Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung des von ihm über den Festbetrag hinaus aufgewandten Betrages für die Versorgung mit den Hörgeräten vom Typ "S" der
Fa. S
GmbH (Hilfsmittelverzeichnis Pos.
Nr. 13. 20.03.xxxx) auf Grundlage des
§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V. Danach sind, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Dem Kläger sind Kosten in Höhe von 1. 721,74
EUR entstanden, weil die Beklagte seinen Antrag auf vollständige Übernahme der Kosten für die Versorgung mit den Hörgeräten zu Unrecht abgelehnt hat. Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Ablehnung der Leistung einen Primäranspruch auf Versorgung mit den beantragten Hörgeräten als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Anspruch war nicht auf die Leistung des Festbetrags nach der Festbetragsgruppe III für Hörhilfen beschränkt.
Grundlage für den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit neuen Hörgeräten war
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind.
Ist für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach
§ 36 SGB V festgesetzt, trägt gemäß § 33
Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch V die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags. Mit dem Festbetrag erfüllt die Krankenkasse gemäß
§ 12 Abs. 2 SGB V ihre Leistungspflicht.
Unstreitig hatte der Kläger einen Anspruch auf Versorgung mit neuen Hörgeräten, weil er auf Hörgeräte angewiesen ist, um seine Behinderung in Gestalt von an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit auszugleichen. Dass der Kläger bereits 1996 mit Hörgeräten ausgestattet worden war, steht dem nicht entgegen. Ausweislich der ärztlichen Verordnung vom 03.05.2002 waren die bisherigen Hörgeräte verbraucht. Hörgeräte unterliegen auf Grund ihrer Exposition gegenüber Witterung und Hautausscheidungen einem natürlichen Verschleiß. Das aus diesem Grund in Abschnitt F
Nr. 69 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinien) vorgesehene Intervall von sechs Jahren für eine Neuversorgung war abgelaufen. Zudem hatte sich das Resthörvermögen des Klägers nach ärztlicher Feststellung zwischenzeitlich verschlechtert.
Dem Anspruch auf Versorgung mit den beantragten Hörgeräten als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung stand nicht entgegen, dass der Kläger die Geräte im Zeitpunkt der Ablehnung seines Antrags bereits ausgehändigt erhalten hatte. Der Sachleistungsanspruch des Klägers war zu diesem Zeitpunkt nicht anderweitig als durch Leistung der Beklagten befriedigt. Eine - wegen Umgehung des Naturalleistungsprinzips nach
§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB V, § 13
Abs. 1
SGB V grundsätzlich unzulässige - Selbstbeschaffung liegt nur dann vor, wenn der Versicherte die Verfügungsbefugnis über ein Hilfsmittel bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse über den Leistungsantrag in einer Weise erlangt, welche der Versorgung mit dem Hilfsmittel als Sachleistung durch die Krankenkasse entspricht. Denn nur dann kann von einer gemäß § 13
Abs. 1
SGB V unzulässigen Durchbrechung oder Umgehung des in § 2
Abs. 2 Satz 1
SGB V verankerten Naturalleistungsprinzips ausgegangen werden. Hat ein Leistungserbringer dem Versicherten ein Hilfsmittel nur faktisch - kulanzhalber
bzw. in Erwartung der baldigen Gewährung als Sachleistung - zur Verfügung gestellt, ohne dass dem eine gegenseitige vertragliche Vereinbarung zu Grunde liegt, die dem Versicherten ein eigenes Recht zur Nutzung einräumt, dann liegt keine Selbstbeschaffung vor. Denn der Leistungserbringer hat in diesem Fall seine Verfügungsbefugnis nicht aufgegeben. Er könnte das Gerät jederzeit wieder herausverlangen, ohne dass sich der Versicherte diesem Ansinnen gegenüber auf Grund einer gesicherten Rechtsposition so zur Wehr setzen könnte wie gegenüber dem Herausgabeverlagen einer Krankenkasse, die ein Hilfsmittel als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung bindend bewilligt hat, oder gegenüber der Rückforderung eines Verkäufers oder Vermieters. Erst mit der Zahlung des noch nicht von der Beklagten gedeckten Kaufpreisanteils am 27.04.2005 hat der Kläger gegenüber dem Leistungserbringer zum Ausdruck gebracht, das Hilfsmittel nicht als Sachleistung der Beklagten, sondern auch auf eigene Rechnung erlangen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt war auf Grund der zwischenzeitlichen Ablehnung seines Antrags der Anwendungsbereich des § 13
Abs. 3 Satz 1 Alt. 2
SGB V bereits eröffnet.
