Urteil
Krankenversicherung - Erstattungsanspruch - schwenkbarer Autositz - Krankentransport

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 3 KR 19/03 R


Urteil vom:

16.09.2004


Leitsätze:

1. Einem Kostenerstattungsanspruch wegen einer zu Unrecht verweigerten Sachleistung steht nicht entgegen, dass die Aufwendungen nicht von dem Versicherten selbst, sondern von Angehörigen im Rahmen der Familienfürsorge übernommen worden sind.

2. Die Regelungen über die Verpflichtung der Krankenkassen zur Bezahlung von Krankenfahrten schließen nicht aus, dass für den Transport eines Versicherten zu Ärzten und Therapeuten ein schwenkbarer Autositz zu gewähren sein kann.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundessozialgericht

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für einen schwenkbaren Autositz.

Die Kläger sind die Eltern und Rechtsnachfolger der im Januar 1981 geborenen und am 1. März 2002 verstorbenen Miriam F., die bei der beklagten Krankenkasse versichert war. Die an einer schweren Autoimmunerkrankung leidende Tochter der Kläger befand sich nach einem Atemstillstand von November 1998 bis zu ihrem Tode im Wachkoma und erhielt Leistungen nach der Pflegestufe III unter Berücksichtigung der Härtefallregelung. Die Beklagte versorgte sie ua mit einem Rollstuhl mit elektrischer Schiebehilfe ( Viamobil für drinnen und draußen) , einer angepassten Sitzschale und zahlreichen weiteren Hilfsmitteln.

Im März 2001 beantragten die Kläger für ihre Tochter die Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz, fügten einen Kostenvoranschlag über 15.069,56 DM bei und gaben ergänzend an, im April oder Mai werde ein neues Fahrzeug ausgeliefert, in das der Autositz zeitnah eingebaut werden solle. Mit Bescheid vom 11. April 2001 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, das Autofahren gehöre nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu den elementaren Grundbedürfnissen; deshalb könne ein schwenkbarer Autositz auch nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert werden.
Hiergegen legten die Kläger für ihre Tochter Widerspruch ein und wiesen darauf hin, dass es sich bei dem neuen Fahrzeug nicht um die Anschaffung eines Luxusartikels handele, sondern um ein dringend gebotenes Fortbewegungsmittel, welches nach den Bedürfnissen ihrer Tochter umgerüstet werden müsse, um ihr den Besuch im Klinikum sowie bei außerhalb stattfindenden Therapiemaßnahmen zu ermöglichen. Den Widerspruch wies die Beklagte unter Wiederholung ihrer Rechtsauffassung mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2002 zurück.

Die Eltern haben als Rechtsnachfolger der Versicherten Klage erhoben, mit der sie zunächst die Erstattung der Kosten für einen im September 2001 selbstbeschafften Autoschwenksitz in Höhe von 9.028,61 EUR verlangten. Das für den Transport der Tochter eingesetzte Fahrzeug ist nach deren Tod veräußret worden. Der Autositz befindet sich noch im Besitz der Kläger, das drehbare Untergestell konnten sie jedoch zum Preis von 1.789,52 EUR an den Lieferanten zurückgeben.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil des SG vom 31. Oktober 2002 und des LSG vom 11. September 2003). Die Beklagte habe die begehrte Leistung zu Recht abgelehnt; den Klägern stehe deshalb kein Erstattungsanspruch wegen der Selbstbeschaffung des Autoschwenksitzes zu. Das Hilfsmittel sei nicht erforderlich gewesen, um eine Behinderung der Versicherten auszugleichen (§ 33 Abs 1 Satz 1, 3. Alternative Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)); sie habe den Autoschwenksitz nicht zu ihrer Lebensbewältigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt. Weder das Autofahren selbst noch die hierdurch eröffnete Möglichkeit, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, gehörten zu den Grundbedürfnissen. Das Hilfsmittel sei auch nicht erforderlich gewesen, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (§ 33 Abs 1 Satz 1, 1. Alternative SGB V). Schon der Wortlaut dieser Vorschrift stelle eindeutig auf den "Erfolg", nicht aber auf die "Ermöglichung der Krankenbehandlung" ab. Zudem schließe § 60 SGB V, der die Verpflichtung der GKV zur Übernahme von Fahrtkosten in bestimmten Fällen regele, die Gewährung von Hilfsmitteln aus, die allein dazu dienten, die Wege zu den Leistungserbringern zurücklegen zu können. Entgegen der Behauptung der Kläger könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Transport ihrer Tochter ausschließlich mit dem eigenen PKW und dem streitbefangenen Autoschwenksitz hätte erfolgen können. Der Transport von Wachkoma-Patienten durch professionelle Krankentransporteure sei möglich und zumutbar gewesen; erforderlichenfalls hätte ein Elternteil die Versicherte begleiten können.

