Im Streit steht eine Hörgeräteversorgung. Der 1943 geborene Kläger leidet u.a. an Schwerhörigkeit beidseits (Hörverlust rechts: 89 %; Hörverlust links: 92 %). Seine ihn behandelnde HNO-Fachärztin
Dipl.-med. S verordnete ihm am 2. August 2011 Hörgeräte beidseits. Er ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Mit Schreiben vom 20. September 2011 wandte er sich an diese und teilte mit, sein Hörgeräteakustiker habe ihn darüber informiert, mit Datum 2. September 2011 an die Beklagte eine Versorgungsanzeige versandt zu haben. Ergänzend hierzu melde er den Mehrbedarf gemäß Bundessozialgerichts-Urteil vom 17. Dezember 2009 an. Die AGmbH reichte unter dem 21. Oktober 2011 einen Kostenvoranschlag für zwei Hörgeräte P über 4.913,-
EUR zuzüglich 20,-
EUR gesetzliche Zuzahlung ein. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 beschwerte sich der Kläger: Im Zuge der aktuellen Verordnung seien fünf Hörgeräte getestet worden, davon zwei Festbetragsgeräte. Vier der getesteten Hörgeräte seien im Ergebnis schlechter
bzw. nicht besser gewesen als das 2005 verordnete. Nur mit dem jetzt beantragten Hörsystem habe eine erhebliche Verbesserung erreicht werden können. Die AGmbH teilte mit Faxschreiben vom 17. Januar 2012 mit, dass der Kläger insgesamt drei weitere Festbetrags-Hörgerätesysteme getestet habe.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2012 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme über den bereits übernommenen Betrag in Höhe von 1.015,-
EUR (1.035,-
EUR abzüglich 20,-
EUR gesetzliche Zuzahlung) ab. Mit den eigenanteilsfreien Hörgeräten I habe bei 65 Dezibel ein Sprachverständnis von 100 % bei Mehrsilbenverständlichkeit und 45 % bei Einsilbenverständlichkeit
bzw. mit dem Hörgerät B von 90 % bei Mehrsilbenverständlichkeit und 60 % bei Einsilbenverständlichkeit erreicht werden können. Das vom Kläger begehrte Hörgerätesystem habe ein Sprachverständnis von 100 % bei Mehrsilbenverständlichkeit und 65 % bei Einsilbenverständlichkeit erzielt. Dieser Unterschied entspreche lediglich einem Wort
bzw. zwei Wörtern einer durchgeführten Testreihe. Eine medizinisch ausreichende und zweckmäßige Versorgung könne damit eigenanteilsfrei sichergestellt werden.
Die A
GmbH stellte dem Kläger am 23. Februar 2012 4.435,-
EUR in Rechnung und gab dabei als Leistungsdatum das der Rechnung an.
Der Kläger erhob am 24. Februar 2012 Widerspruch. Die Alternativhörsysteme I und B könnten kein Signal von hinten empfangen, sodass die Geräte bei Benutzung im Freien zu einer Unfallgefährdung führten. Die fehlende Schallinformation von hinten führe zu ständigem Erschrecken. Die Geräte seien laut bis sehr laut.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2012 zurück. Die neu vorgetragenen Einwände könnten zu keinem abweichenden Ergebnis führen.
Hiergegen hat der Kläger am 21. August 2012 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben. Die Beklagte hat vorgebracht, nach der Rechtsprechung stehe der Versorgungsbedarf auch im Rahmen der Festbetragsregelung im Vordergrund. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen habe mittlerweile neue Festbeträge festgesetzt.
Das SG hat Befundberichte eingeholt. Mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2017 hat es die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2012 verurteilt, die Kosten für eine beidseitige Hörgeräteversorgung mit den Geräten A abzüglich einer ggfs. anzusetzenden Eigenbeteiligung zu übernehmen: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine festbetragsübersteigende beidseitige Hörgeräteversorgung mit den Geräten A aus
§ 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit
§§ 27,
33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB V zu. Aus den von der Beklagten nicht bestrittenen Feststellungen der A
GmbH im Zuge der Anpassphase ab Juli 2011 sowie der Dokumentation vom 21. Oktober 2011 und den Angaben der behandelnden HNO-Ärzte stehe fest, dass mit den gewünschten Geräten ein jeweils 5-%-Punkt übersteigender Höhergewinn erzielt werde.
