Urteil
Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein Hörgerät über dem Festbetrag

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen


Aktenzeichen:

L 4 KR 247/17


Urteil vom:

01.04.2020


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. April 2017 aufgehoben, soweit festgestellt wird, dass die Beklagte zu 2) der Beklagten zu 1) die Mehrkosten über den Festbetrag in Höhe von 818,- Euro für die Versorgung mit den Hörgeräten Starkey i20 HDO 13 einschließlich Otoplastik Thermotec zu erstatten hat.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zu 2) zurückgewiesen. Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) tragen jeweils zu 1/2 die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsweg:

SG Osnabrück, Urteil vom 26. April 2017 - S 34 KR 251/16

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein Hörgerät über dem Festbetrag hat.

Die 1959 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert. Die Klägerin leidet unter einer beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit. Ausweislich eines Berichts der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der F. vom 8. Mai 2014 hat die Klägerin bis vor fünf Jahren Hörgeräte getragen. Sie käme damit jedoch nicht mehr zurecht. Die Otoplastik sauge sich bei vermehrtem Schwitzen an den Gehörgängen an. Unter dem 19. September 2014 erfolgte durch den behandelnden Arzt der MHH die Verordnung einer Hörhilfe. Die Klägerin erhielt daraufhin Hörgeräte des Typs Starkey zur Probe. In einem Schreiben der Firma G. vom 8. Dezember 2014 heißt es, dass die Klägerin um Prüfung der Kosten bitte, da sie beruflich an der Fleischtheke arbeite und es ihr nicht möglich sei, ständig am Hörsystem zu regulieren, da dort Handschuhe getragen werden müssten. Des Weiteren sei ein Termotec Material bei der Otoplastik verwendet worden, das extrem antiallergisch sei und Feuchtigkeit besser transportiere. Die MHH habe auf die besondere Beachtung der Gehörgangsproblematik hingewiesen, um Gehörgangsentzündungen vorzubeugen. Zeitgleich erfolgte die Übermittlung des Anpass- und Abschlussberichts des Hörgeräteakustikers vom 4. Dezember 2014. Hier heißt es zum Nachweis mittels Freiburger Sprachtests zum Hörgewinn bei der Hörgeräteversorgung: Hörgerät Starkey 3 Series i20 Sprachverstehen rechts und links Nutzschall 65 dB 75 %, Nutzschall 65 dB und Störschall 60 dB 30 %; zuzahlungsfreies Hörgerät Phonak Baseo Q15 P Sprachverstehen rechts und links Nutzschall 65 dB 75%, Nutzschall 65 dB und Störschall 60 dB 30%. Ausweislich der Empfangsbestätigung vom 27. Oktober 2014 sollte sich der Eigenanteil für eine Versorgung mit dem Hörgerät Starkey i20 HDO auf insgesamt 838,- Euro belaufen. In einer Kostenaufstellung vom 8. Dezember 2014 werden Gesamtkosten für die Versorgung in Höhe von 2.305,- Euro angegeben; die Aufzahlung für den Kunden wird auf 818,- Euro zuzüglich 20,- Euro gesetzliche Zuzahlung und der Festbetrag auf 1.594,- Euro beziffert.

Die Klägerin stellte den Antrag auf Übernahme der Mehrkosten bei der Beklagten zu 1) im März 2015. Mit Schreiben vom 31. März 2015 teilte die Beklagte zu 1) der Klägerin mit, dass ein Betrag in Höhe von 1.594,- Euro für die Hörgeräteversorgung bewilligt werde.

Mit Schreiben vom 10. August 2015 beteiligte die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 2) im Rahmen der Amtshilfe zu den beruflich bedingten Mehrkosten. Die Leistungsverpflichtung für die geplante Hörgeräteversorgung sei geprüft worden. Mit der durch die KK erklärten Kostenübernahmehöhe könnte eine medizinisch bestmögliche Versorgung und ein Sprachverstehen im Störstahlschall sichergestellt werden. Dennoch argumentiere die Versicherte, dass nur durch bestimmte Zusatzfunktionen des Gerätes (automatische Umschaltung zwischen den Programmen), die ausschließlich aus beruflichen Gründen beruflich notwendig seien, Mehrkosten resultierten. Es sei deshalb zu prüfen, ob ein berufsbedingter Bedarf vorliege. Es werde um Mitteilung gebeten, ob die Bereitschaft zur Übernahme des Differenzbetrages bestehe. Ebenfalls mit Schreiben vom 10. August 2015 informierte die Beklagte zu 1) die Klägerin darüber, dass die Beklagte zu 2) in das Verfahren einbezogen worden sei.