Die Kläger haben Revision eingelegt und rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG habe verkannt, dass zu den Grundbedürfnissen iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V die Möglichkeit gehöre, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Auf Grund der multiplen Erkrankungen ihrer Tochter seien die durchgeführten Therapien zwingend erforderlich gewesen, um eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu verhindern. Die Interpretation des LSG sei mit dem Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar. Die Leistungspflicht der Beklagten ergebe sich auch aus § 55 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), denn der in § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX verwandte Begriff der "anderen Hilfsmittel" sei weit auszulegen. Zudem werde § 33 Abs 1 SGB V auch nicht durch die Regelung des § 60 SGB V verdrängt: Soweit die dort vorgesehenen Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Therapieangeboten nicht ausreichend seien, müsse § 33 SGB V bürgerfreundlich und gemäß den Leitvorstellungen der sozialen Rechte ausgelegt werden. Schließlich habe das LSG § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, weil es den Sachverhalt nicht von Amts wegen vollständig aufgeklärt habe. Das LSG habe in der angefochtenen Entscheidung nur Vermutungen angestellt, dass der Transport der Versicherten auch auf andere Weise als mit dem elterlichen Fahrzeug möglich gewesen wäre. In mehreren Schriftsätzen und zuletzt noch in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG sei jedoch ausführlich dargelegt worden, weshalb die Versicherte auf das elterliche Fahrzeug angewiesen gewesen sei; hierzu gefertigtes Bild- und Videomaterial habe das Berufungsgericht zurückgewiesen.


Die Kläger beantragen,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2003 und des Sozialgerichts Duisburg vom 31. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen die Kosten für einen schwenkbaren Autositz in Höhe von 7.239,09 EUR zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des LSG und weist im Übrigen darauf hin, dass das LSG nicht gegen die Amtsermittlungspflicht verstoßen habe, sondern lediglich Beweisanregungen der Kläger nicht gefolgt sei.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Kläger ist begründet. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben den Erstattungsanspruch der Kläger in Höhe von 7.239,09 EUR zu Unrecht abgelehnt. Die Beklagte wäre zur Gewährung der Sachleistung "schwenkbarer Autositz" an die verstorbene Versicherte verpflichtet gewesen; da diese Sachleistung zu Unrecht nicht erbracht worden ist, steht den Klägern als Rechtsnachfolgern ihrer Tochter für die selbstbeschaffte Leistung ein Kostenerstattungsanspruch zu (§ 13 Abs 3 SGB V).

1. Die Kläger sind aktiv legitimiert. Sie sind nach den Feststellungen des LSG Alleinerben ihrer verstorbenen Tochter. Eine Sonderrechtsnachfolge gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) kommt nicht in Betracht, da es nicht um fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen geht, sondern um einen einmaligen Zahlungsanspruch an Stelle eines gegenstandslos gewordenen Sachleistungsanspruchs.

2. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V idF des Art 5 Nr 7 iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S 1046). Dort heißt es: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Eine entsprechende Erstattungsregelung enthält nunmehr auch § 15 Abs 1 Sätze 3 und 4 SGB IX, auf die § 13 Abs 3 Satz 2 SGB V für den Fall der medizinischen Rehabilitation ausdrücklich verweist. Die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen sind vorliegend erfüllt, obwohl lediglich die Tochter der Kläger bei der Beklagten versichert gewesen ist, also ihnen und nicht der Versicherten die streitbefangenen Kosten konkret entstanden sind.
Grundsätzlich ist § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V zwar eng auszulegen, denn die GKV wird vom Sach- und Dienstleistungsprinzip (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) bestimmt; das Recht auf Kostenerstattung stellt demgegenüber die Ausnahme dar, wie sich schon aus der Formulierung des § 13 Abs 1 SGB V "darf...nur erstatten, soweit..." ergibt. Gleichwohl war die Versicherte hier berechtigt, den Aufwand ihrer Eltern wie eigene Aufwendungen geltend zu machen, da diese im Rahmen ihrer familiären Fürsorge gehandelt haben. Für die Annahme eines rechtlichen Fürsorge- und Beistandsverhältnisses fehlt es zwar an tatsächlichen Feststellungen des LSG, ebenso wie zum Rechtsgrund des Versicherungsverhältnisses. Doch selbst wenn bei Vollhährigen wie der verstorbenen Tochter der Kläger kein rechtlich begründetes Fürsorge- und Beistandsverhältnis nachgewiesen ist, darf dem Versicherten nicht entgegengehalten werden, dass nicht er selbst, sondern die Eltern in Erfüllung einer moralischen Verpflichtung aus dem Familienbund das von der GKV verweigerte Hilfsmittel beschafft haben. Dies ist vorliegend der Fall.

Diese Ausdehnung des Erstattungsanspruchs bei einer "Schadensverlagerung" auf besonders eng mit dem oder der Versicherten verbundene Familienmitglieder ist auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 13 SGB V geboten, und zwar unabhängig davon, ob hier die Versicherung als Familienversicherung nach § 10 SGB V bestanden hat oder nicht. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des SGB V war Anspruchsberechtigter im Rahmen der Familienversicherung immer nur das Mitglied, also der Stammversicherte; nur ihm konnten auch Erstattungsansprüche zustehen. Durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) wurde in § 10 SGB V die Familienversicherung neu geregelt und den mitversicherten Familienangehörigen ein eigener Versicherungsanspruch eingeräumt - die Angehörigen sollen nunmehr eigene Ansprüche haben und den Versicherten gleichgestellte Mitglieder der GKV werden (BR-Drucks 200/88 S 161). Gleichzeitig fand der bislang nur durch die Rechtsprechung des BSG begründete Erstattungsanspruch in § 13 SGB V seine legislatorische Verfestigung ( BR-Drucks 200/88 S 164). Als "Versicherte" können jetzt die Familienversicherten auch Erstattungsansprüche geltend machen, ohne - wie früher - auf den Stammversicherten angewiesen zu sein. Diese Ausgestaltung der Familienversicherung mit eigenem Versichertenstatus darf aber nicht dazu führen, dass Erstattungsansprüche nur noch und ausschließlich von dem betroffenen Familienmitglied geltend gemacht werden können, soweit es eigene Aufwendungen gehabt hat. Dies hätte zur Folge, dass Erstattungsansprüche gänzlich ausgeschlossen wären, wenn familienhafte Bande bestehen und das von der GKV zu Unrecht verweigerte Hilfsmittel von den Eltern oder einem anderen nahen Familienangehörigen beschafft worden ist. Mit der Rechtsänderung sollte eine Besserstellung der Rechtsstellung der Familienversicherten einhergehen, nicht aber gleichzeitig eine Benachteiligung des Familienverbundes eintreten. Aber auch ganz unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall das Versichertenverhältnis als Familienversicherung oder auf sonstige Weise begründet war, darf es dem Erstattungsanspruch eines Versicherten nicht entgegen gehalten werden, dass nicht er selbst, sondern Familienangehörige die Aufwendungen getragen haben. Denn die Solidargemeinschaft erwartet zwar, dass Familienangehörige in bestimmtem und zumutbarem Rahmen mit unentgeltlichen Leistungen eintreten (vgl § 37 Abs 3 SGB V), verlangt aber keine entschädigungslosen Vermögensopfer, wenn sie an Stelle der Krankenkasse für den Versicherten eintreten.

