Urteil
Krankenversicherung - Dickungsmittel - Heilmittel - Arzneimittel - Nahrungsmittel - Sondennahrung - enterale Ernährung - Hilfsmittel

Gericht:

BSG 1. Senat


Aktenzeichen:

B 1 KR 12/03 R


Urteil vom:

05.07.2005


Orientierungssatz:

Bei einem Instant-Dickungsmittel, das wegen erheblichen Schluckstörungen verordnet wurde, handelt es sich weder um ein Heilmittel noch um ein Arzneimittel. Es gehört auch nicht zu den Nahrungsmitteln, die ausnahmsweise als Teil der enteralen Ernährung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sind. Das Dickungsmittel kann auch nicht als Hilfsmittel angesehen werden.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten, die von der Klägerin für ein Instant-Dickungsmittel seit Februar 1998 aufgewandt wurden.

Die 1991 geborene, schwerst pflegebedürftige Klägerin ist über ihre Mutter bei der beklagten Ersatzkasse familienversichert. Sie leidet unter einer Mikrozephalie, die erhebliche Schluckstörungen vor allem bei sehr flüssiger Nahrung zur Folge hat. Sie kann nicht saugen und den Mund nicht schließen, jedoch mit dem Löffel mit breiiger Nahrung gefüttert werden. Um ihr ausreichend Flüssigkeit zu verabreichen, verordnete die sie behandelnde Ärztin das Instant-Dickungsmittel "Quick & Dick" ( im Folgenden: Dickungsmittel). Mit diesem wird die erforderliche Flüssigkeit verdickt und der Klägerin als Brei gefüttert.
Nach den Herstellerangaben handelt es sich bei dem Dickungsmittel um ein diätetisches Lebensmittel, das ausschließlich aus modifizierter Maisstärke mit der Verkehrsbezeichnung Hydroxypropyldistärkephosphat (E 1442) besteht; es wird heißen oder kalten Getränken, Trinknahrung, Suppen oder pürierten Speisen zugegeben, um eine festere Konsistenz zu erhalten. Es fällt lebensmittelrechtlich unter die Lebensmittel, die zur besonderen Ernährung bei Störungen der Nahrungsaufnahme im Rahmen eines Diätplans geeignet sind.

Die Klägerin wandte für das Dickungsmittel bisher jährlich (umgerechnet) rund 960 EUR auf. Im November 1997 beantragte sie bei der Beklagten hierfür aufzukommen. Die Beklagte lehnte eine Versorgung der Klägerin mit dem Dickungsmittel ab, weil es sich dabei nicht um ein Arznei- oder Heilmittel, sondern um ein Nahrungsergänzungsmittel handele, für das die gesetzliche Krankenversicherung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht aufzukommen habe (Bescheid vom 11. Februar 1998, Widerspruchsbescheid vom 30. April 1998).

Das hierauf angerufene Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Kosten für das Dickungsmittel zu übernehmen. Es handele sich um ein Hilfsmittel, weil die krankheitsbedingte Behinderung des Schluckens ausgeglichen werde. Der Zweck bestehe nicht darin, dem Körper Nährstoffe zuzuführen, wie dies bei anderen Diätlebensmitteln der Fall sei, sondern das Mittel werde allein dazu eingesetzt, die Konsistenz flüssiger Lebensmittel so zu verändern, dass sie von der Klägerin aufgenommen werden könnten; infolgedessen sei es nicht als Nahrungsmittel anzusehen, sondern entspreche seiner Zweckbestimmung nach eher einer Schnabeltasse oder einer Nahrungssonde (Urteil vom 3. August 1999).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die auf eine Kostenerstattung seit Bekanntgabe des Bescheides vom 11. Februar 1998 beschränkte Klage abgewiesen: Das Dickungsmittel sei weder ein Arznei-, noch ein Heil-, noch ein Hilfsmittel, sondern ein Nahrungsmittel. Werde das Dickungsmittel entgegen der einschlägigen Rechtsprechung des BSG den Hilfsmitteln zugeordnet, scheide eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gleichwohl aus, weil es dann als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen sei. Für das Eindicken kämen auch andere handelsübliche Produkte in Betracht, die entgegen der Ansicht des SG ebenso geeignet seien. Insoweit hat das LSG erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass das in Lebensmittelgeschäften zum Preis von 2,19 DM je 125-Gramm-Packung angebotene Produkt "Dr. Oetker Gustin Fix Speisebinder ohne Kochen" ebenfalls Hydroxypropyldistärkephosphat (E 1442) enthalte. Dessen Kosten betrügen nur einen Bruchteil der Kosten, welche die Klägerin für das Dickungsmittel "Quick und Dick" aufwende (Urteil vom 28. Juni 2001).

