Die Klage ist zulässig, Das Sozialgericht München ist sachlich und örtlich zuständig (§§ 51, 57
Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1
SGG).
Die Klage ist auch nach § 54
Abs. 4
SGG als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft. Der Kläger beantragt die Kostenübernahme für ein noch nicht angeschafftes Gerät; dieser Antrag ist im Sinne der Verurteilung zur Verschaffung einer Sachleistung zu verstehen.
Der Klageantrag ist auch hinreichend bestimmt, obwohl er offen lässt, welches konkrete Fabrikat begehrt wird. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass eine Klage auf eine global umschriebene Leistung jedenfalls dann zulässig ist, wenn nicht nur die Entscheidung über die Art der Gewährung (Leihe oder Übereignung), sondern auch die Spezifizierung der geschuldeten Leistung im Zusammenwirken der Behörde mit dem Leistungsempfänger zu erfolgen hat und kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, dass die Beteiligten im Falle einer Verurteilung der Behörde über die Auswahl streiten werden (
BGG, Urteil vom 17.01.1996, Az.: 3 RK 39/94, USK 9676 Seite 433
ff.). Im vorliegenden fall streiten die Parteien nicht über ein konkretes Produkt, sondern um die grundsätzliche Frage, ob dem Kläger ein Bildtelefon zu gewähren ist. Da es also um die Spezifizierung der Leistung geht, ist der Klageantrag zulässig gestellt.
Das Widerspruchsverfahren ist auch ordnungsgemäß abgeschlossen worden. Die Verwechslung durch die Beklagte in der Begründung des Widerspruchsbescheids ist unschädlich, da es sich offensichtlich und für beide Parteien erkennbar um ein Schreibfehler handelte.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf ein Bildtelefon als Hilfsmittel.
Gemäß § 33
Abs. 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung von Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 ausgeschlossen sind.
Ein Bildtelefon ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Bildtelefone gehören zwar nicht zu den Gegenständen, die von der Konzeption ausschließlich für Hörbehinderte gedacht sind, so dass sie als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens grundsätzlich in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung des
BSG hängt die Frage des allgemeinen Gebrauchs eines Gegenstandes in erster Linie von seiner praktischen Bedeutung für die Lebensführung der Menschen und ihre alltäglichen Lebensbetätigungen ab. Neben der tatsächlichen Verbreitung ist auch der Preis in die Wertung mit einzubeziehen (
BSG vom 17.01.1996, 3 RK 39/94, USK 9676,
S. 436).
Die Gewährung eines Bildtelefons ist auch nicht durch § 34
Abs.4
SGB V ausgeschlossen. In der aufgrund dieser Vorschrift erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringen therapeutischen Nutzen oder geringen Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung sind Bildtelefone nicht aufgenommen.
Auch die fehlende Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 128
SGB V steht der Leistungspflicht nicht entgegen, da das Hilfsmittelverzeichnis den Gerichten nur als unverbindliche Auslegungshilfe dient (
BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 16).
Der geltend gemachte Anspruch scheitert auch nicht an der Tatbestandsvoraussetzung der Erforderlichkeit im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V.
Das Gesetz gewährt einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie "im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen". Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist danach allein die medizinische Rehabilitation, also die Wiederherstellung der Gesundheit einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs und des Behinderungsausgleichs. Dies bedeutet, dass die Körperfunktionen soweit wie möglich wiederhergestellt werden sollen, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Bei einem unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigten Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel, insbesondere einem künstlichen Körperglied, ist ohne weiters anzunehmen, dass eine medizinische Rehabilitation vorliegt. Hingegen werden nur mittelbar oder nur teilweise die Organfunktionen ersetzende Mittel nur dann als Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf, Gesellschaft, Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben beseitigen oder mildern und damit ein "Grundbedürfnis des täglichen Lebens" betreffen (
BSG vom 03.11.1999, Az.:
B 3 KR 16/99 R).
Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehört nach der Rechtsprechung auch die erforderliche Erschließung eines gewissen geistigen Freiraums durch die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung und zum Erlenen eines lebensnotwendigen Grundwissens. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke und behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe des von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittels wieder aufschließen soll ( ständige Rechtsprechung des
BSG, SozR 3-2500, § 33
Nr. 1
Nr. 7, 13, 16 und 27).
