II. Der zulässige Antrag ist begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Das Gericht kann nach Maßgabe des § 86 b
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Da die Antragstellerin die vorläufige Zurverfügungstellung eines Transmitters und von Sensoren für ein kontinuierliches Glukosemesssystem begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz
gem. § 86 b
Abs. 2 Satz 2
SGG. Denn anders als bei einer sogenannten Sicherungsanordnung (§ 86 b
Abs. 2 Satz 1
SGG), bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer sogenannten Regelungsanordnung um die Begründung einer neuen Rechtsposition. Für die Regelungsanordnung sind der durch die einstweilige Anordnung zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund, weshalb die einstweilige Anordnung ergehen soll (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen. Das Rechtsschutzziel der Antragstellerin ist, da sie die Kostenübernahme im Wege der Sachleistung begehrt, auf eine - grundsätzlich unzulässige - Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Im Hinblick auf das in
Art. 19
Abs. 4 des Grundgesetzes (
GG) zum Ausdruck kommende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gilt dieses grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung allerdings dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung notwendig erscheint, um die sonst zu erwartenden unzumutbaren und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigenden Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden, und gleichzeitig ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht. Für eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache bedarf es mit anderen Worten erhöhter Anforderungen an das Vorliegen sowohl des Anordnungsanspruchs als auch des Anordnungsgrundes (
vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 25.08.2010, L 6 KR 290/10 B ER,
m.w.N., Rz. 25
ff. bei juris).
In gerichtlichen Eilverfahren ist es grundsätzlich statthaft, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren. Allerdings ist ihnen in Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden; die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (
vgl. Bundesverfassungsgericht, stattgebender Kammerbeschluss vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06;
vgl. hierzu auch
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.06.2009, L 9 B 482/08 KR ER).
Danach war dem Antrag vorliegend in dem austenorierten Umfang im Rahmen einer Folgenabwägung stattzugeben, da es um eine existenziell bedeutsame Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung geht und dem Gericht eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist. Nach den bisherigen Feststellungen ist das Bestehen des geltend gemachten Anordnungsanspruchs auf Übernahme der Kosten des kontinuierlichen Glukosemesssystems nicht ausgeschlossen.
Das Gericht kann mit den im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht abschließend feststellen, ob ein Anspruch auf die begehrte Versorgung besteht. Es ist nicht abschließend feststellbar, ob es sich bei der kontinuierlichen Glukosemessung um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135
Abs. 1
SGB V handelt (dazu unter 1). Darüber hinaus ist ohne Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens nicht feststellbar, ob die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten System erforderlich im Sinne des § 33
Abs. 1
S. 1
SGB V ist (dazu unter 2). Da vorliegend eine existentiell bedeutsame Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Rede steht, war eine Folgenabwägung vorzunehmen, in deren Ergebnis der Antragstellerin die begehrte Leistung zuzusprechen war (dazu unter 3). Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (dazu unter 4). Der Anspruch war auf den austenorierten Zeitraum zu begrenzen (dazu unter 5).
1) Eine abschließende Prüfung der Frage, ob der Leistungspflicht der Antragsgegnerin entgegen steht, dass der
G-BA für die kontinuierliche Glukosemessung keine Empfehlung abgegeben hat, wie es § 135 Abs 1
SGB V für die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen voraussetzt, ist im hiesigen vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich. Die Prüfung der Frage ist nicht dadurch obsolet geworden, dass der Unterausschuss Methodenbewertung des
G-BA inzwischen einvernehmlich zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es sich bei der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung bei Diabetes mellitus um eine neue Untersuchungsmethode handele. Denn dem
G-BA steht diesbezüglich ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum nicht zu (
vgl. Murawski, in LPK-SGB V, § 135 Rz. 3
m.w.N.).