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie sinngemäß von § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Das Dickungsmittel sei ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung und kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Das LSG sei auf Grund lediglich behaupteter, jedoch nicht nachgewiesener Sachkunde zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich dabei um ein normales Lebensmittel handle, das mit handelsüblichen Speisebindern wie zB dem Produkt von Dr. Oetker vergleichbar sei. Sie habe sich vor dem LSG nicht
hinreichend dazu äußern können, dass es bei der handelsüblichen Speisestärke von Dr. Oetker um ein dem Dickungsmittel in jeder Hinsicht vergleichbares Produkt gehe, das sie ohne Gesundheitsschaden in den gleichen Mengen wie das chemisch reine "Quick & Dick" hätte zu sich nehmen können. Sie habe sich insoweit auch nicht von der Sachkunde des Gerichts überzeugen können. Das Produkt von Dr. Oetker sei im Übrigen erst Anfang 2001 auf den Markt gekommen und schon Ende 2001 wieder vom Markt genommen worden.


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Juni 2001 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 3. August 1999 zurückzuweisen, soweit dieses die Beklagte zur Erstattung ihrer seit Bekanntgabe des Bescheides vom 11. Februar 1998 für das Dickungsmittel "Quick & Dick" aufgewendeten Kosten verurteilt hat.


Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der für den Kauf des Dickungsmittels "Quick & Dick" entstandenen Kosten.

1. Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs 3 Alternative 2 SGB V in der bis 30. Juni 2001 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266, seit 1. Juli 2001 § 13 Abs 3 Satz 1 Alternative 2 idF des Art 5 Nr 7 Buchst b Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046). Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; zuletzt Urteile vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R = BSGE 93, 236, 238 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 10 mwN und vom 22. März 2005 - B 1 KR 11/03 - ICSI - mwN, zur Veröffentlichung bestimmt). Zwar haben Versicherte nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung der Versicherten mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB V). Diesen Anspruch hat das SGB IX nicht erweitert. Bei dem Dickungsmittel handelt es sich jedoch weder um ein Heilmittel (dazu 2.) noch um ein Arzneimittel ( dazu 3.). Es gehört auch nicht zu den Nahrungsmitteln, die ausnahmsweise als Teil der enteralen Ernährung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sind (dazu 4.). Entgegen der Ansicht der Revision kann das Dickungsmittel auch nicht als Hilfsmittel angesehen werden (dazu 5.).

2. Das Dickungsmittel ist kein Heilmittel im Sinne von § 32 SGB V. Heilmittel sind alle ärztlich verordneten Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen. Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen der physikalischen Therapie sowie der Sprach- und Beschäftigungstherapie (vgl BSGE 88, 204, 206 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 mwN; Urteil des Senats vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 28/02 R: Dauerpigmentierung, SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 3). Diese Voraussetzungen erfüllt das Dickungsmittel nicht. Es ist weder zur äußeren Einwirkung auf den Körper bestimmt noch wird es der Klägerin von speziell ausgebildeten Personen als Dienstleistung verabreicht (vgl BSGE 81, 240 = SozR 3-2500 § 27 Nr 9: Diätnahrungsmittel; vgl
auch BSGE 28, 158, 159 f = SozR Nr 30 zu § 182 Reichsversicherungsordnung (RVO) Bl Aa 28; BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 62; BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 11 S 47 f).

3. Ebenso wenig ist das Instant-Dickungsmittel ein von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mit umfasstes Arzneimittel iS des § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V.

Diese Qualifizierung zieht auch die Klägerin selbst im Revisionsverfahren nicht in Zweifel, rügt materiell-rechtlich nur die Verletzung des § 33 SGB V (Hilfsmitteleigenschaft) und trägt vor, das Mittel werde vom Hersteller als "diätetisches Lebensmittel für insbesondere medizinische Zwecke" bezeichnet. Die Arzneimitteleigenschaft kann mit einer solchen dem streitigen Mittel beigegebenen Funktion nicht bejaht werden, unbeschadet des Fehlens weiterer Voraussetzungen für eine von der Beklagten zu beanspruchende Arzneimittelversorgung. Fehlt einem Mittel die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung, dürfte es nämlich schon deswegen nicht von den Krankenkassen zur Krankenbehandlung nach § 27 Abs 1 SGB V gewährt werden ( vgl zuletzt BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236, 239 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 13 mwN).