Mit Bescheid vom 18. August 2015 lehnte die Beklagte zu 2) gegenüber der Klägerin die Übernahme von Mehrkosten ab. Dem Antrag könnte nicht entsprochen werden, da die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfüllt seien. Die Anforderungen im Beruf als Verkäuferin in der Fleischabteilung würden keine spezifisch berufsbedingte Notwendigkeit für höherwertige Hörgeräte beinhalten. Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch würden eine Anforderung an das Hörvermögen darstellen, die bei nahezu jeder Berufsausübung bestehe und daher keine spezifisch berufsbedingte Bedarfslage begründen könnten. Der Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2015 lehnte auch die Beklagte zu 1) die Übernahme der Mehrkosten ab. Sie bezog sich hinsichtlich der Begründung auf den Bescheid der Beklagten zu 2). Diese habe nach konkreter Prüfung des Einzelfalles keinen berufsbedingten Mehrbedarf gesehen.

Mit ihrem Schreiben vom 14. Oktober 2015 beantragte die Klägerin erneut eine "erweiterte Bewilligung" der Mehrkosten in Höhe von 838,- Euro. Sie habe noch zwei weitere Geräte getestet. Beide Geräte hätten nicht die optimale Versorgung dargestellt. Das "Starkey" ermögliche ihr in allen Situationen die optimale Versorgung beider Ohren. In einer fachärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. H. vom 28. September 2015 (Eingang bei der Beklagten zu 1) am 19. Oktober 2015) heißt es u.a., dass im Sinne der Teilhabe und angesichts des Grades der Hörminderung von fachärztlicher Seite eine Versorgung mit den Starkey-Hörgeräten zu empfehlen sei.

Auf Nachfrage teilte die Firma G. unter 26. Oktober 2015 mit, dass nachträglich bei der Klägerin noch einmal Geräte mit Mikrofonautomatik, jedoch ohne Funk getestet worden seien. Als erstes sei das Hansaton Flow 2-13 SP getestet worden. Hiermit hätte ein Sprachverstehen von 60 % bei 65 dB und im Störgeräusch von 25 % erreicht werden können. Für den direkten Vergleich sei noch das Starkey 3 Serie20 HDO besorgt worden, da dieses dem von der Klägerin bevorzugten Gerät in der Technik entsprochen hätte, allerdings ohne Funk. Bei der Freifeldmessung sei bei 65 dB ein Sprachverstehen von 60 % und mit 60 dB Störgeräusch ein Sprachverstehen von 20 % erreicht worden. Bei Erhöhung der Freifeldlautstärke um 5 dB (70dB Nutzschall) hätte sofort ein Ergebnis von 75 % Sprachverstehen erreicht werden können. Die Klägerin habe nach 14 Tagen Probetragen die Geräte ohne Feinjustierung zurückgebracht und mitgeteilt, dass sie die angepassten Geräte Starkey 3 Serie i20 HDO) behalten möchte.

