I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im folgenden Antragstellerin) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem.
Die im August 1922 geborene, bei der Antragsgegnerin pflegeversicherte Antragstellerin leidet an einer Herzleistungsschwäche mit Herzbeschwerden schon seit der Kindheit sowie an allgemeinen Verschleißerscheinungen der großen Gelenke, insbesondere beider Hüft- und Schultergelenke und der Wirbelsäule verbunden mit Schmerzen. Vor etlichen Jahren wurde sie an der Harnblase operiert. Sie wohnt im Einfamilienhaus ihres Sohnes im eigenen Zimmer mit Küche und Bad im Parterre. Vor der Haustür sind 7 Stufen. Sie nutzt ein tragbares Telefon. Seit 1. September 2006 bezieht sie Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Sie wird von ihrer im selben Haus wohnenden Schwiegertochter gepflegt.
Im Januar 2009 beantragte sie die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem. Der von der Antragsgegnerin mit der Begutachtung beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) führte in einem Gutachten nach Aktenlage vom 6. Februar 2009 aus, bei der Antragstellerin lägen keine geistigen Defizite vor. Die Fortbewegung erfolge mäßig allein, bei abrupten Bewegungen trete ein Schwindel auf. Die Antragstellerin könne mit einem handelsüblichen Telefon umgehen, so dass ein Hausnotrufsystem nicht erforderlich sei. Mit Bescheid vom 17. Februar 2009 lehnte die Antragsgegnerin daher den Antrag ab.
Die Antragstellerin legte hiergegen mit Schreiben vom 19. Februar 2009 Widerspruch ein, in welchem sie um eine Begutachtung durch den MDK bei ihr zu Hause bat. Sie sei in letzter Zeit mehrfach gefallen und sei dann mit einem üblichen Telefon nicht in der Lage Hilfe zu rufen.
Die Antragsgegnerin beauftragte erneut den MDK, der am 27. März 2009 nach einer telefonischen Rücksprache mit der Schwiegertochter und Pflegeperson der Antragstellerin wiederum ein Gutachten nach Aktenlage erstellte. Die Schwiegertochter habe angegeben, der Zustand der Antragstellerin habe sich verschlechtert, sie sei schon mehrfach gefallen, ohne sich dabei ernsthafte Verletzungen zugezogen zu haben. Sie sei dann nicht in der Lage, das Telefon zu nutzen und die Angehörigen, die sich im Obergeschoss aufhielten, könnten ihr Rufen nicht hören. Nach den Ausführungen des MDK kämen Hausnotrufsysteme nur bei allein lebenden oder über weite Teile des Tages allein lebenden Pflegebedürftigen in Frage, die mit handelsüblichen Telefonen keinen Notruf mehr absetzen könnten und bei denen auf Grund des bisherigen Verlaufs des Pflegeprozesses jederzeit eine lebensbedrohliche Zustandsverschlechterung zu erwarten sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Antragstellerin nicht vor.
Mit Schreiben vom 20. August 2009 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin dieses Ergebnis mit und bat um Mitteilung, ob der Widerspruch aufrecht erhalten werde. Die Antragstellerin hielt ihren Widerspruch aufrecht und teilte hierzu mit, es sei kein Gutachter des MDK vor Ort gewesen, um sich ein Bild von der Situation zu verschaffen. Die Schwiegertochter bewohne die obere Etage des Hauses und könne nicht rund um die Uhr anwesend sein. Dies gelte besonders nachts.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2009 wies der Widerspruchsausschuss der Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück. Er führte aus, Hausnotrufsysteme würden als Pflegehilfsmittel eingesetzt, um einem Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung eine selbständigere Lebensführung zu ermöglichen. Deshalb komme nach einer gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände vom 14. April 2000 die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem bei allein lebenden oder über weite Teile des Tages allein lebenden Pflegebedürftigen in Betracht, die mit handelsüblichen Telefonen keinen Hilferuf absetzen könnten und bei denen auf Grund des bisherigen Pflegeprozesses derzeit eine lebensbedrohliche Zustandsverschlechterung zu erwarten sei. Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Beurteilungen durch den MDK lägen diese Voraussetzungen bei der Antragstellerin nicht vor.
Am 19. Oktober 2009 hat sich die Antragstellerin gegen diesen Widerspruchsbescheid an das Sozialgericht Stendal gewandt. Sie hat ausgeführt, wenn sie auf Grund eines Herz-Kreislaufanfalles in der Wohnung hinfalle oder ärztliche Hilfe benötige, liege eine Notsituation vor. Sie sei zwar noch nicht besinnungslos gewesen, jedoch sei sie dann nicht zeitnah in der Lage, ein Telefon zu bedienen. Mit einem um den Hals tragbaren Hausnotruf könnte sie hingegen sofort einen Notruf an die Schwiegertochter oder an die Hausärztin absetzen. Sie hat eine ärztliche Bescheinigung ihrer Hausärztin L.-S. vom 8. Oktober 2009 beigefügt, in welcher diese ausgeführt hat, sie halte die Versorgung mit einem Hausnotruf aus ärztlicher Sicht für sinnvoll. Das Sozialgericht Stendal hat dieses Schreiben der Klägerin sowohl als Klageerhebung, als auch als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ausgelegt.