Nach § 2 Abs 1 Nr 1 Arzneimittelgesetz (AMG, idF der hier vom 1. Dezember 1997 an anwendbar gewesenen Fassung vom 5. November 1997, BGBl I 2631, neu bekannt gemacht mit Gesetz vom 11. Dezember 1998, BGBl I 3586, inzwischen idF des Gesetzes vom 21. Juni 2005, BGBl I 1818) - der hier vorrangig in Betracht zu ziehen ist - sind unter Arzneimitteln ua solche Substanzen zu verstehen, die gerade dazu bestimmt sind, durch ihre Anwendung am oder im menschlichen Körper, Krankheitszustände zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Insoweit stellen das SGB V und das AMG auf denselben Zweck ab (vgl schon BSGE 72, 252, 255 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 S 82; BSG SozR 3-2500 § 27 Nr 10 S 33). Schon an dieser Zweckbestimmung fehlt es bei dem begehrten Dickungsmittel. Es dient gerade nicht primär der Krankenbehandlung im
beschriebenen Sinne, sondern es steht umgekehrt der Gesichtspunkt im Vordergrund, dass dem Betroffenen eine besondere Nahrung zur Verfügung gestellt werden soll, indem ihm die für jeden Menschen erforderliche Ernährung ermöglicht wird, zu der auch die Flüssigkeitsaufnahme gehört; die dabei genannten medizinischen Gesichtspunkte haben nur nachrangige Bedeutung. Darüber hinaus ist seit dem In-Kraft-Treten der Änderung des § 31 Abs 1 SGB V durch das 2. GKV-Neuordnungsgesetz (2. GKV- NOG) vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520, 1522) am 1. Juli 1997 nach § 43 Abs 1 AMG ohnehin nur noch die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst; das wiederum sind ausschließlich Arzneimittel iS von § 2 AMG (vgl bereits zu einem ähnlichen Sachverhalt BSG SozR 3-2500 § 27 Nr 10 S 34: Keine Kostenübernahme von Säuglings-Spezialnahrung im Rahmen der Arzneimittelversorgung). Schließlich hat das GKV- Gesundheitsmodernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (BGBl I 2190) durch Änderung des § 34 Abs 1 SGB V inzwischen sogar zum noch weiter gehenden Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel geführt (allerdings mit Ausnahmen insbesondere für Kinder und Jugendliche, vgl § 34 Abs 2 Satz 5 SGB V). Für das streitige Dickungsmittel, das nur ein Fertigarzneimittel sein könnte, existiert keine arzneimittelrechtliche Zulassung (vgl § 21 iVm § 4 Abs 1 AMG), wobei dahinstehen kann, ob es überhaupt zulassungsfähig wäre. Während § 2 Abs 3 Nr 1 AMG für Lebensmittel iS von § 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG, idF der Bekanntmachung vom 9. September 1997, BGBl I 2296) ausdrücklich klarstellt, dass diese keine Arzneimittel sind, fehlt es in § 2 Abs 3 AMG für Zusatzstoffe iS des § 2 LMBG zwar an einer entsprechenden Klarstellung. Nach den vom LSG festgestellten Herstellerangaben handelt es sich bei Hydroxypropyldistärkephosphat (E 1442) um einen Zusatzstoff iS des § 3 LMBG, der in der auf Grund von § 2 Abs 3 LMBG erlassenen Anlage 2 zur Zusatzstoff- Verkehrsverordnung vom 29. Januar 1998 (BGBl I 269 = Art 2 der VO zur Neuordnung lebensmittelrechtlicher Vorschriften über Zusatzstoffe (BGBl I 230)) aufgeführt ist. Zusatzstoffe in diesem Sinne sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, Lebensmitteln zur Beeinflussung ihrer Beschaffenheit oder zur Erzielung bestimmter Eigenschaften oder Wirkungen zugesetzt zu werden. Daneben erfüllt Hydroxypropyldistärkephosphat (E 1442) nach den Feststellungen des LSG aber auch die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 Diät-Verordnung (DiätVO) iVm Anlage 8 zu dieser VO vom 12. September 1981 (neugefasst durch Bekanntmachung vom 28. April 2005 BGBl I 1161), was ebenfalls für die Qualifizierung des Dickungsmittels als Lebensmittel spricht. Denn nach § 1 DiätVO sind diätetische Lebensmittel solche, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Eine Leistungspflicht zu Gunsten der Klägerin lässt sich aus alledem nicht herleiten.

