Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 15.09.2009 und 26.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2010 beschwert im Sinne des § 54 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), denn die Bescheide sind rechtswidrig.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenerstattung für die selbstbeschaffte Zusatzausstattung für ihr Hörgerät mit einem Empfängergerät, einem Audioschuh und einer Fernbedienung.
Der Kostenerstattungsanspruch ergibt sich aus
§ 13 Abs 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V).
Danach ist eine Kostenerstattung in dem vom Sachleistungsprinzip geprägten System der gesetzlichen Krankenversicherung möglich, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 13 Abs 3 2. Alternative
SGB V liegen vor, denn die Beklagte hat die Versorgung der Klägerin mit der Zusatzausstattung zu Unrecht abgelehnt.
Gemäß
§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behandlung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 SGB V ausgeschlossen sind. Das Empfängergerät für die Übertragungsanlage, der Audio-Schuh und die Fernbedienung zur Auswahl der Programme der Kommunikationsanlage stellen sämtlich keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens dar, da sie gezielt von Hörgeschädigten eingesetzt werden, um die Folgen einer Behinderung auszugleichen oder zu lindern.
Bezogen auf den individuellen Bedarf der Klägerin sind die Zubehörteile als Hilfsmittel im Sinne der 2. Alternative des § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V anzusehen.
§ 33
SGB V dient einerseits dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst (sogenannter unmittelbarer Behinderungsausgleich), bei dem das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (
BSG, Urteil vom 17.12.2009,
B 3 KR 20/08 R). In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht, denn die Erhaltung
bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Die Krankenkassen können daher die Versorgung mit einem fortschrittlicheren technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung ablehnen, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (
BSG, SozR 4-2500 § 33 Nr 8).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Dieser sogenannte mittelbare Behinderungsausgleich kann keinen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen umfassen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Ein solches Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums.
Die Hörgeräteversorgung als solche betrifft den Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs. Dagegen ist die Versorgung mit einer Übertragungsanlage und dem notwendigen Zubehör dem Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs zuzuordnen, da die Anlage nicht bei der Hörfähigkeit des betroffenen Hörgeschädigten ansetzt, sondern Ziel der Versorgung die Verstärkung und das Hervorheben bestimmter Geräusche oder Stimmen ist, um so die noch vorhandene Hörfähigkeit optimal einzusetzen. Das Hilfsmittel nebst Zubehör verbessert damit die Fähigkeit des Richtungshörens, in dem bestimmte Geräusche gezielt elektronisch verstärkt werden. Eine Angleichung des individuellen Hörvermögens an dasjenige Gesunder erfolgt hingegen nicht. Da nur durch ein externes Zusatzgerät der Einsatz des Hörgerätes zusätzlich erweitert wird, handelt es sich folglich um ein Hilfsmittel, das dem mittelbaren Behinderungsausgleich zuzuordnen ist (
vgl. LSG NRW; Beschluss vom 03.03.2011,
L 11 KR 27/09,
BSG, Urteil vom 17.12.2009 B 3 KR 20/08 R, Beschluss vom 04.08.2011,
B 3 KR 7/11 B.,www.juris.de).
