Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung mit dem Sprachausgabeprogramm "meine eigene Stimme" und auf Erstattung der Kosten für die bereits erfolgte Aufzeichnung seiner eigenen Stimme.
Nach § 33 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen nach
§ 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (
§ 12 Abs. 1 SGB V).
Da mit dem elektronischen Sprachausgabesystem der Ausgleich der Behinderung erfolgen soll, indem das geschädigte, nicht mehr funktionstüchtige Sprachorgan einschließlich der verloren gegangenen eigenen, individuellen Stimme durch technisch vermittelte Sprache künstlich ersetzt wird, hat die Prüfung des Anspruchs anhand des
§ 33 Abs. 1 S. 1, dritte Alternative SGB V zu erfolgen. Im Vordergrund steht daher der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion "Stimmgebrauch" selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung
bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (
vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2009,
B 3 KR 2/08 R, zitiert nach juris, dort
Rdnr. 18 [Badeprothese]; Urteil vom 16. September 2004,
B 3 KR 20/04 R, zitiert nach juris, dort
Rdnr. 12
ff. [C-Leg]; Senat, Urteil vom 9. März 2011, L 9 KR 152/08, zitiert nach juris, dort
Rdnr. 18 [C-Leg]).
Hieran gemessen hat der Kläger Anspruch auf Versorgung mit dem Sprachprogramm "meine eigene Stimme", denn nur so erfolgt ein weitestgehender Ausgleich des bestehenden Funktionsdefizits, das nicht nur im Verlust der sprachvermittelten Kommunikationsmöglichkeit besteht, sondern gerade auch im Verlust der individuellen Stimme, die im Rahmen des Sprachgebrauchs einen eigenen messbaren Wert und Nutzen hat. Der Einwand der Beklagten, der Kläger sei mit dem zur Verfügung gestellten Sprachausgabesystem und der dort zum Einsatz kommenden synthetischen Stimme hinreichend versorgt, greift demgegenüber nicht. Diese synthetische Stimme schöpft die Möglichkeit des "Gleichziehens" mit Nichtbehinderten nicht hinlänglich aus.
Der Kläger hat dem Senat das derzeit genutzte Sprachvermittlungssystem im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgeführt. Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass der Kläger sich mit Gebrauch dieses Systems sprachlich artikulieren kann; er bedient dabei einen Laptop und gibt dort mit Hilfe einer über Infrarotsignale gesteuerten Maus Text ein, der über entsprechende Software und Lautsprecher in Sprache umgesetzt wird. Die sprachliche Artikulation war klar vernehmbar. Die synthetische Stimme wirkte zwar einigermaßen natürlich, gleichzeitig aber austauschbar und wenig individuell. Vorgeführt hat der Kläger dem Senat auch einige wenige Textpassagen, die im Vorgriff auf die Nutzung des begehrten Systems "meine eigene Stimme" bereits mit seiner eigenen Stimme abgespeichert waren. Diese Worte wirkten erheblich individueller artikuliert als jene mit der synthetischen Stimme gesprochenen. Es war wahrnehmbar, dass hier ein authentischer, weniger künstlicher Tonfall vorlag. Die technisch vermittelte eigene Stimme glich dabei der tatsächlichen eigenen Stimme des Klägers weitestgehend. Davon konnte der Senat sich überzeugen, weil der Kläger teilweise auch noch in der Lage war, sich sehr mühevoll und langsam, aber verständlich und ohne technische Hilfe zu äußern.
Dass die Funktionseinbuße, unter der der Kläger leidet, nicht schon vollständig und weitestmöglich mit der synthetischen Stimme ausgeglichen ist, wird auch an Folgendem deutlich: Der Kläger hat erklärt, des Öfteren an Treffen von ALS-Kranken teilzunehmen, bei denen dasselbe Sprachausgabesystem mit derselben synthetischen Stimme von verschiedenen Leidensgenossen benutzt werde, so dass den Redebeiträgen jegliche individuelle Note fehle und zuweilen nicht feststellbar sei, wer etwas gesagt habe. Diese Einlassung ist nachvollziehbar und belegt, dass für ein vollständiges Gleichziehen mit Nichtbehinderten nicht nur irgendeine Sprachvermittlung, sondern nur eine solche basierend auf der eigenen Stimme des Versicherten den bestmöglichen Behinderungsausgleich gewährleistet. Ebenso nachvollziehbar ist es, dass die beim Kläger vorliegende Funktionseinbuße bei Telefonaten nur dann vollständig ausgeglichen ist, wenn der Gesprächspartner die eigene Stimme des Klägers und nicht nur eine synthetische vernimmt, denn am Telefon ist der Gesprächspartner ausschließlich am Klang der eigenen Stimme zu identifizieren.
Nach alledem hat der Kläger Anspruch auf Versorgung mit diesem Sprachausgabesystem, das den neuesten technischen Fortschritt verkörpert. Hieraus folgt zugleich, dass nach
§ 13 Abs. 3 SGB V 600 Euro im Wege der Erstattung verlangt werden können, denn die Kostenübernahme für die Aufzeichnung der eigenen Stimme des Klägers hat die Beklagte zu Unrecht abgelehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG) zuzulassen.