Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger ist durch die Entscheidung der Beklagten vom 04.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2009 beschwert im Sinne des § 54
Abs. 2
S. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), denn der Bescheid ist rechtswidrig.
Der Kläger hat auf Grund seiner speziellen gesundheitlichen Situation einen Anspruch auf Kostenerstattung für das selbstbeschaffte FreeStyle Navigator-System incl. der nachgewiesenen Verbrauchsmaterialen. Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der Gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt eine Kostenerstattung nur unter den Voraussetzungen des
§ 13 Abs. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift sind, soweit die Leistungen notwendig waren, die Kosten hierfür von der Krankenkasse zu erstatten, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht erbracht werden konnte oder die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
Die Beklagte hat den Anspruch auf Versorgung mit dem FreeStyle Navigator-System zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hat dementsprechend einen Anspruch auf Kostenerstattung, wobei die Zuzahlungsbestimmungen bei der Auszahlung des Betrages zu berücksichtigen sind.
Nach
§ 33 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst darüber hinaus auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen (§ 33
Abs. 1
S. 4
SGB V). Daneben findet sich in
§ 31 Sozialgesetzbuch, 9. Buch (SGB IX) eine Definition von Hilfsmitteln, wonach solche Gegenstände als Hilfsmittel bezeichnet werden können, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um eines der in
§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V enthaltenen Ziele zu erreichen (Vorbeugung einer Behinderung, Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung, Behinderungsausgleich). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist auch dieser Hilfsmittelbegriff im Rahmen des § 33 SGB maßgebend (
BSG Urteil vom 03.08.2006, Az.
B 3 KR 25/05 R). Während fest eingebaute Bestandteile einer Wohnung oder eines Gebäudes dem Hilfsmittelbegriff des § 33
SGB V nicht entsprechen, ist im Übrigen nicht relevant, von wem das Hilfsmittel genutzt wird und welcher Grad an medizinischem oder technischem Sachverstand für das Gerät erforderlich ist.
Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe ist das FreeStyle Navigator-System ein Hilfsmittel im Sinne des § 33
SGB V. Auch wenn es aus mehreren Bestandteilen besteht, kann es von dem Leistungsempfänger getragen und in jeder Lebenssituation mitgeführt werden. Im Gegensatz zu einem Monitorsystem, das bei organtransplantierten Patienten eingesetzt werden soll, ist seine Funktionsweise auch nicht nur darauf ausgerichtet, die im Zusammenspiel mit einem im Körper des Patienten implantierten Medizinprodukt (
z.B. Herzschrittmacher) zu wirken (
vgl. LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 18.02.2010, Az.
L 9 KR 54/06).
Ebenso wie sonstige Geräte zur Messung von Körperzuständen ist damit das FreeStyle Navigator-System incl. Verbrauchsmaterial als Hilfsmittel im Sinne des § 33
SGB V anzusehen.
Die fehlende Listung im Hilfsmittelverzeichnis steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Das nach
§ 139 Abs. 1 SGB V zu erstellende Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes der Krankenkassen ist lediglich eine unverbindliche Auslegungshilfe. Wenn das begehrte Hilfsmittel nicht im Verzeichnis aufgeführt ist, hat dies keinen Einfluss auf den Versorgungsanspruch des Versicherten (
BSG, Urteil vom 29.09.1997, SozR 3-2500 § 33
Nr. 25). Denn der Spitzenverband der Krankenkassen hat nach § 139
SGB V keine gesetzliche Ermächtigung, den Leistungsanspruch des Versicherten zu begrenzen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten unterfällt das FreeStyle Navigator-System nicht den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, mit der Folge, dass eine Leistungspflicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung nur in Betracht kommt, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach
§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens dieser Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Auch wenn eine Legaldefinition für eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht existiert, so wird gemeinhin eine Untersuchungsmethode dann als neu bezeichnet, wenn sie noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab enthalten ist (§ 9
