Die Revision des Klägers, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1
i.V.m. § 125
Abs. 1 Satz 1 und § 101
Abs. 2
VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Das nagefochtene Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 144
Abs. 3 Satz 1
Nr. 2
VwGO).
Zu Unreicht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Gewährung heilpädagogischer Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 40
Abs. 1
Nr. 3 BSHG
i. d. F. der
Bek. vom 23.3. 1994 (BGBl. I
S. 646, 2975)
i.V.m. § 12
Nr. 1 EingliederungshilfeVO i.d.F. der Bekanntmachung vom 1.2. 1975 (BGBl. I S 433)) ebenso wie die Gewährung heilpädagogischer Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind (§ 40
Abs. 1
Nr. 2a BSHG F. 1994
i.V.m. § 11 Satz 1 EingliederungshilfeVO), voraussetzt, dass "nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch eine drohende Behinderung im Sinne des § 39
Abs. 1 des Gesetzes verhütet werden kann oder die Folgen einer solchen Behinderung beseitigt oder gemildert werden können". ( § 11 Satz 1 EingliederungshilfeVO).
Der Auslegung des Berufungsgerichts steht bereits der eindeutige Wortlaut des § 12
Nr. 1 EingliederungshilfeVO entgegen, der die Gewährung heilpädagogischer Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung - ebenso wie die der "sonstigen Maßnahmen zugunsten behinderter Kinder und Jugendlicher" - daran knüpft, dass "die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern". Ein prognostisches Urteil über die Eignung einer heilpädagogischen Maßnahme nach dem Maßstab der allgemeinen oder sonst fachlichen Erkenntnis wird hier nicht gefordert.
Auch aus der Entstehungsgeschichte der §§ 11 und 12 EingliederungshilfeVO und der sie tragenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen erschließt sich eine Forderung nicht. Heilpädagogische Maßnahmen als Maßnahmen der Eingliederungshilfe kannte das Sozialhilferecht bis zur Einführung des § 40
Abs. 1
Nr. 2a BSHG durch das 3. BSHG-Änderungsgesetz vom 25.3.1974 (BGBl. I
S. 777) nur als Hilfe zur Vorbereitung künftigen Schulbesuchs (§ 40
Abs. 1
Nr. 3 BSHG
i.V.m. § 12
Nr. 1 EingliederungshilfeVO i.d.F. vom 28.5.1971 (BGBl. I
S. 728)). Der damalige Tatbestand des § 12
Nr. 1 EingliederungshilfeVO war - bis auf die den Schulbesuch konkretisierende Beifügung "künftigen" - mit dem heutigen wortlautidentisch. Mit der Streichung dieser Beifügung durch die Verordnung vom 15.6.1975 (BGBl. I
S. 267) sollte lediglich klargestellt werden, dass die in § 12
Nr. 1 EingliederungshilfeVO genannten Maßnahmen "nicht nur zur Vorbereitung künftigen Schulbesuchs angezeigt sein" können, "sondern auch während des Schulbesuchs, sei es, dass der Behinderungsfall erst im schulpflichtigen Alter eintritt oder sei es, dass im vorschulpflichtigen Alter begonnene Maßnahmen schulbegleitend fortgesetzt werden müssen" (Begründung zu § 12 EingliederungshilfeVO 1975, BR-Drs. 743/74
S.5). Eine Änderung im Beurteilungsmaßstab für die Eignung der in § 12
Nr. 1 EingliederungshilfeVO genannten Maßnahmen war damit nicht beabsichtigt.
Eine entsprechende Absicht ließ sich auch nicht der die Aufnahme der heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder im Vorschulalter in den Maßnahmekatalog der Eingliederungshilfe (§ 40
Abs. 1
Nr. 2a BSHG) begleitenden Änderung des § 40
Abs. 1
Nr. 3 BSHG entnehmen. Das 3. BSHG-Änderungsgesetz fügte dort lediglich die Worte "einschließlich der Vorbereitung hierzu" ein, um klarzustellen, dass heilpädagogische wie alle anderen Eingliederungshilfemaßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch Maßnahmen umfassen, "die unmittelbar der Voreberung auf den Schulbesuch dienen" (BT-Drs. 7/308
S. 14 zu Nummer 16 (§ 40) zu b).
Die Änderungen betragen also nicht die tatbestandlichen Anforderungen an Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, sondern allein deren Abgrenzung zur heilpädagogischen Eingliederungshilfe im Vorschulalter. Dieser entstehungsgeschichtliche und systematische Hintergrund des § 11 EingliederungshilfeVO schließt es aus, die in Satz 1 dieser Vorschrift verordnete Bindung heilpädagogischer Eingliederungsmaßnahmen an die allgemeine ärztliche oder sonstige fachliche Anerkennung der betreffenden Behandlungsmethode als allgemeine, gleichsam "vor die Klammer gezogene" Regelung zu verstehen, die auch für heilpädagogische Maßnahmen nach Beginn der allgemeinen Schulpflicht gilt.