Beim Kläger liegt eine Behinderung vor, da er beidseitig gehörlos ist. Diese Behinderung schränkt ihn auch in seiner Betätigung der allgemeinen Grundbedürfnisse ein, da die Fähigkeit zu hören und daraus folgend Kommunikation zu betreiben zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehört. Ein Bildtelefon kann im vorliegenden Fall der Befriedigung des allgemeinen Grundbedürfnisses auf Kommunikation mit anderen Menschen dienen. Es versetzt den Kläger in die Lage, sich nicht nur schriftlich zu äußern, sondern die erlernte Gebärdensprache einzusetzen, die es ihm ermöglicht eine echte Kommunikation durch Dialoge zu führen. In diesem Sinne trägt das Bildtelefon auch dazu bei, das Grundbedürfnis auf Integration zu fördern und eine drohende Isolation des Klägers zu verhindern.
Die Versorgung mit einem Bildtelefon ist im vorliegenden Fall der Leistungspflicht der Krankenkasse und nicht der Sozialhilfeverwaltung zuzuordnen. Die Rechtsprechung hat Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet nicht als Hilfsmittel der Krankenversicherung anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmittel der Krankenversicherung und solchen der Eingliederungshilfe unterschieden (
vgl. BSG, SozR 2200 § 182b
Nr. 5). Dies gilt aber nach Ansicht des
BSG (SozR
Nr. 3-2500 § 33
Nr. 16) nur für Hilfsmittel die ausschließlich oder nahezu ausschließlich für eines dieser Gebiete eingesetzt werden. Soweit jedoch allgemeine Grundbedürfnisse betroffen sind, fällt nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der Krankenversicherung
(z. B. BSG, SozR 2200 § 182b
Nr. 10). Hieran dürfte sich auch nichts durch die Regelungen des neuen
SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.06.2001 geändert haben. Gemäß § 5
Nr. 4
SGB IX werden zwar auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht. Träger dieser Leistungen sind gemäß § 6
Abs. 1 entweder die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (
Nr. 3) oder die Träger der Sozialhilfe (
Nr. 7). Gemäß § 7 gelten für Leistungen zur Teilhabe die Vorschriften des
SGB IX allerdings nur insoweit, als sich aus den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen nichts abweichendes ergibt. Für den hier zu behandelnden Fall bedeutet dies, dass soweit ein Anspruch aus § 33
Abs. 1 Alternative 2
SGB V besteht, die Regelungen des
SGB IX nicht mehr eingreifen können.
Der geltend gemachte Anspruch scheitert auch nicht an der Tatsache, dass der Kläger bereits mit einem Faxgerät und einer Lichtsignallampe ausgestattet ist.
Der 3. Senat des
BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ein das Standardtelefon ersetzendes Gerät (wie das Telefaxgerät oder das Schreibtelefon) für einen Gehörlosen oder Ertaubten jedenfalls dann als erforderliches Hilfsmittel im Sinne des Krankenversicherungsbereichs anzusehen ist, wenn der Versicherte wegen seiner Behinderung aufgrund besonderer Umstände auf die Verbindung mit anderen Benutzern von Telefax
bzw. Schreibtelefon unumgänglich angewiesen ist (
vgl. BSG Urteil vom 17.01.1996 - 3 RK 93/94, USK
Nr. 9676). Der 1. Senat des
BSG hat in seinem Urteil vom 03.11.1993 -
1 RK 42/92, SozR 3-2500 § 33
Nr. 5) offen gelassen, ob nicht generell anerkannt werden muss, dass Schreibtelefone für Gehörlose in der Bundesrepublik ein erforderliches Hilfsmittel sind. Auch im dortigen Fall lag eine besondere Situation bei der Klägerin vor.
Das Bildtelefon ist ersichtlich derzeit das einzige technische Hilfsmittel, das eine fernmündliche Verständigung im direkten Dialog ermöglicht. Auch das sogenannte "Chatten" über den
PC, den der Kläger besitzt, erreicht nicht den Grad der Verständigung wie das Bildtelefon, das den Gesprächspartner mit der für den Gehörlosen wichtigen Mimik und Haltung abbildet. Schon gar nicht ist ein Faxgerät in der Lage eine gleichwertige Alternative für das Bildtelefon darzustellen, da ein Meinungsaustausch nur mit langer Verzögerung möglich ist und daher für private Kontakte relativ uninteressant ist. Es ist also festzustellen, dass kein gleichgeeignetes Hilfsmittel zur Verfügung steht.