Die Beklagte zu 1) beauftragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), Hilfsmittel-Kompetenz-Zentrum mit der Erstellung einer medizinischen Stellungnahme zu der Hörgeräteversorgung. In dem Gutachten des Sachverständigen Lücker vom 12. Januar 2016 heißt es, dass sich weder im Befundbericht der MHH noch der Stellungnahme des behandelnden Arztes Hinweise auf eine Gehörgangsentzündung finden würden. Die Versicherte habe sich auf das Starkey-Hörgerät fixiert, akzeptiere auch andere Versorgungsversuche nicht. Aus der Überprüfung des Hörvermögens gehe hervor, dass sie mit dem zuzahlungsfreien Hörgerät Oticon Get 13 Power deutlich bessere Hörergebnisse habe erzielen können. Zusammenfassend sei daher eine Versorgung oberhalb der Festbetragsregelung bzw. eine Kostenübernahme der Mehrkosten medizinisch nicht nachvollziehbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2016 wies die Beklagte zu 1) den Widerspruch der Klägerin zurück. Eine Erstattung der Mehrkosten sei nicht möglich. Wähle der Versicherte ein nicht eigenanteilsfreies Versorgungsangebot, habe er eine Erklärung gegenüber dem Hörgeräteakustiker abzugeben und zu unterschreiben, mit der er sich mit der Zahlung der Mehrkosten für das von ihm ausgewählte Hörgerät einverstanden erkläre. Aus den vorliegenden Unterlagen sei zu entnehmen, dass eine abschließende Versorgung noch nicht stattgefunden habe. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 habe die Firma G. der Beklagte zu 1) mitgeteilt, dass nach weiterer Testung die angepassten Hörgeräte Starkey 3er Serie i20 HDO behalten worden seien. Zur Prüfung des Einzelfalles habe sich die KK an den beratend tätigen MDK gewandt und um eine sozialmedizinische Beurteilung des Sachverhalts gebeten. Der Gutachter des MDK habe die Übernahme der Mehrkosten für das begehrte Hörgerät nicht empfohlen. Dem Anpassungsbericht sei zu entnehmen, dass die Versicherte mit dem zuzahlungsfreien Hörgerät Oticon Get 13 Power deutlich bessere Ergebnisse erreicht habe. Medizinisch relevante Argumente, die für eine Versorgung oberhalb der Festbetragsregelung sprechen könnten, seien gutachterlich nicht benannt worden.

Die Klägerin hatte am 13. Mai 2016 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Sie hat weiterhin die Übernahme der Mehrkosten für eine berufsbedingte Hörgeräteversorgung beantragt. Sie habe Anspruch auf eine eigenanteilsfreie Versorgung mit analogen oder digitalen Hörgeräten einschließlich der erforderlichen Otoplastik. Die Klägerin habe mehrere Geräte erprobt, jedoch feststellen müssen, dass diese Geräte den arbeitsplatzspezifischen Anforderungen nicht gerecht würden. Das von der Beklagten zu 1) empfohlene Gerät Oticon Get 13 Power sei auch deshalb problematisch, weil sie am Arbeitsplatz auf Fliesenböden stehe. Auf diesen Fliesenböden würden Einkaufsfahrzeuge der Kunden geschoben. Durch diese Abrollgeräusche würden sich erhebliche Schall- und Störgeräusche ergeben. Die Klägerin habe sich für die Versorgung mit den streitigen Hörgeräten entschieden, nur noch nicht den Kauf der Hörgeräte getätigt. Von der Firma G. sei zunächst der Ausgleich in Höhe von 838,- Euro gefordert worden.

Die Beklagte zu 1) hat im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, dass eine Versorgung im Rahmen des Festbetrages noch möglich sei, da sich die Klägerin die mit Mehrkosten verbundenen Hörhilfen noch nicht angeschafft habe.