Die Antragsgegnerin hat unter Hinweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid beantragt, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen. Das Begehren der Antragstellerin nehme die Hauptsache faktisch vorweg, weshalb an die Glaubhaftmachung strenge Kriterien anzulegen seien. Eine lebensbedrohliche Zustandsverschlechterung, die gegebenenfalls eine sofortige Ausstattung mit einem Hausnotrufsystem erforderlich machen würde, liege jedoch nicht vor. Der Antragstellerin könne zugemutet werden, das Hauptsacheverfahren abzuwarten, da allein die vorgetragene Gesundheitsverschlechterung und der Hinwies, dass sie mehrfach gefallen sei, für eine besondere Eilbedürftigkeit nicht ausreiche.
Das Sozialgericht Stendal hat den Antrag mit Beschluss vom 10. November 2009 abgelehnt, weil die Versorgung der Antragstellerin mit einem Hausnotrufsystem zur selbständigeren Lebensführung nicht notwendig sei. Die Pflegeperson, die mit der Antragstellerin im gleichen Haus lebe, könne in regelmäßigen Abständen nach ihr sehen. Zudem könne die Antragstellerin mit einem handelsüblichen Telefon umgehen und ein tragbares Telefon auch ständig bei sich tragen. Sie sei dann, auch wenn sie gefallen sei, in der Lage, Hilfe zu rufen. Zur Erleichterung des Telefonierens könnten die Telefonnummern der Schwiegertochter oder der Ärztin in das Telefon einprogrammiert werden. Auch die Hausärztin gehe nicht von der Notwendigkeit der Versorgung mit einem Hausnotrufsystem aus, sondern halte diese lediglich für sinnvoll.
Gegen den ihr am 13. November 2009 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 9. Dezember 2009 Beschwerde erhoben. Sie hat ausgeführt, ein handelsübliches Telefon sei zu schwer, um es an einer Halskette zu tragen. Sie könne es auch nicht immer in der Hand tragen, da sie die Hände benötige, um sich beim Laufen an Gegenständen abzustützen oder festzuhalten. Zudem müsse sie bei einem handelsüblichen Telefon die Telefonnummern im Kopf haben, was in ihrem Alter nicht so einfach sei. Der zu einem Hausnotrufsystem gehörende Pieper sei klein, könne bequem um den Hals hängend getragen und durch einen einfachen Knopfdruck bedient werden. Daher halte sie die Versorgung mit einem Hausnotruf für notwendig.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin einschließlich der Pflegeakte haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stendal vom 10. November 2009 ist nach § 172
Abs. 1
i. V. m.
Abs. 3
Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und nach § 173
SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn das Sozialgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Nach § 86 b
Abs. 2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des
Abs. 1 der genannten Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b
Abs. 2 Satz 2
SGG).
Hier kommt, da es um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b
Abs. 2 Satz 2
SGG in Betracht. Eine solche Regelungsanordnung kann vom Gericht erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht (§ 920 Zivilprozessordnung (
ZPO)
i. V. m. § 86 b
Abs. 2 Satz 4
SGG), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche, in § 86 b
Abs. 2 Satz 2
SGG näher gekennzeichnete Nachteile erleidet (Anordnungsgrund). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht des Antragstellers. Eine einstweilige Anordnung kann nicht ergehen, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, weil dann ein im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schützenswertes Recht des Antragstellers nicht vorhanden ist. Der Anordnungsgrund setzt voraus, dass dem Antragsteller bei Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen des Antragsgegners nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.
Ein Anspruch auf Versorgung mit einem Hausnotrufsystem richtet sich nach § 40
Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (
SGB XI). Danach haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerde des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind.
Ein Hausnotrufsystem trägt nicht zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden der Antragstellerin bei. Es geht nicht darum, die Pflege im grundpflegerischen Bereich oder bei der hauswirtschaftlichen Versorgung zu erleichtern, sondern darum, in Notfällen Hilfe herbeirufen zu können.
Ein Hausnotrufsystem ermöglicht der Antragstellerin auch keine selbständigere Lebensführung. Die selbständige Wohnsituation der Antragstellerin im Hause ihres Sohnes wird ohne die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem weder gefährdet noch beeinträchtigt. Denn die Antragstellerin ist mit einem handelsüblichen tragbaren Telefon - sei es in Form eines tragbaren Telefons eines Haustelefonanschlusses, sei es in Form eines Mobiltelefons - jederzeit in der Lage, Hilfe herbeizurufen. Die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem ist zur Aufrechterhaltung ihrer selbständigen Lebensführung nicht notwendig.