Der Begriff der Untersuchungs- und Behandlungsmethode bezeichnet ein medizinisches Vorgehen bei der Untersuchung oder Behandlung einer Erkrankung, dem ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das es von anderen Therapien unterscheidet und seine systematische Anwendung in der Untersuchung oder Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Während der Begriff der Untersuchungsmethode auf das diagnostische Vorgehen eines Vertrags(zahn)arztes rekurriert, erfasst der Terminus Behandlungsmethode - über den eigentlichen Begriff der vertragsärztlichen Leistungen hinausgehend - das therapeutische Vorgehen als Ganzes unter Einschluss aller nach dem jeweiligen methodischen Ansatz zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlichen Einzelschritte (Joussen, in Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 135 Rn. 1; zur Behandlungsmethode
BSG, Urteil vom 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, Rz. 17 bei juris). Die Sperrwirkung des in § 135 Absatz I 1
SGB V vorgeschriebenen Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt erfasst als "Methoden" damit Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild "systematisch" angewandt werden und als leistungsübergreifende methodische Konzepte auf ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel ausgerichtet sind. Nach dem Zweck des § 135 Absatz 1
SGB V ergibt sich die Einbeziehung unter den Methodenbegriff dabei entweder aus der eigenständigen theoretischen Fundierung oder aus der Komplexität des technischen Ablaufs und den damit in einer Vielzahl von Anwendungsfällen heraufbeschworenen Gefahren (
vgl. BSG, Urteil vom 19. 10. 2004, B 1 KR 27/02 R,
m.w.N.). Neu ist eine Methode, wenn sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren abgrenzt und sich darüber hinaus auf nicht weitgehend einhellig anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse beruft, die gerade deshalb der Prüfung auf Qualitätssicherung unterzogen werden sollen. In formeller Hinsicht ist eine Methode als neu zu qualifizieren, wenn sie noch nicht als abrechnungsfähige (zahn)ärztliche Leistung im EBM enthalten ist oder wenn sie zwar dort aufgeführt ist, ihre Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfährt (Joussen, in Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 135 Rn. 2,
m.w.N.). Eine Methode ist auch dann neu, wenn sie sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener, für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener Maßnahmen zusammensetzt (
vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.02.2011, L 4 KR 256/10
m.w.N.). Geht es hingegen um ein Hilfsmittel, das im Rahmen herkömmlicher ärztlicher Behandlungsmethoden eingesetzt werden soll, ist der Gemeinsame Bundesausschuss in seinem speziellen Zuständigkeitsbereich der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 135
SGB V) und des Erlasses einschlägiger Richtlinien (
§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V) nicht berührt (
BSG, Urteil vom 22.04.2009,
B 3 KR 11/07 R, Rz. 17 bei juris). Eine Therapie bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ist nur dann von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der
G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2
Nr. 5
SGB V bereits eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode und die notwendige Qualifikation der Ärzte sowie die dabei zu beachtenden apparativen Anforderungen abgegeben hat. Voraussetzung dafür ist der Beleg von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethoden anhand sog. randomisierter, doppelblind durchgeführter und placebokontrollierter Studien. Diese Anforderungen gelten auch für die Kostenübernahme von Hilfsmitteln. Soll ein Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung (
§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V) deren "Erfolg sichern" (§ 33 Abs 1
SGB V), ist seine Verwendung - anders als etwa bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich - nicht von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach
§§ 2 Abs 1 Satz 3,
12 Abs 1 SGB V i.V.m. § 135 Abs 1
SGB V zu trennen. Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten "Methode" (
vgl. BSG, Urteil vom 12.08.2009,
B 3 KR 10/07 R,
m.w.N.).