Abs. 1 a Verfahrensordnung des GBA in der Fassung vom 07.07.2006). Die Abgrenzung, ob es sich um ein Hilfsmittel handelt, bei dem der Leistungsanspruch allein unter Berücksichtigung des § 33
SGB V zu prüfen ist oder ob eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses erforderlich ist, hängt davon ab, welches Ziel mit dem Einsatz des strittigen Gerätes erreicht werden soll. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein Hilfsmittel
z.B. nicht in das Hilfsmittelverzeichnis der
GKV aufgenommen werden, soweit sein Einsatz im Rahmen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Sinne von
§ 135 Abs. 1 S. 1 SGB V erfolgt und die Methode nicht zur ambulanten Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen ist (
BSG, Urteil vom 12.08.2009,
B 3 KR 10/07 R). Das streitgegenständliche Hilfsmittel soll den Erfolg der Krankenbehandlung sichern (§ 33
Abs. 1, 1. Alternative
SGB V), denn die Messung des jeweiligen Glucosewertes dient der exakten Bestimmung, ob Insulin gespritzt oder Kohlenhydrate zugeführt werden müssen. Ziel der herkömmlichen Blutzuckermessungen mittels Teststreifen ist ebenso wie beim Einsatz des FreeStyle Navigators die möglichst weitgehende Annäherung des HbA 1 c-Wertes an den Normalwert, damit ein weitgehender Schutz vor Folgeschäden besteht. Damit stellt sich die hinter der Messung des Körperzustandes stehende ärztliche Behandlungsmaßnahme nicht als neu im Sinne des § 135
SGB V dar. Die richtig dosierte Insulintherapie ist sowohl bei der einen wie auch bei der anderen Messmethode das Ziel der von dem Patienten selbst vorzunehmenden Messung seines Körperzustandes. In Abhängigkeit von dem gemessenen Glucosewert, der auch bei der blutigen Messung bestimmt wird, erfolgt die Gabe von Insulin
bzw. die Zuführung von Kohlenhydraten. Gerade auf Grund des Alarmsystems kann eine drohende Über- oder Unterzuckerung rechtzeitig erkannt werden und im Vorfeld einer drohenden Beeinträchtigung durch entsprechende Maßnahmen entgegengesetzt werden. Auch nach den evidenzbasierten Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) zur Therapie des Diabetes Typ 1 (aktualisiert im Mai 2007, www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de) ist nicht erkennbar, dass die kontinuierliche Glucosemessung für eine individualisierte Insulintherapie nicht geeignet sein könnte. Nach den Leitlinien berücksichtigt eine adäquate Insulinersatztherapie das Ausmaß des Insulindefizits, den Grad der vorherrschenden Insulinempfindlichkeit, die Pharmacokinetik und Dynamik der verwendeten Insulinpräparate, die Nahrungszufuhr und die körperliche Aktivität. Im Rahmen der Strategien der Insulintherapie erfassen die Leitlinien sogar neben den zur Verfügung zu stellenden Insulinpräparaten und Insulinapplikationshilfen auch Blutglucoseteststreifen, Lancetten und daneben weitere Glucosemessgeräte. Die grundsätzliche Effektivität der Messmethode ist daher nach Auffassung der Kammer entgegen der Erläuterung des MDK nicht in Zweifel zu ziehen, zumal auch der vom Medizinischen Dienst tätig gewordene Arzt
Dr. E in begrenzten Fällen eine Indikation für die kontinuierliche Glucosemessung in einem zeitlich beschränkten Einsatz für möglich hält.
Der Einsatz des Hilfsmittels ist auch erforderlich im Sinne des
§ 12 SGB V. Nach den Äußerungen des behandelnden Arztes
Dr. C zeigt sich die Instabilität der Stoffwechsellage nicht - wie bei vielen anderen Patienten - durch eine schwere Einstellbarkeit, sondern durch die hohe Streubreite der gemessenen Glucosewerte. Dies hat trotz vorbildlicher Ernährung und Lebensführung des Klägers zu häufigen insbesondere nächtlichen Hypoglykämien geführt. Die gesundheitlichen Folgen sind für den Kläger gravierend, da er auf Grund der auftretenden Unterzuckerungen bereits auf dem linken Auge faktisch erblindet ist. Der Beklagten ist zwar darin Recht zu geben, dass häufige Unterzuckerungen in der Vergangenheit nicht belegt werden konnten, dies liegt jedoch eher an der fehlenden Registrierbarkeit, da der Kläger tagsüber durch häufige Blutzuckermessungen seinen Insulinbedarf sorgfältig und gewissenhaft geprüft hat.
