Urteil
Kostenübernahme für ein Gerät zur kontinuierlichen Glukosemessung mittels Glukosesensor nebst Zubehör (CGM - Real-Time-Messgerät zur Therapiesteuerung)

Gericht:

SG Stuttgart


Aktenzeichen:

S 23 KR 6965/11


Urteil vom:

13.11.2013


Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2011 verpflichtet, die Kosten für eine kontinuierliche Glukosemessung mittels Glukosensor nebst sämtlichen Zubehörteilen zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für ein Gerät zur kontinuierlichen Glukosemessung mittels Glukosesensor nebst Zubehör (CGM - Real-Time-Messgerät zur Therapiesteuerung).

Der am 07. Januar 1996 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und leidet unter Diabetes mellitus Typ 1. Mit ärztlicher Verordnung vom 06, Mai 2011 beantragte er bei der Beklagten die Versorgung mit dem Real-Time-Messgerät MiniMed Paradigm zur kontinuierlichen Glukosemessung, das Gerät verfügt über einen Sensor, welcher die Glukosekonzentration in der Zwischenzellflüssigkeit des Unterhautfettgewebes bestimmt. Der Glukosespiegel wird alle zehn Sekunden ermittelt und alle fünf Minuten als Durchschnittswert angezeigt. Die entsprechenden Messwerte werden an die Insulinpumpe übermittelt. Dort kann die Entwicklung (der Trend) der Glukosekonzentration abgelesen werden. Außerdem kann das Gerät vor Über- oder Unterzuckerung warnen und verfügt über eine zuschaltbare Hypo-Abschaltung. Diese Option ermöglicht eine automatische Unterbrechung der Insulinabgabe bei stark abgefallenen Sensorglukosewert für zwei Stunden sowie eine automatische Fortsetzung der Insulinabgabe nach zwei Stunden, wenn der Anwender nicht vorher eingreift. Der Sensor kann bis zu sechs Tagen getragen werden. Das Gerät soll nach den Internetangaben des Herstellers die mittels herkömmlicher Blutzuckermessgeräte bestimmten Informationen zum Blutzuckerspiegel ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Die empfohlene Anzahl von Blutzuckermessungen soll weiterhin durchgeführt werden. Das Gerät wird mindestens einmal in zwölf Stunden mittels einer herkömmlichen Blutzuckermessung kalibriert.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab und verwies darauf, dass das begehrte Produkt keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung sei. Eine Zulassung der Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (0-BA) liege nicht vor.

Der Kläger legte am 29. Mai 2011 Widerspruch ein. Durch die kontinuierliche Glukosemessung sei es möglich, die Schwankungen des Blutzuckerspiegels auf ein Minimum zu reduzieren. Die Gefahr einer Unterzuckerung sei durch die ständige Überwachung und Alarmierung sowie Abschaltung der Insulinzufuhr drastisch reduziert. Ferner seien die Gefahren von Folgeerkrankungen durch die stabileren Blutzuckerwerte stark minimiert. Aufgrund der besseren Auswertemöglichkeit könne auch der Arzt viel besser auf die Probleme eingehen und den Blutzuckerverlauf gut auswerten. Ebenso finde eine Schonung der Fingerkuppen statt.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), welcher in seiner Stellungnahme vom 22. Juni 2011 zu dem Ergebnis kam, dass sich der G-BA bisher noch nicht mit dieser diagnostischen Methode beschäftigt habe, womit die ambulante Versorgung weiterhin als nicht zugelassen gelte. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode grundsätzlich ausgeschlossen sei, solange sich der G-BA nicht zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen der Methode geäußert habe. Gehöre eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht zum Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, so gelte dies auch für die zur Durchführung dieser Behandlung eingesetzten Hilfsmittel, hier Glukosesensor.

Der Kläger hat am 12. Dezember 2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben.

Der Kläger trägt vor, dass es sich bei dem begehrten Gerät um ein reines Messgerät handele. Es werde nur dauerhaft der Blutzuckerwert bestimmt. Einzig die Art der Messung sei eine andere. Insofern sei die kontinuierliche Glukosemessung keine neue Behandlungsmethode.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Mai 2011 in Gestalt Widerspruchsbescheides vom 25. November 2011 zu verpflichten, die Kosten für eine kontinuierliche Glukosemessung mittels Glukosesensor nebst sämtlichen Zubehörteilen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, dass der Glukosensor als Hilfsmittel untrennbar mit einer neuen Behandlungsmethode verbunden sei.

Mit Beschluss vom 24. November 2011 hat der G-BA das Beratungsverfahren zur Bewertung der kontinuierlichen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus eingeleitet.