Die kontinuierliche Gewebszuckermessung wäre danach dann als neue ärztliche Untersuchungsmethode anzusehen, wenn sie als neues ärztliches Diagnostikverfahren eingesetzt werden würde. Dies lässt sich nach den vorliegenden Unterlagen indes nicht feststellen. Vielmehr unterscheidet die DDG in ihrem Positionspapier vom 20.01.2010 zwischen zwei verschiedenen Ansätzen der kontinuierlichen Glukosemessung. Danach gibt es zwar Systeme, die als diagnostisches Werkzeug des behandelnden Arztes dienen. Die von diesen Systemen aufgezeichneten Messwerte sind nicht für den Patienten sichtbar, sondern werden vom Arzt mithilfe einer speziellen Software ausgewertet. Bei anderen Systemen jedoch erfolgt eine unmittelbare Anzeige der Messwerte und der Glukosekurve auf einem Display (sog. Real-Time-Messung). Diese Systeme dienen laut DDG dem Patienten als Hilfsmittel für die Kontrolle und Optimierung seiner Therapie. Bei dem von der Antragstellerin begehrten System handelt es sich um ein für die Selbstnutzung durch den Patienten entwickeltes System. Dies ergibt sich aus den Herstellerangaben auf der Internetseite. Danach soll das System den Patienten ermöglichen, ihr Glukoseprofil zu ermitteln und mittels Alarmsignalen auf Hyper- oder Hypoglykämien zu reagieren. Insoweit ist eine ärztliche Untersuchungsmethode nicht feststellbar. Dementsprechend hat der MDK in seiner Stellungnahme vom 11.05.2012 auch darauf abgestellt, dass die Messergebnisse vom Vertragsarzt bewertet werden müssten und diese Bewertung im vertragsärztlichen System bisher nicht etabliert sei. Eine neue Untersuchungsmethode nimmt der MDK nicht an. Nach summarischer Prüfung ist nicht auszuschließen, dass die kontinuierliche Glukosemessung als Teil eines neuen Behandlungskonzepts als neue Behandlungsmethode anzusehen ist. Sie soll im Rahmen der Diabetestherapie eingesetzt werden und es ist davon auszugehen, dass eine Auswertung der Messergebnisse auch bei der von der Antragstellerin begehrten Variante der Real-Time-Messung nicht nur durch den Patienten, sondern auch durch den jeweils behandelnden Arzt erfolgen wird. Damit dürfte das Messverfahren jedenfalls als Teil einer Behandlungsmethode zu qualifizieren sein. Diese Behandlungsmethode wäre aber nur dann "neu", wenn die behandelnden Ärzte im Ergebnis der Auswertung der Messergebnisse eine neue Diabetestherapie, d.h. neue Behandlungskonzepte entwickeln und anwenden würden. Dies lässt sich im Wege der summarischen Prüfung nicht feststellen. Das von der Antragstellerin begehrte System dient der kontinuierlichen Feststellung der Glukosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit des Unterhautfettgewebes und soll - ebenso wie die Feststellung des Blutzuckers mit Blutzuckermessgeräten - die richtige Einstellung des Blutzuckerspiegels ermöglichen. Die bei Diabetes zur Verfügung stehenden Glukosemessverfahren werden durch das kontinuierliche Glukosemesssystem um ein weiteres Verfahren erweitert, ohne dass ersichtlich wäre, dass sich die Behandlungsmethode der Erkrankung ändert. Aufgrund solcher Erwägungen haben das SG Detmold (Urteil vom 01.12.2010,
S 5 KR 325/09) und das SG Altenburg (Beschluss vom 16.11.2011, S 30 KR 3953/11 ER) das Vorliegen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode bei der kontinuierlichen Glukosemessung verneint. Die abschließende Klärung der Frage, ob die Unterschiede zu der Blutzuckermessung mithilfe von als Hilfsmittel nach § 33
SGB V anerkannten Blutzuckermessgeräten, namentlich die Messung nicht des Blutzuckers, sondern des Zuckers im Unterhautfettgewebe und die nicht nur punktuelle, sondern kontinuierliche Bestimmung der Glukosekonzentration, eine Bewertung des Behandlungskonzepts bei Diabetes mellitus Typ I insgesamt als neu im Sinne des § 135
Abs. 1
SGB V rechtfertigen, erfordert medizinische Ermittlungen, insbesondere zur Wirkungsweise der Glukosemessung im Blut einerseits und im Unterhautfettgewebe andererseits und den Auswirkungen auf Therapiemöglichkeiten; diese sind im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht zu leisten.
2) Nach § 27
Abs. 1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst die Krankenbehandlung gemäß § 27
Abs. 1 Satz 2
Nr. 3
SGB V die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Nach § 33
Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Erforderlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn das Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist, wie es auch § 12
Abs. 1 Satz 1
SGB V verlangt. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12
Abs. 1 Satz 2
SGB V). Die Antragsgegnerin schuldet demnach nur die Hilfe, die unmittelbar auf den Ausgleich eines Funktionsdefizits gerichtet und hierfür auch geeignet und notwendig ist (
vgl. Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung [Std.: 49. EL./Dezember 2004] § 33
SGB V RdNr. 7). Ob der Einsatz des Hilfsmittels erforderlich im Sinne der §§ 33, 12
SGB V ist, ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Datenlage offen. Der behandelnde Arzt der Antragstellerin verweist in dem im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin befindlichen Erhebungsbogen (Bl. 6 des Verwaltungsvorgangs) auf wissenschaftliche Bewertungen des Nutzens der kontinuierlichen Glukosemessung für die Diabetestherapie. Die DDG benennt in ihrem Positionspapier vom 20.01.2010 mehrere Studien, ausweislich derer es unter Einsatz der kontinuierlichen Glukosemessung zu einer signifikanten Verbesserung der Stoffwechselkontrolle gekommen sei (
vgl. S. 14
ff.). Sie nimmt insbesondere Bezug auf eine Studie in Großbritannien, die die Effektivität der kontinuierlichen Glukosemessung bei schwangeren Patientinnen feststellte (
S. 21 f.). Demgegenüber wird in der S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes - Version 1.0; September / 2011 der DDG (veröffentlicht unter http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Evidenzbasierte Leitlinien/AktualisierungTherapieTyp1Diabetes 1 20120319 TL.