Auch im Übrigen sind die Grundsätze des § 12
SGB V bei der Versorgung des Klägers mit dem kontinuierlichen Glucosemesssystem gewahrt. Das Hilfsmittel ist ausreichend und insbesondere auch nicht mängelbehaftet. Bereits auf Grund der CE-Kennzeichnung nach § 9
Abs. 1 Medizinproduktegesetz - (MPG) erfüllt es die Anforderungen, um es in der Verkehr bringen zu können.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beinhaltet das Erfordernis der ausreichenden Leistung eine Begrenzung nach oben, so dass dann, wenn geringeres bereits ausreicht, die gewünschte Versorgung nicht mehr zur Verfügung gestellt werden muss. Der Beklagten ist jedoch nicht zu folgen, wenn sie argumentiert, der Kläger könne mit häufigeren Blutzuckermessungen eine ebenso gute Kontrolle über die eintretenden Glucoseschwankungen erhalten. Nach dem ärztlichen Bericht ist die Streubreite im Falle des Klägers so extrem, dass Glucoseschwankungen nachts innerhalb weniger Stunden völlig unangekündigt eintreten können. Auch wenn die Kammer nachvollziehen kann, dass allein die Tatsache, sich zur Blutzuckerbestimmung nicht mehr stechen zu müssen, keinen Versorgungsanspruch begründet, so ist eine kontinuierliche Messung von drei- bis viermal pro Nacht nicht zumutbar. Wie der Kläger überzeugend und glaubhaft dargelegt hat, ist anhand der von ihm aufgezeichneten Protokolle alle zwei Nächte eine Alarmsituation gegeben, die ein Einschreiten erfordert. Dieser besonderen Situation des Klägers, die sicherlich von den Einstellungsmöglichkeiten vieler anderer Patienten mit Diabetes mellitus abweicht, muss durch die Gesetzliche Krankenversicherung Rechnung getragen werden, in dem eine kontinuierliche Glucosemessung zur Verfügung gestellt wird, die ein Alarmsystem beinhaltet, um gerade solche Schäden zu verhindern, wie sie bei dem Kläger auf dem linken Auge bereits eingetreten sind.
Vor diesem Hintergrund ist die Versorgung mit dem FreeStyle Navigator-System auch zweckmäßig und wirtschaftlich. Gerade unter Berücksichtigung der Kosten, die der Beklagten durch die Versorgung des Klägers mit Blutzuckerteststreifen entstehen, erscheint eine Ausstattung solcher Patienten, die eine hohe Streubreite der Glucosewerte aufweisen, durchaus wirtschaftlich und sachgerecht. Das Maß des Notwendigen ist nach Auffassung der Kammer in jeden Fall nicht überschritten.
Zu weiteren Ermittlungen sah sich die Kammer nicht veranlasst. Die Beteiligten sind sich über die Sinnhaftigkeit der kontinuierlichen Messungen einig, so dass sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens erübrigte. Allein vor dem rechtlichen Hintergrund der Einordnung des Hilfsmittels als neue Untersuchungsmethode hat die Beklagte den Anspruch verneint, so dass über den nachvollziehbaren und überzeugenden Befundbericht des behandelnden Arztes hinaus eine weitere medizinische Fragestellung nicht zu klären war. Die Kammer weist an dieser Stelle allerdings darauf hin, dass sich der Versorgungsanspruch des Klägers allein auf Grund seiner persönlichen Situation ergibt und insbesondere der Leistungsanspruch auch deshalb gerechtfertigt ist, da der Kläger das nötige technische Verständnis einerseits und ein überaus verantwortungsbewusstes Verhalten im Zusammenhang mit seiner Erkrankung andererseits mitbringt, um das Hilfsmittel effizient nutzen zu können.
Da der Kläger über die durch Rechnung vom 01.07.2009 nachgewiesenen Kosten für Verbrauchsmaterialen keine zusätzlichen Kosten in seinen Erstattungsantrag aufgenommen hat, hatte die Kammer über Folgeansprüche wegen der Verbrauchsmaterialen nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
SGG.