Auch Sinn und Zweck des § 11 EingliederungshilfeVO und der ihn tragenden formellgesetzlichen Grundlage rechtfertigen ein solches Normverständnis nicht. Der Gesetzgeber führte die heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder im Vorschulalter einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Regelung zu, um sie wegen ihrer Bedeutung für die Effektivität der Eingliederungshilfe für Kinder besonders hervorzuheben: "Eingliederungshilfe soll bei Kindern, die von Geburt oder der frühen Kindheit an behindert sind, so frühzeitig wie möglich einsetzen, damit ein nachhaltiger Erfolg der Eingliederungsmaßnahmen erreicht werden kann". (BT-Drs. 7/308
S. 14 zu Nummer 16 (§ 40) zu a). Dabei löst § 40
Abs. 1
Nr. 2a BSHG die heilpädagogischen Maßnahmen gegenüber dem früheren Rcht vorn der Ausrichtung auf den Schulbesuch im Rahmen der allgemeienen Schulpflicht. Die von ihm ermöglichte Eingliederungshilfe setzt vor Beginn der allgemeinen Schulpflicht ein und soll heilpädagogische Eingliederungsmaßnahmen im fürhen Kindeslater sowie in den Fällen ermlöglichen, in denen von vornherein ein späterer Schulbesuch oder eine spätere berufliche Ausbildung als ausgeschlossen angesehen werden muss (
vgl. BT-Drs. 7/308 S- 14 zu Nummer 16 (§ 40) zu a) zweiter Absatz sowie die Begründung zu § 11 a EingliederungshilfeVO 1975, BR-Drs. 743/74
S. 4). In Ausfüllung dieser gesetzlichen Vorgabe bestimmt § 11 Satz 2 EingliederungshilfeVo, dass heilpädagogische Maßnahmen auch gewährt werden, wenn die Behinderung eine spätere Schulbildung oder eine Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder für eine sonstige angemessene Tätigkeit voraussichtlich nicht zulassen wird. Damit stellt § 11 Satz 2 EingliederungshilfeVO "klar, dass die heilpädagogischen Möglichkeiten auch in schweren Behinderungsfällen ausgeschöpft weden sollen, wenn durch sie nur ganz allgemein die Möglichkeit zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft verbessert werden können oder die Pflegebedürftigkeit um einiges gemildert werden kann", während "Satz 1 das möglichst frühzeitige Einsetzen der heilpädagogischen Behandlung bezweckt" (Begründung zu § 11 a EingliederungshilfeVO 1975, BR-Drs. 743/74
S. 4).
Bei diesem weiten Verständnis der heilpädagogischen Eingliederungshilfe im Vorschulalter und bei der Bedeutung, die der Gesetzgeber der frühkindlichen Rehabilitation für den Erfolg seiner Eingliederungshilfe beimisst, erscheint sein Bemühen verständlich sicherzustellen, dass einerseits mit den begrenzten Mitteln der Eingliederungshilfe nicht heilpädagogische Versuche finanziert werden und andererseits nicht durch fragwürdige, fachlich nicht abgesicherte Maßnahmen die besondere Rehabilitationschancen des Vorschulalters verspielt werden. Dass die Effektivität der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einer entsprechenen präventiven Wirksamieitskontrolle nach formalen Fachkirterien bedarf, hat der Verordnungsgeber verneint, indem er für diesen Bereich der Eingliederungshilfe sich mit der auch ansonsten geforderten Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Eingliederungsmaßnahme im Einzelfall begnügt hat. Dafür, dass er mit dieser Einschätzung sein Ermessen überschritten haben könnte, ist kein Anhaltspunkt ersichtlich. Der Verzicht auf das formale Erfordernis einer "allgemeinen" ärztlichen oder sonstigen fachlichen "Anerkennung" der betreffenden Methode bei Gewährung heilpädagogischer Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung lässt sich - worauf die Revision zu Recht hinweist - sachlich damit rechtfertigen, dass die Wirksamkeit der Methode hier einer laufenden Kontrolle besonders sachkundiger Personen, nämlich der (Sonder-) Pädagogen des Schulbereichs, die sich an dem - leicht objektivierbaren - Kriterium der individuellen Schulfähigkeit des betreffenden Kindes orientieren, unterworfen ist. Ob konkrete Erfolge der betreffenden Methode Recht geben, dürfte sich in Bezug auf das eingegrenzte Kriterium der Schulfähigkeit leichter und eindeutiger beantworten lassen als in Bezug auf das bei behinderten Kindern im Vorschulalter nach dem Gesetz maßgebliche vagere und weit gefasste Kriterium der Verhütung einer Behinderung oder Beseitigung oder Milderung ihrer Folgen.
Nach alledem ist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses in geeigneter Weise der Frage nachgeht, ob die dreiwöchige "Petö-Therapie" im März/April 1997 für den Kläger eine geeignete und neben den gewährten krankengymnastischen, heilpädagogischen und logopädischen Förderungen erforderliche Maßnahme war, um dem Kläger den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dem Revisionsgericht sind derartige Feststellungen versagt.
Quelle: Behindertenrecht 3/2003,
S. 89 f.