Der Einsatz des Empfängergerätes sowie des Audio-Schuhs ist nach Auffassung der Kammer der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen zuzuordnen. Der Beklagten ist insbesondere nicht darin zuzustimmen, dass das Empfängergerät lediglich im Freizeitbereich der Klägerin eingesetzt wird und damit die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse nicht betroffen ist. Wie sich sowohl im Rahmen des Erörterungstermins bei Befragung der Klägerin als auch nach den Ausführungen der Sachverständigen eindrucksvoll gezeigt hat, ist es der Klägerin nur mit Hilfe der Kommunikationsanlage möglich, Gesprächen zu folgen. Selbst wenn sich in einem größeren Raum zwei Personen unterhalten, die sich mehr als zwei oder drei Meter von ihr entfernt befinden, ist ein Verstehen kaum möglich. Die Klägerin ist darauf angewiesen, sich so nah wie möglich zu dem Gesprächspartner zu begeben und Blickkontakt zu halten, damit sie in Ergänzung des Gehörten von den Lippen ablesen kann. In geräuschvoller Umgebung ist eine Kommunikation auch dann nicht möglich. Dies hat bereits der Medizinische Dienst in seiner Stellungnahme vom 14.10.2009 bestätigt. Das hochwertige Hörgerät Exelia XP erlaubt es zwar, mittels der Mikrofone die Geräusche auf den Nutzschall zu fokussieren. Dies führt dazu, dass sich in bestimmten Situationen der Störschall reduzieren lässt. Wenn allerdings der Nutzschall von der linken Seite kommt, auf dem die Klägerin praktisch taub ist, dringt der Störschall auf dem besser hörenden Ohr ein, so dass die Klägerin trotz der Hörhilfe Schwierigkeiten hat, die Sprache zu verstehen. Diesen medizinischen Sachverhalt haben der Sachverständige I. und der medizinische Sachverständige
Dr. W. bestätigt und im Einzelnen ausgeführt, dass mit der Übertragungsanlage eine deutliche Verbesserung des Hörverstehens in Gesprächssituationen eintritt. Dies zeigt sich einerseits an den subjektiven Empfindungen der Klägerin, die in den Antworten auf die Fragen von
Dr. W. zur Verständlichkeit des gesprochenen Wortes in bestimmten Situationen zum Ausdruck kamen. Danach profitiert sie von der der
FM-Anlage sehr deutlich, während ohne diese Anlage mit alleiniger Hörgeräteversorgung der Nutzen gegenüber dem Zustand ohne Versorgung mit einem Hörgerät eher minimal ist.
Die Beklagte kann sich nach Auffassung der Kammer vor diesem Hintergrund nicht darauf berufen, dass die Klägerin die
FM-Anlage in der Selbsthilfegruppe und beim Besuch von Vorträgen oder bei Veranstaltungen der Gemeinde einsetzt. Richtig ist in diesem Zusammenhang zwar, dass ein Hilfsmittel nicht nur der Freizeitgestaltung dienen darf, da sich die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich auf die allgemeinen Grundbedürfnisse erstreckt und Versorgungen in Teilbereichen, die sich vornehmlich auf den Freizeitbereich beziehen, nicht von der Leistungspflicht betroffen sind. Bedenkt man jedoch, dass der Klägerin ein eigenständiges Leben ohne die
FM-Anlage praktisch nicht möglich wäre, so ist der Verweis auf die Nutzung des Hilfsmittels auch im privaten Bereich nicht zulässig.
Aus den glaubhaften Aussagen der Klägerin und den nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen I. im Verhandlungstermin vom 13.02.2013 lässt sich entnehmen, dass die Klägerin die
FM-Anlage auch in geräuscharmen Situationen einsetzen muss, um eine bessere Hörfähigkeit zu erreichen. Dies gilt insbesondere für Hörsituationen, in denen allein die Gefahr besteht, dass Störgeräusche auftreten. In Situationen, bei denen von vornherein feststeht, dass Störgeräusche den Höreindruck der Klägerin beeinträchtigen, muss sie die Anlage von Beginn an einsetzen, um das gesprochene Wort des Gesprächspartners zu verstehen. Dies gilt für die täglichen Einkäufe in Supermärkten oder auf dem Wochenmarkt sowie für den Besuch in der Apotheke oder beim Arzt, wenn hier - was durchaus üblich ist - die Gespräche mit der Klägerin nicht in optimal schallgeschützten Räumen unter Ausschluss anderer Personen, die Störgeräusche verursachen können, stattfinden.
Der Einsatz dieses Hilfsmittels spricht daher entgegen der Auffassung der Beklagten dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Entscheidend ist für die Kammer insbesondere, dass die Klägerin bis auf die Hilfe ihres Ehemannes ein eigenständiges und selbstverantwortetes Leben führen kann und mit dieser Versorgung in der Lage ist, die Geschäfte des täglichen Lebens selbst zu tätigen. Die hohe körperliche und geistige Aktivität der Klägerin ist trotz des fortgeschrittenen Alters und physischer Beeinträchtigungen bemerkenswert. Die eigenständige Lebensführung, die mit der strittigen Hilfsmittelversorgung tagtäglich gefördert
bzw. erhalten wird, muss bei der Frage der Wirtschaftlichkeit eines Hilfsmittels nach
§ 12 SGB V berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass die Klägerin lediglich das Empfängergerät angeschafft hat, während der Sender ausgehend von der selbstfinanzierten mit der alten Hörgeräteversorgung kompatiblen Anlage weiterhin einsatzfähig ist und von der Klägerin benutzt wird.