Zu Unrecht sieht die Beklagte ihre Leistungspflicht als erfüllt an, wenn sie sich darauf beschränkt, die Kosten des Hörgeräts bis zur Höhe des Festbetrags nach
§ 36 SGB V zu übernehmen.
Einschlägig wären im vorliegenden Fall die Festbeträge, welche die Beklagte und die Ersatzkassenverbände gemeinsam auf Grundlage von § 36
Abs. 2 Satz 1
SGB V in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung festgelegt haben und die im Freistaat Sachsen bis zum 31.12.2004 galten. Die am 01.01.2005 in Kraft getretenen bundeseinheitlichen Festbeträge der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 36
Abs. 2 Satz 1
SGB V in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 (BGBl. I
S. 2190) sind nicht anzuwenden. Die frühere Festbetragsregelung wäre für den Kläger günstiger gewesen. Die zwischenzeitliche Änderung muss nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs unberücksichtigt bleiben. Denn eine Versorgung mit neuen Hörgeräten wäre noch unter Geltung der früheren Festbetragsregelung möglich gewesen. Sie ist nur deshalb unterblieben, weil die Beklagte die Bereitstellung der Sachleistung zu Unrecht verzögert hat.
Der hier einschlägige Festbetrag für mehrkanalige Hörgeräte (Pos. 13.20.03 des Hilfsmittelverzeichnisses) beläuft sich für das erste Hörgerät auf 995,00 DM
bzw. 508,74
EUR, für das zweite Hörgerät unter Abzug des zwanzigprozentigen Abschlags für die binaurale Versorgung ( Pos. 13.99.99.1000) auf 796,00 DM
bzw. 406,99
EUR, für die beiden Otoplastiken (Pos. 13.20.09) auf jeweils 65,00 DM
bzw. 33,23
EUR und für die Verwendung weicher Materialien (Pos. 13.99.99.0001) auf jeweils 10,00 DM
bzw. 5,11
EUR. Daraus ergibt sich der von der Beklagten bereits bewilligte Festbetragszuschuss von insgesamt 992,42.
Dieser Festbetrag beschränkt die Leistungspflicht der Beklagten vorliegend nicht, weil der Ausgleich der konkreten Behinderung des Klägers mit den zu diesem Betrag auf dem Markt für Hörhilfen verfügbaren Hörgeräten nicht in dem Maße möglich ist, das vom Anspruch des Klägers auf Hilfsmittelversorgung bestimmt wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urt. v. 17.12.02, Az.
1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95 und 1 BvL 30/ 95 ( BGBl. I 2003, Satz 126), festgestellt, dass die in
§ 35 SGB V sowie
§ 36 SGB 5 in Verbindung mit § 35
SGB V den dort genannten Verbänden eingeräumte Ermächtigung, Festbeträge festzusetzen, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Festbetragsfestsetzung wäre jedoch dann nicht mehr gesetzeskonform, wenn den Versicherten das Sachleistungsprinzip selbst im unteren Preissegment nicht erhalten bliebe und Versicherte, die Hilfsmittel benötigen, diese - abgesehen von äußersten und eher zufälligen Ausnahmen - nicht mehr als Sachleistung ohne Eigenbeteiligung beziehen können. Das Bundessozialgericht hat dies im Urteil vom 23.01.2003, Az.
B 3 KR 7/02 R, dahin gehend konkretisiert, dass der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht begrenzt, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht. Die Beurteilung, ob ein Hilfsmittel, für das ein Festbetrag festgesetzt ist, gleichwohl ohne Beschränkung auf den Festbetrag durch die gesetzliche Krankenversicherung bereit zu stellen ist, um den gebotenen Behinderungsausgleich zu erzielen, richtet sich nach dieser Entscheidung - insoweit über die vom Bundesverfassungsgericht benannten generellen Kriterien hinausgehend - nach einem an der konkreten Behinderung des Versicherten ausgerichteten individuellen Maßstab.
Der vom Bundessozialgericht im Urteil vom 23.01.2003 beschriebene Fall ist hier eingetreten. Die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen festgesetzten Festbeträge verfehlen den in § 2,
Abs. 4, § 12
Abs. 1
SGB V, § 33
Abs. 2 Satz 1 und § 36
SGB V gesetzlich verankerten Auftrag, die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung des Klägers mit Hilfsmitteln durch die Bezuschussung bis zum jeweiligen Festbetrag sicherzustellen.