4. Das Dickungsmittel fällt auch nicht unter diejenigen Ernährungsstoffe, die nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V iVm den Arzneimittelrichtlinien (AMRL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen sind.

a) Bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember 1997 (BSGE 81, 240 ff = SozR 3-2500 § 27 Nr 9) hat der erkennende Senat eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Mehraufwendungen abgelehnt, die Versicherten dadurch entstehen, dass sie an Stelle haushaltsüblicher Lebensmittel aus Krankheitsgründen eine Diät- oder Krankenkost verwenden müssen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Ausweitung des Arzneimittelbegriffs durch Einbeziehung von Diät- oder Krankenkost der begrenzten Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung widerspräche. Diese verfolge nicht das Ziel, den
Versicherten vor krankheitsbedingten Nachteilen umfassend zu schützen. Bei der Vielzahl von Auswirkungen, die eine Krankheit auf die Lebensführung des Betroffenen haben kann, wäre das Krankenversicherungsrisiko nicht sachgerecht begrenzbar, wenn es sich auf alle durch die Krankheit veranlassten Aufwendungen erstrecken würde. Die Leistungspflicht der Krankenkassen sei deshalb, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibe, auf Maßnahmen beschränkt, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen. Mehrkosten und andere Nachteile und Lasten, die der Versicherte im täglichen Leben wegen der
Krankheit habe, seien der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen und nicht von der Krankenkasse zu tragen. Das gelte grundsätzlich auch für Mehraufwendungen, die durch eine besondere, krankheitsangepasste Ernährungsweise entstehen (BSGE 81, 240, 243 = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 29 mit weiteren Hinweisen auf BSG SozR 2200 § 182 Nr 88 S 183; BSGE 63, 99, 100 = SozR 2200 § 182 Nr 109 S 234). Soweit der 3. Senat des BSG zum früher maßgeblichen § 182 Abs 1 RVO die Auffassung vertreten habe, eine Krankenkost könne von der Krankenkasse ausnahmsweise gewährt werden, wenn zu der Heilwirkung der Kost für den einzelnen Versicherten noch besonders gravierende Umstände, insbesondere eine unzumutbar hohe finanzielle Belastung durch die im Vergleich zu üblichen Lebensmitteln teureren Diätpräparate, hinzuträten (Urteile vom 23. März 1983 - SozR 2200 § 182 Nr 88 S 183 und vom 23. März 1988 - BSGE 63, 99, 100 = SozR 2200 § 182 Nr 109 S 234; ähnlich für andere Gegenstände des allgemeinen Lebensbedarfs: BSGE 65, 154, 157 = SozR 2200 § 368e Nr 13 S 35; BSGE 67, 36, 37 = SozR 3-2500 § 27 Nr 2 S 3), könne hieran seit In-Kraft-Treten des SGB V nicht mehr festgehalten werden. Während § 182 Abs 1 Nr 1 RVO keine abschließende Aufzählung der als Krankenpflege zu gewährenden Leistungen enthalte und damit Raum für eine Ausweitung des Leistungskatalogs gelassen habe, regele der jetzige § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V den Umfang der Krankenbehandlung bewusst
abschließend (Begründung zum Entwurf des Gesundheitsreformgesetzes, BT-Drucks 11/2237 S 170). Die Krankenkassen seien damit grundsätzlich auf die in der Vorschrift genannten Leistungen beschränkt (BSGE 81, 240, 243 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 29 f) . Hieran hält der Senat fest.

b) Nach Erlass dieses Urteils kam es zu Unsicherheiten, ob damit den bisherigen Ausnahmeregelungen in den AMRL (Abschnitt G Nr 20.1 Buchst i), etwa zur Verordnungsfähigkeit von Sondennahrung, die Rechtsgrundlage entzogen worden ist (vgl Ausschussbericht BT-Drucks 14/157 S 33). Der Gesetzgeber änderte hierauf mit Wirkung vom 1. Januar 1999 Satz 2 des § 31 Abs 1 SGB V; er ermächtigte den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (seit 1. Januar 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss; im Folgenden: Bundesausschuss), in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ("Arzneimittelrichtlinien")
festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden.

c) Der Bundesausschuss hat auf Grund dieser Ermächtigung zuletzt mit Beschluss vom 15. Februar 2005 in den AMRL nach dem bisherigen Kapitel D ein neues Kapitel E über "Enterale Ernährung" eingefügt. Danach kommt als Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Verordnungsfähigkeit von Nahrungsmitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ua bei vollständiger Störung der Schluckfunktion oder bei passage- oder mobilitätsbedingter Störung der normalen Nahrungsaufnahme die Verordnung von Aminosäuremischungen, von Eiweißhydrolysaten, von Elementardiäten oder die Verordnung von Sondennahrung in Betracht.