Das SG hat mit Urteil vom 26. April 2017 die Beklagte zu 1) unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2016 verpflichtet, die Mehrkosten über dem Festbetrag in Höhe von 818,- Euro für die Versorgung mit den Hörgeräten Starkey i20 HDO 13 einschließlich Otoplastik Thermotec zu übernehmen (Ziff. 1). Es hat zudem festgestellt, dass die Beklagte zu 2) der Beklagten zu 1) die Leistung noch Ziff. 1) zu erstatten habe. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei im Hinblick auf beide Beklagte zulässig. Auch im Falle einer subjektiven Klagehäufung gelte, dass die Kammer den Rechtsstreit umfassend und nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen habe. Insbesondere sei der Rechtsstreit gegen die Beklagte zu 2) nicht abzutrennen und an eine Rentenkammer zu verweisen. Denn in jedem Falle wäre die Beklagte zu 2) notwendig beizuladen gewesen, weil sie einerseits als leistungspflichtig in Betracht käme und andererseits die Entscheidung aufgrund des Erstattungsverhältnisses zwischen dem Beklagten nur einheitlich ergehen könnte. Da sogar die Möglichkeit der Verurteilung des notwendig Beigeladenen bestehe, sei es in der Sache kein Unterschied, ob eine subjektive Klagehäufung oder eine Beiladung erfolge. In diesem Sinne sei der feststellende Teil des Tenors dieser Entscheidung nur deklaratorisch, weil sich die Bindung bereits aus § 141 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebe. Der angegriffene Bescheid der Beklagten zu 1) sei rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie habe nach §§ 14, 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1) auf Übernahme der Mehrkosten. Die Beklagte zu 1) sei passivlegitimiert, weil sie den Antrag nicht schon im Dezember 2014 an die Beklagte zu 2) weitergeleitet habe. Die Klägerin habe auch in der Sache einen Anspruch auf Versorgung mit den Starkey-Hörgeräten, weil die Hörhilfe als Hilfe zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt der behinderten Klägerin die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft ermögliche und sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege mache und die Leistung nicht nach anderen Vorschriften erbracht werde. Die Starkey-Hörgeräte seien nicht von der Beklagten zu 1) im Rahmen des Basisausgleichs zu leisten. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde Bezug genommen. Vielmehr sei für berufsbedingte Bedarfe ein Anspruch nach § 55 SGB IX gegeben. Dass die Versorgung mit diesem Gerät aus beruflichen Gründen gewünscht sei, dürfe unstreitig sein. Die Klägerin mache eine besondere Lärmbelastung durch die Arbeitsumgebung gelten und weise auf das Erfordernis hin, die Geräte nicht ständig mit den Händen bedienen zu müssen. Dies bedeute für sie ein Erschwernis, weil sie aus hygienischen Gründen Handschuhe tragen müsste und diese für die Bedienung des Gerätes auszuziehen seien. Diese geltend gemachten Gründe rechtfertigen auch eine Versorgung nach § 55 Abs. 1 SGB IX. Auf medizinischen Sachverstand sei die Kammer dabei nicht angewiesen. Im Hinblick auf die Bedienbarkeit des Gerätes handele es sich eher um eine berufskundliche Fragestellung, jedenfalls nicht um eine medizinische Fragestellung. Das MDK-Gutachten verhalte sich zu diesem Punkt nicht. Aus dem Bescheid der Beklagten zu 2) ergebe sich nicht im geringsten, dass dieser Punkt überhaupt gewürdigt worden sei. Die Beklagte zu 2) habe offenbar auch keinen Anlass gesehen, dem Vortrag der Klägerin im Klageverfahren entgegenzutreten. Sie hätte ggf. die Einholung einer berufskundlichen Stellungnahme bzw. eines Gutachtens anregen können. Angesichts dessen habe kein weiterer Anlass zur Ermittlung von Amts wegen bestanden, zumal die Argumentation des Hörgeräteakustikers für das Gericht ohne weiteres nachvollziehbar sei und für sich genommen schon ohne die geltend gemachten Hörgewinne die Versorgung mit diesen Geräten rechtfertige. Dass weder der MDK noch die Beklagte im Widerspruchsverfahren auf die besseren Messergebnisse mit zuzahlungsfreien Geräten verweise, sei unerheblich. Erstens sei dies für die Klägerin in ihrer Situation nicht allein ausschlaggebend, weil es auch maßgeblich auf die problemlose Bedienbarkeit in ihrem Arbeitsumfeld ankäme. Hinzu käme, dass die Messergebnisse nicht die konkreten Arbeitsbedingungen widerspiegelten. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin, dass die Geräte die besonders störenden Geräusche in gefliesten Räumen filtern könnten, sei schlüssig. Die Beklagte habe nichts vorgetragen, was das Gericht zur Ermittlung von Amts wegen veranlassen könnte, um das Gegenteil zu beweisen. Im Übrigen sei die Klage abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten zu 2) sei rechtmäßig, weil auch die Begründung unzutreffend sei. Aufgrund von § 14 SGB IX sei die Beklagte zu 2) im Außenverhältnis gegenüber der Klägerin nicht mehr zuständig, sodass allein deswegen die Leistung von ihr nicht bewilligt werden dürfte. Die falsche Begründung erwachse nach allgemeinen Grundsätzen nicht in Bestandskraft und hindere insbesondere nicht eine Verurteilung der Beklagten zu 1) und stehe einem Erstattungsanspruch der Beklagten zu 1) auch nicht entgegen. Auf den Feststellungsantrag hin sei festzustellen, dass die Beklagte zu 2) der Beklagten zu 1) gegenüber zur Erstattung verpflichtet sei. Im Falle einer notwendigen Beiladung wäre dieses selbstverständlich und bedürfe keines ausdrücklichen Tenors. Im Falle der subjektiven Klagehäufung erfolge die Feststellung deklaratorisch, zumal sich das Ergebnis auch aus § 141 SGG ergebe. Allein deswegen müsste der Beklagten zu 2) kein rechtliches Gehör gewährt werden. Im Übrigen diene der Verhandlungstermin der Gewährung rechtlichen Gehörs. Wer nicht erscheine, müsse mit ihm nachteiligen Entscheidungen rechnen.