Der Anspruch des Klägers auf Hörgeräteversorgung beschränkt sich nicht etwa nur auf die Deckung eines Grundbedürfnisses in ausgewählten Lebensbereichen; seine Befriedigung bemisst sich auch nicht allein am prozentualen Wortverstehen unter Laborbedingungen (
vgl. Nr. 63.2 in Verbindung mit
Nr. 66 der Heilmittel-Richtlinien). Der Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Hörgeräten richtet sich vielmehr darauf, ihn, soweit es seine Behinderung zulässt und technisch machbar ist, in die Lage zu versetzen, im Alltag mit normal Hörenden gleichzuziehen.
Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln ist die Förderung ihrer Selbstbestimmung und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (
§ 1 Satz 1 SGB IX). Die sich daraus ergebende Frage, welche Qualität und Ausstattung ein Hilfsmittel haben muss, um als geeignete, notwendige, aber auch ausreichende Versorgung des Versicherten gelten zu können ( § 2
Abs. 4, § 12
Abs. 1 und § 33
Abs. 1
SGB V), beantwortet sich danach, welchem konkreten Zweck die Versorgung im Einzelfall dient. Soll ein Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen, ersetzen oder erleichtern
(z. B. Prothesen), ist grundsätzlich ein Hilfsmittel zu gewähren, das die ausgefallene
bzw. gestörte Funktion möglichst weitgehend kompensiert, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil bietet. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen müssen insoweit dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2
Abs. 1 Satz 3
SGB V). Nur wenn es um einen Ausgleich ohne Verbesserung elementarer Körperfunktionen allein zur Befriedigung eines sonstigen allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens geht (
z. B. Kommunikation, Schaffung eines geistigen und körperlichen Freiraums, selbstständiges Wohnen, Bewegung im Nahbereich der Wohnung, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben), bemisst sich der Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht nach dem technisch Machbaren (
vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2002, Az.
B 3 KR 66/01 R).
Die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ging noch davon aus, dass die Krankenversicherung vordringlich bei solchen Hilfsmitteln leistungspflichtig sei, die einen Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezweckten. Ein derart unmittelbarer Ausgleich wurde angenommen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion ermöglichte, ersetzte oder erleichterte. Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzten, sondern den Funktionsausfall anderweitig ausglichen oder milderten, sollten nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, wenn Grundbedürfnisse betroffen waren. Dem lag die Erwägung zu Grunde, dass sich der direkte Funktionsausgleich in allen Lebensbereichen auswirkt und damit ohne Weiteres auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während bei einem mittelbaren Ausgleich besonders geprüft werden muss, in welchem Lebensbereich er sich auswirkt. Denn die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln ist nur dann Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient.
Geht es um den Ersatz eines noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es also nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt eine Leistungspflicht der Krankenversicherung für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen. Speziellen Wünschen des Behinderten trägt insoweit die Regelung in
§ 31 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - Rechnung, wonach Leistungsempfänger, die ein geeignete Hilfsmittel in einer aufwändigeren Ausführung wählen als notwendig, die Mehrkosten hierfür selbst tragen. Sind die Gebrauchsvorteile eines konkreten Hilfsmittels im Vergleich mit einem anderen dagegen weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt noch in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung erschöpft, sondern bieten sie deutliche Gebrauchsvorteile im Alltag, so greifen diese Einschränkungen nicht ein. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten erstreckt sich auf das technisch fortschrittlichere Hilfsmittel (
vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 06. Juni 2002, Akz. -
B 3 KR 68/01 R).
Bei Hörgeräten handelt es sich um Hilfsmittel, die unmittelbar dem Ausgleich einer körperlichen Grundfunktion - dem Hören - dienen. Sie setzen direkt an der Behinderung an und unterstützen die Funktion des Hörens in jeder Situation und an jedem Ort, mithin in allen Lebensbereichen.
Im Einklang damit hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 23. Januar 2003, Az.
B 3 KR 7/02 R, wo es um die Erforderlichkeit der Versorgung des Versicherten mit einem bestimmten Hörgerät ging, maßgeblich darauf abgestellt, ob die alten Hörgeräte des Versicherten noch geeignet waren, die Fehlfunktion des Hörsinnes in vollem Umfang auszugleichen.
