I
Der Antragsteller begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für den Eigenanteil für die beiderseitige Hörgeräteversorgung mit dem Gerät "GN Resound HdO LiNX Quattro 761-DRWC MP".
Bei dem am 16. Juni F. geborenen Antragsteller besteht eine beidseitige hochgradige Innenohrschwerhörigkeit und eine hochgradige beidseitige Sehbehinderung. Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr G. verordnete dem Antragsteller am 3. April 2019 eine neue Hörhilfe.
Der Antragsteller beantragte am 18. März 2019 die Ausstattung mit einem neuen Hörgerät bei der Antragsgegnerin und legte den Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikes H.
GmbH vom 22. Februar 2019 über zwei Hörgeräte GN Resound HdO LiNX Quattro 761-DRWC MP zum Gesamtpreis von 5.278,-
EUR vor. Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 8. April 2019 den Festbetrag in Höhe von 1.431,-
EUR abzüglich gesetzlicher Zuzahlung in Höhe von 20,-
EUR. Die Kostenübernahme der Eigenanteile in Höhe von 3.827,-
EUR für die Hörgeräte könne durch sie nicht erfolgen. Der Hörgeräte-Akustiker sei vertraglich dazu verpflichtet, dem Antragsteller ein für ihn einsetzbares und nutzbares Hörgerät im Rahmen der Festbeträge zur Verfügung zu stellen. Hierunter fielen sowohl einkanalige als auch mehrkanalige Geräte und auch ein digital programmierbares Hörgerät, soweit dies medizinisch erforderlich sei. Der Antragsteller legte mit Schreiben vom 27. April 2019 Widerspruch ein und verwies auf die letzte Hörgeräteversorgung, bei der die Antragsgegnerin aufgrund des "Richtungshörens" einen höheren Betrag als den Festbetrag übernommen habe. Das Richtungshören sei mit dem neuen Festbetrag nicht möglich und für seine multiple Seh- und Hörbehinderung unerlässlich. Es sei für ihn unerlässlich weiterhin zu hören, aus welcher Richtung genau ein Geräusch komme, da er sonst unvermeidlich vom Leben abgeschnitten wäre und das Haus nicht mehr verlassen könnte. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2019 zurück. Der Gesetzgeber habe darauf hingewiesen, dass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann auf den geltenden Festbetrag begrenzt bleibe, wenn die Leistung im Einzelfall nicht zu diesem Beitrag erhältlich sei oder wenn mit innerhalb des Festbetrags zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln eine nach Auffassung des Arztes oder des Versicherten ausreichende Leistung nicht sichergestellt sei.
Hiergegen hat der Antragsteller am 10. Juli 2019 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und gleichzeitig den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er hat eine Bescheinigung der I.
GmbH vom 8. August 2019 sowie die HNO-ärztliche Bescheinigung von Dr G. vom 23. April 2019 vorgelegt. Darin wird auf Grund der bestehenden hochgradigen Sehbehinderung die Zusatzausstattung der Hörgeräte mit einem Richtungsmikrofon dringend ärztlich empfohlen, damit dem Antragsteller eine entsprechende räumliche Orientierung möglich sei.
Das SG hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 2. September 2019 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten des Eigenanteils für die Hörgeräte in Höhe von 3.827,-
EUR zu übernehmen. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Aufgrund der zusätzlich bestehenden hochgradigen Sehbehinderung sei insbesondere ein gutes Richtungshören erforderlich. Das Richtungshören sei jedoch mit dem vom Antragsteller begehrten Modell besser möglich als mit den zuzahlungsfreien Hörsystemen. Nach Angaben des Hörgeräteakustikers könne sich der Antragsteller bei dem von ihm begehrten Modell subjektiv besser orientieren als mit den aufzahlungsfreien Modellen. Da es für das Richtungshören keine vertraglich festgelegte Messung gebe, könne nur von einer subjektiven Verbesserung des Richtungshörens gesprochen werden. Der Antragsteller habe auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es sei ihm nicht zuzumuten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache in seiner Lebensführung beeinträchtigt zu sein und er sei aufgrund seiner Einkommensverhältnisse nicht in der Lage, die Zuzahlung in Höhe von 3.827,-
EUR zu tragen.