Das Gericht hat Beweis erhoben und den behandelnden Arzt Dr.XX schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Dr. XX teilte am 04, Oktober 2013 mit, dass der Kläger seit April 2007 mit der Insulinpumpentherapie behandelt werde. Der HbA1c-Wert des Klägers habe in den letzten zwei Jahren zwischen 7.5 % bis 10,2 % gelegen. Insofern sei es bei dem Kläger immer wieder zu einer deutlichen Verschlechterung seiner Stoffwechseleinstellung, hauptsächlich bedingt durch seine ausgeprägten Blutzuckerschwankungen (Glukosevariabilität) gekommen. Von einer guten Stoffwechseleinstellung spreche man bei HbA1c-Werten von (7,5%. Aufgrund seiner starken Blutzuckerschwankungen habe der Kläger immer wieder Hypoglykämien, auch nachts. Von einer Hypoglykämie spreche man bei Jugendlichen bei einem Blutzuckerwert von (80 mg%. Bei einer schweren Unterzuckerung sei der Blutzuckerspiegel so niedrig, dass er individuell zur Bewusstseinseinschränkung oder zum Bewusstseinsverlust führe. Erfreulicherweise sei es beim Kläger bisher noch nicht zu einer schwersten Hypoglykämie, welche nur mittels Fremdhilfe zu beheben sei, gekommen. Von der großen DCCT-Studie wisse man jedoch, dass eine Verbesserung der Stoffwechseleinstellung zu einer deutlichen Zunahme von Hypoglykämien führe, vor allem bei ausgeprägten Blutzuckerschwankungen. Die Hypoglykämiewahrnehmung des Klägers sei noch akzeptabel, aber durch die anhaltenden Blutzuckerschwankungen der letzten zwei Jahre nicht mehr so zuverlässig. Dieses "Nachlassen" der Hypoglykämiewahrnehmung aufgrund von ausgeprägter Glukosevariablität sei gut bekannt und könne zu einer Zunahme von Hypoglykämen führen.

Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2013 übersandte der Kläger einen Bericht seines Augenarztes Dr.XXX vom 07. Oktober 2013. Dieser stellte beim Kläger eine beginnende milde nichtproliferative diabetische Retinopathie fest. Bei anamnestisch guter Stoffwechseleinstellung seien seines Erachtens momentan keine therapeutischen Konsequenzen notwendig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie Verwaltungsakte Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

diabetes & recht

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 23. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenübernahme für die Versorgung mit einem Real-Time-Messgerät zur kontinuierlichen Glukosemessung durch Glukosesensor nebst dem notwendigen Zubehör.

Nach 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung, § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V, auch die Versorgung mit Hilfsmitteln gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V. Der Anspruch auf Krankenbehandlung bzw. Hilfsmittelversorgung unterliegt den für alle Leistungsansprüche geltenden allgemeinen Maßgaben der §§ 2, 12 SGB V. Gem. § 2 Abs. 1. SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2013 - L 5 KR 4459/12 ER-B). Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Ausweislich des § 33 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Bei dem vom Kläger begehrten Real-Time-Messgerät zur kontinuierlichen Glukosemessung mittels Glukosesensor handelt es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Das Gerät ist dem Kläger zur Sicherung einer Krankenbehandlung verordnet worden, § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB V. Der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung dient ein sächliches Mittel, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Der spezifische Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung setzt voraus, dass die Verwendung des begehrten Hilfsmittels in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer steht und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen ist. Dabei ist es im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz I Alt. 1 SGB V ausreichend, wenn mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird (BSG, Urteil vom 15.03.2012 B 3 KR 2/11 R). Ein solcher therapeutischer Erfolg ist bei einer Autoimmunerkrankung wie im konkreten Fall Diabetes mellitus Typ I regelmäßig die Gewährleistung einer guten Stoffwechseleinstellung und der damit einhergehenden Prävention von Folgeschäden.

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass der G-BA für die kontinuierliche Glukosemessung keine Empfehlung abgegeben hat.

Bei der Versorgung der Versicherten mit ärztlicher Heilbehandlung ist hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden das in § 135 Abs. I Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R; Urteil vom 04.04.2006 - ­B 1 KR 12/05 R) zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R), wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urteil vom 04.04.2006 ­B 1 KR 12/05 R). Ohne befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vorn 25.02.2013 - L 5 KR 4459/12 ER-B).

Wird ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im vorstehend beschriebenen Sinn angewendet, unterliegt es ebenfalls dem Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V (BSG, Urteil vom 12.08.2009 - B 3 KR 10/07 R).

Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Der Begriff der "Methoden" erfasst Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild "systematisch" angewandt werden und als leistungsübergreifende methodische Konzepte auf ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel ausgerichtet sind (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R). Eine Methode betrifft dabei nicht nur die ärztliche Leistung im engeren Sinne, sondern alle für die vertragsärztliche Versorgung relevanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen (jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 135 SGB V Rn. 18),

Neu ist eine Methode, wenn sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren abgrenzt und sich darüber hinaus auf nicht weitgehend einhellig anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse beruft, die gerade deshalb der Prüfung auf Qualitätssicherung unterzogen werden sollen (SG Berlin, Beschluss vorn 15.05.2012 - S 72 KR 500/12 ER). Geht es hingegen um ein Hilfsmittel, das im Rahmen herkömmlicher ärztlicher Behandlungsmethoden eingesetzt werden soll, ist der G-BA in seinem speziellen Zuständigkeitsbereich der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 135 SGB V) und des Erlasses einschlägiger Richtlinien (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V) nicht berührt (BSG, Urteil vom 22.04.2009 - B 3 KR 11/07 R),

Die kontinuierliche Glukosemessung ist nicht als neue Behandlungsmethode zu qualifizieren. Die dem streitgegenständlichen Hilfsmittel zugrunde liegende Krankenbehandlung ist die Behandlung der Diabetes mittels Insulintherapie. Insofern muss hei Diabetes mellitus Typ I das den Betroffenen fehlende Hormon Insulin künstlich in Form von Insulinpräparaten zugeführt werden. Der Kläger ist unabhängig von dem begehrten Real-Time-Messgerät bereits mit einer Insulinpumpe versorgt, welche die tägliche Insulingabe steuert und kontinuierlich eine einprogrammierte Basalrate zur Deckung des Insulingrundbedarfs über einen Kunststoffschlauch in das Unterhautfettgewebe abgibt (Funktionsweise der Insulinpumpe nachzulesen auf der Internetseite des Herstellers: http://www.medtronic-diabetes.de/produktinformation/paradigm­veo/key-features-and-benefits.html, 14.11.2013). Bei Bedarf (z.B. nach einer Nahrungsaufnahme oder beim Sport) kann der Kläger seinem Körper zusätzliches Insulin über die Insulinpumpe zuführen. Der wichtigste Unterschied der klassischen Blutzuckermessungen im Blut zur kontinuierlichen Glukosemessung in der Gewebeflüssigkeit ist die Werteerfassung. Die herkömmlichen Blutzuckermessungen ermöglichen grundsätzlich nur eine momentane Werterfassung, selbst wenn eine große Anzahl an Messungen (10-30 pro Tag) durchgeführt wird, sie ist eine rein statistische Messung und ermöglicht keine oder allenfalls eine vage Auskunft darüber, ob die Stoffwechseleinstellung stabil ist oder ob der Blutzucker die Tendenz hat anzusteigen oder abzufallen. Im Gegensatz dazu bietet das begehrte CGM-System durch die fortlaufende Messung und Darstellung der Glukosewerte die Möglichkeit, zu erkennen, aus welcher "Richtung" der Glukosespiegel kommt und erlaubt eine Abschätzung, wie sich dieser in der näheren Zukunft verändern wird (diabetesDE: Kontinuierliche Glukosemessung (CGM) in der Gewebeflüssigkeit. Wissenschaftliche Bewertung von CGM und medizinische Beurteilung des Nutzens für die Diabetestherapie, 20.01.2010). Mithin erfolgt durch die kontinuierliche Glukosemessung weder eine Änderung der Behandlungsmethode, noch des Therapiekonzepts. Neben der Blutzuckermessung im Blut wird dem Kläger lediglich eine andere bzw. zusätzliche Messmethode in Form der Messung der Glukosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit zur Verfügung gestellt. Dem Körper des Klägers wird weiterhin Insulin über die vorhandene Insulinpumpe zugeführt. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass das Gerät mit einer zuschaltbaren Option zur automatischen Abschaltung der Insulinzufuhr ausgestattet ist. Diese Funktion ist lediglich eine zusätzliche Sicherung, um den Anwender vor schweren Hypoglykämien zu schützen. In diesem Zusammenhang teilte - in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 04. Oktober 2013 mit, dass eine Verbesserung der Stoffwechseleinstellung zu einer deutlichen Zunahme von Hypoglykämien, auch schweren Hypoglykämien führe, vor. allem bei ausgeprägten Blutzuckerschwankungen. Darüber hinaus kann der Anwender die Insulingabe jederzeit wieder per Knopfdruck starten.

