigen, dass Versicherte sich nicht mit Teilkostenerstattung zufrieden geben müssen. Es muss im Hilfsmittelsektor eine Versorgung mit ausreichenden, zweckmäßigen und in der Qualität gesicherten Hilfsmitteln als Sachleistung gewährleistet bleiben (
BVerfG, Urteil vom 17.12.2002 -
1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 - SozR 3-2500 § 35
Nr. 2). Das Sachleistungsprinzip soll den Versicherten auch mit der Festbetragsregelung erhalten bleiben - zwar im unteren Preissegment, dies jedoch bezogen auf das jeweils benötigte ausreichende und zweckmäßige Hilfsmittel. Dieser Anspruch besteht gegenüber der Krankenkasse; der Versicherte kann nicht darauf verwiesen werden, sich mit dem Hilfsmittellieferanten oder gar dem Hersteller über dessen Preisgestaltung auseinandersetzen zu müssen, wenn der Erwerb des benötigten Hilfsmittel für den Festbetrag für den Versicherten schlechterdings ausgeschlossen ist.
II.
Die Klägerin benötigt - hiervon ist die Kammer aufgrund der dem Gericht vorliegenden Gutachten überzeugt - digital programmierbare mit Richtmikrofon und Zoomtechnik versehene Hörgeräte. Solche Hörgeräte sind für die Klägerin im Sinne des § 33
SGB V erforderlich, um ihre Hörbehinderung auszugleichen. Nach der durchgeführten Freifeldhörprüfung erreicht die Klägerin mit diesen Hörgeräten eine Verständlichkeit von 70 %, selbst bei Vorhandensein von Störschall. Hingegen wurden mit den übrigen getesteten Hörgeräten, welche die Klägerin für die in Festbetragsgruppe III gezahlten Beträge beschaffen könnte, bestenfalls 40 % Verständigung erreicht; bei Störschall war bei all diesen getesteten Geräten keine Verständigung mehr möglich.
Wie der Kammer in anderen Verfahren mit hörbehinderten Beteiligten anschaulich verdeutlicht wurde, ist mit einer Verständigung von 40 % allenfalls ein Gespräch über einfache Dinge des täglichen Lebens - und selbst dies nur bei Rücksichtnahme des Gesprächspartners und unter zusätzlichem Einsatz von Körpersprache - möglich. Die konsequente Vermeidung von Störschall ist im täglichen Leben - was für allgemeinkundig gehalten wird - unmöglich. Ob derartige eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten mit Hörenden die allgemeinen Grundbedürfnisse des Versicherten ausreichend erfüllen, ist nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V für jeden Einzelfall gesondert zu entscheiden, d.h. es ist auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen abzustellen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) zu den im Rahmen der Erforderlichkeit des Hilfsmittels zu berücksichtigenden Grundbedürfnissen auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen ist, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst. Hilfsmittel, die allein dazu dienen, die Folgen und Auswirkungen der Behinderung in den verschiedenen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem und wirtschaftlichem Gebiet sowie im Bereich der Freizeitgestaltung zu mildern, müssen die gesetzlichen Krankenkassen nicht zur Verfügung stellen. Für ein Hilfsmittel, dass zur Integration in den Kreis etwa Gleichaltriger und zur Vermeidung von Isolation erforderlich ist, sind dagegen die Krankenkasse eintrittspflichtig (zu alledem:
BSG, Urteil vom 16.04.1998, Az.:
B 3 KR 9/97 R = SozR 3-2500 § 33
Nr. 27).
Vorliegend hat die Kammer bei ihrer Entscheidung sowohl das Alter der Klägerin als auch ihren Bildungsgrad berücksichtigt. Die Ausübung eines Studiums und hieraus folgend der Kontakt mit überwiegend jungen, redegewandten, vielseitig interessierten Menschen ist für die Klägerin alters- und bildungskonform. In dem Umfeld, in welchem die Klägerin sich aufgrund ihres Alters und ihrer Intellekts bewegt, ist möglichst ungehinderte Kommunikation unabdingbar. Dies gilt nicht nur für den Bereich des Studiums, sondern für alle Bereiche ihres sozialen Lebens. Wäre die Klägerin gehindert, öffentliche Veranstaltungen wie Theatervorführungen, Lesungen oder Filmvorführungen zu besuchen, sich an Diskussionen zu beteiligen und auch komplexere Themen mündlich mit anderen zu erörtern, so wäre die Klägerin in ihrer individuellen Situation von der Teilnahme am üblichen gesellschaftlichen Leben Gleichaltriger nahezu ausgeschlossen und ihr drohte die gesellschaftliche Isolation.