Gegen diesen ihr am 9. März 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 3. April 2017 Berufung erhoben. Auch der Kläger hat am 18. April 2017 vorsorglich Berufung eingelegt.
Im Erörterungstermin am 16. April 2018 haben die Beteiligten klargestellt, dass Streitgegenstand hier nur die Rechnung der
Fa. Amplifon vom 23. Februar 2012 sei, also 4.415,-
EUR. Der Kläger hat daraufhin seine Berufung für erledigt erklärt.
Zur Berufungsbegründung hat die Beklagte ergänzend vorgebracht, der Kläger habe mit den eigenanteilsfreien Hörgeräten teilweise sogar eine bessere Sprachverstehens-Quote erzielen können. Auch diese Geräte verfügten über Digitaltechnik, Mehrkanaligkeit (mindestens vier Kanäle), Rückkoppelungs- und Störschallunterdrückung, mindestens drei Hörprogramme und eine Verstärkerleistung von über 75
dB, das Hörgerätesystem A habe lediglich eine Verstärkerleistung von 69
dB. Es komme deshalb für eine Versorgung nicht in Frage. Lediglich das I erfülle alle Qualitätsanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses einschließlich der technischen Features. Die Beklagte gehe davon aus, dass auch dieses Hörgerät vom Hörgeräteakustiker so eingestellt werden könne, dass auch eine Geräuschaufnahme von hinten möglich sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 1. März 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hat eine bessere Sprachverstehens-Quote bei Eigenanteils freien Hörgeräten bestritten und hat hierzu eine Tabelle eingereicht.
Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, §§ 155
Abs. 3, 153
Abs. 1, 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Beide Beteiligten haben sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt.
Der zulässigen Berufung bleibt Erfolg versagt. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Kostenübernahme für das vom Kläger im Februar 2012 angeschaffte Hörgerätesystem verurteilt. Der angefochtene Bescheid vom 17. Februar 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2012 ist rechtswidrig. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers ist begründet. Er hat einen Anspruch auf Versorgung mit dem Hörgerät Ambra und auf Kostenerstattung über den Festbetrag hinaus.
Anspruchsgrundlage hierfür ist § 13
Abs. 3 Satz 1, Zweite Alternative
SGB V. Der Anspruch ist zunächst nicht ausgeschlossen, weil der Beschaffungsweg nicht eingehalten wurde. Denn der Kläger hat sich zur Kaufpreiszahlung erst im Februar 2012 verpflichtet, nachdem der ablehnende Bescheid bereits ergangen war.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13
Abs. 3 Satz 1, Zweite Alternative
SGB V reicht grundsätzlich nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur, als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Rechtsgrundlage für die Versorgung mit einem Hörgerät ist § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V. Es besteht ein Anspruch auf Hörhilfen, die erforderlich sind, um u.a. eine Behinderung auszugleichen, soweit dies im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen erforderlich ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. Januar 2013 -
B 3 KR 5/12 R -
Rdnr. 29 ff). Die hier geltende Festbetragsregelung aufgrund
§ 36 SGB V ist eine Begrenzung des Anspruches auf eine Hilfsmittelversorgung aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes des
§ 12 Abs. 1 SGB V. Dies rechtfertigt eine entsprechende Begrenzung des Leistungsumfangs, sofern eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag nicht unmöglich ist (
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 -
B 3 KR 20/08 R - juris -
Rdnr. 29 ff). Demzufolge verpflichtet § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist. In dem Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwändigere Versorgung nur dann eingeschlossen, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile oder dann, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenüber steht (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, a.a.O.,
Rdnr. 34).
Nach diesen Grundsätzen ist hier eine Selbstbeschaffung im Februar 2012 zum Festbetrag nicht möglich gewesen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das gewählte System objektivierbar relevante Gebrauchsvorteile gegenüber den anderen getesteten aufzahlungsfreien Systemen aufweist.
Der Umstand, dass mit den Festbetragsgeräten in der Kabine ähnliche Messergebnisse erzielt wurden, erfordert keine andere Beurteilung. Denn zu diesen Messungen müssen praktische Tests über die subjektive Eignung im täglichen Gebrauch hinzukommen. Hörgeräte sollen ein Hören nicht nur in einer Hörkabine ermöglichen.