Ein handelsübliches tragbares Telefon ist als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens kein Pflegehilfsmittel. Mittel des täglichen Lebensbedarfs gehören nicht zu den Pflegehilfsmitteln und zwar auch dann nicht, wenn sie die Pflege erleichtern. Mittel des täglichen Lebens sind solche, die allgemein Verwendung finden und üblicherweise von mehreren Personen benutzt werden oder in einem Haushalt vorhanden sind, wie
z. B. Küchenhilfen, Elektromesser, Dosenöffner, elektrisch verstellbare Sessel
u. ä. (
vgl. hierzu Leitherer in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht
Bd. 2, § 40
SGB XI, Rn. 8
m.w.N.). Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung können allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens ebenso wie in der gesetzlichen Krankenversicherung nach
§ 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) nicht als Hilfsmittel der sozialen Pflegeversicherung beansprucht werden; das hat das Bundessozialgericht bereits mehrfach entschieden (
BSG, Urt. v. 15.11.2007,
B 3 P 9/06 R, zitiert nach juris, sowie
BSG, SozR 3-3300 § 40
Nr. 7). Der Leistungsumfang der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung kann sich nicht auf die umfassende Versorgung ihrer Versicherten mit Mitteln beziehen, für die jeder Gesunde und nicht Pflegebedürftige selbst aufzukommen hat. Die insoweit erforderliche Grenzziehung rechtfertigt es, die Antragstellerin auf ein handelsübliches tragbares Telefon zu verweisen, für dessen Anschaffung und Unterhaltung sie selbst verantwortlich ist.
Die Antragstellerin selbst konnte auf Nachfrage des Gerichts nicht überzeugend darlegen, aus welchen Gründen die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem erforderlich ist. Als Vorteile eines Hausnotrufsystems gegenüber einem handelsüblichen Telefon hat sie lediglich die Größe und Tragbarkeit an einer Halskette angegeben. Es gibt aber heute bereits handelsübliche, sehr kleine und leichte tragbare Telefone, die auch an einer Halskette getragen werden können. Zudem kann die Antragstellerin ein tragbares Telefon auch auf andere Art ständig bei sich führen,
z. B. an der Kleidung oder an einem Gürtel befestigt oder in einer Kleidungstasche. Die Argumentation der Antragstellerin, ein Hausnotrufsystem sei für sie bequemer zu tragen, rechtfertigt allein nicht die Versorgung zu Lasten der Antragsgegnerin. Durch die Speicherung der wichtigsten Telefonnummern in einem solchen Telefon kann dieses - ähnlich wie der Pieper eines Hausnotrufsystems - durch einen einfachen Knopfdruck betätigt werden; die entsprechende Telefonnummer muss dann nicht eingegeben werden. Da die Antragstellerin selbst für die Anschaffung und Unterhaltung des entsprechenden Telefons verantwortlich ist, hat sie es in Hand ein Modell auszusuchen, das ihren Ansprüchen genügt.
Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin ein handelsübliches Telefon nicht bedienen könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere lässt der Gesundheitszustand der Antragstellerin keine Anhaltspunkte für die erhöhte Gefahr erkennen, plötzlich in einen lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, der ihr die Bedienung eines handelsüblichen tragbaren Telefons unmöglich machen würde. Es geht der Antragstellerin nicht um ein Hausnotrufsystem, das einen Notruf schon dann aussendet, wenn sich der Hilfebedürftige nicht in regelmäßigen Abständen meldet. Die Antragstellerin hat dies weder vorgetragen, noch ist erkennbar, dass solche erhöhten Vorsichtsmaßnahmen für die Antragstellerin erforderlich sein könnten. Sie lebt in einem Haus mit den sie pflegenden Angehörigen, die in regelmäßigen Abständen nach ihr sehen können. Für den Hilfebedarf der Antragstellerin, jederzeit selbst einen Hilferuf absetzen zu können, genügt daher ein handelsübliches tragbares Telefon.
Da ein Hausnotrufsystem für die Antragstellerin nicht erforderlich ist, kommt auch ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin nach
§ 14 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) als erstangegangener Rehabilitationsträger für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder des Sozialhilfeträgers nicht in Betracht. Auch solche Ansprüche setzen die medizinische Notwendigkeit der Versorgung voraus und schließen Ansprüche auf Versorgung mit Gegenständen des täglichen Lebens aus.
Da ein Anordnungsanspruch seitens der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht ist, kann ihr zugemutet werden, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Eine konkrete Gefährdungslage, die eine vorläufige Gewährung eines Hausnotrufsystems zur Abwendung wesentlicher Nachteile rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177
SGG).