Dieser Umfang des Sachleistungsanspruchs bestimmt den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen den in § 36
SGB V genannten Spitzenverbänden die Befugnis zur Festsetzung von Festbeträgen eingeräumt ist. Es handelt sich bei dieser Ermächtigung um eine spezialgesetzliche Ausformung des in § 31
Abs. 3
SGB IX allgemein formulierten Rechtsgedankens, die Auswahl und Beschaffung von Leistungen, soweit diese über das Maß des Erforderlichen hinausgehen, der Eigenverantwortung des Versicherten zuzuweisen. Die Befugnis, Festbeträge festzusetzen, soll den Sachleistungsanspruch der Versicherten nicht einschränken. Vielmehr gestaltet sie den Sachleistungsanspruch aus, indem die Spitzenverbände durch § 36
SGB V ermächtigt werden, die als Leistung der Krankenversicherung geschuldete Versorgung mit den im Einzelfall erforderlichen Hilfsmitteln an Hand typisierender und pauschalisierter Kriterien von den über das Maß des Notwendigen hinausgehenden Eigenleistungen des Versicherten finanziell abzugrenzen. Zugleich soll damit dem Versicherten die Möglichkeit eingeräumt werden, zur Senkung der nicht vom Festbetrag gedeckten Eigenanteile den preisgünstigsten Anbieter auszuwählen, durch sein Nachfrageverhalten die Angebote der Hilfsmittelerbringer im Interesse der Versichertengemeinschaft zu beeinflussen und so durch Wettbewerb Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen.
Diese gesetzgeberische Intention läuft dann leer, wenn die festgesetzten Festbeträge keinerlei Abstufung mehr nach den für die Erforderlichkeit der Versorgung relevanten Ausstattungsmerkmalen erkennen lassen. Denn eine solche Festsetzung ist nicht geeignet, die als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung geschuldete Versorgung von den Leistungen abzugrenzen, die über den Sachleistungsanspruch hinausgehen und der finanziellen Eigenverantwortung der Versicherten unterliegen.
Das Gleiche gilt, wenn die Festbeträge eine Versorgung mit moderneren Geräten, die gegenüber herkömmlichen Geräten wesentliche Gebrauchsvorteile aufweisen, generell nicht mehr ohne Zahlung eines Eigenanteils zulassen. Eine solche Situation würde dem in Artikel 20
Abs. 1 des Grundgesetzes (
GG) verankerten Sozialstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3
Abs. 1
GG zuwider laufen. Denn gerade diejenigen Versicherten wären dann von der Versorgung mit Sachleistungen ausgeschlossen, die mangels ausreichender finanzieller Eigenleistungsfähigkeit am meisten auf die Bereitstellung solcher Hilfsmittel als Versicherungsleistung angewiesen sind.
Kann ein optimaler Ausgleich der konkreten Hörschädigung nicht mit den zum Festbetrag angebotenen Hörgeräten erzielt werden, sondern nur mit teureren Geräten, ist die Krankenkasse deshalb zur Versorgung ohne Beschränkung auf den Festbetrag verpflichtet. Das Risiko, Mittel zur Hilfsmittelversorgung weit über den an Hand der Festbeträge prognostizierten Finanzbedarf hinaus bereitstellen zu müssen, geht in diesem Falle zu Lasten der Versicherungsträger, deren Spitzenverbände die unzureichend differenzierten Festbeträge festgesetzt haben.
Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass der Kläger den im Sinne von § 12
Abs. 1
SGB V erforderlichen Versorgungsstandard zum Ausgleich seiner Hörminderung nur mit den beantragten Hörgeräten "S" oder technisch gleichwertig ausgestatteten Geräten erreichen kann. Sie schließt dies aus den Ergebnissen der vergleichenden Anpassung mit drei anderen Hörgeräten, darunter zwei zum Festbetrag erhältlichen, wie sie in den Anpassungsberichten des vom Kläger beauftragten Hörgeräteakustikers vom 10. 01.2003 und vom 22.06.2004 wiedergegeben sind. Die Kammer erachtet insbesondere das bessere Sprachverstehen und die besseren Ergebnisse in der Freifeldmessung mit Störgeräusch mit dem beantragten Hörgerät als wesentlich. Denn ausreichend ist nur eine Versorgung, die ein Gleichziehen mit Nichtbehinderten in allen Lebensbereichen und nicht nur in geschlossenen Räumen ohne Störschall ermöglicht. Denn das Hörgerät ist ein Hilfsmittel für alle Lebensbereiche. Sein Einsatz beschränkt sich nicht auf Bedingungen, wie sie bei der Anpassung im Freifeld ohne Störschall im Akustiklabor vorliegen. Die für die akustische Orientierung und Kommunikation im Alltag erforderlichen Vorzüge des beantragten Geräts mit Richtmikrofonen und Sprachprozessor ( sog. ConTrastTM-Funktion) liegen damit auf der Hand.