3. Die beklagte Krankenkasse hat die ihr obliegende Sachleistung "schwenkbarer Autositz" zu Unrecht abgelehnt. Versicherte haben nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der Fassung des Art 5 Nr 9 iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S 1046) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der GKV auch, müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen (§ 12 Abs 1 SGB V).

a) Die Beklagte war allerdings nicht verpflichtet, den schwenkbaren Autositz "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" (§ 33 Abs 1 Satz 1, 1. Alternative SGB V) zu bewilligen. Diese Alternative scheidet zwar nicht schon deshalb aus, weil die Vorschrift über die Erstattung der Fahrkosten (§ 60 SGB V) - wie das LSG gemeint hat - eine abschließende Regelung über solche Leistungen enthielte, die im Zusammenhang mit Fahrten oder Transporten zu den Leistungserbringern erforderlich werden. Für eine solche Interpretation bestehen keine Anhaltspunkte, denn beide Vorschriften dienen unterschiedlichen Zielen: Mit der Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V wird der Zweck verfolgt, Versicherte mit den notwendigen sächlichen Mitteln auszustatten, die zur Bekämpfung einer Krankheit oder zum Ausgleich von Behinderungsfolgen erforderlich sind (Höfler in Kasseler Kommentar - Band 1, Stand: 1. März 2004, § 33 SGB V RdNr 2). Mit der Gewährung von Fahrkosten sollen andere notwendige - medizinische - Leistungen der GKV erst ermöglicht werden (Akzessorietät - vgl BSGE 47, 79, 82 = SozR 2200 § 194 Nr 3 S 6; BSGE 83, 285 = SozR 3-2500 § 60 Nr 3). Die Fahrkostenerstattung ebnet also den Weg für die Versicherten zur Inanspruchnahme der in § 11 Abs 1 SGB V genannten prioritären Leistungsarten in der GKV. Die gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme von Fahrkosten kann deshalb als bloß ergänzende Leistung den Anspruch auf Gewährung eines Hilfsmittels zur Erleichterung des Transports zur Behandlung bei Ärzten und Therapeuten nicht ausschließen.
Zutreffend hat das LSG jedoch darauf hingewiesen, dass die 1. Alternative des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V lediglich solche Gegenstände betrifft, die auf Grund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Es entspricht der Intention des § 33 SGB V und auch dessen Vorgängerregelung in § 182b Reichsversicherungsordnung (RVO) - vgl dazu BT-Drucks 11/2237 S 174), unter dem Begriff "Hilfsmittel, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern", alle sächlichen Mittel zu verstehen, die der Krankenbehandlung dienen. Der Wortlaut des § 33 Abs 1 Satz 1, 1. Alternative SGB V, der auf die Sicherung eines Erfolgs der Krankenbehandlung abstellt, bedarf insoweit einer Erweiterung. Es reicht aus, wenn mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird; er muss nicht bereits vorliegen und nur noch zu sichern sein. Der Wortlaut ist nur verständlich vor der historischen Entwicklung und Funktion der Vorschrift, die Hilfsmittel von den Heilmitteln abzugrenzen, die früher ebenfalls sächlicher Natur sein konnten. Dies ist nach der nunmehr gültigen Abgrenzung von Heilmitteln gegenüber Hilfsmitteln (vgl dazu BSGE 88, 204 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41) nicht mehr erforderlich, weil jetzt alle sächlichen Mittel, die therapeutischen Zwecken dienen, Hilfsmittel und nicht Heilmittel sind. Eine noch weiter gehende Ausdehnung der unter diese Alternative fallenden Hilfsmittel auch auf solche, die eine ärztliche Behandlung erst ermöglichen, ist aber nicht geboten. Insoweit geht es bereits um die Frage eines Behinderungsausgleichs, der von der 3. Alternative des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V erfasst wird.

b) Nach § 33 Abs 1 Satz 1, 3. Alternative SGB V bestand ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, weil es erforderlich war, um das Gebot eines möglichst weit gehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Einsatz der ausgefallenen Funktionen dienen (BSGE 37, 138, 141 = SozR 2200 § 187 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 18 S 88 und Nr 20 S 106). Der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen der Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der GKV immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung (vgl BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 20 mwN; vgl auch Höfler aaO § 33 SGB V RdNr 11 ff mit zahlr Nachw aus der Rspr) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, (elementare) Körperpflegen, selbstständige Wohnen sowie Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Hierzu zählen aber auch das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Denn die notwendige medizinische Versorgung ist grundlegende Voraussetzung, um die elementaren Bedürfnisse des täglichen Lebens befriedigen zu können.