Da die Versorgung mit einem für den Festbetrag der Festbetragsgruppe III für die Versicherte verfügbaren Hörgerät wie dargelegt nicht ausreichend ist, entspricht die Versorgung mit den begehrten Geräten auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nach § 12
SGB V; ein weniger aufwändiges Hilfsmittel steht unter Berücksichtigung der Behinderung und der Lebenssituation der Klägerin nicht zur Verfügung.
III.
Steht damit zum Einen fest, dass ein Gerät wie das von der Klägerin begehrte zum Festbetrag der Festbetragsgruppe III nicht zu erhalten ist, und steht des Weitern fest, dass dieses Gerät für die Klägerin im Sinne von § 33
SGB V erforderlich ist, so ist schlussendlich zur Überzeugung der Kammer auch "im allgemeinen" eine ausreichende Versorgung nicht gewährleistet,
vgl. § 35
Abs. 5 Satz 1
SGB V i.V.m. § 36
Abs. 3
SGB V. In dieser Formulierung kommt jedenfalls nicht zum Ausdruck, dass der Versicherte zur Beschaffung des notwendigen Hilfsmittels auf Zuzahlungen verwiesen werden könne (
vgl. insoweit: BVerfGE a.a.O.). Die Vorschrift kann danach zur Überzeugung der Kammer nur dahingehend ausgelegt werden, dass üblicherweise aufgrund der Festsetzung eine ausreichende Versorgung gewährleistet sein soll. Wenige seltene Einzelfälle sollen, insbesondere wenn sie nur vorübergehend sind, weil sie zwischen zwei Überprüfungszeitpunkten eingetreten sind, die Festsetzung nicht insgesamt hinfällig machen können.
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass mit zunehmenden gesellschaftlichen Wandel die Notwendigkeit zur Kommunikation an Gewicht gewinnt. Zwar gibt es auch vielfältigere Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation, so beispielsweise das Internet, diese können indes nur ergänzenden Charakter haben: Dreh- und Angelpunkt zwischenmenschlicher Kommunikation bleibt das gesprochene Wort. Da zugleich die medizinischen Möglichkeiten Wege eröffnet haben, Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit bereits im frühen Kindesalter zu erkennen und die Betroffenen im Rahmen ihrer jeweiligen intellektuellen Möglichkeiten ausreichend zu fördern, eröffnen sich dem Grunde nach auch Hörbehinderten weite Teile gesellschaftlicher Betätigung und Bestätigung, die ihnen früher verschlossen waren. Danach wird man den vorliegend Fall kaum als unbedeutenden Einzelfall ansehen können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass bereits jetzt eine Vielzahl junger Menschen mit Hörbehinderungen sich in einem sozialen Umfeld bewegt, in welchem vielschichtige und komplexe Gesprächsinhalte ausgetauscht und erörtert werden. Hierfür ist ein ausreichendes Hörvermögen unabdingbare Voraussetzung. Ist ein solches Hörvermögen nur mit einem entsprechend ausgestatteten Gerät erzielbar, so ist dieses Gerät für den Betroffenen notwendig im Rahmen seiner allgemeinen Grundbedürfnisse.
Kann danach ein ganzer Typ von Hörgeräten wegen des den Festbetrag der Festbetragsgruppe III bei weitem übersteigenden Preises für diesen Preis nicht bezogen werden und trifft dieser Umstand nicht nur in wenigen Einzelfällen zu, so ist aufgrund der Festsetzung der Festbeträge zur Überzeugung der Kammer "im allgemeinen" keine ausreichende Versorgung gewährleistet. Ist die Festbetragsfestsetzung aber gesetzeswidrig, so ist die Klägerin nicht nach § 33
Abs. 2 Satz 1
SGB V auf den Festbetrag beschränkt, sondern hat Anspruch auf volle Versorgung mit dem Hilfsmittel
bzw. auf vollständige Kostenerstattung für das selbstbeschaffte Hilfsmittel.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.