Gegen den am 3. September zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 27. September 2019 Beschwerde zum Landessozialgericht (
LSG) Niedersachsen-Bremen erhoben und geltend gemacht, einer Versorgung mit technisch ausgereifteren Hilfsmitteln, die in der Regel auch teurer seien, stehe das Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen. Das Bundessozialgericht (
BSG) habe den Ausgleich der Behinderung gegenüber der Wirtschaftlichkeit dahin abgewogen, dass nur bei einem wesentlichen Gebrauchsvorteil eine höherwertige und aufwendigere Versorgung zu Lasten der Krankenversicherung erfolgen könne. Einen solchen Gebrauchsvorteil habe das
BSG bei einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit angenommen. Nach den vorliegenden medizinischen Informationen bestehe beim Antragsteller eine leichte Hörminderung rechts sowie eine mittelbare Hörminderung links. Daher falle der Antragsteller nicht in die vom
BSG gefasste Personengruppe. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass das Vordergericht eine hochgradige Hörminderung zu Grunde lege, die aus den vorliegenden Unterlagen nicht hergeleitet werden könne. Ausgehend von den Messprotokollen habe der Antragsteller ein Ergebnis von 65 % bei zuzahlungsfreien Geräten erzielt und 70 % bei höherwertiger Versorgung. Der Antragsteller habe ein Gerät gewählt mit nur einem marginalen Gebrauchsvorteil, das um das 3-fache teurer sei. Mangels eines entsprechenden Testverfahrens sei allein auf seinen subjektiven Eindruck abgestellt worden. Die Krankenkasse könne sich nur dann nicht auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zurückziehen, wenn ein angemessener Ausgleich des Funktionsdefizits mit zuzahlungsfreien Geräten nicht erreicht werden könne. Der Antragsteller sei mit dem Gerätetyp Intuis 3 M vorläufig ausreichend versorgt, sodass ihm das Abwarten der Hauptsache zumutbar sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II
Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Antragstellerin zur vorläufigen Kostenübernahme des Eigenanteils für die beiderseitige Hörgeräteversorgung im Rahmen des Eilrechtsschutzes verpflichtet.
Nach § 86b Abs 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1 Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, also der Anspruch auf die begehrte Leistung, als auch ein Anordnungsgrund, dh eine besondere Eilbedürftigkeit bestehen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4
SGG iVm mit § 920 Zivilprozessordnung -ZPO-,
vgl. Keller, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl., 2017, Rdnr 16b mwN).
Vorliegend bedarf es einer weiteren Aufklärung der Qualität des Versorgungsbedarfs in einem Hauptsacheverfahren. Zeitraubende Ermittlungen wie zB medizinische Begutachtungen finden im Eilrechtsschutz nicht statt. In diesem Fall hat sich die Entscheidung an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren. Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (
BVerfG) zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat. Abzuwägen sind stattdessen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat. Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren bedeutet dies, dass die Sozialgerichte die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl
BVerfG 68, 193 (218)) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art 2 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (
GG) genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen (
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. November 2014 -
L 9 KR 323/14 B ER unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
BVerfG). So liegen die Dinge hier.
Dem Antragsteller drohen keine wesentlichen Nachteile dadurch, dass er vorläufig nur mit den Festpreisgeräten versorgt und ggfs erst in einem Hauptsacheverfahren nach Kostenübernahme des Eigenanteils mit der beantragten qualitativ höherwertigen Hörgeräteversorgung ausgestattet wird.
Nach
§ 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte ua Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich mit der Folge, dass die begehrte Hörgerätversorgung durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt ist. Danach ist ein Hörgerät erforderlich im Sinne von § 33 Abs 1 S 1
SGB V, wenn es nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet. Unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß
§ 12 Abs 1 SGB V verpflichtet § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V jedoch nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist. Daher besteht keine Leistungspflicht für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können bestehen, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (
BSG Urteil vom 17. Dezember 2009, -
B 3 KR 20/08 R-).