Die Tochter der Kläger war als Wachkomapatientin erheblich behindert und litt zudem unter multiplen Erkrankungen. Diese Behinderungen schränkten sie in ihrer Lebensbetätigung der allgemeinen Grundbedürfnisse ein (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 19 S 97 und Nr 25 S 141). Sie konnte - wie das LSG festgestellt hat und wie es im Falle einer Wachkomapatientin auch ohne weiteres einleuchtet - weder gehen noch ein Fahrzeug besteigen; selbst die eigenständige Benutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Viamobils war ihr vollständig unmöglich. Hinsichtlich des Grundbedürfnisses des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat der 8. Senat des BSG bereits entschieden, dass ein schwenkbarer Autositz ein Hilfsmittel iS des § 182b RVO (heute: § 33 SGB V) ist, wenn einem Versicherten dadurch ermöglicht wird, einen PKW zu benutzen und damit die Unfähigkeit auszugleichen, zu gehen und ein Fortbewegungsmittel zu besteigen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 3 S 3).
Ergänzend hat der 8. Senat allerdings angefügt, es müsse in jedem Einzelfall gesondert festgestellt werden, ob ein Versicherter dieses Hilfsmittel zur Befriedigung seines körperlichen Freiraums trotz des Vorhandenseins von der Beklagten bereits zur Verfügung gestellter Leistungen tatsächlich benötige. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
Ein schwenkbarer Autositz kann grundsätzlich als Hilfsmittel geeignet sein, weil er behinderungsbedingte Beeinträchtigungen eines Versicherten ausgleichen kann. Dies gilt sowohl für das Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums als auch für das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Diese Wertung steht nicht im Widerspruch zu früheren Entscheidungen des Senats. Mit Urteil vom 6. August 1998 - B 3 KR 3/97 R - (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 171) hat der Senat zwar entschieden, dass die behindertengerechte Ausstattung eines Kraftfahrzeuges nicht als Hilfsmittel der GKV zu leisten ist. Mit weiterem Urteil vom 26. März 2003 - B 3 KR 23/02 R (BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 17) hat er bekräftigt, dass die Verpflichtung der Krankenkassen, Versicherte zum Ausgleich einer Behinderung mit Hilfsmitteln zu versorgen, auch nach Inkrafttreten des SGB IX nicht die Ausrüstung eines PKW mit einer Ladevorrichtung (Rollstuhl- Ladeboy) umfasst, die es einem gehbehinderten Menschen ermöglichen soll, seinen Rollstuhl mit dem PKW zu transportieren. In beiden Fällen ging es aber nur darum, mit dem Hilfsmittel selbstständig größere Strecken als allein mittels des Rollstuhls zurückzulegen und damit den eigenen Aktionsradius zu erweitern. Hier steht indes im Vordergund, dass das Hilfsmittel dazu dient, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufsuchen zu können. Soweit der Senat mit Urteil vom 11.04.2002 - B 3 P 10/01 R - (SozR 3-3300 § 40 Nr 9 S 43) Ausführungen zur Anschaffung eines schwenkbaren Autositzes gemacht hat, sind diese hier schon deshalb nicht einschlägig, weil sie sich mit der Leistungsverpflichtung in der privaten Pflegeversicherung befassen und nicht mit der GKV.
Zwar hat die Rechtsprechung das jeweils in Betracht kommende Grundbedürfnis nach Fortbewegung bislang immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letzlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. Im vorliegenden Fall ist diese Einschränkung jedoch ohne Bedeutung, weil die Versicherte als Wachkomapatientin mit multiplen Behinderungen einen eigenen körperlichen Freiraum überhaupt nicht mehr wahrnehmen konnte und die Fortbewegung ausschließlich dem Besuch bei Ärzten und Therapeuten dienen sollte. Der Weg dorthin wurde für die Versicherte durch die Benutzung des PKW erheblich erleichtert, weil ihr - wie vom LSG festgestellt und in der Revision nicht angegriffen - durch den Transport im vertrauten Fahrzeug und in Gegenwart der Eltern Angstzustände genommen und zusätzliche spastische Anfälle vermieden wurden. Der schwenkbare Sitz ermöglichte es ihr unter Hilfestellung des Vaters, das Fahrzeug zu besteigen und dort sicher transportiert zu werden.