Ferner wirkt sich die Durchführung der kontinuierlichen Glukosemessung nicht auf das übergeordnete Therapiekonzept des behandelnden Arztes aus, Insoweit trägt insbesondere nicht das Argument, dass es dem Arzt die Möglichkeit eröffne, sich bei seinen Therapieentscheidungen auch an den durch die kontinuierliche Messung erhobenen Blutzuckerdaten zu orientieren (vgl. SG Hamburg, Beschluss vom 12.04.2013 - S 23 KR 338/13 ER). Diesbezüglich ist für die Kammer ein Unterschied zur herkömmlichen Blutzuckermessung im Blut nicht erkennbar. Der Kläger führte stets ein Blutzucker-Tagebuch, sodass die dort festgehaltenen Messwerte und Daten in identischer Weise bei der Therapieentscheidung des behandelnden Arztes Berücksichtigung finden konnten.

Der Einsatz des Hilfsmittels ist auch erforderlich im Sinne der §§ 12, 33 SGB V. Eine ebenso wirksame, aber wirtschaftlichere Alternative steht nicht zur Verfügung. Der Kläger leidet unter einer schlechten Stoffwechseleinstellung. Insofern lagen seine HbA1c-Werte in den letzten zwei Jahren zwischen 7,5 % bis 10,2 %, wobei bei einem Wert von (7,5 % von einer guten Stoffwechseleinstellung auszugehen ist. Trotz seiner Teilnahme an Schulungen zum Umgang mit seiner Diabetes, regelmäßigen Blutzuckermessungen von etwa siebenmal täglich, sorgfältiger Berechnung seiner Mahlzeiten mithilfe der Insulinpumpe und entsprechender Führung seines Blutzucker-Tagebuchs konnte der Kläger keine Besserung seiner Stoffwechseleinstellung erzielen. Stattdessen wurde aufgrund seiner starken Blutzuckerschwankungen eine diabetische Retinopathie, das heißt eine Netzhauterkrankung des Auges hervorgerufen. Diese kann ausweislich des Berichts seines Augenarztes im weiteren Verlauf sogar zu einer Erblindung führen. Ebenfalls bedingt durch seine starken Blutzuckerschwankungen leidet der Kläger unter einer nachlassenden Hypoglykämiewahrnehmung, welche wiederum zu einer Zunahme von Hypoglykämien führen kann. Darüber hinaus treten beim Kläger nach der Aussage des XXX immer wieder Hypoglykämien auf, auch nachts. In diesem Zusammenhang haben die Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass ihr Sohn des Öfteren einen Blutzuckerwert von 40 mg% aufweise. Die Eltern des Klägers haben weiterhin vorgetragen, dass sein Zielbereich bei 80 bis 120 mg% liege. Unter Berücksichtigung dieser Werte habe der Kläger täglich Über- oder Unterzuckerungen. Wenn er Überzuckerungen habe, dann seien die Werte mindestens bei 210 bis 280 mg%. Mithin wird dem Kläger mit der kontinuierlichen Glukosemessung durch das Aufzeigen des Glukosetrends ein wichtiges Hilfsmittel zur besseren Kontrolle und Optimierung seiner Insulinzufuhr sowie zur Gewährleistung einer guten Stoffwechseleinstellung zur Verfügung gestellt.

Das Hilfsmittel ist auch wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V. Der Wirtschaftlichkeit stehen insbesondere nicht die Internetangaben des Herstellers entgegen, wonach die herkömmliche Anzahl von Blutzuckermessungen weiterhin durchgeführt werden solle. In diesem Zusammenhang haben die Eltern des Klägers glaubhaft dargelegt, dass sie im Rahmen der wiederholten leihweisen Nutzung des Messgeräts eine Verringerung der Blutzuckermessungen erreicht haben. Insofern seien nach ihren Erfahrungen lediglich zu den Kalibrierungen des Geräts bzw. zu den Mahlzeiten herkömmliche Blutzuckermessungen vorzunehmen.

Die fehlende Listung im Hilfsmittelverzeichnis steht dem Anspruch des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Das nach § 139 Abs. 1 SGB V zu erstellende Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes der Krankenkassen ist lediglich eine unverbindliche Auslegungshilfe. Wenn das begehrte Hilfsmittel nicht im Verzeichnis aufgeführt ist, hat dies keinen Einfluss auf den Versorgungsanspruch des Versicherten (BSG, Urteil vom 29.09.1997, SozR 3-2500 § 33 Nr. 25). Denn der Spitzenverband der Krankenkassen hat nach § 139 SGB V keine gesetzliche Ermächtigung, den Leistungsanspruch des Versicherten zu begrenzen (SG Detmold, Urteil vom 01.12.2010 - 5 5 KR 325/09).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R6624


Informationsstand: 18.01.2016