Die Kammer hat vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden Anpassungsberichte darauf verzichtet, weitergehend, gleichsam "auf Verdacht" zu ermitteln, ob es nicht auf dem Markt für Hörgeräte noch andere Hörgeräte mit vergleichbaren Gebrauchsvorteilen geben könnte, die einzelne Hörgeräteakustikern oder Hersteller preiswerter abzugeben bereit wären. Dies würde die Grenzen der Amtsermittlung sprengen. Das Hilfsmittelverzeichnis nach § 128
SGB V weist in der für den Kläger einschlägigen Produktgruppe 13.20.03 insgesamt 1.378 Produkte aus. Es wäre nicht vertretbar, auf die spekulative Überlegung hin, es könne bei vergleichbarem Anpassungserfolg ein preiswerteres als das angepasste Hörgerät geben, sämtliche in Frage kommenden Hörgeräte auf ihre Eignung und die aktuellen Marktpreise hin zu überprüfen. Kein als Sachverständiger in Betracht kommender Hörgeräteakustiker verfügt in seiner Niederlassung über eine derart breite Produktpalette und den Überblick über sämtliche Abgabepreise. Die Preise für Hörgeräte werden ohnehin frei kalkuliert und können ständigen Änderungen unterliegen. Eine vergleichende Anpassung wäre zudem nur unter Mitwirkung des Versicherten denkbar. In der gebotenen Breite wäre dies praktisch nicht durchführbar. In Anlehnung an die Feststellung der Anspruchvoraussetzungen in anderen Bereichen des sozialen Leistungsrechts geht die Kammer deshalb auch hier von einer gestuften Darlegungs- und Beweislast aus. Hat der Versicherte mit der Anpassung eines bestimmten Hörgerätetyps durch einen Hörgeräteakustiker oder einen anderen beruflich qualifizierten Leistungserbringer nachgewiesen, dass das angepasste Hörgerät im Alltag wesentliche Gebrauchsvorteile gegenüber den bisherigen Geräten aufweist, dann ist es Sache der
ggf. sachverständig beratenen Krankenkasse, nachprüfbar darzulegen, welches konkrete Hörgerät sie als preiswertere Versorgungsalternative für geeignet und ausreichend erachtet, um einen gleichwertigen Versorgungserfolg zu erzielen. Nur wenn sich die Überlegenheit des vom Versicherten gewählten Hilfsmittels gegenüber dem von der Krankenkasse zu benennenden Gerät in einer vergleichenden Funktionserprobung nicht positiv feststellen lässt, geht die Unerweislichkeit zu Lasten des Versicherten. Eine solche Situation lag hier allerdings nicht vor. Konkrete alternative Versorgungsmöglichkeiten hat weder die Beklagte benannt noch drängen sie sich dem Gericht sonst auf.
Die Versorgung des Klägers mit den beantragten Hörgeräten bürdet der Beklagten nicht zu Unrecht versicherungsfremde Leistungen der beruflichen Rehabilitation
bzw. der Eingliederungshilfe auf. Auf den konkreten Anlass für die Neuanpassung kommt es dabei nicht an. Die Gebrauchsvorteile der vom Kläger ausgewählten Hörgeräte wirken sich in allen Lebensbereichen aus. Die Versorgung mit Hörgeräten ist keinem der speziellen Sicherungssysteme für die Eingliederung Behinderter ausschließlich oder vorrangig zugewiesen. Deren Ziele treten hinter dem angestrebten allgemeinen Behinderungsausgleich zurück. Nach den Grundsätzen, die das Bundessozialgericht in seinen Urteilen vom 06.06.2002, Az.
B 3 KR 68/01 R, und vom 23.07.2002, Az.