Gegen das am 8. Mai 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte zu 2) am 1. Juni 2017 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie habe mit Schreiben vom 29. November 2016 gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht Akteneinsicht beantragt. Darauf habe das Gericht nicht reagiert. Damit sei rechtliches Gehör ohne Begründung versagt worden. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Beklagte zu 2) die Möglichkeit gehabt habe, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Weiter sei die Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin Anspruch auf die Starkey-Hörgeräte gehabt habe. Eine berufliche Notwendigkeit der Versorgung werde bestritten. Für Leistungen nach § 55 SGB IX sei gemäß §§ 5 Nr. 4, 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX die Beklagte zu 2) auch nicht zuständig. Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass keine berufliche Notwendigkeit für die hochpreisigen Hörgeräte bestanden habe. Für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft seien die hochpreisigen Hörgeräte ebenso nicht erforderlich. Es bestehe daher kein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Mehrkosten. Dies führe dazu, dass auch ein Erstattungsanspruch der Beklagten zu 1) nicht bestehe. Der Bescheid der Beklagten zu 2) vom 18. August 2015 sei durch die Klägerin nicht angegriffen worden. Somit sei dieser in Bestandskraft erwachsen. Damit sei die Klage gegen die Beklagte zu 2) unzulässig, da es am notwendigen Vorverfahren im Sinne des § 78 SGG fehle. Damit hätte das erstinstanzliche Gericht die Klage gegen die Beklagte zu 2) als unzulässig zurückweisen müssen. Weiterhin sei anzumerken, dass die Beklagte zu 1) im vorliegenden Fall ein Antrag auf Feststellung der Erstattungspflicht stelle. Auch dieser Antrag sei unzulässig. Zum einen sei fraglich, ob überhaupt ein Feststellungsinteresse der Beklagten zu 1) bestehe. Zum anderen sei ein derartiger Antrag als Widerklage im Sinne des § 100 SGG einzuordnen. Eine Widerklage sei jedoch grundsätzlich gegen den Kläger zu richten. Zwar sei auch einen beispielsweise Widerklage gegen bisher am Verfahren nicht beteiligte Dritte möglich, aber nur sofern die Widerklage auch gegen den Kläger gerichtet sei. Daher hätte das SG den Antrag der Beklagten zu 1) als unzulässig zurückweisen müssen. Die Beklagte zu 2) beantragt schriftsätzlich, 1. das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. April 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen. 2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte zu 2) nicht zur Erstattung der gegebenenfalls durch die Beklagte zu 1) gegenüber der Klägerin übernommenen Kosten verpflichtet ist. Die Beklagte zu 1) und die Klägerin haben keine Berufung eingelegt. Die Beklagte zu 1) hat im Verlauf des Berufungsverfahrens der Klägerin die Mehrkosten für die Anschaffung der Hörgeräte erstattet.


Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.