pdf) unter 9.1. Kontrolle der Stoffwechseleinstellung als Empfehlung 9-3 folgendes Statement abgegeben: "Es ist nicht ausreichend belegt, dass die Anwendung der kontinuierlichen Glukosemessung zu einer Senkung des HbA1c-Wertes führt. Hinweise auf einen entsprechenden Nutzen bei Erwachsenen mit guter Adhärenz müssen in weiteren Studien bestätigt werden. Für die Senkung der Hypoglykämierate liegt widersprüchliche Evidenz vor." (
S. 69). Erläuternd findet sich im Methodenreport zur Aktualisierung der S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes 2011 (veröffentlicht unter http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Evidenzbasierte Leitlinien/Methodenreport S3-LL Therapie des Typ-1-Diabetes.
pdf) folgender Hinweis: "Änderung von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen durch kontinuierliche Glukosemessung Hinsichtlich der Diagnose von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen wurden keine randomisierten kontrollierten Studien identifiziert, sondern nur kleine Fallserien
bzw. Kohortenstudien (Kubiak
et al. 2004 EK III; Streja 2005 EK III; Choudhary
et al. 2010 EK III). In einer Pilotstudie untersuchten Kubiak
et al., 2004, die Korrelation der CGM-Werte mit den venösen
BG-Werten und die Anzahl durch CGM nicht entdeckter Hypoglykämien (über insgesamt 72h) (Kubiak
et al. 2004 EK III). Die Korrelation von CGM und venösen
BG-Werten erreichte insgesamt 77 % Übereinstimmung, für hypoglykämische Werte lag die Übereinstimmung bei 62,3 %. Die Rate an Hypoglykämien (definiert als
BG-Wert ( 3,3 mmol/l) war bei Patienten mit Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen mehr als doppelt so hoch wie bei Patienten mit intakter Hypoglykämiewahrnehmung (4,6 vs. 2,1 Episoden pro 24 h). Unter CGM wurde in beiden Gruppen jeweils
ca. die Hälfte hypoglykämische Episoden pro 24 h nicht entdeckt (2,1v4, 6 und 1,1v.2, 1). Streja
et al., 2005 untersuchten an 60 Patienten (über 72h, 25/60 mit Hypoglykämiewahrnehmungsstörung), inwieweit durch CGM-Messungen Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen diagnostiziert werden können (Streja 2005 EK III). Sie fanden als beste Prädiktion für die Diagnose die maximale Dauer der Hypoglykämie (definiert als ( 55 mg/dl) unter CCGM. Eine Dauer von mehr als 90 % hatte eine Sensitivität von 75 % und eine Spezifität von 88 % für die richtige Diagnose Hypoglykämiewahrnehungsstörung. Choudhary et al, 2010 fanden in einer prospektiven Fallserie von 95 Menschen mit Typ-1-Diabetes keine Diskriminierung für Menschen mit Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen (n=21) bei einer CGM-Anwendung von 5 Tagen (jeweils monatlich für 9-12 Monate) [Choudhary
et al. 2010 EK III]. Die Menschen mit Hypoglykämiewahrnehmungsstörung hatten eine 3-fach erhöhtes Risiko für schwere Hypoglykämien (Incidence Rate Ratio 3,35 95%
KI 1,3-8,7) und ein 1,6 fach erhöhtes Risiko für eine biochemische Hypogykämie bei der wöchentliche 4-Punkt-Selbstmessung (IRR 1,63 95%
KI 1,09-2,44). Für CGM zeigte sich eine nicht statistisch signifikant erhöhte Raten von 1,47 (95%
KI 0,91-2,39) für
BG )/= 3mmol/l. Einschränkend muss angemerkt werden, dass alle diese Studien für eine sichere Aussage zu klein sind. Studien zur Therapie von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen mittels CGM wurden nicht identifiziert." (
S. 172). Nach dieser Datenlage kann ein therapeutischer Nutzen für die Antragstellerin jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Zur Klärung der Frage, ob die Versorgung tatsächlich erforderlich im Sinne des § 33
SGB V ist, wäre die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens erforderlich.