Auch die Kostenerstattung für die Fernbedienung My Pilot ist nach Auffassung der Kammer auf der Grundlage des § 13 Abs 3 Satz 2
SGB V berechtigt. Grundsätzlich ist der Beklagten zwar insoweit Recht zu geben, dass die Nutzung einer Fernbedienung im Bereich der Hörgeräteversorgung in der Regel nicht aus Gründen der Funktionalität erfolgt, sondern dem Komfort bei der Bedienung dient. Im Falle der Klägerin steht jedoch fest, dass sie unter einer ausgeprägten Arthrose im Bereich der Finger leidet. Dies haben sowohl der Neurologe
Dr. C. als auch
Dr. X. festgestellt. Bedenkt man darüber hinaus, dass eine häufige Programmumstellung erforderlich ist, je nachdem, in welcher Hörsituation sich die Klägerin befindet, so erscheint es bezogen auf den hier zu entscheidenden Einzelfall ausnahmsweise sachgerecht, den mit der Nutzung der Fernbedienung verbundenen Vorteil noch der Funktionalität des Hilfsmittels zuzuordnen. Auch insoweit verweist die Kammer auf die obigen Ausführungen und gibt zu bedenken, dass der Einsatz der Fernbedienung dazu dient, das eigenständige Leben und Wohnen der Klägerin zu fördern und zu erhalten. Wie der Sachverständige I. im Verhandlungstermin am 13.02.2013 ausgeführt hat, erfordert die händische Programmumstellung immer zunächst die Einstellung auf die Ausgangssituation. Von dort aus können dann per Klick am Hörgerät Programme nacheinander angewählt werden. Die Nutzung der Fernbedienung bietet den Vorteil, dass die Klägerin das zu nutzende Programm direkt anwählen kann, ohne über die Ausgangseinstellung und weitere Programme vorgehen zu müssen. So ist durchaus vorstellbar, dass die Klägerin deutlich längere Zeit benötigt, um die Hörsituation beim Betreten einer Apotheke beispielsweise richtig zu erfassen, wenn sie die Programmeinstellung von Hand vornimmt. Ebenso bietet die Nutzung der Fernbedienung bei der Fortbewegung im Straßenverkehr die Möglichkeit, eine schnelle Umstellung beispielsweise nach dem Verlassen eines Geschäftes vorzunehmen, so dass die Klägerin auch insoweit zusätzlich auftretende Gefahren verhindern kann.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Versorgung mit einer
FM-Anlage nach den Hilfsmittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung vom 16.10.2008 noch nicht vorgesehen war. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass der Einsatz einer solchen Anlage insbesondere bei Kindern zum Spracherwerb oder für die Teilnahme am Schulunterricht in einer Regelschule in Betracht kommt und auf die hierzu ergangene Rechtsprechung hingewiesen (
vgl. BSG, Beschluss vom 04.08.2011
B 3 KR 7/11 B,
LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.03.2011
L 11 KR 27/09). Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass inzwischen eine Änderung der Hilfsmittelrichtlinien stattgefunden hat. Übertragungsanlagen sind nunmehr nach § 25 der Hilfsmittelrichtlinie in der Fassung vom 21.12.2011/15.03.2012 bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen verordnungsfähig. Die Beklagte ist ferner darauf hinzuweisen, dass sich der Fall der Klägerin als Ausnahme darstellt. Wie auch der Sachverständige im Verhandlungstermin bestätigt hat, ist allein die Kombination von extrem hochgradiger Schwerhörigkeit und schlechter Versorgbarkeit mit Hörgeräten sowie der gleichzeitig vorhandenen selbstbestimmten und selbstständigen Lebensführung für die hier vorzunehmende spezielle Versorgung der Klägerin ursächlich.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
SGG.