Die Beklagte zu 1) beantragt sinngemäß,

in die Berufung der Beklagten zu 2) zurückzuweisen.

Sie besteht weiterhin auf eine Erstattung des geleisteten Betrages in Höhe von 818,- Euro. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Vorliegend konnte eine Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin nach § 155 Abs. 3 und 4 SGG und ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG getroffen werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.

Der Berufung der Beklagten zu 2) ist nur in dem tenorierten Umfang stattzugeben und das Urteil des Sozialgerichts vom 26. April 2017 insoweit aufzuheben. Mit der Berufung begehrt die Beklagte zu 2) zunächst die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts vom 26. April 2017 und die Abweisung der Klage. Soweit die Beklagte zu 1) durch das Urteil zur Übernahme der Mehrkosten für die angeschafften Hörgeräte verpflichtet wurde, fehlt es der Beklagten zu 2) mangels Beschwer bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis.

Im Übrigen hat die Beklagte zu 1) das Urteil des SG rechtskräftig werden lassen und den klägerischen Anspruch im Berufungsverfahren befriedigt. Ein vermeintliches besonderes Interesse an der Überprüfung der Bescheide der Beklagten zu 1), etwa im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresse" der Beklagten zu 2) kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die vom Gericht mit Urteil vom 26. April 2017 festgestellte Erstattungspflicht der Beklagten zu 2) gegenüber der Beklagten zu 1) im Tenor unmittelbar auf die Leistungspflicht der Beklagten zu 1) als erstangegangener Leistungsträger anknüpft. Dies würde ein "Hineinziehen" des Erstattungsstreits zwischen zwei Leistungsträgern in das auf Leistung gerichtete gerichtliche Verfahren des Versicherten bedeuten, was grundsätzlich prozessual nicht zulässig ist. Die Frage, ob die Beklagte zu 1) mit Bescheid vom 12. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2016 rechtmäßig die Übernahme der Mehrkosten für die Hörgeräte der Klägerin abgelehnt hat, ist in diesem Rechtsstreit nicht mehr zu klären. Rein ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine gegen den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 18. August 2015 gerichtete Klage nicht unbegründet, sondern bereits unzulässig wäre. Da der Bescheid zu keiner Zeit von Klägerin angegriffen worden ist, hätte das SG den Hilfsantrag bereits als unzulässig verwerfen müssen. Aus dem oben Gesagten folgt auch, dass die Berufung der Beklagten zu 2) erfolgreich (im Sinne der Zulässigkeit und Begründetheit) ist, soweit es die vom SG im Urteil vom 26. April 2017 festgestellte Erstattungspflicht der Beklagten zu 2) gegenüber der Beklagten zu 1) betrifft. Insoweit ist das Urteil aufzuheben. Eine Klage der Beklagten zu 1) gegen die Beklagte zu 2) auf Feststellung der Erstattungspflicht ist prozessual nicht zulässig.

Nach § 100 SGG kann die Widerklage bei dem Gericht der Klage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt. Die Widerklage ist eine selbstständige Klage und erschöpft sich inhaltlich nicht in einer bloßen Verneinung des Klageanspruchs im Sinne einer Klageerwiderung. Eine weitere Widerklage des Klägers gegen eine Widerklage des Beklagten ist möglich. Die Widerklage kann unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen einen Dritten gerichtet werden; die Widerklage gegen einen Beigeladenen ist ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (vgl. dazu Guttenberger in Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGG, 1. Aufl., § 100 SGG, Stand 15. Juli 2017, Rn. 5ff m.w.N.). Dem Regelungsbereich des § 100 SGG unterfällt jedoch nicht der Streit zwischen zwei Leistungsträgern auf der Erstattungsebene. Auch die Regelungen über die Klageänderung in § 99 SGG ermöglichen nicht - etwa aus prozessökonomischen Gründen - die Einbeziehung von Erstattungsstreitigkeiten zwischen zwei Leistungsträgern. Aus den genannten Gründen kann die Beklagte zu 2) auch nicht mit ihrem Hilfsantrag durchdringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

Referenznummer:

R/R8889


Informationsstand: 19.09.2022