3) Da dem Gericht danach eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, sind nach den oben genannten Grundsätzen bei der Entscheidung die Erfolgsaussichten außer Acht zu lassen und auf Grund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Zu berücksichtigen ist insofern zum einen, dass die Hypoglykämiewahrnehmungsstörung der Antragstellerin ausweislich der von der Antragsgegnerin insoweit unwidersprochenen Einschätzung des behandelnden Arztes der Antragstellerin lebensgefährlich für die Antragstellerin und ihr ungeborenes Kind ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die kontinuierliche Glukosemessung nach der Einschätzung des behandelnden Arztes als geeignet angesehen wird, um die notwendige Blutzuckereinstellung zu erreichen. Alternative Verfahren zur ambulanten Bestimmung des Glukosewerts sind nicht ersichtlich. Insbesondere macht die Antragsgegnerin nicht geltend, dass die unstreitig nach wie vor durchzuführenden Blutzuckerkontrollen allein ausreichend sind, um den mit den Hypoglykämien der Antragstellerin verbundenen Gesundheitsgefahren zu begegnen. Weiterhin sind konkrete Gesundheitsgefahren bei der Anwendung des Systems ebenfalls nicht ersichtlich und werden in den Stellungnahmen des MDK auch nicht erläutert. Abzuwägen sind damit der nicht auszuschließende Vorteil der begehrten Leistung in Form der Ermöglichung einer optimalen Stoffwechseleinstellung der Antragstellerin einerseits und das Kostenrisiko der Antragsgegnerin andererseits. Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass die Bewilligung zeitlich begrenzt ist und eine - von der Antragsgegnerin allein als Alternative zu dem begehrten System in Betracht gezogene - stationäre Aufnahme der Antragstellerin eine deutlich erhöhte Kostenbelastung für die Antragsgegnerin bedeuten würde. Die mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache führt, sofern sich nachträglich erweisen sollte, dass der Antragstellerin der begehrte Anspruch nicht zustand - nicht zwangsläufig zu vollendeten Tatsachen, da die Kosten dann grundsätzlich,
d. h. im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin, zurückzuzahlen sein werden (vgl
LSG Thüringen, a.a.O., Rz. 49 bei juris). Selbst wenn eine Rückzahlung in einzelnen Fällen mangels Leistungsfähigkeit nicht erfolgen können sollte, ist dies angesichts der nur geringen potentiellen Belastung der Antragsgegnerin, die hinter der mit einem Krankenhausaufenthalt der Antragstellerin verbundenen Belastungen zurückbleiben würde, hinzunehmen.
4) Ein für eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache erforderlicher qualifizierter Anordnungsgrund liegt vor. Aufgrund der Schwangerschaft der Antragstellerin ist es ihr nicht zumutbar, zunächst den Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines etwaigen sich anschließenden Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
5) Die Begrenzung der zeitlichen Geltung der einstweiligen Anordnung bis zum 31.08.2012 folgt dem Vortrag der Antragstellerin, wonach sich diese im März 2012 in der 22. Schwangerschaftswoche befand und die Entbindung auch unter Berücksichtigung von zeitlichen Verzögerungen jedenfalls bis Ende August 2012 erfolgt sein sollte. Berücksichtigt wurde insoweit, dass nach der Stellungnahme des behandelnden Arztes die Hypoglykämiewahrnehmungsstörung der Antragstellerin erst während der Schwangerschaft eingetreten ist, so dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht einschätzbar ist, ob diese Störung auch nach der Niederkunft weiter andauern wird. Soweit der Antrag zeitlich unbefristet auch für die Stillzeit gestellt wurde, war er dementsprechend zurückzuweisen.
6) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).