Nach Ansicht der Kammer liegen aber auch im Sinne der Entscheidungen der 3. und 6. Senate des
BSG beim Kläger besondere Umstände vor, die die Gewährung eines Bildtelefons durch die Krankenkasse rechtfertigen. Der Kläger ist noch in der Berufsausbildung und verfügt über einen Bekannten- und Freundeskreis, mit dem er sich durch Gebärdensprache verständigen kann. Weitere Kontakte mit Personen, die hierzu nicht in der Lage sind, gestalten sich schwierig, d.h. sind grundsätzlich nur schriftlich oder mittels eines Dolmetschers möglich. Der Kläger hat vorgetragen, dass Isolation und Vereinsamung unter Gehörlosen weit verbreitet sind. Nach Ansicht des Gerichts ist es einleuchtend, dass die Integration eines jungen Behinderten, wie dem Kläger, umso mehr erleichtert wird, je besser die Kommunikationsmöglichkeiten zu anderen Personen sind. Die Pflege eines Bekannten- und Freundeskreises
z.B. ist durch das Versenden von Faxnachrichten um einiges schwieriger als ein regelmäßiges Gespräch über das Bildtelefon. Für den noch jungen Kläger, bei dem wichtige Weichenstellungen sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich anstehen, ist das Bildtelefon ein notwendiges Hilfsmittel zur Integration und Gleichberechtigung in der Gesellschaft.
Das Bildtelefon ist auch geeignet einen entsprechenden Ausgleich zu bewirken. Der Kläger hat überzeugend vorgetragen, dass die auf dem Markt befindlichen Geräte technisch so ausgereift sind, dass eine Verständigung durch Gebärdensprache einwandfrei möglich ist. Der Kläger hat auch dargelegt, dass die Gewährung eines Bildtelefones in seinem speziellen Fall nicht daran scheitern müsse, dass etwaige Gesprächspartner nicht mit einem derartigen Gerät ausgestattet wären. Nach seinen glaubhaften Angaben verfügt er über 5-10 private Kontakte, die ebenfalls ein Bildtelefon besitzen. Darüber hinaus steht er mit zahlreichen gehörlosenspezifischen Verbänden und Einrichtungen in Verbindung, die ebenfalls über Bildtelefone kommunizieren. Hierzu gehören wohl auch die neuen nach § 23
SGB X einzurichtenden gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger, die gemäß § 23
Abs. 3 so auszustatten sind, dass sie ihre Aufgaben umfassend und qualifiziert erfüllen können, Zugangs- und Kommunikationsbarrieren nicht bestehen und Wartezeiten in der Regel vermieden werden. Aufgrund der technischen Möglichkeiten des Bildtelefons und der zahlreichen Einsatzvarianten, ist es als geeignetes Hilfsmittel für den Kläger im Sinne des § 33
Abs. 1
SGB V anzusehen.
Die von der Beklagten vertretene Ansicht, dass die beim Kläger vorhandene Ausstattung mit einem Telefaxgerät und Lichtsignallampe ausreichend sei, kann das Gericht nicht teilen. Die Beantwortung der Frage, ob etwas ausreichend ist oder nicht, muss sich nach Überzeugung des Gerichtes auch an den vorhandenen Möglichkeiten und dem technischen Fortschritt orientieren (Krauskopf, Kommentar zur sozialen Kranken- und Pflegeversicherung, § 33
SGB V Rdnr. 29), auch wenn Leistungsträger nicht die neuesten und hochentwickeltsten Hilfsmittel schulden. Ein Bildtelefon ist in diesem Sinne gegenüber dem vorhandenen Telefaxgerät weit überlegen,
bzw. sie sind kaum miteinander zu vergleichen.
Bildtelefone sind in der Gesamtschau auch nicht weniger wirtschaftlich als Telefaxgeräte (§ 12
Abs. 1
SGB V).
Der Kläger hat beispielhaft auf ein Gerät der Telekom in Standardausführung zu einem Anschaffungspreis von 998,00 DM hingewiesen. In Anbetracht der weitreichenden Vorteile, und des nicht als überzogen erscheinenden Anschaffungspreises ist davon auszugehen, dass dem Gebot der Wirtschaftlichkeit des Hilfsmittels insoweit genüge getan werden kann.
Der Kläger hat einen Eigenanteil für die Anschaffungs- und Betriebskosten des Bildtelefons zu tragen. Das Bildtelefon ersetzt bei Gehörlosen und Ertaubten ein Standardtelefon; dieses ist ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V. Da anzunehmen ist, dass sich der Kläger ohne eine Hörbehinderung ein Standardtelefon angeschafft hätte, hat er ersparte Aufwendungen bei den Anschaffungs- und Betriebskosten als Eigenanteil zu tragen.
Da die Beklagten mit ihrem Antrag in der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2001 unterlegen ist, hat sie auch etwaige notwendige außergerichtliche Kosten des Klägers zu tragen (§ 193
Abs. 1
SGG).