Im Wege summarischer Prüfung lässt sich vorliegend nicht feststellen, ob die begehrte Hörgeräteversorgung gegenüber der Festpreisversorgung unter Berücksichtigung der gleichzeitig bestehenden hochgradigen Sehbehinderung einen erheblichen Gebrauchsvorteil im Alltagsleben bietet, zumal auch das Festbetragsgerät mit einem Richtungsmikrofon ausgestattet ist. Anders als in dem vom
BSG entschiedenen Fall besteht beim Antragsteller auch keine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, die nicht anders als durch die begehrte Hörgeräteversorgung ausgeglichen werden kann.
In der ohrenärztlichen Verordnung einer Hörhilfe vom 3. April 2019 wird von Dr G. eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits bei Ameurose (Blindheit) angegeben. Eine Hörhilfe beiderseits wird als notwendig angekreuzt; die Notwendigkeit eines Tinnitusmaskers wird nicht angegeben. Mit Bescheinigung vom 23. April 2019 attestiert Dr G. das Bestehen einer beiderseitigen hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit bei einer beiderseitigen hochgradigen Sehbehinderung. Auf Grund der zugleich bestehenden hochgradigen Sehbehinderung wird die Zusatzausstattung der Hörgeräte mit einem Richtungsmikrofon dringend ärztlich empfohlen, damit eine entsprechende räumliche Orientierung für den Antragsteller möglich sei. Auch das in Rede stehende Festbetragsgerät ist mit einem Richtungsmikrofon ausgestattet und wird damit der Verordnung grundsätzlich gerecht. Ausweislich des Anpass- und Abschlussberichtes vom 25. Juli 2019 hat der Freiburger Sprachtest zum Hörgewinn bei der Hörgeräteversorgung bei dem begehrten Gerät RES LiNX Quattro 761-DRWC MP unter Nutzschall 65
dB und Störschall 60
dB ein Sprachverstehen von 70 % ergeben und beim Festbetragsgerät INT Share 1.3 65 DI von 65 %. Das Sprachverstehen ohne Störschall wurden bei beiden Geräten mit 95 % gemessen. Dementsprechend führt der Hörgeräteakustiker unter Bemerkungen aus, dass der Antragsteller sich mit dem begehrten Modell subjektiv besser orientieren könne, bei allerdings gleichem Sprachverstehen. In seinem Schreiben vom 8. August 2019 legt der Hörgeräteakustikermeister J. dar, dass der Funktionsunterscheid beider Geräte (nur) in der Einstellung des Richtmikrofons im Rahmen des räumlichen Hörens liegt. Bei dem Festpreisgerät entscheidet jedes Hörgerät allein über den Mikrofonmodus, der von der lautesten Störgeräuschquelle bestimmt wird, während bei der begehrten Geräteversorgung eine Funkverbindung zwischen den Hörgeräten besteht und aufgrund derer sie miteinander kommunizieren. Allerdings stellt der Hörgeräteakustiker fest, dass es für das Richtungshören keine vertraglich festgelegte Messung gibt, sodass man nur eine subjektive Verbesserung des Richtungshörens zu Grunde legen kann.
Unter diesen Umständen, insbesondere bei gleichen Ergebnissen der Geräte für das Sprachverstehen und einer Ausrüstung des Festbetragsgerätes mit einem Richtungsmikrofon nur ohne Funkverbindung, erfüllt eine vorläufige Versorgung mit dem Festbetragsgerät den Sicherstellungsauftrag der Antragsgegnerin. Ob die Funkverbindung zwischen den Hörgeräten eine Innovation des Richtungshörens darstellt im Sinne eines wesentlichen Gebrauchsvorteils oder nur eines größeren Komforts muss das Hauptsacheverfahren erweisen. Dem Antragsteller entsteht durch das Abwarten des Hauptsacheverfahrens kein unzumutbarer Nachteil, weil durch die Hörgeräteversorgung zum Festpreis vorläufig ein akzeptabler Ausgleich der Hörminderung ohne Gefährdung von Leib oder Leben vorgenommen wird. Dass der Antragsteller meint, mit einer Hörgeräteversorgung zum Festpreis seine Wohnung nicht mehr verlassen zu können, ist seiner Vorstellung geschuldet, entspricht aber nicht einem objektivierbaren Gefahrenpotential und ist daher nicht maßgeblich.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das Vordergericht einen Anordnungsgrund unterstellt, aber nicht hinreichend begründet. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller eine Mittellosigkeit nicht glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177
SGG.