Der Kläger hat angegeben, alle Geräte in Alltagssituationen getestet zu haben. Soweit sie nicht bereits deshalb ausschieden, weil die Hörverstärkung zu groß gewesen ist, hat er nachvollziehbar ausgeführt,
z.B. im Straßenverkehr oder im Café nur mit dem gewählten System Geräusche von hinten aufnehmen haben zu können. Die behandelnde HNO-Ärztin hat dies in ihrem Befundbericht bestätigt. Bietet ein Hörgeräteakustiker - wie vorliegend - kein ausreichendes und zweckmäßiges eigenanteilfreies Hörgerät an, etwa weil er davon ausgeht oder vorgibt, im konkreten Fall sei eine eigenanteilsfreie Versorgung nicht ausreichend oder zweckmäßig oder erweisen sich die angebotenen eigenanteilsfreien Geräte aus Sicht des Versicherten als nicht ausreichend, muss dieser grundsätzlich -
ggf. mit dem Akustiker - den Dialog mit der Krankenkasse suchen. Dieser Obliegenheit ist der Kläger hier nachgekommen. Die Kasse ist dann gehalten, dem Versicherten bei der Suche nach einem geeigneten eigenanteilsfreien Gerät zu unterstützen,
ggf. unter Zuhilfenahme des MDK, in dem sie ihm konkrete Angebote ausreichender und zweckmäßiger eigenanteilsfreier Geräte aufzeigt und ihm bei der Testung unterstützt oder aber sich bereit erklärt, die Mehrkosten einer höherwertigen Versorgung zu übernehmen. Verweigert die Krankenkasse - wie hier im Hinblick auf den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid - einen solchen Dialog und entzieht sie sich jeglicher Versorgungsverantwortung, kann sie sich im Erstattungsstreit nicht darauf berufen, es stünden eigenanteilsfreien Geräte zur Verfügung. Dies folgt bereits aus dem sich aus § 242 Bürgerliches Gesetzbuch ableitenden Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Die Krankenkasse kann sich nicht einerseits die gesamte Verantwortung für die Versorgung auf den Leistungserbringer vertraglich auslagern und den Versicherten allein an diesen verweisen und sich andererseits darauf berufen, die Auskunft des Leistungserbringers, eine medizinische ausreichend und zweckmäßige Versorgung ohne Eigenanteil sei nicht möglich, unzutreffend zu erachten (so bereits Urteil des Senats vom 25. Juli 2018 -
L 1 KR 335/17 unter Bezugnahme auf Sozialgericht Berlin, Urteil vom 7. März 2016 -
S 81 KR 76/14 - juris -
Rdnr. 37 - 40). Die Beklagte hat sich hier darauf beschränkt, die Bundesinnung einzuschalten sowie ohne Beleg vorzutragen, der Akustiker hätte auch das System Iso einstellen können, dass es ein Hören von Geräuschen von hinten ermöglicht hätte. Soweit sie vorbringt, das gewählte System erreiche nicht die vorgesehene Verstärkungsleistungsmöglichkeit von 75 Dezibel, zeigt sie damit eine Untauglichkeit des gewählten Systems für den Kläger nicht auf, weil dieser eine solche Hörverstärkung nicht benötigt. Im gerichtlichen Verfahren ist es nicht (mehr) Aufgabe der Sozialgerichtsbarkeit, durch Beauftragung etwa eines gerichtlichen Sachverständigen eine vergleichende Untersuchung des Hörvermögens des Versicherten mit verschiedenen Hörgeräten und Einstellungen nachzuholen. Aus der sich aus
§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergebenen Sachleistungsverantwortung ergibt sich vielmehr, dass es grundsätzlich die Verpflichtung der Krankenkassen ist, ihre Versicherten zu informieren und zu beraten. Dies wird durch die Vereinbarung von Festbeträgen nicht außer Kraft gesetzt (
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009,
a. a. O. Rdnr. 36). Unterbleibt die Beratung des Versicherten, werden die Krankenkassen in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren nicht mehr mit dem Einwand gehört, dass es möglicherweise auch andere günstigere Geräte gegeben hätte. Allerdings ist es im Gegenzug auch Sache der Versicherten, auf Beratungsangebote einzugehen und bei der Auswahl des geeignetsten Hörgerätes mitzuwirken. Diese Bereitschaft hat der Kläger - wie ausgeführt - gezeigt. Auf die Begründung des SG wird abschließend ergänzend verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160
Abs. Nr. 1 oder 2
SGG sind nicht ersichtlich. Es handelt sich um einen Einzelfall.