c) Das begehrte Hilfsmittel war auch erforderlich in dem Sinne, dass kein kostengünstigeres und zumindest gleichgeeignetes Hilfsmittel zur Verfügung stand. Zum einen sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Kläger ein preiswerteres Modell zum Einbau in den PKW hätten erwerben können. Das LSG hat insoweit zwar keine eigenen Feststellungen getroffen, brauchte sich hierzu aber auch nicht veranlasst zu fühlen, weil die beklagte Krankasse zu diesem Punkt ebenfalls keinerlei Einwendungen erhoben hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall eine zumindest gleichwertige Alternative hätte gewählt werden können. Das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Viamobil war zwar mit elektrischer Schiebehilfe ausgestattet und zur Benutzung für drinnen und draußen vorgesehen; es eignet sich jedoch nur zum Zurücklegen kurzer Wege und in der Regel nicht für Fahrten zur Behandlung bei Ärzten und Therapeuten. Der Hinweis des LSG schließlich, die Fahrten zu und von den Ärzten und Therapeuten hätten auch durch professionele Krankentransporteure durchgeführt werden können, lässt eine Würdigung der besonderen Umstände der schwerstbehinderten Versicherten und der mit der Organisation und Durchführung solcher Krankenfahrten verbundenen Schwierigkeiten nicht erkennen; er zeigt jedenfalls keine preiswertere Alternative auf.
Zur Frage der Kosten hat das LSG keine eigenen Feststellungen getroffen, obwohl die Kläger schon im Widerspruchsverfahren vorgetragen hatten, dass der Transport ihrer Tochter mit einem Taxi, welches den Rollstuhl aufnehmen könne, pro Fahrt ca 120 DM (= 61,38 EUR) kosten würde. Gleichwohl brauchte der Senat den Rechtsstreit nicht zur weiteren Aufklärung dieses Punktes an das LSG zurückzuverweisen. Es ist offenkundig und bedarf keines weiteren Beweises, dass der mehrmals wöchentlich durchzuführende Transport der Versichtern zu Ärzten und Therapeuten und zurück jeweils mindestens den oa Betrag von 120 DM gekostet hätte, denn es wäre ein professioneller Krankentransport mit einer fachlichen Betreuung (§ 60 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGB V, vgl dazu auch die abgestufte Verordnungsfähigkeit von Krankentransporten und Krankenfahrten in den §§ 6 und 7 der Krankentransport-Richtlinien vom 22. Januar 2004 - BAnz Nr 18 vom 28. Januar 2004) erforderlich gewesen, der wegen des notwendigen Aufwands und der höheren Personalkosten deutlich teurer wäre als ein Transport von Rollstuhlfahrern mittels Taxi. Eine überschlägige Berechnung der Kosten für die mehrmals wöchentlich durchzuführenden Krankentransporte der Tochter der Kläger ergibt, dass spätestens nach einem Jahr die geltend gemachten Kosten des schwenkbaren Autositzes erreicht worden wären. Die Fahrten mit professionellen Krankentransporteuren wären im Ergebnis also schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit teurer gewesen als der schwenkbare Autositz. Dem steht nicht entgegen, dass die Versicherte den Sitz nur ca. sechs Monate nutzen konnte, denn ihr baldiger Tod war zum Zeitpunkt der Anschaffung des Sitzes nicht vorhersehbar. Maßgebend ist aber die Erforderlichkeit der Anschaffung zu diesem Zeitpunkt, weil damit der Erstattungsanspruch entstanden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Verfahrensgang:

Sozialgericht Duisburg - S 9 KR 28/02
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 234/02

Referenznummer:

R/R2048


Informationsstand: 22.02.2005