Ungeachtet des Umstandes, dass die genannte Änderung der AMRL bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BSG wegen einer Beanstandung durch das zuständige Ministerium nicht in Kraft getreten ist, kann sich die Klägerin weder hierauf noch auf die bisher geltenden AMRL (Abschnitt G Nr 20.1 Buchst i) berufen. Sie begehrt die darin genannten Leistungen weder als Sachleistung, noch geht es ihr um die Erstattung der für solche Leistungen aufgewandten Kosten.

5. Die Klägerin kann Kostenerstattung schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt verlangen, das Dickungsmittel hätte ihr von der Beklagten gemäß § 33 Abs 1 SGB V als Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden müssen.

a) Hilfsmittel sind alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel (vgl BSGE 88, 204, 206 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41; Urteil des Senats vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 28/02 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 3 f: Dauerpigmentierung, jeweils zur Abgrenzung von Heil- und Hilfsmitteln). Zwar sind auch Flüssigkeiten, Gase oder - wie vorliegend - ein pulverisierter Stoff als Sachen oder Gegenstände in einem weiten sprachlichen Verständnis anzusehen. Indessen hat das Dickungsmittel schon seiner Art nach keine Ähnlichkeit mit den in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V beispielhaft aufgeführten typischen Hilfsmitteln, wie zB mit Hörhilfen, Körperersatzs tücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln. Das Dickungsmittel hat auch nicht die Funktion, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden zu mildern oder auszugleichen. Die bei der Klägerin bestehende Schluckstörung als solche kann durch das Dickungsmittel weder beseitigt noch gemildert oder ausgeglichen werden.

b) Das Dickungsmittel hat die Funktion, flüssige Nahrung in breiige Nahrung umzuformen und dadurch die Nahrungsaufnahme zu ermöglichen. Derartige Leistungen sind indessen durch § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V vom Gesetzgeber - obgleich es sich der Sache nach um Nahrungsaufnahme und Ernährung handelt - systematisch der Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln zugeordnet worden. Wollte man das Dickungsmittel gleichwohl als Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 SGB V qualifizieren, liefen die engen Voraussetzungen, unter denen der Gesetzgeber im Bereich der Ernährung und Nahrungsaufnahme eine Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen hat (zB Sondennahrung), leer. Hieran kann auch der Umstand nichts ändern, dass die Vorgehensweise der Klägerin bei der Aufbereitung flüssiger Nahrung eine möglicherweise sonst erforderlich werdende Zuführung des Flüssigkeitsbedarfs über eine Sonde vermeidet. Leistungen, die nach den Vorschriften des SGB V nicht vorgesehen sind, müssen von den Krankenkassen nicht schon deshalb erbracht werden, weil dadurch ggf gesetzlich vorgesehene Leistungen vermieden oder eingespart werden können (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R, SozR 4- 2500 § 27 Nr 3 RdNr 8 mwN).

c) Auf die Frage, ob es sich bei dem Dickungsmittel um einen Gegenstand des täglichen Lebens handelt, kommt es somit nicht an. Es kann daher auch dahin gestellt bleiben, ob das LSG ohne Verfahrensfehler erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung und ohne weitere Ermittlungen aus eigener Sachkunde feststellen durfte, dass das in Lebensmittelgeschäften zum Preis von 2,19 DM je 125-Gramm-Packung angebotene Produkt "Dr. Oetker Gustin Fix Speisebinder ohne Kochen" Hydroxypropyldistärkephosphat (E 1442) enthalte und ein dem Dickungsmittel gleichwertiges Produkt sei. Selbst wenn das LSG insoweit zu weiteren Tatsachenermittlungen verpflichtet gewesen wäre, beruht sein Urteil nicht auf einem dem LSG insoweit möglicherweise unterlaufenen Verfahrensfehler. Denn das LSG hat den Anspruch zutreffend mit der Begründung verneint, dass es sich bei dem Dickungsmittel nicht um ein Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 SGB V handele. Mit dem Hinweis auf das Produkt von Dr. Oetker hat das LSG lediglich hilfsweise und ergänzend ausgeführt, dass der Anspruch selbst dann ausgeschlossen wäre, wenn es sich bei dem Dickungsmittel um ein Hilfsmittel handelte; denn in diesem Fall liege jedenfalls ein Gegenstand des täglichen Lebens vor, für den die gesetzliche Krankenversicherung gemäß § 33 Abs 1 Satz 1, letzter Halbsatz SGB V nicht aufzukommen habe. Angesichts des Umstand, dass bereits die Hauptbegründung des LSG durchgreift, kam es auf eine - möglicherweise verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommene - Hilfsbegründung nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Referenznummer:

KSRE080631517


Informationsstand: 15.02.2006