B 3 KR 66/01 R, herausgearbeitet hat, ist die Versorgung mit Hörgeräten unabhängig von deren technischer Ausstattung deshalb stets eine originäre Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Zuerkennung der zum Ausgleich der konkreten Hörschädigung im Einzelfall erforderlichen Hörgeräte zu einem Beschaffungspreis, der notfalls über den Festbetrag hinaus geht, widerspricht schließlich auch nicht dem gesetzlichen Zweck der Festbetragsregelung, die Hilfsmittelversorgung durch Preiswettbewerb wirtschaftlicher zu gestalten. Die vom Kläger beantragten Hörgeräte bieten durch die Ausstattung mit Richtmikrofonen und digitaler Sprachverarbeitung wesentliche Gebrauchsvorteile im Alltag. Sie sind deshalb nach den Maßstäben für die Versorgung mit Hilfsmitteln, welche eine Einschränkung der körperlichen Grundfunktion direkt ausgleichen, für die konkrete Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung ausschlaggebend. Der Nutzen dieser Ausstattung beschränkt sich nicht auf eine bloße Verbesserung der Bequemlichkeit oder des Komforts. Die Festbetragsregelungen berücksichtigen jedoch die Gebrauchsvorteile dieser Ausstattungsmerkmale nicht. Sie differenzierten bis zum 31.12.2004 lediglich zwischen Einkanalgeräten mit und ohne automatische Verstärkungsregelung sowie Merkanalgeräten. Seit dem 01.01.2005 gibt es sogar nur noch einen einzigen Festbetrag für sämtliche Hörgeräte ( 421,28
EUR). Für das Marktsegment der technisch einfachen und wenig innovativen Geräte unterstützen solche Einheitsfestbeträge tendenziell einen Preisanstieg. Im Übrigen resultiert der wirtschaftliche Aspekt bei der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Hörgerät bei derart undifferenzierten Festbetragsregelungen letztlich nur aus der individuellen Eigenleistungsfähigkeit des Versicherten. Der konkreten Höhe des Festbetrags kann daneben zwangsläufig keine steuernde Funktion mehr zukommen. Ein Abweichen von den Festbeträgen, soweit dies im konkreten Fall zum Ausgleich der Behinderung erforderlich ist, kann aber den Steuerungszweck einer Festbetragsregelung nicht unterlaufen, wenn die Gruppierung der Festbeträge die maßgeblichen Versorgungskriterien ohnehin verfehlt.
Die Kammer kann aus diesem Grund auch keine Rücksicht auf den Einwand nehmen, gerade die digitalen Mehrkanalgeräte würden angesichts der geringen Herstellungskosten oftmals weit überteuert angeboten und durch eine Anhebung des Kassenzusschusses würde die unwirtschaftliche Preisentwicklung noch vorangetrieben. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, zu klären, ob diese Befürchtung zutrifft. Auf keinen Fall lässt sich ein möglicherweise gestörtes Preis-Leistungs-Gefüge dadurch ausgleichen, dass Versicherte, die den erforderlichen Eigenanteil zur notwendigen Hilfsmittelversorgung nicht aufbringen können, von der Versorgung mit technisch hochwertigen Hörgeräten effektiv ausgeschlossen werden. Es würde diese Gruppe - zu der als Bezieher einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch der Kläger gehört - überfordern, durch ihr Nachfrageverhalten die Preisentwicklung am Hilfsmittelmarkt effektiv zu beeinflussen, solange ihr nur eine genügend große Gruppe von Nachfragern gegenüber steht, die um einer ausreichenden Versorgung willen bereit und in der Lage sind, die geforderten Eigenanteile zu zahlen. Zu den Grundprinzipien des gesetzlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen gehört die Bereitstellung der vom Krankenversicherungsschutz umfassten Hilfsmittel als Sachleistung für alle Versicherten unabhängig von deren finanzieller Leistungsfähigkeit. Solange sich an dieser Rechtslage nichts ändert, ist es in erster Linie Aufgabe der Krankenkassen und ihrer Spitzenverbände, die Beschaffung der im Einzelfall zum Behinderungsausgleich erforderlichen Hilfsmittel zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen am Markt sicherzustellen. Erweist sich die alleinige Steuerung über Festbeträge als nicht effektiv, haben sie gegebenenfalls auch auf andere Instrumente, die der Gesetzgeber hierfür bereit zu stellen hat, zurückzugreifen. Eine Abweisung der Klage aus Rechtsgründen können die gesundheitspolitischen Erwägungen jedenfalls nicht rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1 in Verbindung mit § 183 Satz 1
SGG.